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GENTECHNIK/320: Glyphosat - Kosten für die Erben ... (SB)



Glyphosat und andere Pestizide sind nicht das einzige giftige Erbe, das Monsanto in die Ehe mit Bayer eingebracht hat, der US-Konzern ist auch für eine Reihe chemikalienverseuchter Gebiete, sogenannter Superfund-Stätten, verantwortlich. Bereits der Abbau von Grundsubstanzen wie Phosphor für die Glyphosatherstellung zeitigt ökotoxische Folgen, angefangen vom Auftürmen von Schlackehalden mit radioaktiven Substanzen über Quecksilberemissionen, von denen landwirtschaftliche Flächen belastet werden, bis zur Verseuchung von Grundwasser durch Selen, Fluoride, Nitrate und andere chemische Substanzen.

Das Produktionssystem der Grünen Gentechnik, in dem der Wirkstoff Glyphosat als Hauptbestandteil des weltweit am meisten eingesetzten Herbizids Roundup einen festen Platz einnimmt, kann einzig und allein deshalb mit anderen, sehr viel weniger schädlichen landwirtschaftlichen Produktionsmethoden konkurrieren, weil die Kosten zur Beseitigung der Schadensfolgen externalisiert, also der Gesellschaft aufgelastet werden. Würden sie dagegen eingerechnet, würde niemand Glyphosat kaufen, weil das Produkt zu teuer wäre.

Die größte Aufmerksamkeit hat das umstrittene Herbizid durch seine Verwendung errungen. In den USA wurde eine Klagewelle gegen Monsanto - nunmehr Bayer - losgetreten. Mehr als 42.000 Personen erheben einen Rechtsanspruch auf Entschädigung von Bayer.

Breiter bekannt wurde die Problematik der Umweltschäden, die bereits bei der Glyphosatproduktion entstehen, vor zwei, drei Jahren im Zuge der Übernahmevorbereitungen von Monsanto durch Bayer. Damals war auch zuvor unter Verschluß gehaltener E-Mailverkehr zwischen dem US-Unternehmen und der Umweltschutzbehörde EPA veröffentlicht worden. Bart Elmore, Assistenzprofessor für Umweltgeschichte an der Staatsuniversität von Ohio und Carnegie Fellow der Denkfabrik New America, schrieb am 1. April 2017 für das Dissent Magazine über "Monsanto´s Superfund Secret". [1]

Der Umwelthistoriker hat die Anfänge der Glyphosatherstellung ab den 1950er Jahren beleuchtet. Damals betrieb die Monsanto-Tochter P4 Production LLC eine Phosphatmine nahe des Städtchens Soda Springs im Bundesstaat Idaho, im Nordwesten der USA gelegen. Glyphosat enthält 18,3 Massenprozent des Elements Phosphor, was ganz nebenbei auch dazu geführt hat, daß das Herbizid mancherorts zur Überdüngung beiträgt. Denn als Bestandteil des Wirkstoffs wurden seit 1974 weltweit 18,3 Milliarden Kilogramm auf die Felder gesprüht, und da in manchen Regionen eine Übersättigung mit Phosphor stattgefunden hat, wird das Element in die Gewässer gespült. Zwar sei die Gesamtmenge verglichen mit Phosphor aus der Düngung gering, dürfe aber inzwischen aufgrund des wachsenden Gebrauchs von Glyphosat nicht vernachlässigt werden, heißt es in einer kanadischen Studie aus dem vergangenen Jahr. [2]

Im folgenden soll es jedoch weder um Überdüngung noch um den Einsatz von Glyphosat gehen, sondern um dessen Herstellung. In seinem Bericht schildert Elmore, was er beim Besuch des Monsanto-Werks in Idaho beobachtet hat:

"Ich suchte es im letzten Sommer auf und war erschrocken über das, was ich dort sah. Gegen 21.00 Uhr stand ich außerhalb eines Stacheldrahtzauns und beobachtete, wie im Abstand von etwa 15 Minuten Lastwagen eine radioaktive Schmelze über den Rand eines rasch wachsenden Bergs von Abraum abgekippt haben. Der Nachthimmel war hell erleuchtet. Nur wenige Dutzend Meter entfernt grasten im Lichtschein der glutflüssigen Schlacke Pferde auf einer Weide. In der Ferne wogen Gerstenfelder für das Bier von Budweiser."

