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KLIMA/637: Umwelt - auf der Strecke geblieben ... (SB)



Gut zwei Jahre nach Verabschiedung des als "historisch" gefeierten Klimaabkommens von Paris müssen sich die ärmeren Länder gehörig über den Tisch gezogen fühlen. Hatten einige von ihnen ihre Zustimmung zu dem Vertrag doch nur erteilt, weil vereinbart worden war, die globale Erwärmung auf möglichst 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu stoppen. Jetzt berichtete Reuters über den zweiten Entwurf eines Arbeitspapiers für den Weltklimarat (IPCC), nach dem ein sehr hohes Risiko dafür besteht, daß die 1,5-Grad-Grenze nicht eingehalten werden kann, sondern voraussichtlich bereits in den 2040er Jahren überschritten wird. [1]

Wie die taz unter Berufung auf den 24seitigen Bericht schreibt, sehen dessen Autorinnen und Autoren zumindest eine rechnerische Chance darin, nachdem man über das 1,5-Grad-Ziel hinausgeschossen ist, es wieder von rückwärts zu erreichen, indem das Treibhausgas CO2 aktiv der Atmosphäre entzogen wird. Beispielsweise durch Aufforstung und Biomassekraftwerke, deren Verbrennungsgase verflüssigt und gelagert werden. Allerdings gebe es eine "hohe Chance, dass die geforderten Mengen an CO2-Reduktion nicht durchsetzbar sind", zitiert die tageszeitung aus dem Papier. [2]

Diese in der Literatur auch "negative Emissionen" genannten Maßnahmen müßten sehr schnell und im großen Maßstab eingeleitet werden. Hier tritt jedoch ein Interessenkonflikt mit dem Flächenbedarf der Landwirtschaft auf. Ergänzend dazu wäre anzumerken, daß die Verfahren zur Verflüssigung und Verklappung von CO2 ihrerseits sehr energieintensiv sind und daß eine Lagerung von verflüssigtem Kohlenstoff zumindest an Land von vielen Menschen aufgrund des Risikos von Undichtigkeiten der Lager abgelehnt wird. In Deutschland ließe sich wohl kaum ein Standort finden, an dem die Kohlenstoffspeicherung ohne Widerstand der Bevölkerung durchgesetzt werden könnte.

Die Expertengruppe des IPCC begründet ihre negativ wirkende Einschätzung der Klimaentwicklung mit der Geschwindigkeit der gegenwärtigen Erwärmung auf der einen Seite und den nationalen Plänen zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen auf der anderen. Die laufen eher auf eine Erwärmung von drei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit hinaus.

Zwei Formulierungen in dem Reutersbericht fallen auf, die darauf hindeuten, daß die 1,5-Grad-Schwelle möglicherweise sogar noch schneller erreicht werden könnte als angegeben. Zum einen wird gesagt, daß die gegenwärtige globale Durchschnittstemperatur an der Erdoberfläche um rund ein Grad höher liegt als in vorindustrieller Zeit. Das ist sicherlich eine konservative Einschätzung. 2016 meldete der Copernicus Climate Change Service (3CS), daß die Erwärmung schon fast bei 1,5 Grad angekommen ist. [3]

Zwar war die Erderwärmung damals durch das globale Klimaphänomen El-Nino in der ersten Jahreshälfte verstärkt worden, aber inzwischen sind weitere eineinhalb Jahre vergangen, in dem sich die Erde aufgeheizt hat. Zudem hat solch ein El-Nino-Ereignis längerfristige Folgen, wenn zum Beispiel aufgrund der damit einhergehenden nicht-zyklischen Erwärmung die Fläche und Dicke des arktischen Meereises schrumpft. Dadurch nimmt das Wasser des arktischen Ozeans mehr Energie auf, die den Schrumpfungstrend der Meereisfläche fortsetzt. Das wird in der Klimaforschung ein sich selbst verstärkender Prozeß oder auch Kippunkt bzw. Kippelement genannt.

