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KLIMA/684: Antarktis - nicht wirklich rechenbar ... (SB)



Luftaufnahme eines Teil der Gletscherfront mit vorgelagertem Schelfeis - Foto: NASA

Thwaites-Gletscher
Foto: NASA

Man kann ja froh sein, daß die Trump-Regierung noch nicht sämtlichen Forschungen den Geldhahn zugedreht hat, die sich mit Fragen der Klimaentwicklung des Planeten befassen. Andernfalls hätte man wahrscheinlich nie erfahren, daß sich unter einem der größten Gletscher der Antarktis, dem Thwaites-Gletscher auf dem Marie-Byrd-Land im Westen des Kontinents, binnen weniger Jahre ein riesiger Hohlraum fast von der Größe Manhattans gebildet hat. [1]

Dieses überraschende Phänomen und weitere Beobachtungen des Verhaltens dieses Gletschers lassen befürchten, daß er schneller kollabieren könnte als vermutet. Schon vor fünf Jahren hatten US-Forscher berichtet, daß der Thwaites-Gletscher zu denen gehört, deren Zusammenbruch vermutlich nicht mehr abzuwenden sein wird, da bereits ein "point of no return" überschritten wurde. [2]

Jetzt zeigen Erstautor Pietro Milillo vom Jet Propulsion Laboratory der NASA und das übrige Forschungsteam, daß die Entwicklung noch an Tempo zugelegt hat. Ein komplettes Abschmelzen dieses Gletschers würde den weltweiten Meeresspiegel um 65 Zentimeter steigen lassen. Allerdings kämen in der Folge auch andere Gletscher ins Gleiten, die bisher von den Eismassen wie ein Pfropfen gestoppt wurden, so daß der Meeresspiegel um bis zu 2,40 Meter steigen könnte. Wann genau das geschehen wird, läßt sich seriös nicht abschätzen. In der Vergangenheit wurde eher mit Jahrtausenden denn Jahrhunderten gerechnet. Inzwischen geht man von 200 bis 900 Jahren aus, bis daß der westantarktische Eisschild abschmilzt. [3] Allerdings stützen sich solche Abschätzungen auf ungenügende Voraussetzungen, wie die plötzliche Bildung jenes riesigen Hohlraums zeigt.

Zu den zentralen Beobachtungen des Thwaites-Gletschers im Rahmen der 2010 von der US-Weltraumbehörde NASA begonnenen Meßkampagne Operation IceBridge, bei der die Verbindung zwischen Polarregionen und dem Weltklima erforscht wird, zählen:

- An einigen Stellen dünnt der Thwaites-Gletscher um drei bis sieben Meter pro Jahr aus, was weitgehend auf eine höhere Fließgeschwindigkeit zurückgeführt wird. Der Massenverlust liegt bei bis zu einem Meter jährlich.

- Die Fließgeschwindigkeit hat sich in den letzten rund 50 Jahren mindestens verdoppelt.

- Zwischen 1996 und 2011 wurde die Aufsetzlinie, bei dem der Gletscher Bodenkontakt hat und noch nicht aufschwimmt, sowohl der Randbereiche als auch des zentralen Teils des Gletschers um 600 bis 900 Meter jährlich ins Landesinnere zurückverlegt.

- In dem am schnellsten fließenden zentralen Teil des Gletschers ist die Aufsetzlinie Gezeitenkräften ausgesetzt. 1996 lag die Spanne des Vor- und Rückzugs dieser Linie mit den Gezeiten bei 500 Metern. 2016/17 hingegen hatte sich die Breite an einer Stelle auf 2,5 Kilometer verfünffacht, was so gedeutet wird, daß der Gletscher an seiner Basis inzwischen viel vehementer angelöst wird. Dieser Effekt hat, so wird vermutet, damit zu tun, daß die Aufsetzlinie inzwischen flacheres Gelände erreicht hat. Problematisch ist der Rückzug der Aufsetzlinie, weil sie zur Zeit noch auf einem Bergrücken unter dem Eis liegt. Gerät sie hangabwärts, kann das vergleichsweise warme Meerwasser den Gletscher noch stärker unterhöhlen und die Basis tief im Landesinneren anlösen. Welche Fließgeschwindigkeiten dann auftreten, ist ungeklärt.

- Unter dem Thwaites-Gletscher hat sich innerhalb von größtenteils drei Jahren ein Hohlraum von vier Kilometer Breite, zehn Kilometer Länge und bis zu 350 Meter Höhe gebildet. Der Hohlraum entspricht dem Volumen von 14 Milliarden Kubikmetern Eis. Bislang hatte man nur dünne, fingerartige Aushöhlungen unter dem Eis nachgewiesen.

