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KLIMA/768: Die Waffe der Vorherrschaft ... (SB)


Der Ruf wird lauter nach rasch wirksamen Maßnahmen gegen die globale Erwärmung. Denn vielerorts wächst die Not in Folge von Überschwemmungen, Waldbränden, Dürren oder Wirbelstürmen und Jahr für Jahr werden neue klimatische Rekordwerte gemessen. Oftmals begleitet von Naturkatastrophen mit teilweise immensen Verlusten an Leben sowie Zerstörungen von Siedlungen und Infrastrukturen. Es ist wohl nicht mehr die Frage, ob, sondern wann extreme Klimaschutzmaßnahmen als vermeintliche Lösung der gegenwärtigen planetaren Krise gefordert werden. Ein Vorschlag dazu lautet, in der oberen Atmosphäre, der Stratosphäre, Schwefelpartikel zu versprühen. Deren Oberfläche ist so beschaffen, dass sie das Sonnenlicht reflektieren, also noch bevor es auf die Erde trifft und diese aufwärmt. Das Konzept dazu wird als "solares Geoengineering" bezeichnet.

Einer häufig anzutreffenden Argumentation, wie sie angesichts der sich verschlechternden globalen Klimaentwicklung propagiert wird, folgt beispielsweise der bremische Rüstungs- und Raumfahrtkonzern OHB. Zwar resümiert er in seinem Magazin (online), dass die globale Erwärmung nur gestoppt werden kann, wenn die Menschen ihre Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren. Aber der Konzern sagt auch, dass Geoengineering bestenfalls eingesetzt werden könne, um das Überschreiten von Kipppunkten (engl. "tipping points") im Klimasystem zu vermeiden.

Da mit dem Überschreiten von Kipppunkten bereits im Laufe des nächsten Jahrzehnts zu rechnen ist, läuft der Standpunkt von OHB und anderer, die ebenfalls schnell wirksames Geoengineering als Notlösung befürworten, faktisch darauf hinaus, schon jetzt entsprechende Forschungen durchzuführen, um rechtzeitig vorbereitet zu sein, falls man es eines vielleicht nicht mehr so fernen Tages gebrauchen könnte.



Satellitenaufnahme einer pilzartig aufquellenden braunen Wolke - Foto: NASA

Ausbruch des Vulkans Raikoke auf den zu Russland gehörenden Kurilen am 22. Juni 2019. Die schwefelhaltige Rauchwolke aus dem 700 Meter durchmessenden Krater wurde von einem Sturmsystem im Pazifik angezogen. Ein Teil der Eruptionswolke gelangte in die Stratosphäre, wo zeitweilig und räumlich begrenzt ein Teil der Sonneneinstrahlung aufgehalten wurde.
Foto: NASA


Solares Geoengineering - Dauerverwaltung, nicht Lösung der Krise

Gegenwärtig werden die Weichen dafür gestellt, solares Geoengineering als Option ernsthaft in Erwägung zu ziehen und dann auch zu betreiben, sofern nicht plötzlich schwerwiegende andere Entwicklungen wie globale Naturkatastrophen oder Kriege dazwischen kommen. Geoengineering würde den Staaten einen Vorwand dafür liefern, sich als unverzichtbarer Retter in der Not aufspielen zu können, ungeachtet dessen, dass eben sie es waren, die zuvor jene Not erzeugt haben, indem sie sich weigerten und es auch heute noch tun, ausreichende Maßnahmen gegen die globale Erwärmung zu ergreifen. Von wohlfeilen Absichtserklärungen, wie sie in dem als "historisch" abgefeierten Klimaabkommen von Paris (2015) formuliert sind, wird die globale Erwärmung jedenfalls nicht gestoppt. Außerdem reichen die damals getroffenen nationalen Zusagen bei weitem nicht aus, die vereinbarten Grenzen der globalen Erwärmung einzuhalten; und zwischen jenen unzureichenden Zusagen und der tatsächlichen Praxis klafft nochmals eine große Lücke.

Mit extremen Klimaschutzmaßnahmen wie dem solaren Geoengineering würden als vermeintliche Nebenwirkung seinerseits Menschen in neue Notlagen gebracht und Katastrophensituationen geschaffen, die behoben werden müssten und die dann den vorherrschenden Kräften einmal mehr als Legitimationsvorwand für den Fortbestand ihrer Existenz dienten. Umgekehrt gilt: Würden die administrativen Instanzen eine Not vollständig beheben, höben sie im Idealfall ihre eigene Daseinsberechtigung auf.

