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KLIMA/570: Geotektonisch-klimatische Korrespondenzen im Zeitalter planetarer Krisen (SB)


Erdbeben und Klimawandel - eine Katastrophenallianz?

Forscher rätseln über Häufung besonders starker Erdbeben seit Beginn des Jahrhunderts


Der menschliche Einfluß auf den Planeten Erde ist inzwischen so groß, daß vor einiger Zeit die Internationale Stratigraphiekommission, jene Institution, die offiziell für die Einteilung der Erdgeschichte zuständig ist, eine Arbeitsgruppe zur Neubewertung der gegenwärtigen Epoche ins Leben gerufen hat. Noch bis zum nächsten Jahr haben die Forscherinnen und Forscher Zeit, um herauszufinden, ob das Zeitalter des Holozäns durch das des Anthropozäns abgelöst werden soll. Dabei geht es auch um die Bestimmung des Zeitpunkts, ab dem diese global nachweisbare und zweifelsfrei von Menschen beeinflußte Epoche eingesetzt haben könnte.

Zu welchem Ergebnis die Arbeitsgruppe auch immer kommen wird, sollte es den Menschen nicht gelingen, in den nächsten Jahren die Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren: die Erde wird sich beträchtlich aufheizen, Gletscherschmelze und Meeresspiegelanstieg gingen Hand in Hand. Ein weiterer Effekt, über den in der Klimadebatte so gut wie nie gesprochen wird, wäre, daß sich die von ihren Eispanzern nach und nach entlasteten Landmassen (insbesondere natürlich Grönland und die Antarktis) tektonisch heben. Wiederum dazu würden andernorts Ausgleichsbewegungen stattfinden, vergleichbar mit Norddeutschland, das als Sedimentbecken tendenziell absinkt, während sich Skandinavien seit Ende der letzten Eiszeit und seiner Vergletscherung hebt.

Die Zunahme des Massenverlustes des grönländischen Eises von 34 Milliarden Tonnen jährlich in den 1990er Jahren auf rund 215 Milliarden Tonnen jährlich zwischen 2002 und 2011 [1] geht mit mehr als einer Verdoppelung der Erdbebenhäufigkeit in Grönland über diesen Zeitraum einher. [2] Von der Antarktis wäre ähnliches zu erwarten. Noch erweist sich der ostantarktische Eispanzer, der die Hauptmasse der Vergletscherung ausmacht, als relativ stabil. Auf der westantarktischen Halbinsel jedoch fließen die Gletscher bereits immer schneller ins Meer. Inwiefern starke Erdbeben, die weit entfernt auftreten - zum Beispiel im Jahre 2010 in Chile -, nicht nur erkennbare Risse im antarktischen Eispanzer hinterlassen, sondern sogar das Gletscherfließen beschleunigen, wird noch näher untersucht. [3]

Da aber die Wissenschaft festgestellt hat, daß der Mensch einen so entscheidenden Einfluß auf den Klimawandel ausübt, daß dies selbst die Eispanzer zum Schmelzen bringt, wäre es nur konsequent zu sagen, daß in Folge dessen der Mensch auch zum vermehrten Auftreten von Erdbeben beitragen wird - aufgrund der tektonischen Ausgleichsbewegungen möglicherweise nicht nur in den unmittelbaren Schmelzgebieten.

Auch wenn durch das Errichten von Staudämmen, Bergbauaktivitäten, die Erdöl- und Erdgasförderung oder das Verpressen von Flüssigkeiten wie Fracking-Produktionswasser im Untergrund häufiger Erdbeben ausgelöst werden, bleiben diese sowohl von ihrer Intensität als auch Anzahl her sehr, sehr weit hinter dem zurück, was sich natürlicherseits rund um den Globus ereignet. Fern jeder menschlichen Einflußnahme spielen sich unkontrollierbare geotektonische Kräfte ab, durch die die Lebensvoraussetzungen der Menschen akut bedroht oder gar zunichte gemacht werden.

