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ATOM/338: Kernwaffentests - Frankreichs Entschädigung ein Feigenblatt (SB)


Peanuts für die menschlichen Meerschweinchen und Kollateralopfer

Frankreichs Verteidigungsminister kündigt Entschädigung für Opfer der Kernwaffentests an

Gesetzesvorlage wird demnächst dem Kabinett vorgelegt


Wer am meist tödlich verlaufenden Krebs erkrankt, kann dafür durch keine Summe der Welt entschädigt werden. Vielleicht wird sich der Betreffende von dem Geld Medikamente kaufen können, die zuvor unerschwinglich für ihn waren, da er in einer Gesellschaft lebt, die diese Selbstverständlichkeit nicht für ihn übernimmt, aber selbst dann tritt keine wirkliche Entschädigung ein. Der Schaden ist angerichtet, und er nagt laufend an der Physis.

Wenn nun die französische Regierung den Strahlenopfern der Kernwaffentests Frankreichs eine Entschädigung zukommen lassen will, ist das aus oben genanntem Grund zynisch. Darüber hinaus scheint die von Verteidigungsminister Hervé Morin am 24. März gegenüber der Zeitung "Le Figaro" genannte Entschädigungssumme ein schlechter Scherz zu sein. Die Rede ist von theoretisch betroffenen 150.000 Militärangehörigen und zivilen Mitarbeitern, die aus einem Budget von zunächst zehn Millionen Euro bezahlt werden sollen. [1] Einwohner aus den Testgebieten werden zunächst noch gar nicht berücksichtigt. [2]

Das wären somit im Durchschnitt knapp 67 Euro pro Kopf. Die Summe erhöht sich selbstverständlich, je weniger Personen als Strahlenopfer anerkannt werden, sie verringert sich aber, wenn nicht nur sämtliche Militärangehörigen, sondern auch die Bewohner der verstrahlten Testgebiete entschädigt werden. Eine unabhängige Ärztekommission werde die bestehenden und noch kommenden Ansprüche beurteilen, sagte Morin, der vermutet, daß einige hundert Personen entschädigt werden. Roland Oldham, Präsident der Vereinigung Moruroa e Tatou, in der sich die Opfer der Kernwaffenversuche zusammengetan haben, bezeichnet die Summe als viel zu gering. [3] Und ein ehemaliges Mitglied der Umweltschutzorganisation Greenpeace erklärte, daß die Kompensationszahlung "zu spät für die Toten" kommt. [4] Das Greenpeace-Schiff "Rainbow Warrier" war 1985 von französischen Spezialstreitkräften im Hafen von Auckland, Neuseeland, versenkt worden. Die Umweltschützer hatten geplant, einen französischen Kernwaffentest im Südpazifik zu stören.

Frankreich hat insgesamt 210 Kernwaffentests durchgeführt, zwischen 1960 und 1966 in der algerischen Wüste, anschließend bis 1996 in Französisch-Polynesien. Verstrahlt wurden zunächst die eigenen Soldaten, die nichts anderes als menschliche Meerschweinchen waren, die nach den Tests die Explosionsorte aufsuchten, dort Messungen durchführten und alles dokumentierten. Verstrahlt wurden aber auch und vor allem die Anwohner der Testgebiete, also die Tuareg in Algerien, in deren traditionellen Siedlungs- und Durchzugsgebieten die Kernwaffentests durchgeführt wurden, sowie die Bewohner der Südseeinseln, die dem radioaktiven Fallout und der Kontamination ihrer angestammten Meeresgebiete ausgesetzt wurden und es heute noch sind.

Keine der ursprünglich verstrahlten Regionen, ob in Afrika oder in der Pazifikregion, ist heute dekontaminiert. Das bedeutet, daß auch heute noch Menschen einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind. Und sollten sie die verstrahlten Gebiete meiden, so stellt auch das eine nicht zu vernachlässigende Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität dar.

Sicherlich, gegenüber der früheren Politik, bei der Frankreich (und auch andere Nuklearstaaten) geleugnet haben, daß die teils oberirdisch durchgeführten Kernwaffentests irgend jemanden gesundheitlich geschädigt haben könnten, stellt das Eingeständnis eines Zusammenhangs zwischen den Tests und typischen Krebserkrankungen wie Leukämie einen Fortschritt dar. Der kehrt sich allerdings ins Gegenteil, wenn Frankreich nicht grundsätzlich bereit ist, seine Kernwaffen raschest möglich abzuschaffen.

Dazu wird es nicht kommen, weswegen die Entschädigungssumme wie auch die Entschädigung an sich eine Feigenblattfunktion erfüllt. Es soll davon abgelenkt werden, daß Frankreich zu den wenigen Staaten der Welt gehört, die über Kernwaffen verfügen, und daß die Grande Nation daran arbeitet, diese privilegierte Stellung in zwei Richtungen zu verteidigen: Erstens durch die laufende Erneuerung des eigenen Arsenals an Kernwaffen und zweitens durch die Behinderung anderer Staaten, sich ebenfalls Kernwaffen anzuschaffen.


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Anmerkungen:

[1] "France to compensate victims of nuclear testing", Reuters, 24. März 2009.
http://www.alertnet.org/thenews/newsdesk/LN120079.htm

[2] "Frankreich entschädigt erstmals Opfer von Atomwaffentests", Neue Zürcher Zeitung, 25. März 2009.
http://www.nzz.ch/nachrichten/international/entschaedigung_fuer_frankreichs_ atomtest-opfer_1.1565797.html

[3] "Islanders wary of French nuclear test payouts", The News, 25. März 2009.
http://www.thenews.com.pk/updates.asp?id=72598

[4] "French nuclear compensation 'too late for dead'", 25. März 2009.
http://www.abc.net.au/news/stories/2009/03/25/2525432.htm

25. März 2009