Zur Phosphorgewinnung wird phosphathaltiges Gestein abgebaut und erhitzt. Es entsteht eine Schmelze, die radioaktive Partikel enthält. Jahrelang hatte Monsanto die erkaltete Schlacke an die Menschen in Soda Springs und dem benachbarten Pocatello verkauft. Dort wurde das Material für den Bau von Häusern oder das Pflaster von Auffahrten verwendet. Erst in den 1980er Jahren führte die US-Umweltschutzbehörde radiologische Messungen durch und warnte die Menschen vor dem Risiko einer erhöhten Exposition mit Gammastrahlen. Mache man weiter wie bisher, lautete das Untersuchungsergebnis, läge die Wahrscheinlichkeit, binnen vier Jahrzehnten an Krebs zu erkranken, in Pocatello bei 1 zu 2500 und in Soda Springs bei 1 zu 700.

So ein vermögens- und profitmindernder Befund kam weder bei Monsanto noch den Grund- und Hausbesitzenden gut an. Letztere befürchteten einen Wertverlust ihrer Liegenschaften. Was also tun? Als sei die anfängliche Analyse nicht genug, ließ die EPA weitere Studien durchführen, die das Ergebnis relativierten. Nichtsdestotrotz haben der Bürgermeister von Soda Springs und der Stadtrat den Verkauf der Schlacke an die Gemeindemitglieder verboten.

Elmores Erkundigungen bei einem Experten zufolge soll die Radioaktivität der Schlacke zwar nicht die zulässigen Grenzwerte überschreiten, allerdings hat die Phosphorous Slag Technical Work Group, eine technische Arbeitsgruppe, die sich mit der phosphorhaltigen Schlacke befaßt und der unter anderem Monsanto und die EPA angehörten, den Hausbesitzerinnen und -besitzern von Soda Springs geraten, im Falle einer gefährlichen radioaktiven Kontamination in Erwägung zu ziehen, "weniger Zeit im Keller zu verbringen". [3]

Ganz so harmlos kann das nicht gewesen sein. Ähnliche Umweltvergehen Monsantos, die nichts mit Glyphosat oder der Grünen Gentechnik zu tun haben, liefen stets nach dem gleichen Muster ab: Erst vergiften, dann vertuschen, verschleiern und verharmlosen und am Ende eventuelle Klagen verschleppen.

1990 war das Monsanto-Werk, das einen so hohen Energieverbrauch wie Kansas City mit seiner Bevölkerungszahl von 150.000 hat, von der US-Umweltschutzbehörde zur Superfund-Stätte erklärt worden. Die Gifte sollten beseitigt und entsorgt werden. Neben Phosphatresten betrifft das unter anderem Cadmium, Selen und Radium. Vor sieben Jahren erklärte die EPA, daß weiterhin besorgniserregende Substanzen ins Grundwasser wanderten und daran in absehbarer Zeit nichts zu ändern ist.

Die Quecksilberemissionen des Werks liegen über den von der Obama-Regierung verhängten Grenzwerten. Die drei in der Nähe von Soda Springs liegenden Monsanto-Minen Ballard, Henry und Enoch Valley wurden ebenfalls als Superfund-Stätten deklariert. Insbesondere Selen gilt - in dieser hohen Konzentration - als gefährlich. Rund 600 sogenannte Nutztiere wie Pferde, Rinder und Schafe sind gestorben, weil sie selenhaltiges Wasser gesoffen oder selenkontaminierte Pflanzen gefressen hatten, berichtete die US-Rechnungshof GAO (Government Accountability Office). Nicht alle Fälle waren Monsanto zuzuschreiben, denn auch andere Unternehmen haben in der Region Phosphat abgebaut, aber der Agrochemiekonzern war darin federführend. [4]

Wer bezahlt die enorm hohen Kosten für die Beseitigung der Umweltchemikalien und die Renaturierungsmaßnahmen?