Im folgenden wollen wir zunächst näher auf einige von der Wissenschaft nur teilweise oder noch gar nicht verstandenen Auffälligkeiten im Auftreten von Erdbeben eingehen, um uns abschließend der Frage zuzuwenden, ob angesichts der vielen zu beobachtenden globalen Veränderungen "Klimawandel" als Sammelbezeichnung nicht zu ungenau und die seitens der Regierung beabsichtigten Maßnahmen gegen die Erderwärmung völlig unzureichend sind.


Geotektonische Auffälligkeiten

Über die unmittelbaren geologischen Hintergründe der jüngsten, sehr energiereichen Erdbeben, die im April und Mai dieses Jahres in Nepal auftraten, wurde zwar schon viel berichtet - Nepal liegt an einer tektonischen Grenze, an der sich die Indisch-Australische Platte Richtung Norden unter die Eurasische Platte schiebt; das Himalaya-Faltengebirge ist ein Ergebnis dieser seit Millionen Jahren anhaltenden Bewegung, durch die immer wieder Erdbeben erzeugt werden -, einige Auffälligkeiten in diesem Zusammenhang werden jedoch selten beleuchtet.

Die Indisch-Australische Platte ist eine Sprinterin innerhalb des weltweiten Bruchgefüges tektonischer Platten, wobei sich die Wissenschaft solche riesigen Gebilde nicht als in sich geschlossene Massen vorstellt. Beispielsweise erschütterten am 11. April 2012 rund 400 Kilometer vor der Küste Sumatras zwei Erdbeben der Stärke 8,6 und 8,2 die Erde. In dem Gebiet der Epizentren verläuft aber keine tektonische Grenze. Dermaßen starke Beben innerhalb einer Platte (Intraplatten-Erdbeben) seien extrem selten, berichtete der Geologe Matthias Delescluse vom Laboratoire de Géologie in Paris. Er und seine Kollegen glauben, daß hier die Indisch-Australische Platte regelrecht auseinandergerissen wird, vergleichbar mit einem Motorrad mit Beiwagen. "Beide fahren in die gleiche Richtung. Doch plötzlich fährt der Beiwagen gegen die Wand und nur das Motorrad fährt weiter", wird der Forscher von Zeit online zitiert. [4]

Die "Wand" ist in diesem Fall der indische Teil Asiens, das Motorrad die mit 4,5 Zentimetern pro Jahr weiter nach Nordosten treibende Kontinentalplatte. Die stößt allerdings an ihrer Nordgrenze ihrerseits auf Gesteinsmassen, während ein anderer Teil der Platte im östlich gelegenen Sumatrabogen mit 6 - 7 Zentimetern pro Jahr unter die Eurasische Platte abtaucht. Es läßt sich leicht ausmalen, daß solche divergierenden Scher- und Stauchvorgänge zu einem Spannungsaufbau beitragen, der sich in Form von Erdbeben und/oder Rissen entladen kann.

Beispielsweise sind im Wharton-Becken, einem 6000 Meter tiefen Meeresgebiet im östlichen Teil des Indischen Ozeans, nach den erwähnten beiden Beben vor Sumatra im April 2012 weitere tiefe Risse entstanden. Der Geologe Delescluse sieht das als Hinweis an, daß die australische und die indische Platte getrennte Wege gehen. In unserem Zusammenhang ist daran auch interessant, daß er und seine Kollegen die beiden Beben als Folge des extrem schweren Erdbebens von Aceh (mit einer Magnitude von 9,1 auf der Richterskala) am 26. Dezember 2004, das weltweit mehr als 230.000 Todesopfer gefordert hat, sowie des Nias-Bebens am 28. März 2005 (Magnitude 8,6) interpretieren. [5]