Warnungen vor extremen Klimaschutzmaßnahmen mit unkalkulierbarem Ausgang kommen auch seitens der Wissenschaft. Im Januar dieses Jahres haben der Klimaforscher Frank Biermann von der Universität Utrecht und mehr als 60 weitere Personen aus Wissenschaft, Politik und zivilgesellschaftlichen Institutionen in einem offenen Brief vor der "weiteren Normalisierung" von Geoengineering als zukünftige Klimaschutzmaßnahme gewarnt. In dem in der Fachzeitschrift "Wires Climate Change" veröffentlichten Brief werden die Regierungen und Vereinten Nationen aufgefordert, "unverzüglich" die politische Kontrolle über die Entwicklung von Geoengineering-Methoden zu ergreifen und ein "Internationales Abkommen über die Nichtnutzung des solaren Geoengineerings" zu vereinbaren, bevor es zu spät ist. Insbesondere mit Blick auf die ärmsten und verletzlichsten Staaten sei das von großer Wichtigkeit.

696 Millionen Menschen lebten in extremer Armut und hätten weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag zur Verfügung, 3,2 Milliarden müssten mit weniger als 5,50 Dollar auskommen, wird in dem offenen Brief konstatiert. 820 Millionen Menschen litten regelmäßig unter Hunger. Sie alle seien extrem empfindlichen Verhältnissen ausgesetzt, in denen jede Veränderung ihrer Umwelt zur direkten Bedrohung geriete. Also seien auch sie die ersten, die von den Nebenwirkungen eines in planetarem Maßstab betriebenen solaren Geoengineerings betroffen wären. Zwar könne man argumentieren, dass die ärmeren Menschen auch die ersten sind, die von einem drastischen Klimawandel bedroht werden und daher vom solaren Geoengineering profitieren, aber das Argument verfange nicht. Man dürfe nicht eine Gefahr beheben und dabei die nächste heraufbeschwören.

Wie bereits angedeutet, liegt es in der Logik der Herrschaftssicherung, Mittel, die der Qualifizierung der Verfügungsgewalt dienen, nicht ungenutzt zu lassen. Historisch gesehen hätte die Staatengemeinschaft schon vor Jahrzehnten anfangen können, aus der Verfeuerung fossiler Energieträger auszusteigen. Zu dem Zeitpunkt war nämlich hinlänglich bekannt - und zwar nicht nur in den Forschungslaboren der Erdölindustrie -, dass die Verbrennungsgase aus Erdöl, Erdgas und Kohle klimarelevant sind und dass sie zur Aufheizung der Erde beitragen. Stattdessen wurde das Heraufziehen einer unübersehbaren Bedrohung von weltweiter Tragweite zugelassen.


In einem Sessel sitzend - Foto: Norwegische Nationalbibliothek, Public domain, via Wikimedia Commons

Svante August Arrhenius (ca. 1895)
Der schwedische Naturforscher berechnete schon recht genau die Wirkung von Kohlenstoffdioxid als Treibhausgas.
Foto: Norwegische Nationalbibliothek, Public domain, via Wikimedia Commons

Bereits 1895 wies der schwedische Chemiker und Physiker Svante August Arrhenius (19. Februar 1859 - 2. Oktober 1927) nach, dass das Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre die Wärmerückstrahlung der Erdoberfläche aufhält und somit zur Erwärmung der Erde beiträgt. Er gewann dem Trend noch die Hoffnung ab, dass dadurch die kälteren Regionen der Erde wärmer und lebensfreundlicher werden.

1978 veröffentlichte die US-Umweltbehörde EPA einen Report, in dem bereits gewarnt wurde, dass das Verbrennen fossiler Energieträger den Treibhauseffekt verstärkt und dass die Folgen "signifikant und zerstörerisch" sind. Angeregt durch diesen Report kontaktierten die Wissenschaftler Rafe Pomerance und Gordon MacDonald eine Reihe von Politikern und initiierten damit, dass die US-amerikanische Nationale Akademie der Wissenschaften 1979 den Report "Carbon Dioxide and Climate: A Scientific Assessment" (Kohlendioxid und Klima: Eine wissenschaftliche Bewertung) veröffentlichte. Die auch als "Charney-Report" bekannte Bewertung gilt als der erste offizielle Bericht, in dem der Einfluss von CO₂ auf das Klima anerkannt wird.

