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KLIMA/708: Erderwärmung - Verschiebungen der Nahrungskette ... (SB)


Kadaver, aufgereiht - Foto: doi: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0216532.g002

Am 17. Oktober 2016 wurden am nördlichen Strand von St. Paul Island die Kadaver von zwei Trottellummen, acht Hornlunden, zwei jungen und 27 erwachsenen Gelbschopflunden eingesammelt.
Foto: doi: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0216532.g002

Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, daß ein Massensterben unter Seevögeln 2016 auf der zu den Aleuten zählenden St. Paul-Insel sehr wahrscheinlich Folge der Erwärmung des Meeres war. Die Arktis heizt sich doppelt so schnell auf wie die Erde insgesamt, was zur Folge hat, daß sich das Meereis immer weiter zurückzieht. Dadurch kommt es am Beginn der marinen Nahrungskette zu Verschiebungen, bei denen die energiereicheren, größeren Arten dem Meereis folgen und abwandern.

Die vom Massensterben betroffenen Gelbschopflunde (Fratercula cirrhata) und Schopfalke (Aethia cristatella), die in der besagten Zeit in der Mauser waren und deshalb schlechter fliegen konnten, mußten sich viel mehr bewegen, um ihren Nahrungsbedarf zu decken. Viele hatten nicht die Kraft oder noch nicht das erforderliche Federkleid entwickelt, um ihrer abwandernden Beute in die kälteren Regionen hinterherzuziehen. Auch kräftige Winterstürme könnten verhindert haben, daß die Vögel wie in den normalen Jahren ihre Brutgebiete verlassen.

Zwischen Oktober 2016 und Januar 2017 starben vermutlich viele tausend Gelbschopflunde und einige hundert Schopfalke aus zunächst unerklärlichen Gründen. Diese Vögel mit den kräftigen Schnäbeln und flossenartigen Füßen leben vom Zooplankton und von den Fischen in der Beringsee. Die Meereswissenschaftlerin Julia Parrish, Professorin an der Universität von Washington und Direktorin des Coastal Observation and Seabird Survey Team (COASST), hat das Vogelsterben untersucht und Ende Mai 2019 über ihre vorläufigen Resultate im Wissenschaftsjournal PLOS ONE berichtet. [1]

Demnach kam es seit 2014 zu sechs ähnlichen Massensterben unter Seevögeln an der nordamerikanischen Pazifikküste der Arktis. Mal starben 400.000 Aleutenalke, mal 500.000 Trottellummen. Auch in früheren Jahrzehnten wurden solche Massensterben beobachtet, aber inzwischen träten sie jedes Jahr auf, berichtete Parrish. [2]

Die ausgeprägte Erwärmung der Arktis hat mehrere Ursachen. Zum einen verringert sich die Albedo (Rückstrahlung) dadurch, daß das helle, stark reflektierende Meereis verschwindet und dunkleres, Wärme absorbierendes Wasser freigegeben wird. Zum anderen tragen Luft- und Meeresströmungen Wärme in den Hohen Norden ein. Das hat zur Folge, daß sich die gesamte marine Nahrungskette verändert. Das fängt mit dem winzigen Zooplankton an, das von Fischen gefressen wird, die wiederum Hauptnahrungsmittel der Seevögel sind.

Im Laufe der Erdgeschichte traten fünf globale und zahllose regionale Massensterben von Tierarten auf. Doch inzwischen ist der Mensch treibender Faktor des gegenwärtig ablaufenden, sechsten globalen Artensterbens. Laut den Vereinten Nationen sterben täglich bis zu 130 Arten aus. Wiederum im erdgeschichtlichen Vergleich kommt die gegenwärtige Verdrängung und Vernichtung anderer Arten durch den Menschen geradezu explosionsartig. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) berichtete kürzlich, daß rund eine Million der sieben bis acht Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit innerhalb der nächsten Jahrzehnte aussterben könnten.

Die Kombination von Nahrungsknappheit und Mauser ist nicht der einzige Faktor, der wissenschaftlich als mögliche Ursache von Massensterben unter Seevögeln untersucht wird. Der Geologische Dienst der USA (USGS) überprüft in Kooperation mit anderen Institutionen auch die Möglichkeit, daß giftige Algenblüten verantwortlich oder mitverantwortlich für einige der Massensterben unter Seevögeln sind. Solche Algenblüten rund um Alaska und die Aleuten treten ebenfalls als Folge eines wärmeren Meerwassers auf. [3]

In den letzten sechs Jahren sind allein im nordamerikanischen Teil der Arktis mehrere Millionen Seevögel verendet. Auch wenn die Tierbestände teilweise noch sehr groß sind, könnten durch die Häufung der Massensterben selbst diese Arten in Gefahr geraten, ausgelöscht zu werden. Ob das zu verhindern ist, kann niemand sagen, aber eines ist sicher: wenn die menschengemachten Treibhausgasemissionen aus dem Verbrennen fossiler Energieträger und bestimmter landwirtschaftlicher Praxen nicht drastisch reduziert werden, tritt die düstere Prognose des Weltbiodiversitätsrats ein. Dann wandeln sich die Ozeane und das Klima so schnell und so stark, daß viele Arten auf der Strecke bleiben.


Vogel hockt auf Felsen - Foto: Mike Boylan, USFWS

Gelbschopflund (Fratercula cirrhata)
Foto: Mike Boylan, USFWS


Fußnoten:


[1] Jones T, Divine LM, Renner H, Knowles S, Lefebvre KA, Burgess HK, et al. (2019) Unusual mortality of Tufted puffins (Fratercula cirrhata) in the eastern Bering Sea. PLoS ONE 14(5):e0216532. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0216532

[2] https://insideclimatenews.org/news/29052019/puffin-deaths-arctic-climate-change-alaska-wildlife-biodiversity

[3] tinyurl.com/y3d9cksk


4. Juni 2019


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