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ATOM/369: US-Sozialwissenschaftler wollen bei Endlagersuche gehört werden (SB)


Sozialwissenschaftler kritisieren Expertenkommission zur nuklearen Zukunft der USA


Nach Investitionen von rund zehn Milliarden Dollar und jahrelanger Arbeit hat die US-Regierung keine weiteren Gelder für die Erkundung und Erschließung der Yucca Mountain als Endlager für hochradioaktive Abfälle genehmigt. Eine im Januar dieses Jahres von der Obama-Administration eingesetzte Blue Ribbon Commission on America's Nuclear Future soll nach Alternativen für den Umgang mit dem Nuklearabfall suchen. Die Vorschläge sollen ergebnisoffen sein, das heißt, die Spanne kann zwischen der Empfehlung zur Wiederaufbereitung von Atommüll und ihrem Abbrand in Schnellen Brütern bis zum Vorschlag konkreter Alternativstandorte für den Nuklearabfall reichen.

Vor kurzem haben 16 US-Sozialwissenschaftler im Magazin "Science" gewarnt, daß sich die Kommission viel zu sehr auf technologische Fragen konzentriere und es versäume, die Bedenken der Öffentlichkeit hinsichtlich eines Endlagers zu berücksichtigen. [1] Die Kommunikation mit den Leuten über die Risiken von Nuklearabfall sei extrem schwierig, schrieben die Forscher.

Im März dieses Jahres hatten mehr als 170 Nichtregierungsorganisationen, die hauptsächlich dem Umweltschutz zuzuordnen sind, ein Grundsatzpapier, das "Statement of Principles for Safeguarding Nuclear Waste at Reactors" [2], unterzeichnet. Darin fordern sie die sichere Verbringung von hochradioaktivem Abfall zunächst in Abklingbecken an den jeweiligen Akw-Standorten in den USA. In der Vergangenheit hatten Umweltschützer Kritik an den Plänen der Regierung, nur ein einziges Endlager für hochradioaktivem Abfall in den gesamten USA einrichten zu wollen, kritisiert, weil nach diesem Konzept ein jahre- bis jahrzehntelanger Transport von Atommüll, teils quer durchs Land über viele tausend Kilometer hinweg zum Endlagerstandort bedeutet hätte. Damit wäre eine unkalkulierbare Gefahr eines Unfalls mit Freisetzung des Strahlenmaterials verbunden. Die Forderung der Umweltschützer hat allerdings einen Pferdefuß: Ob die vielen kleinen Zwischen- und Endlager wirklich sicher sind, ist eine Frage. Eine andere lautet, ob damit nicht genau damit dem Atomstaat, vor dem Akw-Kritiker schon vor Jahrzehnten gewarnt haben, Vorschub geleistet wird, denn diese Lager müßten dauerhaft militärisch streng bewacht werden.

Sharon Friedeman, Co-Autorin des "Science"-Artikels und Professorin für Journalismus und Kommunikation sowie Direktorin des Science and Environmental Writing Program an der Lehigh University, glaubt, daß die Kommission, die sich aus Wissenschafts- und Technologieexperten sowie einigen ehemaligen Politikern zusammensetzt, offensichtlich übersehen hat, "was Sozialwissenschaftler in den letzten zwanzig Jahren über öffentliche Wahrnehmung und Antworten auf Risiken des Nuklearabfalls gelernt haben". [1] In einer Reihe von sozialwissenschaftlichen Studien sei bereits die Frage, welche Auswirkungen Nuklearabfall auf die Gemeinden habe, behandelt worden. Auch seien Vorschläge unterbreitet worden, wie mit dem Problem umzugehen sei. Dieses Wissen sollte bei der Suche nach Lösungen nicht verschwendet, sondern verwendet werden, erklärte Friedman, die schon 1979, zur Amtszeit von US-Präsident Jimmy Carter, die Regierungskommission zur Untersuchung des Unfalls von Three Mile Island beraten hat. Die wichtigen sozialen Fragen anzugehen garantiere keinen Erfolg, schrieben die Sozialwissenschaftler, aber sie zu ignorieren erhöhe die Gefahr der Wiederholung vergangener Fehler, wie sie mit Yucca Mountains begangen wurden.