1981 traf sich Pomerance, der damals die Leitung der Umweltorganisation Friends of the Earth innehatte, mit dem Atmosphärenphysiker James Hansen, Direktor des Institute for Space Studies der NASA in Manhattan, und riet ihm, mit der US-Regierung über das Thema zu sprechen. 1988 warnten Hansen und andere Forscher vor einem US-Senatsausschuss vor der globalen Erwärmung als Folge der Treibhausgasemissionen. Daraufhin wurde seitens der US-Regierung unter Ronald Reagan nichts unternommen.


Stehend, mit Mikrophon in der Hand. Ihm zugewandt die Podiumsteilnehmer René Röspel und Jamais Cascio sowie die Moderatorin Katrin Vohland - Foto: © 2014 by Schattenblick

Rafe Pomerance verwies auf der "Climate Engineering Conference 2014: Critical Global Discussions" auf die hohen Kosten, die der Klimawandel verursacht, sollte beispielsweise der Eispanzer von Grönland abtauen.
(Museum für Naturkunde, Berlin, 19. April 2014)
Foto: © 2014 by Schattenblick

Mit "extremen" Klimaschutzmaßnahmen, die vor dem Hintergrund der Not plötzlich rational erscheinen, sind nicht jene halbgaren Versuche gemeint, die Produktionsverhältnisse im Verlauf von Jahrzehnten so umzugestalten, dass die Menge an emittierten Treibhausgasen mehr und mehr abnimmt, so dass gegen Mitte des Jahrhunderts der Erdatmosphäre seitens des Menschen rechnerisch nicht mehr klimarelevante Gase zugeführt werden, als ihr zuvor entzogen wurden.

Ein weitgehend verdrängtes Problem dieser Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft auf die "green economy": Der Klimawandel ist bereits angelaufen und die Folgen werden in den nächsten Jahren immer gravierender. Falls es nicht sowie schon dazu gekommen ist, drohen Kipppunkte überschritten zu werden, die unaufhaltsame Veränderungen in den Natursystemen auslösen. Denkbar wäre ein Abschmelzen der westantarktischen Gletscher (hat den Kipppunkt vielleicht schon überschritten) oder des grönländischen Eispanzers. Auch könnte der tropische Regenwald des Amazonasbeckens absterben oder der sogenannte Golfstrom, der Teil eines globalen Förderbands an Meeresströmungen ist, versiegen.

Abgesehen von der eingangs erwähnten Erzeugung administrativer Vorwandslagen bildete bereits die Veränderung der Natursysteme aufgrund des Verbrennens fossiler Energieträger ein hervorragendes Geschäftsmodell. Nun verspricht die Bewältigung der Katastrophe durch Geoengineering ebenfalls eine lukrative Aussicht auf Sicherung permanenter Profite.

Die Sonneneinstrahlung zu verringern, indem in der Stratosphäre eine Menge an Schwefelpartikeln versprüht wird, dass die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit steigt - dem Mindestziel des Pariser Abkommens -, belaufen sich laut dem Geoengineering-Experten Alan Robock von der Rutgers-Universität auf 20 bis 200 Milliarden Dollar jährlich.

Durch jene Schwefelaerosole würde die Einstrahlung der Sonne in 20 bis 50 Kilometer Höhe zurückgeworfen. Vermutlich sähe der Himmel, der durch diesen "Sonnenschirm" hindurch betrachtet würde, nicht mehr strahlend blau, sondern trübe aus; und die Sonnenuntergänge wären spektakulärer. Doch das blieben wohl die eher harmlosen Folgen solcher extremen Eingriffe in das globale Klimageschehen.

Die untere Atmosphäre, die Troposphäre, wäre für diese Form des Geoengineerings vollkommen ungeeignet, da die Aerosole sehr schnell ausgewaschen würden. In der Stratosphäre dagegen verteilten sie sich flächendeckend und fielen voraussichtlich erst nach ein, zwei Jahren herab. Das bedeutet jedoch, dass regelmäßig stratosphärenflugtaugliche Flugzeuge oder Höhenballone gestartet werden, um die Sonne mittels Aerosolen zu verdunkeln.


