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KLIMA/525: USA, China und die Provinzen - CO2-Emissionen werden ausgelagert (SB)


Vermeidung von Klimaschutz auf zwischenstaatlicher wie intrastaatlicher Ebene



Wenn in einem Land Waren hergestellt und diese in einem anderen Land verbraucht werden, spricht man in der Klimapolitik davon, daß die bei der Produktion erzeugten Treibhausgasemissionen outgesourct bzw. ausgelagert werden. Nun haben Wissenschaftler festgestellt, daß solche Emissionen nicht nur beispielsweise vom Hochkonsumland USA ins Produktionsland China, sondern auch innerhalb Chinas von den wohlhabenderen Küstenprovinzen in die ärmeren Provinzen im Landesinneren ausgelagert werden. Die Ergebnisse der internationalen Forschergruppe wurden diese Woche in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht. [1]

Nach Einschätzung der Studienautoren entstehen bis zu 80 Prozent der Emissionen von Produkten, die in den wirtschaftlich starken Küstenprovinzen verbraucht werden, in Fabriken in der Inneren Mongolei und anderen zentralen und westlichen Provinzen.

Im ersten Moment fragt man sich allerdings, was an so einer Feststellung neu sein soll. Innerhalb eines jeden Staates gibt es Regionen, in denen vermehrt Industriebetriebe angesiedelt sind, deren Produktion zu höheren Emissionen des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO2) beitragen, und Regionen, die den Schwerpunkt beispielsweise auf Verwaltung, Kultur oder Handel legen und weniger CO2 erzeugen. Würde man die einzelnen chinesischen Provinzen ihrerseits untersuchen, stellte man sicherlich fest, daß es auch innerhalb einer Provinz entsprechende Gewichtungen gibt.

Es wäre doch banal zu sagen, daß zum Beispiel in einer Werft mehr Energie verbraucht wird und somit mehr Treibhausgasemissionen erzeugt werden als in einem Wohnviertel. Oder, den Vergleichsrahmen noch weiter auf die Ausmaße eines einzigen Wohnhauses reduziert, daß von einem Schornstein mehr CO2 emittiert wird als von dem offenen Wohnzimmerfenster.

Mit diesem zugespitzten Vergleich soll verdeutlicht werden, daß die Ergebnisse der Forscher zu erwarten waren. Umgekehrt wäre es geradezu verwunderlich, wenn die Provinzen Chinas keine unterschiedlichen CO2-Emissionen verzeichneten. Von daher sollte die wissenschaftliche Leistung dieser Studie wohl eher in dem Versuch verortet werden, die Auslagerung von CO2-Emissionen innerhalb Chinas zu quantifizieren, sowie darin, bestimmte Methoden der Datenerfassung und -auswertung zu erproben. Mit Blick auf den Start eines Emissionshandelssystems innerhalb Chinas in wenigen Tagen läßt sich zudem ein administrativer Nutzen der Studie erahnen.

Das Outsourcen von CO2-Emissionen nicht nur auf zwischenstaatlicher Ebene zu betrachten, sondern tiefer zu gehen, ist Ausdruck einer insbesondere in der Geographie verbreiteten Methode der Skalierung. Bei diesem Ansatz werden typische Fragen aufgeworfen wie: Welche Ebenen der Betrachtung gibt es? An welcher Größenordnung setze ich meine Beobachtung an? Welchen Einfluß haben untere auf höhere Ebenen und umgekehrt? Wie sind die Ebenen miteinander verschränkt?

Hierbei richtet sich die wissenschaftliche Untersuchung hauptsächlich auf Räume, abstrakte Verhältnisse und Beziehungen und weniger auf konfliktauslösende Interessen handelnder Personen, Unternehmen oder Institutionen, also beispielsweise weniger auf das Profitinteresse einer Aktiengesellschaft oder das Interesse einer Administration, ihre Verfügungsgewalt auszudehnen.

Der Kontext, in dem diese Studie steht, ist jedenfalls nicht banal. Indirekt wird dabei ein Grundkonflikt internationaler Klimaschutzverhandlungen angesprochen. So ist China zwar das Land, das am meisten CO2-Emissionen verzeichnet, aber es ist zugleich die "Werkbank der Welt" und produziert Waren, die in anderen Ländern konsumiert werden. Betrachtet man jedoch nicht die Gesamtmenge an Emissionen, sondern berücksichtigt die jeweilige Bevölkerungszahl, stehen die USA an der Spitze der Pro-Kopf-Emissionen und noch weit vor China.

Die Frage, nach welchem Maßstab - absolut oder relativ - Staaten im Rahmen eines Nachfolgevertrags für das einzige internationale UN-Klimaschutzabkommen, das Kyoto-Protokoll, ihre CO2-Emissionen senken sollen, ist umstritten und hat mit dazu beigetragen, daß auf der UN-Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen keine Einigung erzielt wurde. Seitdem kommen die Verhandlungen nicht richtig von der Stelle. Aus der Not heraus wurde das eigentlich 2012 zu Ende gegangene Kyoto-Protokoll, dem die Experten eher Symbolgehalt denn einen spürbaren Klimaschutzeffekt attestieren, beibehalten. Nun sollen die Verhandlungen bis zum Jahr 2015 weitergeführt werden, wobei ein Kyoto-Nachfolgeprotokoll vermutlich nicht vor 2020 in Kraft tritt.

