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KLIMA/552: Afrikas Minister fordern Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels (SB)


Ein bißchen weniger Untergang ...

Das 2-Grad-Ziel ist kaum zu erreichen, das 1,5-Grad-Ziel geradezu illusionär, aber selbst das stellt noch einen Kompromiß zu Lasten vieler Menschen dar


Deutschland, die Europäische Union und alle Industriestaaten sowie Schwellenländer scheuen keine Mühe, einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um mehr als zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu verhindern. So lautet zumindest ihre eigene Einschätzung. Dabei werden jedoch die Interessen der ärmeren Länder ignoriert, die von den Hauptemittenten anthropogener Treibhausgase die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels verlangen. Ansonsten würden flache Inselstaaten und Küstenbereiche untergehen, dauerhafte Dürren auftreten, Gletscher abschmelzen und ab Mitte des Jahrhunderts kämen auf die ärmeren Länder Kosten für Anpassungsmaßnahmen in Höhe von 50 Milliarden Dollar jährlich zu. Das könne man sich nicht leisten.

In der vergangenen Woche wurde diese Klimaschutzforderung von Ministern und Delegierten aus 54 afrikanischen Staaten auf der 15. Sitzung der African Ministerial Conference on the Environment (AMCEN) in Kairo aufgegriffen. Mit diesem Standpunkt, der Bestandteil der Cairo Declaration ist, werden die afrikanischen Staaten Ende des Jahres auf der großen UN-Klimakonferenz von Paris in die Verhandlungen eintreten. [1]

So ambitioniert das 1,5-Grad-Ziel auch ist - viele bezeichnen es gar als illusionär -, die Klimawandelfolgen wären selbst dann noch problematisch. Niemand vermag auszuschließen, daß, wenn auch nur ein einziger der zahlreichen Kippunkte ("tipping points") überschritten wird, eine Dynamik in Gang gesetzt wird, durch die die natürlichen Verhältnisse vollkommen über den Haufen geworfen und alle Klimaschutzmaßnahmen zunichte gemacht werden. Nicht zuletzt wirkte sich das auf die Landwirtschaft, die auf möglichst gleichbleibende, berechenbare Klimaverhältnisse angewiesen ist, und damit auf die Nahrungsversorgung eines Großteils der Menschheit verheerend aus.

Ein solcher Kippunkt schlummert im Permafrostboden der Arktis. Genauer gesagt im Methan, das ein rund zwanzigmal so wirksames Treibhausgas wie Kohlendioxid (CO2) ist und in den Hohen Breiten im gefrorenen Aggregatzustand vorliegt ... solange die Temperaturen dies zulassen. Die Arktis zählt jedoch zu den Weltregionen, in denen die globale Erwärmung am schnellsten voranschreitet. Heute schon warnen Wissenschaftler davor, daß die Anzeichen eines möglichen Beginns einer umfassenderen Methanfreisetzung zu beobachten sind. Man drückt sich da in der Regel sehr vorsichtig aus.

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) bezeichnet das "Auftauen der Yedoma Dauerfrostböden" in Ostsibirien als eines der Kippelemente und begründet dies so:

"Die arktischen Dauerfrostböden in Sibirien und Nordamerika könnten beim Auftauen riesige Mengen an Kohlenstoffdioxid und Methan freisetzen. An den meisten Orten läuft dieser Prozess kontinuierlich - ohne Überschreiten eines Kipppunktes - ab. Eine Ausnahme stellt der Yedoma Dauerfrostboden dar. In diesem sehr kohlenstoffhaltigen Lößboden in Ostsibirien sind bis zu 500 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Mikroorganismen, die diese Kohlenstoffverbindungen zersetzen, erzeugen Wärme und beschleunigen so das Auftauen und die Zersetzung des Bodens. Ab einer Erwärmung von 9°C in dieser Region könnte dieser Prozess unaufhaltsam werden und innerhalb eines Jahrhunderts drei Viertel des gespeicherten Kohlenstoffs in Form von Kohlenstoffdioxid freisetzten." [2]

Die Frage lautete nun, ab wann die Durchschnittstemperatur in Ostsibirien 9 °C erreicht, bzw. ob sich dieser Wert verifizieren läßt. Die Wissenschaft greift für solche Zwecke gern auf sogenannte Proxydaten zurück. Dabei handelt es sich um ein Bündel von indirekten Verfahren zur Bestimmung früherer Klimaverhältnisse. So wird aus der Dicke von Baumringen auf das Wachstum innerhalb eines oder mehrerer Jahre geschlossen; der organische Anteil von Seesedimenten läßt Vermutungen zu besonders warmen Perioden mit starkem Pflanzenwachstum und kalten Perioden mit wenig Wachstum zu; und wer die Ablagerungen in Eisbohrkernen zu deuten weiß, vermag ebenfalls frühere Klimate zu bestimmen.

