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ATOM/363: US Think Tank schlägt Akw-Neubau auf Militärstützpunkten vor (SB)


Ausbau des Atomstaats

USA steigen in den Akw-Neubau ein, und das Militär tarnt sich neuerdings mit öko-grün


Der Neubau von Atomkraftwerken auf Militärstützpunkten - was in der Bundesrepublik Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt des erst kürzlich wieder bewiesenen massiven Widerstands in der Bevölkerung kaum vorstellbar wäre, bildet eine für die Vereinigten Staaten denkbare Option. Der Think Tank CNAS (Center for a New American Security) empfiehlt in der vor kurzem erschienenen Studie "Broadening Horizons: Climate Change and the U.S. Armed Forces" [1] der Regierung unter anderem, daß sie die Entscheidung trifft, Nuklearreaktoren auf Militärstützpunkten zu errichten, um "kohlenstofffreie Energie" zu erzeugen, und daß sie im ersten Schritt eine unabhängige Expertenkommission einberufen möge, die unter Führung des Energieministeriums das Thema bearbeitet.

Der Vorschlag der CNAS-Analysten kommt nicht aus heiterem Himmel, zuletzt wurde der Bau von Akws für das Militär im "2010 National Defense Authorization Act" behandelt. Zudem wurden in den USA zwischen 1952 und 1979 unter dem Army Nuclear Power Program (ANPP) neun Kernkraftwerke betrieben - unter anderem eine portable Nuklearanlage am McMurdo-Sund in der Antarktis. Mit der Umstellung des US-Militärs auf "grüne" Energiegewinnungsformen soll nach Ansicht von CNAS nun an das frühere Programm angeknüpft werden.

Nach 30 Jahren der Zurückhaltung hatte die US-Regierung im Februar dieses Jahres den Bau neuer Atomkraftwerke angekündigt. US-Präsident Barack Obama teilte mit, daß der Staat Kreditzusagen in Höhe von rund acht Milliarden Dollar (5,9 Mrd. Euro) für den Bau zweier Akws im Bundesstaat Georgia vorsieht. Begründet wird die Entscheidung damit, daß die USA ihren wachsenden Energiebedarf decken und unabhängiger von Erdölimporten werden wollen. Außerdem wurde behauptet, daß der Bau neuer Akws ein Beitrag zur Senkung von Kohlendioxidemission sei.

Die Mär von der Klimafreundlichkeit der Atomkraftwerke erfreut sich zur Zeit auch hierzulande großer Beliebtheit. Bei den entsprechenden CO2-Bilanzen werden allerdings zwei fundamentale Widersprüche zu der behaupteten Klimafreundlichkeit oder gar "Kohlenstoffneutralität" geflissentlich ausgeblendet: Bei einer vollständigen CO2-Bilanz müssen die Treibhausgasemissionen der gesamten Infrastruktur berücksichtigt werden.

Das bedeutet, um einmal einen der zahllosen vernachlässigten Aspekte zu nennen, selbst der Ingenieur, der mit seinem Auto zum ehemaligen Salzbergwerk Asse fährt und prüft, welche Sauereien dort jahrzehntelang im Zusammenhang mit der nuklearen "Entsorgung" - Umlastung von Strahlenmüll auf spätere Generationen wäre die treffendere Bezeichnung - begangen wurden, produziert dabei Treibhausgasemissionen. Die hängen sehr direkt mit der Nukleartechnologie zusammen. Ebenso wie die Tagungen von Expertenkommissionen, politische Versammlungen, Bundes- und Landtagsdebatten, behördlicher Schriftverkehr und so weiter und so fort. In der Summe ergibt dies eine riesige Menge an Treibhausgasen als Folge der Nuklearenergienutzung.

Dies ist nur ein Beispiel aus dem Komplex "Entsorgung von radioaktiven Abfall". Sollten die Atommüllfässer aus der Asse zurückgeholt, neu verpackt und woanders verbracht werden, verschlechtert sich die Treibhausgasbilanz von Kernkraftwerken nochmals. Gar von einer "Kohlenstoffneutralität" der Akws zu sprechen, überschreitet deshalb die Grenze zu Dummheit.

Der zweite fundamentale Einwand gegen das Märchen vom klimafreundlichen Kernkraftwerk ist recht einfach: Nur weil es andere Kraftwerksformen gibt, die noch viel mehr Treibhausgase erzeugen, beispielsweise die Kohleverstromung, bedeutet das noch lange nicht, daß Akws deshalb "sauber" sind.

Sollten die USA Kernkraftwerke auf Militärstützpunkten errichten, wäre das ein weiterer Schritt zur Vertiefung des Atomstaats. Im übrigen widerspricht es der Politik der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien, wenn sich Nuklearanlagen unter militärischer Kontrolle befinden. Die Aufgabe der Behörde besteht in der Förderung der zivilen, aber Abschaffung der militärischen Kernenergienutzung.

Proteste seitens der Bevölkerung oder gar Aktionen zivilen Ungehorsams gegen den Akw-Neubau würden von vornherein schwerwiegend kriminalisiert, weil sie sich gegen militärischen Installationen richteten, was beim US-Regime gar nicht gern gesehen wird. Das Militär würde somit stärker in die Nuklearwirtschaft involviert, als sie es heute aufgrund des Atomwaffenprogramms bereits ist, wenn es die Aufsicht über Atomkraftwerke auf seinen riesige Flächen der USA beanspruchenden Stützpunkten erhielte. Mit dem Ausbau der nuklearen Infrastruktur wird letztlich sogar ein Vorwand geschaffen, um bürgerliche Freiheiten einzuschränken, und die Begründung geliefert, daß andernfalls nicht die Sicherheit der Installationen oder des Strahlenmaterials gewährleistet sei und daß könne doch kein rechtschaffener Bürger wollen; es sei ja auch zu seinem Schutz, wenn die Proliferation eingedämmt werde.

Ein weiterer Aspekt bei der militärischen Aufsicht über Kernkraftwerke: Der Militärapparat genießt eine rechtliche Sonderrolle hinsichtlich der Umweltgesetzgebung. Das Militär darf seine Sonargeräte, die extrem laute Knallgeräusche erzeugen, in der Nähe von Meeressäugern betreiben; es darf mit Landungsbooten, Panzern und anderen Fahrzeugen über Flora und Fauna ökologisch wertvollster Habitate hinwegbrettern; es darf Umweltzerstörungen anrichten, die keiner anderen Regierungseinrichtung, keinem Unternehmen der Wirtschaft und schon gar nicht Privatpersonen gestattet sind.

Ein Beispiel für regelrechten Umweltterror seitens des US-Militärs sind die sogenannten Superfund Sites. Dabei handelt es sich um Flächen, in denen die US-Streitkräfte der Nachwelt hochtoxisch kontaminierte Böden hinterlassen haben. Dies und die umfangreichen radioaktiven Verseuchungen aus der Kernwaffenproduktion geben zu der Vermutung Anlaß, daß das Militär auch künftig nicht anders mit Umweltproblemen umgehen wird als in der Vergangenheit. Die zivile Kernenergienutzung war schon immer ein Kollateralschaden des militärischen Strebens nach der Atombombe. Inzwischen soll der Schaden als umweltfreundlich verkauft werden.


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Anmerkungen:

[1] http://www.cnas.org/files/documents/publications/CNAS%20Publication_Climate%20Change%20and%20the%20US%20Armed%20Forces_April%2020.pdf

30. April 2010