Die Wissenschaft ist sich uneins darüber, ob starke Erdbeben weitere starke Erdbeben in anderen Weltregionen nach sich ziehen können. Daß sie mitunter weit entfernt schwächere seismische Ereignisse auslösen, ist dagegen unstrittig. An der Häufigkeit kleinerer und mittlerer Beben hat sich in den letzten gut hundert Jahren nichts Wesentliches geändert. Im Unterschied dazu ist jedoch die Zahl der Megabeben in den letzten 15 Jahren signifikant gestiegen. Wir leben in einer Zeit extrem vieler extrem starker Erdbeben. Von den 17 stärksten Erdbeben, die zwischen 1900 und 2014 auftraten, entfallen sechs, also beinahe die Hälfte, auf die Zeit ab dem Jahr 2000! [6]

Ähnliche, nicht ganz so prägnante Häufungen traten in den 1920er und 1960er Jahre auf. Und von jenen sechs stärksten Beben seit 2000 ereigneten sich vier in Sumatra. Die Indisch-Australische Platte ist somit eine der unruhigsten weltweit.

Die US-Geophysiker Tom Parsons und Eric Geist vom U.S. Geological Survey (USGS) in Menlo Park, Kalifornien, sind Experten auf dem Gebiet der Erdbeben. Sie haben festgestellt, daß Anfang 2014 dreimal so viele starke Erdbeben aufgetreten sind wie noch 1979. Diese Steigerung erklären die beiden Forscher mit "Zufall". [7]

An dieser Stelle müssen sich die Wissenschaftler allerdings fragen lassen, ob ihre Erklärung nicht zur Verschleierung des Eingeständnisses beiträgt, daß die Wissenschaft keinen ursächlichen Zusammenhang feststellen, aber diesen auch nicht ausschließen kann, alles in allem demnach ziemlich ratlos ist. "Zufall" wäre dann so etwas wie eine Ausrede, die Kapitulation vor der Komplexität und zugleich die Behauptung der Gültigkeit des kausalen Denkens auch für all das, was man nicht weiß.

Da hilft selbst die Analogie der geworfenen Münze, die gerne zur Verdeutlichung des "zufälligen" Auftretens von Erdbeben bemüht wird, nicht weiter. Denn so wie man beim Werfen einer Münze sehr wohl die physikalischen Faktoren (Beschleunigung und Flugrichtung der Münze, Auf- und Abprall, etc.) berechnen könnte, warum sie auf welcher Seite landet, wäre auch die Berechnung der Einflüsse auf Erdbeben zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen. Nur weil das ein sehr komplexes Problem ist, folgt daraus nicht, daß es prinzipiell nicht gelöst werden könnte.

Aber insbesondere dann, wenn man die Erklärung "Zufall" zugrundelegt, müßte man zugestehen, daß Erdbeben von Kräften ausgelöst werden, für die man keine Maßstäbe hat. Obschon die Wissenschaft versucht, ihre weitreichende Unkenntnis durch Berechnungen wie, daß das schwere Erdbeben im Indischen Ozean vom 26. Dezember 2004 das Energieäquivalent von 23.000 Hiroshimabomben besaß [8], in ein etwas milderes Licht zu tauchen, gesteht der US-Geologe Parsons letztlich zu, daß Erdbeben auf globaler Ebene so unregelmäßig auftreten, daß die Forscher einfach nicht den Durchblick haben, um einen Zusammenhang zwischen diesen größeren, selteneren Ereignisse zu entdecken.


Schwere Erdbeben sind nicht kontrollierbar, das Ausmaß ihrer Folgen dagegen teilweise schon

Sieht man einmal von der theoretischen Möglichkeit ab, daß sich durch die Zündung von Atombomben größere tektonische Spannungen entladen könnten, übersteigt das Auftreten von Megabeben bei weitem die Zugriffsmöglichkeiten des Menschen auf die Naturverhältnisse, auch wenn seine Fähigkeit zur Zerstörung recht entwickelt ist. Wohl aber hat der Mensch Einfluß darauf, welche Folgen Erdbeben haben können. Wenn in erdbebenreichen Gebieten Atomkraftwerke errichtet werden - und das wurden sie in vielen Ländern -, sollte es nicht wundern, wenn es wie beim Dreifach-GAU im japanischen Akw Fukushima Daiichi im März 2011 zu einer Katastrophe landesweiten, letztlich sogar globalen Ausmaßes kommt.