Gegen diesen Standort hatte sich starker Widerstand im Bundesstaat Nevada, der nicht zur Müllhalde von Nuklearabfall verkommen wollte, entwickelt. Experten hatten festgestellt, daß das Vulkangestein keinen sicheren Schutz gegen das Eindringen von Wasser bietet. Auch das Grundwasser wäre viel rascher radioaktiv kontaminiert worden als ursprünglich angenommen, fanden Forscher heraus. Und daß einmal die bei den Yucca Mountain aufgestellten Erdbebenmeßgeräte umgefallen sind, weil die Erde so stark gebebt hat, trug auch nicht sonderlich zur Glaubwürdigkeit der Behauptung bei, Yucca Mountain sei ein sicherer Endlagerstandort. Bereits 1997 hatten Geophysiker der Universität von Colorado in Boulder geschrieben, daß ein Erdbeben im Gebiet des Endlagers zum Aufquellen von Grundwasser bis in den Lagerbereich führen könnte. Das würde die Korrosion der Nuklearbehältnissen beschleunigen, und es wäre mit einer radioaktiven Verseuchung des Grundwassers und der Atmosphäre zu rechnen.

Die Anhänger des Endlagerstandorts Yucca Mountain mußten am 22. Juli eine Schlappe hinnehmen. Das Senate Appropriations Committee hatte gegen den Antrag, die Finanzierung des Projekts fortzusetzen, gestimmt. Die 18köpfige Expertenkommission, die unter Leitung des früheren Kongreßabgeordneten Lee Hamilton von den Demokraten und Brent Scowcroft, ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater der republikanischen Präsidenten Gerald Ford und George H. W. Bush arbeitet, hat für Juni 2011 einen Zwischenbericht und für Januar 2012 den Abschlußbericht angekündigt.

Der Kritik der 16 Sozialwissenschaftler an der bisherigen Arbeit der Kommission zur nuklearen Zukunft der USA trägt keine geringen berufsständischen Züge: Man will ebenfalls gehört werden. Darüber hinaus werden hier die Sozialwissenschaften als Forschungsrichtung gepriesen, die womöglich entscheidend dazu beitragen kann, der Bevölkerung einen Endlagerstandort zu verkaufen. Der Vorgang weckt Erinnerungen an die vom früherem deutschen Umweltminister Jürgen Trittin einberufene Kommission, die unter Beteiligung von Vertretern der Zivilgesellschaft Kriterien erarbeitet hat, die bei einer Endlagersuche berücksichtigt werden sollte. Durch den Einbezug größerer gesellschaftlicher Kreise soll eine Technologie legitimiert werden, die von ihrem Ursprung an ein bloßes Beiwerk der Herstellung von Kernwaffen war. Die Verantwortlichen für das Manhattan Program, mit dem in den 1940 Jahren in den USA die erste Atombombe entwickelt wurde, haben sich nicht für die Endlagerfrage interessiert. Als später hochsubventionierte Atomkraftwerke für die sogenannte zivile Energiegewinnung gebaut wurden, war den Ingenieuren durchaus klar, daß sie das Problem der Lagerung hochradioaktiven Abfalls nicht gelöst haben. Das ist so, als hätten sie Raumfahrer ins All geschossen, ohne die Frage der sicheren Rückkehr zu klären. Das Versäumnis wird bis heute verschleppt.


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Anmerkungen:

[1] "U.S. Nuclear Waste Panel Slammed for Ignoring Public Fears", Environment News Service (ENS), 20. August 2010
http://www.ens-newswire.com/ens/aug2010/2010-08-20-01.html

[2] http://216.250.243.12/ieer/pdfs/HOSS%20PRINCIPLES%203%2023%202010x.pdf

25. August 2010