Der zweite Punkt, der am Reutersbericht auffällt, ist, daß die Berechnungen der IPCC-Arbeitsgruppe auf Grundlage der nationalen Klimaschutzpläne beruhen. Die Vereinigten Staaten haben sich jedoch bereits vom Klimaverhandlungsdiskurs verabschiedet - welche Schäden das nach sich zieht, kann man noch gar nicht absehen -, und vor wenigen Tagen hat der vermeintliche Klimaschutzvorreiter Deutschland signalisiert, daß das selbstgesteckte Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, nicht mehr eingehalten werden kann. [4]

Das IPCC hat inzwischen auf die Medienberichterstattung zu seinem Arbeitspapier (Second Order Draft) reagiert und erklärt, daß es sich um einen Entwurf handelt, zu dem noch Regierungen und Experten ihre Kommentare abgeben können, so daß er sich inhaltlich noch sehr verändern kann. Er sei nicht zur Veröffentlichung vorgesehen und aus ihm sollte auch nicht zitiert werden. [5]

So nachvollziehbar das Anliegen des IPCC auch ist zu verdeutlichen, daß Entwürfe nun mal keine abschließenden Stellungnahmen sind, kommt man kaum umhin festzustellen, daß in dem Papier eine bestimmte Tendenz zum Ausdruck gebracht wird und eine denkbar andere eben nicht. Beispielsweise, daß die Staatengemeinschaft auf dem besten Weg ist, ihre im Pariser Klimaabkommen formulierten Verpflichtungen weit zu übertreffen.

Der IPCC schreibt, daß das Arbeitspapier auf Grundlage von Publikationen erstellt wurde, die vor dem 1. November 2017 veröffentlicht wurden, und daß gegebenenfalls neue wissenschaftliche Hinweise in die Endfassung einfließen. Die Reviewperiode läuft vom 8. Januar bis 25. Februar 2018. Voraussichtlich am 8. Oktober 2018 wird die Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger veröffentlicht.

Jene Länder, die dem Pariser Abkommen nur zugestimmt haben, weil ihnen unter anderem von einem Hochkonsum-Industriestaat wie Deutschland die Hoffnung gemacht wurde, er nähme ihr Interesse, als Staaten weiterzubestehen, genauso ernst, als sei das eigene Territorium von Meeresspiegelanstieg, Sturmfluten, Dürren, Salzwasserintrusionen und Wirbelstürmen akut bedroht, haben nun das Nachsehen. Sie sind zum Abwarten verdammt, sollten sie darauf setzen, daß ihnen jemand beisteht. Vermutlich wird man ihre Stimmen erst wieder im Dezember bei der COP 24 in Polen vernehmen - als Randnotiz des großen Klimazirkus.

Vielleicht wäre es besser gewesen, die ärmeren Länder hätten im Dezember 2015 dem Abkommen von Paris nicht zugestimmt und auf verbindliche Zusagen seitens der Hauptemittenten von Treibhausgasen bestanden - beispielsweise hinsichtlich der Einführung einer globalen Verbrauchssteuer auf CO2-Emissionen, eines raschen Ausstiegs aus der Kohleverstromung, der Reduzierung statt des Ausbaus des Flugverkehrs, der Umstrukturierung der landwirtschaftlichen Produktion weg von der Massentierhaltung und ebenfalls weg von dem kunstdünger- und pestizidgetränkten landwirtschaftlichen Anbau, um nur einige Beispiele für den Beginn einer vorstellbaren, umfassenden Transformation zu nennen. Dann wäre es vielleicht zum großen Knall gekommen, der die Scharade, wonach die wohlhabenden Staaten den ärmeren Staaten zur Seite stehen, zum Scheitern gebracht hätte. Denn genau umgekehrt wird ein Schuh daraus: Der Wohlstand unter anderem Deutschlands wird zu Lasten der ärmeren Länder generiert, und die Klimaabkommen befestigen dieses Verhältnis.

Dafür sorgen unter anderem globale Wertschöpfungsketten, die in den zu bloßen Ressourcenstaaten degradierten Ländern des globalen Südens ihren Anfang nehmen und dort auch mit Waffengewalt durchgesetzt werden. Ein prototypisches Beispiel dafür ist die blutige Niederschlagung des Bergarbeiterstreiks 2012 in der südafrikanischen Platinmine des Unternehmens Lonmin. Die Bergarbeiter forderten Lohnerhöhungen, unter anderem weil ihre sowieso niedrigen Einkommen von der zwar nicht exzessiven, aber spürbaren Inflation weggefressen wurden. Die pendelte in den letzten fünf Jahren vor dem sogenannten "Massaker von Marikana" zwischen 10,99 (2008) und 4,26 Prozent (2010).

