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KLIMA/677: CO2 - die Ökonomie behält den ersten Platz ... (SB)



Im August 2018 und damit noch rechtzeitig vor der am 2. Dezember 2018 in Katowice begonnenen UN-Klimakonferenz hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) ein Politikpapier mit dem Titel "Zeit-gerechte Klimapolitik: Vier Initiativen für Fairness" [1] veröffentlicht. Darin werden sehr viel ausführlicher die sozialen Folgen der globalen Erwärmung als die ihr zugrundeliegenden naturwissenschaftliche Fragen in den Mittelpunkt gestellt. So fordert der WBGU, daß erstens ein Plan zum Strukturwandel in Kohlebergbauregionen erarbeitet wird, zweitens die Rechtsansprüche vom Klimawandel geschädigter Menschen geprüft werden, drittens die Migration von Klimaflüchtlingen sichergestellt wird und viertens Finanzmittel für eine "zeit-gerechte" Transformation (u.a. Generationengerechtigkeit) bereitgestellt werden.

Die menschengemachten CO₂-Emissionen gelten als Hauptfaktor der gegenwärtigen globalen Erwärmung. Um den 2015 im Klimaübereinkommen von Paris beschlossene Grenzwert, die Erderwärmung auf unter zwei Grad, möglichst 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu halten, nicht zu durchbrechen, müssen laut WBGU die weltweiten CO₂-Emissionen spätestens 2020 ihren Scheitelpunkt erreicht haben und anschließend kontinuierlich sinken. Und der WBGU macht auf eine weitere positive Begleitfolge einer raschen CO₂-Minderung aufmerksam: Weniger fossile Energieträger zu verbrennen bedeutet, daß auch weniger Luftschadstoffe entstehen und Millionen vorzeitige Todesfälle vermieden werden.

Die geforderte Dekarbonisierung, also "Entkohlenstofflichung" der Gesellschaft läuft auf einen Strukturwandel hinaus. Darin hat die Bundesrepublik Deutschland eigentlich schon reichhaltige Erfahrungen, wurde doch der Steinkohlebergbau im Laufe des vergangenen Jahrhunderts nach und nach zurückgefahren und in diesem Jahr vollständig eingestellt. Die in der Kohleindustrie Beschäftigten mußten in anderen Branchen untergebracht werden. "Allein im Kohlebergbau des Ruhrgebiets waren von Ende der 1950er bis Ende der 1990er Jahre fast 430.000 verlorene Arbeitsplätze zu kompensieren", so der WBGU.

Heute wird in Deutschland nur noch Braunkohle im Tagebau gefördert. Darin sind etwa 25.000 Menschen beschäftigt. Aus Klimaschutzgründen müßte die Braunkohle ab sofort im Boden bleiben, weil ihre Verstromung vergleichsweise hohe CO₂-Emissionen erzeugt. Der WBGU schreibt, daß der Kohleausstieg bis 2030 weltweit vollzogen sein muß. Das bedeute, daß der Strukturwandel nicht so stark wie beim Steinkohleausstieg wäre, aber innerhalb einer viel kürzeren Zeit vonstatten gehen müßte.

Die Sorge der Beschäftigten in der Kohlewirtschaft vor einem Arbeitsplatzverlust ist insofern nachvollziehbar, als daß die Regierung bisher keinen umfassenden, glaubwürdigen Plan zum Strukturwandel vorgelegt hat. Das nährt das Mißtrauen, daß ein nicht geringer Teil der Beschäftigten dem Hartz-Regime zugeführt und verarmen würde. Aber würden die Kohlekumpel auch dann noch für den Erhalt ihrer klimaschädigenden Arbeitsplätze auf die Straße gehen, wenn sie ganz sicher sein könnten, daß sie durch den Kohleausstieg keinerlei ökonomische Nachteile erleiden?

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des WBGU-Politikpapiers war noch nicht klar, daß die von der Regierung einberufene Kohlekommission, die Vorschläge zum sozialverträglichen Kohleausstieg erarbeiten soll, es offenbar tunlichst vermieden hat, noch vor der COP24 Empfehlungen auf den Tisch zu legen, über die man dann hätte sprechen können. Das ist ein ganz großes Manko der Bundesrepublik und läßt sich kaum anders deuten, als daß die Verzögerung absichtlich herbeigeführt wurde. Die anderen Staaten wissen sehr genau einzuschätzen, daß Deutschland seine widersprüchliche Klimapolitik weiterbetreiben will, indem es Forderungen an andere richtet - beispielsweise an die kohlefreundliche polnische Regierung -, aber immer dann auf die Bremse tritt, wenn die eigene Industrie Nachteile erleiden könnte. Stichworte hierzu sind unter anderem Braunkohleverstromung, subventionierter Autoverkehr, Steuervorteile für Flugbenzin.

Die zweite Initiative, die der WBGU vorschlägt, stützt sich im Kern auf ein nachvollziebares Argument: Unternehmen aus der fossilen Energiewirtschaft, die aufgrund des aus Klimaschutzgründen notwendigen Strukturwandels Einbußen erleiden, werden dafür vom Staat entschädigt oder können Entschädigungen für ihre Verluste einklagen. Umgekehrt jedoch gilt dies für einzelne Menschen, die existentiell von den Folgen des Klimawandels, den andere zu verantworten haben, betroffen sind, nicht. Dazu schreibt der WBGU: "Diese Asymmetrie der Durchsetzung von Rechtsansprüchen wegen erlittener Schäden zwischen geschädigten Personen und verursachenden Unternehmen führt aus Sicht des WBGU zu einer Schieflage, die einer zeit-gerechten Transformation entgegensteht."

