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GENTECHNIK/319: Glyphosat - die Frage der Kontrolle ... (SB)



Die Feststellung des Bundesamts für Risikoforschung (BfR), daß Glyphosat unbedenklich ist, beruht unter anderem auf Untersuchungen des Neugrabener Tierversuchslabors LPT, das nachweislich Studien gefälscht hat. Ob auch die Glyphosat-Studien dazugehören, ist bislang nicht bekannt. Hinsichtlich des Motivs für die Fälschungen läßt sich recht plausibel spekulieren, daß ein marktwirtschaftlich arbeitendes Labor möglichst keine negativen Ergebnisse liefert, damit es weiterhin Aufträge von der Industrie erhält. Um solche Interessenkonflikte zu vermeiden, müßte die Prüfpraxis generell vollkommen neu organisiert werden. Außerdem ist grundsätzlich zu fragen, ob nicht viele Produkte nur deshalb im Umlauf sind, weil ihre behördliche Freigabe durch entsprechende Gefälligkeitsgutachten erkauft worden war.

Glyphosat ist der Hauptinhaltsstoff von Herbiziden wie dem Bayer/Monsanto-Produkt Roundup. Es verhindert, daß eine Pflanze Photosynthese betreiben kann, und bringt sie damit zum Verdorren. Glyphosat wird ausgiebig bei gentechnisch veränderten Pflanzen, die gegen das Mittel immun sind, eingesetzt, um alle Beikräuter auf dem Feld abzutöten und den Gentechpflanzen einen Konkurrenzvorteil zu verschaffen.

In Deutschland werden zwar keine gentechnisch veränderten Pflanzen angebaut, aber Glyphosat findet dennoch breite Verwendung, beispielsweise bei der Sikkation, der Reifesteuerung von Pflanzen. Oder auch um ein Feld vor oder kurz nach der Aussaat von unerwünschtem Beikraut zu befreien. Auch in urbanen und infrastrukturellen Bereichen - auf Gehwegen, Parkplätzen, rund um Strommasten und auf Bahndämmen - wurde oder wird das Totalherbizid verwendet.

Das BfR hat mit seiner Unbedenklichkeitsbescheinigung die Grundlage dafür geliefert, daß die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) dem Mittel grünes Licht erteilt; im Dezember 2017 wurde es EU-weit zugelassen. Wohingegen 2015 die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) die Substanz in die Kategorie "wahrscheinlich krebserzeugend" eingeordnet hatte. Und bereits 2010, am Beginn der breiten Debatte um Glyphosat, hatte der Schattenblick auf eklatante Lücken im Zulassungsverfahren von Sikkationsmitteln wie Glyphosat aufmerksam gemacht und die "gute fachliche Praxis", auf die die Behörden vertrauen, einer kritischen Betrachtung unterzogen. Auch wurde gefragt, warum ausgerechnet bei den sieben für die Sikkation zugelassenen Mitteln die Rückstandshöchstgehalte deutlicher höher festgelegt wurden als bei Nicht-Sikkationsmitteln. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt. 1]

Vor dem Hintergrund einer seit Jahren geführten Kontroverse um den Wirkstoff Glyphosat kritisieren nun PAN Germany - Pestizid-Aktionsnetzwerk e.V., Corporate Europe Observatory (CEO) und Global 2000 in dem Factsheet "Gefährliches Vertrauen in die 'gute Laborpraxis'" das behördliche Zulassungssystem für Chemikalien. Weltweit vertrauten Behörden auf den zertifizierten Standard jener "Guten Laborpraxis" (GLP). Der Betrugsvorfall mit dem GLP-zertifizierten Tierversuchslabor LPT indes zeige, daß trotz der Pflicht zur strengen Dokumentation sowie regelmäßiger interner und externer Kontrollen jahrelang Manipulationen möglich gewesen waren, heißt es.

Ein Mitglied des eingetragenen Vereins SOKO Tierschutz hatte sich undercover in die LPT-Zweigstelle Mienenbüttel, südlich von Hamburg, eingeschleust, dort vier Monate gearbeitet und per Videokamera neben dem Leid der Versuchstiere auch mutmaßliche fachliche Betrügereien aufgedeckt. Am 15. Oktober 2019 brachte das ARD-Nachrichtenmagazin FAKT die schweren Betrugsvorwürfe gegen LPT einem Millionenpublikum nahe. Daraufhin sind die Behörden aktiv geworden; das Mienenbütteler Labor, einer von drei LPT-Standorten, wurde inzwischen geschlossen. [2]

Nach der Ausstrahlung des FAKT-Beitrags meldeten sich weitere Personen, die ebenfalls über Manipulationen bei den LPT-Versuchen berichteten. Laut eines aktuellen elektronischen Screenings des EU-Bewertungsberichts zu Glyphosat kamen PAN, CEO und Global 2000 zu dem Schluß, daß mindestens jede siebte Studie aus dem Gesamtpaket von 150 Studien, das zur EU-weiten Zulassung des umstrittenen Mittels geführt hatte, von LPT stammt. Die Organisationen schreiben dazu in ihrem 13seitigen Factsheet:

"Die Einstufung von Glyphosat als 'nicht krebserregend' und 'nicht erbsubstanzschädigend' (genotoxisch) fußt unter anderem auf dem uneingeschränkten Vertrauen der Behörden in das GLP-System. GLP-Studien wurden automatisch als zuverlässig eingestuft, während 'Nicht-GLP-Studien' aus der universitären Forschung, die mehrheitlich Hinweise auf eine erbsubstanzschädigende Wirkung und ein erhöhtes Risiko für Lymphdrüsenkrebs bei AnwenderInnen von Glyphosat berichteten, als unzuverlässig disqualifiziert wurden." [3]

Während der Experimente am LPT waren verstorbene Versuchstiere ausgetauscht und eintätowierte Nummern auf andere Tiere übertragen worden, um die Behörden, aber eben auch die Auftraggeber zu täuschen.

Warum bedurfte es erst eines Tierschutzaktivisten, um den Stein ins Rollen zu bringen? Warum sind die Behörden nicht schon Jahre vorher konkreten Hinweisen einer ehemaligen LPT-Mitarbeiterin auf Manipulationen nachgegangen? Was bedeutet dieser Vorfall für das behördliche Vertrauen in die Gute Laborpraxis? Sollte nicht der inhärente Interessenkonflikt beseitigt werden, dem ein wirtschaftlich arbeitendes Labor ausgesetzt ist, das Aufträge aus der Industrie benötigt?

Das sind einige der Fragen, die in dem Factsheet aufgeworfen werden. Sie betreffen nicht nur das umstrittene Herbizid Glyphosat, aber eben auch. Nach diesen Vorfällen bedürfte das Mittel eigentlich ebenso einer Neubewertung wie auch das behördliche Zulassungssystem für Chemikalien und toxische Substanzen an sich. Werden sich die Behörden als beweglich genug zeigen, daß sie die neuen Aspekte bei der Beurteilung von Glyphosat und dem Zulassungssystem berücksichtigen?


Fußnoten:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umko0005.html
Eine Zusammenfassung des Schattenblick-Beitrags findet sich im "Kritischen Agrarbericht 2012".
https://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/Daten-KAB/KAB-2012/Haalck.pdf

[2] https://www.soko-tierschutz.org/

[3] https://pan-germany.org/download/factsheet-gefaehrliches-vertrauen-in-die-gute-laborpraxis/

14. Februar 2020


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