Blick aus rund 400 Kilometer Höhe auf den Pazifik, der zur Hälfte unter einem bräunlichen Rauchschleier liegt - Foto: NASA

Wenige Tage nach dem Vulkanausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha'apai im Königreich Tonga vom 13., 14. Januar 2022 hat sich eine Staub- und Aschewolke in der Stratosphäre über dem Südpazifik ausgebreitet und vermutlich einen Teil des Sonnenlichts reflektiert.
Aufnahme aus der Internationalen Raumstation ISS am 16. Januar 2022.
Foto: NASA

Die Wirkung des solaren Geoengineerings träte schnell ein. Das glaubt man aus dem gewaltigen Ausbruch des Vulkans Pinatubo am 12. Juni 1991 auf den Philippinen ableiten zu können. Berechnungen zufolge waren damals 17 Millionen Tonnen Schwefeldioxid (SO₂) in die Stratosphäre hinaufgeschleudert worden und haben sich von dort aus flächendeckend verteilt. Drei Jahre lang waren die Wolken zu erkennen. Die globale Durchschnittstemperatur sank ein, zwei Jahre lang um 0,4 Grad Celsius, auf der Nordhalbkugel etwas mehr, auf der Südhalbkugel etwas weniger. Eines der Konzepte zu künstlichen Schwefelinjektionen sieht nun vor, dass jährlich ungefähr die gleiche Menge an Schwefel wie beim Pinatubo-Ausbruch auf Höhe des Äquators in der Stratosphäre versprüht wird.

Würde man das machen, käme es zum Abbau des dort weit verbreiteten Ozons. Weil das eigentlich jede weitere Erwägung einer solchen Methode ausschließen sollte, wurde unter anderem von dem Forscher David Keith vorgeschlagen, Schwefel durch eine weniger schädliche Substanz zu ersetzen, beispielsweise Kalziumkarbonat. Dessen Aerosole würden sogar die Ozonbildung begünstigen, bewirbt er sein Verfahren.

Um zu verstehen, warum solares Geoengineering in keinem Fall eine gute Idee ist, obschon beispielsweise nur rund ein Hundertstel an Schwefel injiziert würde, als gegenwärtig bereits in die untere Atmosphäre aus künstlichen Quellen wie Fabriken, Autos, etc. emittiert wird, ist es nützlich, sich einen Begriff von dem zu machen, was als Stratosphäre bezeichnet wird und wie sie aufgebaut ist. Dann wird deutlich, dass solares Geoengineering, ob mit Schwefel oder Kalk betrieben, auf Stochern im Nebel hinausläuft: Man weiß nicht, aus welcher Richtung sich die Gefahr nähert.


Der auf einem Stuhl sitzende Teisserenc de Bort blickt durch ein Fernglas. Decaudin-Labesse steht hinter ihm, mit Stift und Notizheft in der Hand - Foto: Auguste Maure, Fernand Foureau, Public domain, via Wikimedia Commons

Der französische Meteorologe Léon-Philippe Teisserenc de Bort (5. November 1855 - 2. Januar 1913) war einer der Entdecker der Stratosphäre. Hier bei seiner Forschungsarbeit zusammen mit Decaudin-Labesse (stehend).
Foto: Auguste Maure, Fernand Foureau, Public domain, via Wikimedia Commons


Die Stratosphäre - in mancher Hinsicht unbekanntes Gebiet

Über die Stratosphäre, die in Höhe unseres Breitengrads nicht einmal 15 Kilometer entfernt ist - allerdings nach oben -, liegen verglichen mit der Troposphäre deutlich weniger Daten vor. Ein Vergleich zu horizontalen Entfernungen: Bewegt man sich vom Zentrum der Hansestadt Hamburg 15 Kilometer nach Westen oder Osten fort, hätte man noch nicht einmal den Stadtrand erreicht. Das scheint keine aufregend weite Entfernung zu sein; sie zurückzulegen sollte eigentlich kein Abenteuer sein (es sei denn, man ist mit dem Fahrrad unterwegs ...). Ganz anders, wenn die Strecke senkrecht nach oben führt. Die ersten Ballonfahrer, die sich auf den Weg begaben, den Himmel zu erkunden, sind bei dem Versuch in Bewusstlosigkeit gefallen und knapp dem Tod entronnen.

Die untere Grenze der Stratosphäre (Tropopause) liegt an Nord- und Südpol in etwa 8 Kilometer und am Äquator in rund 18 Kilometer, die obere Grenze (Stratopause) in etwa 50 Kilometer Höhe. Es existiert kein gleichmäßiger polwärts gerichteter Abfall der Tropopause und auch keine unveränderliche Grenze zwischen Troposphäre und Stratosphäre. Vielmehr wird von einem Grenzbereich gesprochen. Dieser verändert sich unter anderem mit den Jahreszeiten und Windströmungen. Troposphärische Wolken können in die Stratosphäre eindringen, umgekehrt können stratosphärische Luftbewegungen unser troposphärisches Wetter beeinflussen. Darauf werden wir weiter unten noch eingehen.


