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KLIMA/567: Aufzug eines besonders starken El Niño angekündigt (SB)


Weltweite Häufung von Naturkatastrophen durch El Niño angekündigt

Auswirkungen der Klimaumkehr von Menschen beeinflußbar


Seit einigen Monaten baut sich im äquatorialen Pazifik ein Naturphänomen auf, das El Niño genannt wird und zum Jahreswechsel mit klimatischen Umbrüchen in fast allen Weltregionen einhergehen könnte. In Kalifornien hofft man zwar genau darauf, weil nach vier Jahren extremer Dürre endlich mit Regen zu rechnen ist, aber Experten warnen, daß bei den zu erwartenden Mengen an Niederschlägen die ausgetrockneten Böden nicht etwa das Wasser speichern, sondern umgekehrt, die oberste Bodenschicht abgetragen und ins Meer gespült werden könnte und somit verlorengeht. Ähnliches steht Ecuador und anderen lateinamerikanischen Ländern bevor, wohingegen westlich des Pazifiks in Staaten wie Indonesien oder auch im südlichen Afrika und nördlichen Australien Niederschläge ausbleiben und Wassernot Einzug halten dürfte.

Der Name El Niño bedeutet "das Kind", bzw. "das Christkind" und geht auf peruanische Fischer zurück, die speziell in El-Niño-Jahren um die Weihnachtszeit herum vor der Küste kaum noch Fische fangen, da jene warme, äquatoriale Meeresströmung im Ostpazifik weiter nach Süden wandert und dort das aus großer Tiefe aufstrebende, nährstoff- und fischreiche Wasser überdeckt. Die wirtschaftlichen Verluste der Fischer sind in El-Niño-Jahren enorm, ein ganzer Wirtschaftszweig geht in die Knie.

Bei der letzten, besonders ausgeprägten El-Niño-Periode 1997/98 kamen 22.000 Menschen zusätzlich ums Leben, das heißt, sie ertranken, verhungerten, wurden von Schlammlawinen verschüttet, von tödlichen Krankheiten ereilt oder ähnliches. Die Sachschäden werden mit 36 Milliarden Dollar weltweit beziffert. 1998 war das bis dahin wärmste Jahr seit Beginn der regelmäßigen Wetteraufzeichnungen. Im Südpazifik traten doppelt so viele Taifune auf wie normalerweise. Die Niederschlagsmengen in Ecuador und Peru übertrafen die Durchschnittsmenge um das Zehnfache. Überschwemmungen und Erdrutsche forderten unter Menschen, Tieren und Pflanzen ungeheure Opfer. 16 Prozent der Korallenriffe weltweit wurden so schwer geschädigt, daß sie starben. In Folge der massiven Regenfälle in Kenia und Somalia kam es zu einem schweren Ausbruch des von Mücken übertragenen, viralen Rift-Valley-Fiebers, das vornehmlich Vieh befällt, aber auch auf Menschen übergreifen kann. Auch Malaria und Cholera waren laut der Weltgesundheitsorganisation WHO weit verbreitet. [1]

In Ländern wie Brasilien, Indonesien und Malaysia brachen riesige Waldbrände aus, was in Folge der Rauchentwicklung selbst in entfernt liegenden Städten mit vermehrten Atemwegsbeschwerden und -erkrankungen der Einwohner einherging. Außerdem stieg dadurch die CO2-Konzentration in der Atmosphäre an. Allein in Peru wurden fast zehn Prozent der Gesundheitseinrichtungen zerstört. [2]

Die diesjährige El-Niño-Konstellation entspricht zum gegenwärtigen Zeitpunkt der des Jahres 1997 und könnte sie sogar noch übertreffen, was bedeuten würde, daß weltweit mit noch verheerenderen Naturkatastrophen gerechnet werden muß als damals. [3]

Das muß aber nicht zwangsläufig geschehen. El Niño ist von vielen Faktoren abhängig und das ganze System kann auch wieder abflauen, sollte beispielsweise der Passatwind über dem Pazifik an Kraft gewinnen. Wenn er jedoch schwächer wird, würde das den Effekt sogar noch verstärken. In grauer Vorzeit hat es anscheinend noch viel kräftigere El-Niño-Perioden gegeben als heute. Erdgeschichtlich war das Phänomen von Faktoren abhängig wie beispielsweise der Verteilung von Land und Meer oder der Drehachse der Erde im Verhältnis zur Sonne.

