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KLIMA/711: Land unter - aber manche sind gleicher ... (SB)



Die pazifischen Inselstaaten haben eine gemeinsame Erklärung abgegeben, derzufolge die ersten Atolle bereits 2030 untergehen und im Jahr 2100 eine Reihe von Staaten komplett vom Meer überspült werden, sollten nicht weitreichende Maßnahmen gegen den Meeresspiegelanstieg unternommen werden. Außerdem wird Australien wenngleich nicht namentlich genannt, so doch unmißverständlich dafür kritisiert, daß es sogenannte "carryover credits" in Anspruch nehmen will.

Australien hatte sich nämlich im Kyoto-Protokoll, das in diesem Jahr endet, so schwache Klimaschutzziele gesetzt, daß es sie einhalten konnte und darüber hinaus sogar noch jene "carryover credits" übrig hat. Das Land, das sich als regionale Hegemonialmacht im Pazifikraum betrachtet, will diese ungenutzten Guthaben für die nächste Klimaschutzperiode ab 2020 des Pariser Übereinkommens verwenden, was bedeutet, daß es seine Treibhausgasemissionen weniger stark senken muß. Das hat heftige Proteste bei den pazifischen Inselstaaten ausgelöst, zumal andere Staaten, die ebenfalls ein solches Anrecht hätten, ihre "carryover credits" verfallen lassen. Was Australien mache, sei kein realer, sondern lediglich ein buchungstechnischer Klimaschutz, lautet die Kritik.

Zum Abschluß des im vergangenen Monat zu Ende gegangenen Pacific Islands Development Forums in Fidschi wurde die Nadi Bay Deklaration [1] verabschiedet, in der noch einmal sehr deutlich die tiefe Sorge der kleinen pazifischen Inselstaaten (PSIDS - Pacific Small Island Developing States) über die Bedrohung durch den Klimawandel, insbesondere aber über die bislang unzureichenden Gegenmaßnahmen der entwickelten Länder zum Ausdruck gebracht wird. Zudem wurde sowohl an das vom Weltklimarat IPCC im vergangenen Jahr vorgestellte Sondergutachten [2] zum 1,5-Grad-Ziel als auch an die Suva-Deklaration erinnert, die vor vier Jahren ebenfalls vom Forum der kleinen pazifischen Inselstaaten verabschiedet worden war. [3]

Vergleicht man die damalige Erklärung mit der aktuellen, so wird deutlich, daß die Mahnungen, Aufforderungen und Rufe immer verzweifelter werden und umgekehrt seitens der wichtigsten Treibhausgasemittenten der Welt viel zu wenig getan wird, um die globale Erwärmung zu bremsen. Besonders gefährdet, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten überschwemmt zu werden, sind die Marshall-Inseln, Tuvalu, Kiribati und Tokelau im Pazifik und die Malediven im Indischen Ozean. Aber auch weitere Inselstaaten sowie flache Küstengebiete, hier insbesondere Bangladesh, werden weitreichende Landverluste verzeichnen, wenn die Temperaturen weiter steigen, sich daraufhin die Weltmeere ausdehnen und außerdem noch mehr Schmelzwässer aufnehmen.

Man kann davon ausgehen, daß sich Australiens Premierminister Scott Morrison Mitte August auf dem Pacific Islands Forum, bei dem sich die kleinen mit den großen pazifischen Inselstaaten treffen, einige Vorwürfe wird anhören müssen. Zumal der Minister für Internationale Entwicklung und den Pazifik, Alex Hawke, bereits klargestellt hat, daß seine Regierung nicht davon abrücken wird, ihre überzähligen Klimaschutzkredite anrechnen zu lassen. [4]

Australiens Treibhausgasemissionen steigen kräftig [5]. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß es seine selbstgesteckten Klimaschutzziele aus dem Übereinkommen von Paris ohne solche Buchungstricks einhalten wird. Die "carryover credits" machen immerhin 16 Prozent seiner Emissionsminderungsziele aus [6]. Außerdem ist Australien Exporteur großer Mengen von Steinkohle. Deren Verbrennung trägt noch mehr zum Klimawandel bei als die Verbrennung von Erdgas oder Erdöl.

Rußland und die Ukraine zählen ebenfalls zu den Ländern, die ihre nicht in Anspruch genommenen Klimaschutzguthaben auf das neue Klimaschutzabkommen übertragen wollen, denn das Übereinkommen von Paris gestattet diese Möglichkeit. Das sagt viel über dieses als epochales Werk der Menschheit gepriesene Abkommen aus. Inzwischen stellt sich nämlich immer mehr heraus, daß es zahnlos ist. Beispielsweise kann kein Staat dafür belangt werden, wenn er es nicht einhält oder wie die USA ganz aus dem Abkommen aussteigt.

Dem noch nicht genug, besteht zwischen dem vereinbarten Ziel, die globale Erwärmung um nicht mehr als zwei Grad, möglichst nur 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit steigen zu lassen, und den Selbstverpflichtungen der Unterzeichnerstaaten (INDC - Intended National Determined Contributions) eine breite Kluft. Die INDC würden in der Summe auf eine gut drei Grad wärmere Welt hinauslaufen - mit verheerenden Folgen unter anderem für die pazifischen Inselstaaten.

Doch werden die viel zu schwachen INDC wahrscheinlich nicht erreicht, sondern nochmals um mehrere Grad übertroffen, so daß im Laufe dieses Jahrhunderts eine Welt entsteht, die im Durchschnitt fünf bis sechs Grad wärmer ist. Das wäre das Ende der menschlichen Hochzivilisation, sagt die Klimawissenschaft.

Mit der Nadi Bay Deklaration appellieren die kleinen pazifischen Inselstaaten zum wiederholten Male an die reichen Staaten, sie nicht absaufen zu lassen. Anscheinend betrachten sich die Morrison, Trump und all die anderen Staatsführer dieser Welt, die den Klimaschutz nicht ernst nehmen, als etwas Besseres. Offensichtlich genügt es nicht, jeden Freitag für die Zukunft zu streiken. Es müßte eine Bewegung "Every Day for Future" entstehen, die an allen Tagen der Woche eine Kooperation mit denen verweigert, die nur behaupten, sie hätten die gleichen Interessen, aber eine Politik betreiben, die zahllose Menschen in existentielle Not wirft.


Fußnoten:

[1] https://cop23.com.fj/nadi-bay-declaration-on-the-climate-change-crisis-in-the-pacific/

[2] Hierzu ein SB-Bericht
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0146.html

und ein Interview mit Prof. Dr. Daniela Jacob, einer der koordinierenden Leitautorinnen des IPCC-Sonderberichts:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0288.html

[3] tinyurl.com/q8d8so6 Ein SB-Kommentar dazu:
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-569.html

[4] https://www.abc.net.au/news/2019-08-01/australia-rejects-climate-concerns-from-pacific-neighbours/11372240

[5] http://www.tai.org.au/sites/default/files/Stay%20on%20target%20-%20Update%20-%20FINAL.pdf

[6] https://www.afr.com/news/policy/climate/explained-why-kyoto-carryover-credits-are-so-important-20190402-p519ws

2. August 2019


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