Hatten die US-Behörden früher noch einen nennenswerten Eigenanteil bei den Verursachern eingetrieben oder bestimmte Industriezweige mit Sondersteuern belegt, um die Sicherungsmaßnahmen der Superfund-Stätten zu finanzieren, werden ungefähr seit dem Jahr 2001 fast ausschließlich die Steuerzahlenden zur Kasse gebeten. Im Jahr 2020 sind in den Vereinigten Staaten von Amerika 1335 Standorte als Superfund-Stätten anerkannt. Der im März 2019 verabschiedete und zur Zeit noch geltende EPA-Haushalt sieht für Superfund-Aktivitäten 1,029 Milliarden Dollar vor. Das Geld fließt bei weitem nicht nur in die von Monsanto zu verantwortenden Schadensgebiete, aber eben auch. [5]

Wie gesagt, die Kosten werden von den Steuerzahlerinnen und -zahlern und nicht den Unternehmen eingetrieben. Aber wer zahlt die Steuern? Jedenfalls nicht die Superreichen! Sie verfügen über ein so großes Vermögen, daß einige von ihnen sogar eine Initiative gestartet und an die Regierung in Washington appelliert haben, sie möge doch bitte die Steuern für sie erhöhen. [6] Die Superreichen sorgen sich um die Bewahrung des sozialen Friedens und befürchten, sie könnten alles verlieren, wenn sie nicht einen Teil von dem zurückgeben, was sie sich zuvor angeeignet haben.

Monsanto wirbt damit, daß es 1996 sowohl mit dem Presidential Award for Sustainable Development für seine "Pionierarbeit zu nachhaltigen Technologien" als auch mit dem Presidential Green Chemistry Challenge Award für umweltbewußte Systeme bei der Herstellung von glyphosathaltigen Herbiziden ausgezeichnet wurde. [7] Die "superfundmäßigen" Umweltschäden aus der Glyphosatherstellung zeigen, daß hier offensichtlich der Bock für die Gartengestaltung ausgezeichnet wurde.

Und es geht weiter: Der Monsantonachfolger Bayer hat beim Bureau of Land Management (BLM) einen Antrag zur Eröffnung einer neuen Phosphatmine in Caldwell Canyon, nördlich von Soda Springs, gestellt. [8] Da die alte Mine erschöpft ist, setzt Bayertochter P4 Production LLC darauf, dort ab 2023 mit der Produktion von Phosphor beginnen zu können. Es soll die umweltfreundlichste Mine des Landes und auf keinen Fall eine neue Superfund-Stätte werden, verspricht das Unternehmen Bayer ...


Fußnoten:

[1] https://www.dissentmagazine.org/online_articles/monsanto-roundup-production-superfund-sites-radioactive

[2] Im vergangenen Jahr berichteten Marie-Pier Hébert und ihre Kollegen vom Department of Biology der McGill University in Montréal in "Frontiers in Ecology and the Environment" der Ecological Society of America, daß Phosphor aus dem Versprühen von Glyphosat ein vernachlässigter Faktor bei der Umweltbewertung von Überdüngung ist. Zwischen 1993 und 2014 habe sich die durchschnittliche Menge an Phosphor, die mit diesem Herbizid auf die Felder gesprüht wird, von 1,6 auf 9,4 kg/km² versechsfacht. Bei Feldern, auf denen besonders viele glyphosat-resistente Pflanzen wachsen, schoß der Wert sogar auf 20 kg/km² empor.
https://esajournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/fee.1985

[3] https://siphidaho.org/comhealth/slag.php

[4] https://civileats.com/2019/06/24/roundups-other-problem-glyphosate-is-sourced-from-controversial-mines/

[5] https://www.epa.gov/sites/production/files/2019-03/documents/fy-2020-epa-bib.pdf

[6] https://www.welt.de/wirtschaft/article195830249/Besteuert-uns-staerker-US-Milliardaere-fordern-hoehere-Steuern-fuer-Superreiche.html

[7] https://monsanto.com/app/uploads/2017/06/back_history.pdf

[8] https://civileats.com/2019/06/24/roundups-other-problem-glyphosate-is-sourced-from-controversial-mines/

21. Februar 2020


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