Statt zu verhandeln, wurden die Bergarbeiter von Polizei und Paramilitärs einkesselt und mit automatischen Gewehren abgeschossen. 34 Bergarbeiter starben, viele Dutzend wurden verletzt. Die, die überlebt haben, wurden wegen Mordes angeklagt. Zu den Hauptabnehmern des Platins gehört das deutsche Unternehmen BASF, das aus dem Metall Katalysatoren fertigt, damit die wohlhabenderen Weltbewohner, zu denen sich die Deutschen zählen dürfen, umweltfreundlichere Autos fahren können.

Wäre es zum Streit gekommen, hätten die Medien zum Abschluß der Klimaschutzverhandlungen von Paris zwar nicht so harmonistische Bilder von den politischen Entscheidungsträgern erhalten, die nach vollbrachter Tat gemeinsam ihre Arme emporreckten - statt dessen hätten wohl eher ziemlich lange Gesichter die Runde gemacht -, doch im Sinne des Klimaschutzes, der immer zunächst Schutz der gesellschaftlich an den Rand gedrängter Menschen bedeutet, wäre so ein Eklat vermutlich ergiebiger ausgegangen. Widersprüche glätten zu wollen, heißt gewöhnlich, eine Seite unterzubuttern.

Die eklatanten gesellschaftlichen Interessengegensätze werden am Beispiel der Klimawandelfolgen transparent. Auf dem Klimagegengipfel (People's Climate Summit) im November in Bonn formulierte es Barbara Unmüßig (Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung) im Schattenblick-Interview so:

"Die Inselstaaten haben sich schon lange, im Grunde seit es die Klimaverhandlungen gibt, immer wieder in neuen Koalitionen zusammengeschlossen, weil sie weltweit, ob im Pazifik oder im Atlantik und anderswo, die Hauptbetroffenen sind. Ihre Bevölkerungen sind diejenigen, die am meisten bedroht sind. Das Problem ist jedoch, daß Klimaverhandlungen extrem vermachtet sind, und natürlich diese Inselstaaten, auch wenn sie in der UNO eine Stimme haben, ununterbrochen untergebuttert werden. Ihre Anliegen werden nicht gehört, ihre real existierende Bedrohung führt einfach nicht zu einer Übernahme der Verantwortung im Norden, endlich umzusteuern." [6]

Auch wenn es sich bei dem IPCC-Arbeitspapier noch nicht um die abschließende Stellungnahme handelt, dürfte jedem, der die Klimaverhandlungen und -entwicklungen in den letzten Jahren mitverfolgt hat, klar sein, daß in der Abschlußversion nicht plötzlich das Gegenteil stehen wird. Nichts deutet darauf hin, daß das globale Klima eine Trendwende vollziehen wird.

Es läge in der Logik des vorherrschenden profitorientierten Wirtschaftssystems, den selbst geschaffenen Mangel zur Voraussetzung des nächsten Geschäftsmodells zu machen, das wiederum an anderer Stelle Mangel erzeugt. Dieser wird quasi perpetuiert und bildet die Grundlage zur fortgesetzten Verwertung von Mensch, Tier, Pflanze und dem übrigen Rest. Noch haben sich die IPCC-Wissenschaftler skeptisch gegenüber der theoretischen Möglichkeit geäußert, der globalen Erwärmung mit Hilfe negativer Emissionen Zügel anlegen zu können. Es würde nicht überraschen, wenn am Ende des Tages kaum etwas anderes übrig bliebe, als dem Klimawandel mit eben solchen technischen Lösungen zu begegnen. Womöglich werden dann Kohlekraftwerke, deren kohlenstoffhaltigen Abgase abgeschieden, verflüssigt und gelagert werden (CCS-Technologie) plötzlich "umweltfreundlich" und ihre Betreiber grüne Engel.


Fußnoten:

[1] https://www.reuters.com/article/us-climatechange-draft/warming-set-to-breach-paris-accords-toughest-limit-by-mid-century-draft-idUSKBN1F02RH

[2] http://www.taz.de/Weltklimarat-zum-15-Grad-Ziel/!5474455/

[3] https://climate.copernicus.eu/resources/data-analysis/average-surface-air-temperature-analysis

[4] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-635.html

[5] http://www.ipcc.ch/news_and_events/st_sr15_sod_leak.shtml

[6] http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0144.html

15. Januar 2018


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