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ATOM/332: Risiken der Sellafield-Dekontaminierung trägt der Steuerzahler (SB)


Nuklear-Konsortium preßt britischer Regierung exquisite Vertragsbedingungen ab


Die britischen Steuerzahler sind nicht nur die gesundheitlich Leidtragenden, wenn von der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield radioaktive Emissionen ausgehen, sie sollen auch finanziell in unbegrenzter Höhe dafür geradestehen, wenn es dort beispielsweise zu einem Unfall mit der Freisetzung von Radionukleotiden kommt, die kostenaufwendig beseitigt werden müssen. Das sieht der Vertrag zwischen der britischen Regierung und einem Konsortium aus dem US-Konzern URS Washington, dem französischen Nuklearkonzern Areva und der britischen Firma Amco, die mit der Sicherung des Nuklearabfalls von Sellafield betraut werden sollen, vor. Wie die Zeitung "The Guardian" (27. Oktober 2008) berichtete, ging der Deal zu Lasten der Steuerzahler unauffällig über die Bühne, ohne daß die bei solchen Entscheidungen üblichen Wege der Benachrichtigung der Parlamentarier eingehalten wurden.

Eingefädelt wurde der Vertrag vom ehemaligen Energieminister Malcolm Wicks, der inzwischen die Funktion eines Klimawandelberaters der Regierung übernommen hat. Der Vertragsentwurf wurde unmittelbar vor der Sommerpause der Abgeordneten durchs Parlament gebracht, wobei es Wicks 75 Tage lang unterließ, den Entwurf in der House of Commons Library zu hinterlegen. Dadurch wurde vermieden, daß die Abgeordneten unangenehme Fragen zu den Einzelheiten des Vertrags stellen konnten. Wicks beruft sich auf einen mutmaßlichen Sachzwang für diese "Dringlichkeitsmaßnahme".

Der sogenannte Sachzwang geht darauf zurück, daß das Konsortium der Regierung die Pistole auf die Brust gesetzt und von ihr gefordert hat, daß sie die Vertragsklausel, derzufolge die Unternehmensgruppe bei einem Unfall für die ersten 140 Mio. brit. Pfund an Kosten belangt werden kann, streicht. Falls die Regierung nicht auf dieses Recht verzichte, werde man von dem Vertrag zurücktreten. Laut Wicks mußte dieser bis Anfang Oktober, und damit bevor das Parlament wieder zusammenkommt, unter Dach und Fach gebracht werden. Dem jetzigen Entwurf zufolge kann das Konsortium selbst dann nicht zur Verantwortung gezogen werden, wenn es einen Unfall selbst verschuldet hat.

Vom 24. November an soll der Nuklearabfallbereich des Sellafield-Komplexes dekontaminiert werden. Der Vertragsumfang beläuft sich auf 6,5 Mrd. brit. Pfund für die ersten fünf Jahre und kann um weitere zwölf Jahre verlängert werden.

Wicks hatte eine Richtlinie des Finanzministeriums, derzufolge die Abgeordneten bei solchen Entscheidungen eine Benachrichtigung erhalten und Einzelheiten in der House of Commons Library ausgelegt werden, ignoriert und lediglich die Vorsitzenden zweier Parlamentsausschüsse konsultiert. Erst ab dem 14. Oktober erhielten die Abgeordneten die Möglichkeit, sich aktenkundig zu machen.

Jetzt wird von dem Labour-Abgeordneten Paul Flynn aus Newport West erwartet, daß er eine Debatte über die Angelegenheit anstrengt. Der "Guardian" zitiert ihn mit den Worten: "Das ist empörend. Dem Steuerzahler wird nun eine unbegrenzte Haftbarkeit aufgelastet, während das Konsortium Hunderte Millionen Pfund Profit aus dem Handel zieht."

Ein Sprecher des Ministeriums für Energie und Klimawandel rechtfertigt den Vertrag damit, daß die Chance, daß jemals eine Schadensersatzforderung gestellt wird, extrem klein ist und die Nuclear Decommissioning Authority deshalb beschlossen habe, daß die Sicherung eines Vertragspartners das kleine Risiko einer Inanspruchnahme der Haftung bei weitem überwiegt.

Das Argumentat ist nicht stichhaltig. Wenn jenes Risiko tatsächlich so verschwindend gering ist, warum sollte dann das Konsortium ein derart großkalibriges Geschütz auffahren und den gesamten Vertrag in Frage stellen, nur um von dem angeblich geringfügigen Haftungsrisiko befreit zu sein?

An diesem Beispiel zeigt sich das typische Verhältnis zwischen Staat und Nuklearwirtschaft: Risiken werden auf den Staat und damit letztlich auf den Steuerzahler abgewälzt. Die britische Regierung hat sich zwar in der Vergangenheit stets als Vorreiter in Sachen Deregulierung und Privatisierung aufgespielt, aber immer dann Kosten und Verbindlichkeiten übernommen, wenn die Privatwirtschaft gescheitert war. Dazu liefert die wechselhafte Geschichte an Teilprivatisierungen und Re-Verstaatlichungen einzelner Betriebsektoren des Staatskonzerns British Nuclear Fuels Ltd. ein beredtes Beispiel. Ohne eine massive staatliche Unterstützung könnten Kernkraftwerke nicht wirtschaftlich arbeiten. Historisch gesehen sind sie nicht das Ergebnis der Suche nach einer preiswerten Energiequelle, sondern ein Mitnahmeeffekt bei der Entwicklung von Kernwaffen.

28. Oktober 2008