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ATOM/364: OECD-Konferenz - Hieb gegen Décroissance-Bewegung geht ins Leere (SB)


Sarkozy erzählt das Märchen vom klimafreundlichen Kernkraftwerk und bezichtigt Wachstumskritiker der Armutsförderung


Wenn ein Verteidigungsministerium Angriffskriege organisiert und Sozialprogramme dazu dienen, die Verarmung zu institutionalisieren, dann, ja dann dürfen Kernkraftwerke selbstverständlich als klimafreundlich bezeichnet werden. Kommt doch nur ein bißchen Wasserdampf aus den Kühltürmen, lautet die naßforsche Behauptung der Anhänger dieser herrschaftsförmigen Energiegewinnungsform. Verbreitet wurde dies vor einigen Wochen auf der International Conference on Access to Nuclear Energy in Paris. Wie nicht anders zu erwarten, hat keiner der Teilnehmer dieser Behauptung widersprochen, gaben sich dort doch die Lobbyisten der Nuklearenergiebranche aus Politik, Wirtschaft und Forschung der OECD-Staaten ein Stelldichein.

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy, der ein großer Freund der Nuklearenergie ist (vermutlich auch um die Dampfstrahler zu betreiben, mit denen er, vor wenigen Jahren noch in der Funktion als Innenminister, die französischen Vorstädte von aufständischen Jugendlichen "säubern" lassen wollte), ging in seiner Eröffnungsrede noch einen Schritt weiter. Er stellte nicht nur den Betrieb von Kernkraftwerken als klimafreundlich dar und nannte sie in einem Atemzug mit erneuerbaren Energien, sondern bezichtigte Kritiker der Wachstumsvorstellung als selbstbezogen und rücksichtslos gegenüber den ärmsten Menschen der Welt, die offenbar in ihrer gegenwärtig mißlichen Lage bleiben sollen.

Die Welt benötige in den nächsten zwanzig Jahren 40 Prozent mehr Energie, den größten Zuwachs verzeichneten Länder, die kein Mitglieder der OECD sind, sagte Sarkozy laut der Lobby-Website World Nuclear News. [1] Deshalb müsse in diesen Entwicklungsregionen Kernenergie genutzt werden. (Nicht zufällig sieht der französische Staatskonzern Areva in Ländern wie China und Indien, aber auch Marokko und anderen afrikanischen Staaten den entscheidenden Zukunftsmarkt der Branche.)

Mit der Behauptung, daß ausgerechnet diejenigen, die den Finger in die dauerschwärende Wunde der Wachstumsapologetik legen, die ärmsten Länder an der Entwicklung hindern sollen, werden die Verhältnisse in mehrerer Hinsicht pervertiert: Die Armut in den Entwicklungsländern ist kein Schicksalsschlag. Dort herrscht deshalb Armut, weil die relativ wohlhabenden Länder von der Kolonialzeit an bis zum heutigen Zwangsregime der Weltwirtschaftsordnung auf ihre Kosten ein Wirtschaftswachstum verzeichnen durften und ihren technologischen Vorsprung ausgebaut haben. Dazu gehörte unter anderem auch die Kernenergie, die ein Abfallprodukt des Baus der Atombombe ist. Somit tragen Wachstumsapologetiker vom Schlage eines Sarkozy wesentliche Mitverantwortung für die Armut in den Ausbeutungsregionen außerhalb der Wachstumszonen.

In Frankreich und darüber hinaus gewinnt die Bewegung der Décroissance - Abnahme - an Zulauf. Anscheinend sieht sich Sarkozy aufgefordert, dieser gegen den Wachstumszwang gerichteten Bewegung einen Hieb zu verpassen. Der geht allerdings voll ins Leere, denn bei aller Meinungsvielfalt innerhalb dieser Bewegung ist sich die große Mehrheit darin einig, daß Décroissance erstens nicht Verzicht bedeutet und zweitens mit einem anderen Gerechtigkeitsverständnis einhergeht.

Somit würde sich ein typischer Vertreter dieser Bewegung mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen den Export französischer Atomkraftwerke in ein afrikanisches Land wenden, aber gleichzeitig Konzepte zur Steigerung der Lebensqualität einer breiten Bevölkerungsschicht vorschlagen. Beispielsweise durch die Förderung einer Umverteilung von oben nach unten, die Rückgabe von zuvor enteignetem Land an die Kleinbauern, die Unterbindung des Dumpings subventionierter oder aufgrund der spezifischen Konstellationen des Welthandels begünstigter Agrarprodukte aus Europa auf afrikanische Märkte, etc.

Décroissance könnte somit als die Anhebung der Lebensqualität bei Rücknahme der Warenfetischisierung und Absage an die Ausbeutungsgesellschaft bezeichnet werden. Somit muß der Vorwurf der Selbstbezogenheit an den Sachwalter der Wachstumsprofiteure zurückgewiesen werden.