Bis dahin werden Tatsachen geschaffen, was bedeutet, daß die Erdatmosphäre weiterhin als ungeregeltes Endlager für Treibhausgasemissionen benutzt wird. Irgendwann auf diesem Weg könnte der "Punkt ohne Wiederkehr" erreicht sein, ab dem der globale Temperaturanstieg als Folge des menschengemachten Treibhauseffekts davongaloppiert, so daß selbst größte Anstrengungen zum Klimaschutz diese Entwicklung nicht mehr würden umkehren können. Wo genau dieser Punkt liegt, wissen die Experten nicht sicher zu bestimmen, aber ein Zeitraum von sieben Jahren, bis daß im günstigsten Fall ein internationales Klimaschutzprotokoll steht, sind eine lange Zeit. Und ab da ginge es mit dem Klimaschutz ja erst los, wohingegen die Emissionen ununterbrochen weiter produziert werden. Selbst die globale Finanz- und Wirtschaftskrise, die einen Rückgang der Produktion und in der Folge auch der Treibhausgasemissionen auslöste, hatte nur einen geringen, vorübergehenden Effekt.

Viele Nationalstaaten betreiben inzwischen eine eigene Klimapolitik, die Länder der Europäischen Union ebenso wie die USA und auch das in der westlichen Berichterstattung oftmals pauschal verunglimpfte China. Am 18. Juni wird das bevölkerungsreichste Land der Erde ein Pilotprojekt in der südlichen Stadt Shenzhen starten. Dann werden mehr als 630 Industrie- und Bauunternehmen Quoten erhalten, wieviel CO2 sie fortan emittieren dürfen. Geraten sie über die Quote, müssen sie Klimazertifikate dazukaufen, bleiben sie unterhalb, können sie diese gewinnbringend veräußern.

Bei diesem gelenkten Marktmechanismus werden Einsparungen des Energieverbrauchs und damit der CO2-Emissionen belohnt. Wobei natürlich jedes Unternehmen, das unter Konkurrenzdruck steht, bereits aus betriebswirtschaftlichen Gründen bemüht sein wird, Energie einzusparen.

Ende dieses Jahres wird China sein Emissionshandelssystem auf vier weitere Städte - Peking, Tianjin, Schanghai und Chongqing - sowie die Provinzen Guangdong und Hubei ausdehnen. Im Jahr 2015 sind in das System voraussichtlich 864 Millionen Tonnen CO2 einbezogen. Das entspräche etwa der Menge, die in Deutschland jedes Jahr ausgestoßen wird, schrieb Jane Qiu am 12. Juni im Wissenschaftsmagazin "Nature" [2]. Ab 2016 will China landesweit Emissionshandel zulassen.

Einer der Autoren der oben erwähnten Studie, der Klimaforscher Steve Davis von der Universität von Kalifornien in Irvine, bedauert, daß den Plänen der chinesischen Regierung zufolge die westlichen Provinzen weniger strengen Klimaschutzbestimmungen unterworfen werden. Genau an den Stellen hingen die Früchte tief, das heißt, es könnten ohne übermäßig große Anstrengungen in kurzer Zeit relativ gute Resultate erzielt werden, wendet Davis ein. [3]

Die Frage der Bemessungsgrundlage für einen internationalen Klimaschutzvertrag ist ein Streitpunkt, über den bislang keine Einigung erzielt werden konnte. Ein anderer betrifft die Frage, ob nicht die Industriestaaten wegen ihrer historischen Verantwortung für die globale Erwärmung strengere Maßnahmen zum Klimaschutz ergreifen müßten als andere Staaten und wenn ja, um wieviel mehr sie Verpflichtungen zur Reduktion von Treibhausgasen eingehen sollten. Dies sind nur zwei Fragestellungen innerhalb des komplizierten Geflechts aus sich widerstreitenden Interessen beim internationalen Klimaschutz. Daß auf diesem Gebiet nahezu Stillstand herrscht, kann nicht verwundern, sind doch unmittelbar damit wirtschaftliche Vor- und Nachteilserwägungen verknüpft.

Das gilt auch für die innerchinesische Konkurrenz, die im Zuge der Reformbewegung der chinesischen Regierung, die zwar weiterhin am Ziel des Sozialismus festhält, aber zugleich Marktmechanismen zuläßt, entstanden ist. Davis und seine Kollegen rechnen damit, daß chinesische Unternehmen die Unterschiede innerhalb des Emissionshandelssystems ausnutzen und die CO2-intensive Produktion ins kostengünstigere Landesinnere verlagern werden.

Allerdings ist hierzu zu sagen, daß die Marktmechanismen, die aus Klimaschutzgründen installiert wurden, die gleichen sind, die eben diesen Zweck wieder unterhöhlen.


Fußnoten:

[1] http://www.pnas.org/content/early/2013/06/04/1219918110.full.pdf

[2] http://www.nature.com/news/china-gets-tough-on-carbon-1.13175?WT.ec_id=NATURE-20130613

[3] http://www.energy-daily.com/reports/China_is_outsourcing_carbon_within_its_own_borders_999.html

14. Juni 2013