- Das Schelfgebiet des Thwaites-Gletschers hat sich im Zeitraum 2014 bis 2017 um jährlich rund 215 Meter zurückgezogen.

Die US-Weltraumbehörde NASA, die den Eisverlust unter anderem anhand von italienischen und deutschen Radarmessungen analysiert hat, weiß sich medial sehr gut zu plazieren, wenn sie ihren Bericht mit "Riesiger Hohlraum im antarktischen Gletscher signalisiert raschen Zerfall" überschreibt. Das ist erforderlich, wenn sie dem antiwissenschaftliche Kurs der Trump-Regierung, die sich die Welt zurechtlegt, wie sie sie gerne hätte, etwas entgegensetzen will. [4]

Was sich an der Unterseite des Thwaites-Gletschers und anderer Gletscher der Antarktis abspielt ist von entscheidender Bedeutung für Berechnungen zur Höhe des weltweiten Meeresspiegels. Eine Politik des "America First" wäre demgegenüber sehr kurzsichtig.

Der Anstieg des globalen Meeresspiegels hat sich in den letzten Jahren beschleunigt und liegt zur Zeit bei etwa drei Millimetern pro Jahr. Ungefähr je zur Hälfte aufgrund der physikalischen Wärmeausdehnung des Meeres und der Massenzunahme in Folge der Eisschmelze. Die Wissenschaft ist sich weitgehend einig darin, daß der Betrag des Meeresspiegelanstiegs im Laufe dieses Jahrhunderts zunehmen wird. Wie sehr hängt unter anderem von solchen Phänomenen ab, wie sie am Thwaites-Gletscher beobachtet werden.

Der jetzt entdeckte Hohlraum ist im Verhältnis zum gesamten Eisvolumen dieses Gletschers, der immerhin eine Front von 160 Kilometern hat, gering. Doch sollte sich in Zukunft an immer mehr Stellen das Wasser der Amundsensee, in die der Gletscher mündet, wie ein Finger an der Unterseite der Eismassen ins Landesinnere vorgraben, kämen ganz andere Dimensionen der Fließgeschwindigkeit ins Spiel. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, daß unter dem antarktischen Kontinent keine geschlossene Landmasse liegt, sondern daß es sich um ein Archipel aus zahllosen Inseln handelt. Die widerstehen dem Meeresspiegel nicht in Form eines geschlossenen Bollwerks, sondern können allzu leicht vom Wasser umspült und von allen Seiten angegriffen werden.

Zur Zeit ist der Massenverlust des Thwaites-Gletschers für rund vier Prozent des globalen Meeresspiegels verantwortlich. Im Südsommer 2019/20 wollen die Forschungsorganisationen U.S. National Science Foundation und British National Environmental Research Council im Rahmen eines gemeinsamen Vorhabens unter dem Titel International Thwaites Glacier Collaboration über fünf Jahre hinweg genauer untersuchen, welche Prozesse speziell an diesem Gletscher ablaufen und mit welchen Folgen noch in diesem Jahrhundert zu rechnen ist.


Karte der Antarktis zeigt, daß rund 45 Prozent des Eisschilds unterhalb des Meeresspiegels liegt - Karte: Neitram, u.a. beruhend auf AntarcticBedrock.jpg: Paul V. heinrich, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de]

Antarktis ohne Eis: Blau- und Violettöne zeigen Gebiete unterhalb des Meeresspiegels, Rot- und Brauntöne oberhalb des Meeresspiegels. Jede Farbstufe entspricht 2.500 Fuß (762 m). Die dicke durchgezogene Linie zeigt den Umriss von Antarktika, die dünne gestrichelte Linie die Schelfeisgrenze. In der Karte ist weder berücksichtigt, daß der Meeresspiegel aufgrund der Eisschmelze steigt noch daß die Landmasse angehoben wird, wenn die Auflast des Eisschilds nicht mehr existieren würde.
Karte: Neitram, u.a. beruhend auf AntarcticBedrock.jpg: Paul V. heinrich, CC BY-SA 3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de]


Fußnoten:


[1] Science Advances, 2019; doi: 10.1126/sciadv.aau3433

[2] https://www.jpl.nasa.gov/news/news.php?release=2014-148

[3] https://www.scinexx.de/news/geowissen/westantarktis-schmelze-ist-unumkehrbar/

[4] https://www.jpl.nasa.gov/news/news.php?feature=7322


4. Februar 2019


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