In diesem Sommer sind die Meerestemperaturen vor der nordamerikanischen Westküste bereits jetzt um mehrere Grad höher als die letzten 25 Jahre - die Einwohner nennen dies den Wärmeschwall, "the Blob" -, was im Puget Sound bei Seattle zu Algenwachstum, Sauerstoffmangel und schweren Beeinträchtigungen der Lachs- und anderer Fischpopulationen geführt hat, wie das Ministerium für Ökologie des US-Bundesstaats Washington meldete. [4]

Nicht nur in Kalifornien brennen die Wälder, im Olympic National Park von Washington, dem regenreichsten Gebiet des Landes, brennt sogar der Regenwald. Dessen Bäume zählen zu den ältesten der Welt. Das Feuer breitet sich langsam über den ausgedörrten Waldboden aus und flammt dann an den Bäumen empor. [5]

Das Klimaphänomen El Niño, das in der Wissenschaft auch als Teil der Luftdrucksystems El Niño Southern Oscillation (ENSO) beschrieben wird, tritt azyklisch alle zwei bis sieben Jahre auf und wird auf ausbleibende Passatwinde zurückgeführt, die in Nicht-El-Niño-Jahren verhindern, daß die warme Meeresströmung in Höhe des Äquators vom West- zum Ostpazifik fließen kann. Die Frage, warum die Passatwinde schwächeln, würde in der Ursachenkette immer weiter zurückführen. Selbst wenn man dann mit seinen Erklärungsbemühungen an irgendeiner Stelle auf den Flügelschlag eines Schmetterlings in Mexiko träfe, der das Klimageschehen im Pazifik ausgelöst haben soll, wäre man keinen Schritt weitergekommen, denn soll man deshalb alle Schmetterlinge in Mexiko vernichten, um das Auftreten von El Niño zu verhindern? Eine absurde Vorstellung, die jedoch zeigt, wo selbst solche einleuchtenden Analogien ihre Grenzen haben.

Auch wenn der Mensch keinen entscheidenden Einfluß auf die Entstehung des El Niño hat, bedeutet das nicht, daß er keinen Einfluß auf dessen Auswirkungen hätte. Die Opfer von Schlammlawinen sind in der Regel ärmere Menschen, die unter anderem als Folge der (Land-)Vertreibung genötigt sind, an steilen Hängen zu siedeln; Hungersnöte als Folge von Naturkatastrophen entstehen vor allem in Regionen, die von den jeweiligen Staaten, vor allem jedoch von der internationalen Staatengemeinschaft vernachlässigt werden; reiche Länder haben mehr Möglichkeiten als arme, schnell und umfangreich auf Katastrophen zu reagieren; die Ausbreitung von Seuchen in Entwicklungsländern hat nicht zuletzt mit dem ungenügenden Zugang zu Medikamenten zu tun.

Der Hurrikan Sandy hat gezeigt, daß auch das vergleichsweise reiche New York von einer Naturkatastrophe heimgesucht werden kann - die Vermeidung von menschlichen Verlusten und die Behebung von Schäden gelingt allerdings in reichen Ländern wesentlich besser als in ärmeren. Somit wäre die Bewältigung von Naturkatastrophen, wie sie im Zusammenhang mit Phänomenen wie El Niño auftreten, nicht zuletzt eine Frage der Organisation der menschlichen Gemeinschaft.


Fußnoten:

[1] http://www.who.int/csr/don/1998_03_31/en/

[2] http://www.allcountries.org/health/el_nino_and_its_health_impact.html

[3] http://climate.nasa.gov/news/2319/

[4] http://www.ecy.wa.gov/news/2015/104.html

[5] http://www.washingtonpost.com/news/morning-mix/wp/2015/07/13/the-west-is-so-dry-even-a-rainforest-is-on-fire/

7. August 2015


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