Die Autorinnen und Autoren legen den Finger in die Wunde der Regierungen, indem sie darauf aufmerksam machen, daß "Verluste und Schäden" durch den Klimawandel (Loss and Damage) bereits heute Realität sind, aber eine weitaus geringere Aufmerksamkeit erlangen als beispielsweise Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel. "Ausreichende Anstrengungen der Staatengemeinschaft, Verluste und Schäden auszugleichen bzw. so weit wie möglich rückgängig zu machen, sind bislang nicht erkennbar."

Ausgerechnet in diesem Punkt, der für die ärmeren Länder von enormer Bedeutung ist, bleibt das Übereinkommen von Paris besonders unverbindlich, wie der WBGU schreibt: "Die Vertragsstaaten erkennen ... zwar die Notwendigkeit an, das Thema zu adressieren, bekunden aber gleichzeitig in der Erklärung zur Anerkennung des Übereinkommens, dass (dies) keine verpflichtenden Ausgleichszahlungen zur Folge hat."

Das kritisierte auch die Anwältin Makereta Waqavonovono aus der Republik Fidschi. Sie hat Voruntersuchungen für eine Klage durchgeführt, die bei der Human Rights and Anti-Discrimination Commission von Fidschi gegen die Regierung eingereicht werden soll und berichtete von dieser "Klimaklage" im vergangenen Jahr auf dem People's Climate Summit in Bonn [2].

Der WBGU empfiehlt der Bundesregierung, Klagen von Individuen gegenüber Großemittenten zu unterstützen. Aufgrund der finanziellen Risiken würden jedoch bislang durch Klimafolgen Geschädigte kaum klagen. Zu denen, die dennoch den juristischen Kampf gegen den einen oder anderen Goliath aufgenommen haben, gehört sicherlich Carroll Muffett, Präsident und Vorstandsvorsitzender des in Washington DC ansässigen Center for International Environmental Law (CIEL). Auch er nahm am People's Climate Summit in Bonn teil und stellte die Arbeit seines Centers vor [3].

Nach dem Ersten Weltkrieg befanden sich Millionen Menschen auf der Flucht. Sie besaßen weder gültige Ausweispapiere noch konnten sie in ihre Heimat zurückkehren. Um die Not der Menschen einigermaßen zu lindern, habe 1922 der damalige Hochkommissar für Flüchtlingsfragen des Völkerbundes Fridtjof Nansen "ein internationales Rechtsinstrument zum Schutz der Migrant*innen" - einen Pass für Staatenlose - erfunden. Dieser Pass gestattete es ihnen, Staatsgebiete jener Länder zu betreten, die den "Nansen-Pass" anerkannten. Auf diese später mit dem Friedensnobelpreis bedachte Idee hebt aktuell der WBGU ab und fordert, daß die internationale Staatengemeinschaft Menschen, die aus Gründen des Klimawandels migrieren, einen "Klimapass" gewährt, der es ihnen ermöglicht, sich in anderen Ländern niederzulassen.

Die vierte Initiative des WBGU dreht sich um die Einrichtung eines Transformationsfonds zur Umgestaltung der Gesellschaft, der sich von der fossilen Energiewirtschaft ab- und einer nachhaltigen Energiewirtschaft zuwendet. Der Fonds soll sich unter anderem aus einer umfassenden Bepreisung von Treibhausgasemissionen speisen. Die wohlhabenderen Länder, die historisch die Hauptverantwortung für den Klimawandel tragen, sollen die wirtschaftliche schwächeren Länder stärker unterstützen, damit diese Anpassungsmaßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen können, lauten einige der Vorschläge, die der WBGU unter dem Stichwort "zeit-gerechte Transformation" subsumiert.

Nicht zufällig greift der WBGU mit seinen vier Vorschlägen einige von der Klimaschutzbewegung erhobene Forderungen auf. Die große inhaltliche Nähe zwischen Regierungsberatung und Zivilgesellschaft drückt sich in Aussagen aus wie: "Der WBGU weist der Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure für die Erarbeitungen von Lösungen von Umweltproblemen prinzipiell eine zentrale Rolle zu."

Wie in der Vergangenheit, als der WBGU vergleichbar kritische Berichte zu anderen gesellschaftlichen Konfliktfeldern erstellt hat, dürfte der Einfluß dieses Politikpapiers auf die konkrete Regierungspolitik recht bescheiden ausfallen gemessen an der Aufgabe, die globale Erwärmung ausbremsen, indem die CO₂-Emissionen reduziert werden. Das WBGU-Papier entspricht ganz und gar nicht der Politik, die von der Bundesregierung verfolgt wird und die dazu geführt hat, daß Deutschland sein Klimaschutzziel, die CO₂-Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber dem Vergleichsjahr 1990 zu senken, aller Voraussicht nach weit verfehlen wird. Die COP24 in Katowice wird zeigen, ob überhaupt und in welchem Ausmaß die WBGU-Vorschläge ein Leitfaden für die Politik der Bundesregierung sind.


Fußnoten:

[1] https://www.wbgu.de/

[2] http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0143.html

[3] http://schattenblick.de/infopool/buerger/report/brri0162.html

3. Dezember 2018


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