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ATOM/323: RWE trickst - keine endgültige Abschaltung von Biblis A (SB)


Ausstieg aus der Kernenergie vor dem Aus

Konzern wird Pannenreaktor bis zu nächsten Legislaturperiode nicht abschalten müssen


Die Kernkraftwerksbetreiber in Deutschland haben sich in eine glänzende Position manövriert - trotz des sogenannten Atomausstiegs. Denn sie haben in all den Jahren seit dem Energiekonsensvertrag mit der damaligen rot-grünen Bundesregierung lediglich die beiden in die Jahre gekommenen Atommeiler Stade und Obrigheim abschalten müssen. Eigentlich wäre in dieser Legislaturperiode Biblis A an der Reihe gewesen, aber daraus wird nichts. Zunächst verzeichnete das Kernkraftwerk einige Pannen, wodurch es abgeschaltet blieb und sich der Zeitpunkt, an dem es hätte vom Netz gehen müssen, nach hinten verlagerte. Darüber hinaus kündigte der Betreiber RWE an, daß der Atommeiler im kommenden Jahr einer technischen Revision unterzogen wird.

Dafür müsse er 125 Tage lang, von Mai bis September 2009, abgeschaltet werden, sagte der Leiter der Anlagentechnik des Kraftwerks, Jürgen Haag, am Mittwoch gegenüber dem "Mannheimer Morgen". [1] Zusammen mit den Monaten, die Biblis A von Herbst 2006 bis Anfang dieses Jahres unter anderem wegen nicht mangelhafter Dübel abgeschaltet war, ergibt sich eine zulässige Betriebsdauer bis zum Jahr 2010.

Im Herbst 2009 finden jedoch die nächsten Bundestagswahlen statt. Es besteht die Chance, daß dann die CDU/CSU, vielleicht mit der FDP, aber ohne die SPD ans Ruder kommt und den Atomausstieg wieder rückgängig macht. Daß das überhaupt möglich ist, verdanken die Energieriesen der rot-grünen Bundesregierung, die im Jahr 2000 einen Energiekonsensvertrag unterschrieben hat, der damals schon von Kritikern als Bestandssicherungsgesetz bezeichnet wurde.

In der "Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen" wird zwar betont, daß der Atomausstieg unumkehrbar ist - ein Umstand, den zu wiederholen die rot-grüne Regierung nie müde wurde -, aber es wurden keine konkreten Ausstiegsszenarien aufgrund von festgelegten Betriebsjahren vereinbart. Der damalige grüne Umweltminister Jürgen Trittin hatte dem Druck der Konzerne nachgegeben und einem System mit Restlaufzeiten zugestimmt, das es den Kraftwerksbetreibern ermöglichte, Strommengen nach Belieben von einer älteren Anlage auf eine neuere umzuschichten. (Lediglich für den umgekehrten Weg bedarf es der Zustimmung des Umweltministers.)

An dieser wirtschaftsfreundlichen Abmachung trägt Trittin nicht die alleinige Verantwortung, ja, ihm war sogar von Bundeskanzler Schröder, der das Thema zur "Chefsache" erklärte, das Zepter aus der Hand genommen worden, aber letztlich hatte auch der Umweltminister Wert auf den Konsens mit den Konzernen gelegt (und damit vermutlich seinen Ministerposten gerettet).

Anfangs waren die Kraftwerksbetreiber gar nicht so unglücklich über die Vereinbarung, vermutlich hatten sie gehofft, daß der ganze Zauber sowieso nach vier Jahren wieder vorbei ist. Wie hinlänglich bekannt, kam es anders, Schröder blieb an der Macht und warf erst 2005 sein Handtuch, indem er Neuwahlen in die Wege leitete. Offenbar ermuntert durch die Regierungsbeteiligung der CDU unter Kanzlerin Angela Merkel sprachen fortan immer mehr Lobbyisten der Energiewirtschaft von einem Ausstieg aus dem Atomausstieg.

Inzwischen scheint es ihnen trotz gewichtiger Gegenargumente zu gelingen, die in der deutschen Öffentlichkeit ungeliebte Kernenergie mit dem positiv besetzten Thema Klimaschutz zu verknüpfen. Kernkraftwerke geben keine klimaschädlichen Gase, sondern nur harmlosen Wasserdampf ab, wird inzwischen unter völligem Ausblenden der äußerst energieaufwendigen Prozeßkette von Bau, Betrieb und Rückbau der Anlagen behauptet.

Für diese Entwicklung trägt die frühere rot-grüne Regierung wesentlich die Verantwortung. SPD und Grüne wurden zwar Ende der neunziger Jahre vor allem gewählt, weil sie im Wahlkampf den Atomausstieg versprachen, doch der "Kanzler der Wirtschaft" und sein "realo-grüner" Steigbügelhalter errichteten Potemkinsche Dörfer, damit die Öffentlichkeit glauben möge, der Atomausstieg sei unumkehrbar.

Das Beispiel Biblis A beweist die Scheinheiligkeit des Abkommens. "Eine Revision von mehreren Monaten ist nichts Außergewöhnliches. Dass wir damit hinten Laufzeit gewinnen, ist aber auch klar", sagte diese Woche Frank Staude, Sprecher des Kernkraftwerks Biblis. "Dahinter steht natürlich auch, dass wir Block A auf einem technischen Stand halten, der es uns erlaubt, ihn weiterzubetreiben, wenn die Politik uns das ermöglicht." [1]

RWE benutzt somit ein Hintertürchen - das allerdings von jeher sperrangelweit offenstand - um ein Kraftwerk in Betrieb halten zu können, mit dem sich, da es abgeschrieben ist, im Falle von Laufzeitverlängerungen auch anderer abgeschriebener Anlagen viele Milliarden Euro verdienen lassen. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte einen Antrag von RWE auf Übertragung von Reststrommengen aus dem Akw Mülheim-Kärlich, das nur kurze Zeit gelaufen war, auf Biblis A abgelehnt. Mit der angekündigten Revision stehen die Chancen des Konzerns gut, sein Ziel zu erreichen und mit dem von zahlreichen Pannen heimgesuchten Reaktor Biblis A im kommenden Jahrzehnt kräftig Geld zu schneiden.


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Anmerkungen:

[1] http://www.morgenweb.de/nachrichten/politik/20080712_biblis_revision_lange.html

10. Juli 2008