Des weiteren hat der französische Präsident in seiner Rede die Nuklearenergie in eine Reihe mit erneuerbaren Energien gestellt, die gebraucht würden, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Er wiederholte die Forderung der Nuklearwirtschaft und ihrer Lobbyisten in den Regierungen, daß der Clean Development Mechanism (CDM) des Kyoto-Protokolls dahingehend verändert wird, daß auch Kernenergieprojekte anerkannt werden.

Sollte sich diese Idee durchsetzen, würde das den ohnehin pervertierten internationalen Klimaschutz vollkommen ins Gegenteil verkehren. Dann könnte es dazu kommen, daß Frankreich ein Kernkraftwerk in einem afrikanischen Staat errichtet und dies als CO2-Einsparungsmaßnahme anerkannt bekäme, so daß Frankreichs Industrie weiterhin Treibhausgase emittieren dürfte, weil ein Staat in Afrika weniger CO2-Emissionen produziert, als wenn er Kohle oder Diesel verstromen würde. Diese Rechnung geht nur auf, weil Wachstum unterstellt wird und zwar nicht irgendeine Art von Wachstum, sondern eines, das sich an der kapitalistischen Verwertbarkeit orientiert.

Die Einsparung aus diesem Szenarium wäre relativ, nicht absolut. Aber selbst die Darstellung, daß Kernkraftwerke klimafreundlich sind, ist ein Märchen. Beispielsweise schrieb die Nuclear Energie Agency (NEA) der OECD in ihrer Perspektive der Nuklearenergie [2] vom Dezember 2009, daß durch Kernkraft "indirekt" CO2-Emissionen produziert werden. In einem Diagramm auf Seite 2 werden die direkten Emissionen mit Null angegeben, und bei den indirekten erscheint nur die Windkraft günstiger.

In den Beschreibungen zu diesem Diagramm wird aber lediglich pauschal eingeräumt, daß Treibhausgasemissionen beim "nuklearen Kreislauf" anfallen, um anschließend wenige Beispiele von der Gewinnung von Natururan anzuführen. Auch wird - mit dem Anschein der Verständigkeit - erklärt, daß bei einer größeren Verbreitung von Nuklearenergie weniger ergiebige Uran-Lagerstätten wirtschaftlicher werden, was zu einem höheren Energieeinsatz führe. Dieser berechtigte Einwand wird jedoch im nächsten Satz schon wieder mit dem Argument zu entkräften versucht, daß gleichzeitig die In-situ-Abbaumethoden verbreiteter werden und auch die energieaufwendige Anreicherungsmethode der Gasdiffusion in Zukunft weniger eingesetzt werden dürfte.

Das klingt sehr vernünftig, allerdings haben die Autoren des Berichts nicht näher ausgeführt, daß die energieverbrauchende Infrastruktur der Brennstoffherstellung und -verwendung von Uran auch dann noch in die CO2-Bilanz eingearbeitet werden muß, wenn der Brennstoff verbraucht ist und das eine oder andere Jahrtausend radioaktive Strahlung abgibt ...

Die mehr als zehn Milliarden Dollar, die in den USA bereits für die Erschließung des nuklearen Endlagers Yucca Mountain ausgegeben wurden, wurden zwar mehr oder weniger aus dem Fenster hinausgeworfen - sofern US-Präsident Barack Obama den eingeschlagenen Weg beibehält und dem Projekt den Geldhahn endgültig zudreht -, aber das bedeutet nicht, daß es nicht für geologische, administrative oder sonstige Tätigkeiten, bei denen große Mengen an Energie verbraucht wurden, ausgegeben wurde. Und um ein weiteres Beispiel von zahllosen anzuführen: Wenn in Deutschland rund 127.000 Fässer schwach- und mittelradioaktiven Abfalls (plus Fässer mit insgesamt 28 kg Plutonium) aus der Schachtanlage Asse herausgeholt werden sollten, wie es als eine mögliche Option diskutiert wird, um ein Ausschwemmen der radioaktiven Substanzen zu verhindern, dann würde sich die CO2-Bilanz der Kernenergie nochmals verschlechtern.

Die Behauptung des NEA-Berichts, daß Kernenergie in Zukunft 25 Prozent der globalen Elektrizität "mit fast keinen CO2-Emissionen" liefern kann, trifft schlicht und ergreifend nicht zu. Da diese Organisation die Infrastruktur der Nuklearenergienutzung völlig unzureichend wiedergibt, muß man annehmen, daß der angebliche Nachweis der Klimafreundlichkeit der Nuklearenergie generell von weitgehenden Auslassungen und Verfremdungen bestimmt wird.


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Anmerkungen:

[1] "No choice between poverty and the environment", 8. März 2010
http://www.world-nuclear-news.org/EE_No_choice_between_poverty_and_the_environment_0803101.html

[2] "Nuclear Energy in Perspective. Nuclear Energy and Addressing Climate Change", Nuclear Energy Agency, Dezember 2009
http://www.nea.fr/press/in-perspective/addressing-climate-change.pdf

11. Mai 2010