In Nepal dürfte die Abholzung der Wälder dazu beigetragen haben, daß die Erdbebenserie ab dem 25. April 2015 mehr Erd- und Geröllawinen losgetreten hat, als wenn eine dichte Vegetationsdecke und ein gut verwurzeltes Erdreich die oberste Bodenschicht zusammengehalten hätte. Auch der von Menschen mitverursachte Verlust von Mangrovenwäldern verstärkt die Schäden durch Tsunamis, die von Erdbeben ausgelöst werden. Und wären schon 2004 jene Tsunami-Warnsysteme, wie es sie heute in der Region gibt, installiert gewesen, dürfte die Opferzahl geringer ausgefallen sein.

Ob es sich bei den gegenwärtig gehäuft auftretenden Megabeben um eine Phase handelt, wie sie auch vor rund 50 und 100 Jahren auftrat und wieder endete, oder ob der Planet in einen gänzlich neuen Modus seismischer Aktivität eintritt, in dem die Erde dauerhaft kräftiger beben wird, wüßte die Wissenschaft selbst dann nicht sicher zu bestimmen, wenn der Zeitraum der regelmäßigen seismischen Aufzeichnungen weiter zurückreichte als bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Langfristig könnte der Klimawandel die Erdbebenhäufigkeit erhöhen, ebenso wie umgekehrt Erdbeben zum Klimawandel beitragen könnten, indem sie Gletschermassen anstubsen, die dann schneller ins Meer fließen.

Im Dezember dieses Jahres wollen die Staats- und Regierungschefs in Paris ein Abkommen treffen, um die globale Erwärmung aufzuhalten. Die bislang von den einzelnen Ländern vorgeschlagenen Maßnahmen, was sie unternehmen wollen, damit das Ziel, die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen zu lassen, genügen bei weitem nicht, um den Trend aufzuhalten. Dabei ist die Temperatur sowieso nur ein bestimmter Aspekt des Sammelbegriffs "Klimawandel", der abgesehen von der globalen Erwärmung auch mit Phänomenen wie Artensterben, Versauerung der Meere, Auflösung der gefrorenen Methanhydratvorkommen an den submarinen Kontinentalhängen, Degradierung der Böden und Bodenverluste, Süßwasserschwund, Rückgang der Eis- und Schneemassen, Auftauen des Permafrosts mit Freisetzung des klimawirksamen Methans, etc. in Zusammenhang gebracht wird.

Mit den geotektonischen Auffälligkeiten der letzten 15 Jahre kommt nun ein in der Wissenschaft bislang wenig in Zusammenhang mit dem Klimawandel gebrachter Faktor hinzu. Angesichts der vielfältigen planetaren Krisen, für deren Beschreibung sich nicht einmal der Sammelbegriff "Klimawandel" eignet, bleiben die Verhandlungen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen offensichtlich weit hinter dem zurück, was erforderlich sein könnte, um die multiplen Krisen zu bewältigen.


Fußnoten:

[1] http://www.oekosystem-erde.de/html/klimawandel-02.html

[2] http://www.3sat.de/page/?source=/nano/news/64723/index.html

[3] http://www.scinexx.de/wissen-aktuell-17881-2014-08-11.html

[4] http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2012-09/Sumatra-Erdbeben-Studie/komplettansicht

[5] tinyurl.com/o33f2ku

[6] http://de.statista.com/statistik/daten/studie/151030/umfrage/staerkste-erdbeben-weltweit-seit-1900/

[7] http://www.livescience.com/46576-more-earthquakes-still-random-process.html

[8] http://www.ibtimes.co.uk/boxing-day-tsunami-how-2004-indian-ocean-earthquake-became-deadliest-history-1480582

15. Oktober 2015


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