Vor zwei Jahren berichtete eine internationale Forschergruppe über ihre Untersuchung von Sedimentablagerungen (Speläotheme) in mehreren sibirischen Höhlen, die den Schluß nahelegen, daß ein Teil des gefrorenen Methans freigesetzt wird, wenn die globale Durchschnittstemperatur um 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigt. Speläotheme wie Stalaktiten und Stalagmiten gelten unter anderem deshalb als Klimaarchiv, weil sich erst dann Tropfsteine bilden können, wenn die Temperaturen über dem Gefrierpunkt liegen. Ist das Wasser gefroren, tropft es nicht. Aus den Tropfsteinablagerungen läßt sich ablesen, zu welcher Zeit in der Vergangenheit eine Höhle gefroren war und zu welcher nicht.

Dieser Studie zufolge hat eine Erwärmung um 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit ein fortgesetztes Auftauen des Permafrostbodens bis hinauf zum 60. Grad nördlicher Breite ausgelöst. Von einer solchen Erwärmung sei deshalb ein "dramatischer Wandel" der Umwelt des kontinentalen Asiens zu erwarten, was potentiell zu einer "beträchtlichen Freisetzung" von Kohlenstoff aus dem Permafrostboden in die Atmosphäre führen könnte. [3]

Eine weitere potentielle Folgewirkungen hat die Forschergruppe nicht erwähnt, nämlich daß bereits hierdurch ein sich selbst verstärkender Prozeß mit globalen Folgen ausgelöst werden könnte. Denn bei einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad ist davon auszugehen, daß zumindest eine Annäherung an andere Kippunkte stattfindet, auch wenn diese bis dahin noch nicht überschritten wurden - dann werden sie es womöglich. Das Überschreiten eines einzigen Kippunkts kann das Überschreiten anderer Kippunkte auslösen, beispielsweise zum Verschwinden des arktischen Meereises beitragen. Die Sonneneinstrahlung würde nicht mehr von den hellen Schnee- und Eisflächen reflektiert, sondern vom dunkleren Meer absorbiert. Dieses würde sich stärker erwärmen, weitere Eisflächen zum Schmelzen bringen, sich nochmals stärker aufheizen, und so weiter.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der AMCEN-Konferenz haben ihre Forderung nach Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels um den Zusatz "bis Ende des Jahrhunderts" ergänzt. Mit dieser Formulierung wird anscheinend berücksichtigt, daß die globale Durchschnittstemperatur mit hoher Wahrscheinlichkeit den 1,5-Grad-Wert übertreffen wird, welche Anstrengungen des Klimaschutzes auch immer unternommen werden. Zu dieser Einschätzung gelangt die Weltbank in dem Bericht "Turn down the heat". [4]

Demnach ist ein Temperaturanstieg um 1,5 Grad bereits in den Verhältnissen auf der Erde angelegt, auch wenn sich die Atmosphäre bis jetzt erst um 0,8 Grad erwärmt hat. Unter der Voraussetzung, daß unverzüglich weitreichende Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden, ist es laut der Weltbank möglich, daß das 1,5-Grad-Ziel bis Ende des Jahrhunderts erreicht wird, das heißt, daß die globale Durchschnittstemperatur bis dahin wieder abgesenkt werden kann.

Den Menschen, die bis dahin Haus und Hof, ihr Leben oder das ihrer Verwandten und Freunde verloren haben, da in den wohlhabenderen Ländern verbrauchs- und profitorientierte Produktionsweisen aufrechterhalten werden, bei denen es zur Emission von Treibhausgasen kommt, die das Erdklima dauerhaft verändern, würde das nichts nützen.


Fußnoten:

[1] http://www.unep.org/newscentre/default.aspx?DocumentID=26788&ArticleID=34798

[2] https://www.pik-potsdam.de/services/infothek/kippelemente

[3] http://www.climategeology.ethz.ch/publications/2013_Vaks_et_al.Scienceexpress.pdf

[4] http://www.worldbank.org/en/news/feature/2014/11/23/climate-report-finds-temperature-rise-locked-in-risks-rising

11. März 2015


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