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KLIMA/558: Arktis im Rekordfieber - Meereis schrumpft und Hitze steigt (SB)


Was in der Arktis geschieht, beschränkt sich nicht auf die Arktis

Neue Rekorddaten aus dem Hohen Norden


Wie zur Unterstreichung der Dringlichkeit, mit der die globale Erwärmung gestoppt werden muß, um wenigstens die schwerwiegendsten Auswirkungen der gerade entstehenden Welt des rapiden Klimawandels für große Teile der Menschheit zu verhindern, verzeichnet das arktische Meereis in diesem Winter ein Rekordminimum. Das berichtete das US-amerikanische National Snow and Ice Data Center (NSIDC), das regelmäßig Daten zur Eis- und Schneebedeckung veröffentlicht. [1] Ergänzend dazu schreibt die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), daß seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen im Jahr 1880 kein März so warm war wie in diesem Jahr. [2]

Das Meereis gilt als Indikator für die Klimaentwicklung in der Arktis und die wiederum als Indikator für die Klimaentwicklung des gesamten Planeten. "Was in der Arktis geschieht, beschränkt sich nicht auf die Arktis", sagt NOAA-Wissenschaftler Jeff Key. Von der genauen Beobachtung dessen, was im Hohen Norden vor sich geht, verspricht sich die Wissenschaft zuverlässige Vorhersagen zu den Wetterverhältnissen in anderen Teilen der Welt. [3]

Die arktische Meereisfläche dehnt sich aus und schrumpft mit dem Wechsel der Jahreszeiten. In diesem Winter erreichte die Fläche am 25. Februar 2015 und damit gut zwei Wochen früher als erwartet ihre maximale Ausdehnung (14,536 Mio. km²). Seit Beginn der Satellitenbeobachtung im Jahr 1979 war dieses Maximum nicht so gering gewesen wie in diesem Winter. Obgleich sich noch im März aufgrund lokaler Abkühlungen in der Beringstraße, in der Davisstraße und den Meeresgebieten rund um Labrador wieder etwas mehr Eis gebildet hatte, war die Meereisausdehnung in der Arktis insgesamt in jenem Monat mit 14,39 Mio. km² so gering wie in keinem Vergleichsmonat zuvor.

Es gibt also in diesem Jahr mehrere Rekorde in der Arktis bzw. global zu verzeichnen:

- Geringste Meereisausdehnung im Winter;
- frühester Zeitpunkt im Jahr, an dem das Meereis sein Maximum erreicht;
- wärmster März weltweit.

Um Beschreibungsbemühungen, was da gerade in den nordpolaren Breiten vor sich geht, ist die Wissenschaft nicht verlegen. Laut der Analyse der NSIDC war der Winter 2014/15 von einem "ungewöhnlichen Muster der atmosphärischen Zirkulation" gekennzeichnet. Der Jetstream, jene breite, kräftige und um die Erde mäandrierende Luftströmung in acht bis zwölf Kilometern Höhe, verlief "deutlich" weiter nördlich als normal, was zu "ungewöhnlich" hohen Temperaturen in Europa, dem nördlichen Asien, Alaska und dem Westen der USA führte; wohingegen der Osten der USA außergewöhnlich kalt war. Die geringe Meereisausdehnung ist nach Ansicht der Forscher eine Folge dieser warmen Klimaverhältnisse.

Verfolgt man die vermutete Wirkkette weiter zurück, so hat der beobachtete Wärmetrend im Norden Europas und Asiens mit dem überdurchschnittlich warmen Wasser im westlichen tropischen Pazifik zu tun, das nach Norden und Osten gewandert ist. Die Klimaforschung spricht hier vom North Pacific Mode (NPM), dem wiederum bestimmte Wechselwirkungen zwischen Meer und Atmosphäre zugrundeliegen.

Die Arktis gilt nicht nur als Indikator, sondern auch Katalysator für die Klimaverhältnisse auf der ganzen Welt. Denn wenn das Meereis verschwindet, absorbiert die dunklere Wasseroberfläche verstärkt Sonneneinstrahlung, die zuvor reflektiert worden war. Das beschleunigt den globalen Trend zur Erwärmung und wird sogar als Kippunkt oder Kippelement bezeichnet. Das bedeutet, daß ein einmal eingeleiteter Trend nicht eher aufhört, als bis sich gänzliche neue Verhältnisse eingestellt haben. Sollte weltweit eine Reihe von Kippelementen existieren, wie von der Klimaforschung angenommen, können übergreifende, letztlich globale Folgen des Rückgangs an arktischem Meereis nicht ausgeschlossen werden.

Wissenschaftler fühlen sich manchmal als Zeitreisende, denn sie blicken zurück in die sogenannten Klimaarchive der Erde. Seien es Eisbohrkerne, Sedimentablagerungen oder Fossilien, aus solchen "Zeugen" der Vergangenheit wird herausgelesen, wie das frühere Klima in der Arktis beschaffen war. Vor 3,4 bis 3,6 Mio. Jahren beispielsweise war sie am Elgygytgyn-See in Ostsibirien rund acht Grad wärmer als heute. [4] Zu dieser Erwärmung kam es nach Einschätzung von Wissenschaftlern offenbar durch eine Zunahme des CO2-Gehalts in der Atmosphäre, der damals bei rund 400 ppm (parts per million) lag. Genauso wie heute. Nicht nur der Arktis stehen womöglich heiße Zeiten bevor.


Fußnoten:

[1] http://nsidc.org/arcticseaicenews/

[2] http://www.ncdc.noaa.gov/sotc/summary-info/global/201503

[3] http://www.theguardian.com/environment/2015/may/05/arctic-ice-retreat-scientists-climate-change

[4] http://www.sciencemag.org/content/340/6139/1421.abstract

6. Mai 2015


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