Von zahlreichen Seilen am Boden gehaltener, halb aufgeblasener, etwa zehn Meter hoher Ballon, Rundum Menschen, im Hintergrund ein längliches Gebäude - Foto: Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons

Am 31. Juli 1901 starteten die deutschen Meteorologen Arthur Berson und Reinhard Süring mit dem Ballon "Preussen" (hier noch beim Befüllen mit Wasserstoff) vom Tempelhofer Feld in Berlin zum Weltrekordflug. In 10.500 Meter Höhe fielen beide in Bewusstlosigkeit und verloren ihre Atemschläuche, über die sie sich Sauerstoff zugeführt hatten. Als Berson schläfrig wurde, hat er noch rechtzeitig die Leine zum Ablassen von Wasserstoff ziehen können. Vermutlich stieg der Ballon noch bis auf 10.800 Meter auf und fiel dann rasch herunter. Beide erwachten bei etwa 6000 Metern, erst bei 2500 Metern bekamen sie den Ballon unter Kontrolle und landeten schließlich sicher in der Nähe von Briesen im Spreewald.
Foto: Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons

Ungeachtet der Veränderlichkeit der Tropopause lässt sich die untere Atmosphärenschicht dennoch deutlich von der darüberliegenden unterscheiden. Die Temperatur nimmt mit dem Übergang von der Troposphäre zur Stratosphäre nicht mehr ab, sondern ab einem kurzen Bereich des Verharrens kontinuierlich zu. Das hat nicht zuletzt mit dem Ozon zu tun, das sich in der Stratosphäre gebildet hat.

In der unteren Atmosphäre dominiert die Luftzirkulation in komplexen Wechselverhältnissen von Temperatur, Feuchtigkeit, Dichte und wird stark beeinflusst von der Meer-Landverteilung sowie weiteren geographischen Bedingungen (Gebirge, Vegetation, Besiedlung, u.a.). Die obere Atmosphäre dagegen ist geschichtet und so beschaffen, dass es mit zunehmender Höhe wärmer wird und Luftbewegungen nicht vertikal, sondern vor allem horizontal stattfinden.

In der Stratosphäre existiert so gut wie kein Wasserdampf. Wer schon mal einen Transkontinentalflug absolviert hat, hat vielleicht mit eigenen Augen gesehen, wie kristallklar die Luft oberhalb der Wolken erscheint. Erst das womöglich mit Rütteln verbundene Durchstoßen der Wolkendecke mit dem Flugzeug, dann die "Stille" und der nahezu ungetrübte Blick bis zum fernen Horizont - keine Frage, für das Auge des Betrachters unterscheiden sich Troposphäre und Stratosphäre deutlich voneinander.


Stellschraubenverdreher

Wenn so etwas wie Stellschrauben des Planeten Erde existieren, dann hat der Mensch mit seiner technologischen Entwicklung, die vor allem durch das Verbrennen fossiler Energieträger angetrieben wird, an ihnen gedreht. Die Erde wird weiter aufgeheizt. "Selbstverbrennung" nennt das der Klimawissenschaftler und Quantenphysiker Hans Joachim Schellnhuber in seinem gleichnamigen Buch aus dem Jahr 2015.

Der Klimawandel betrifft nicht nur die Troposphäre, sondern auch die Stratosphäre. Dort findet jedoch keine globale Erwärmung statt, sondern eine globale Abkühlung. Eingedenk der noch gar nicht absehbaren negativen Folgen dieses von Menschen verursachten Trends, könnte man auch von einer globalen Erkältung sprechen. In dieser Region der dünnen Lufthülle des Planeten einen Sonnenschirm aus Schwefelpartikeln aufzuspannen scheint keine gute Idee zu sein. Fährt doch gerade der Mensch mit seinem ersten Geoengineering-Projekt, bei dem binnen weniger Jahrhunderte über Millionen von Jahren herangebildete fossile Energieträger verheizt werden, mit zunehmender Geschwindigkeit den Hang des evolutionären Niedergangs hinab.

Wissenschaftlichen Berechnungen zufolge gibt es in der Troposphäre eine Reihe von Kipppunkten, die man zu kennen glaubt, und womöglich noch weitere, unbekannte Kipppunkte. Sobald diese überschritten werden, verändert sich das regionale Klimasystem, bis ein neuer Zustand erreicht ist. Der sieht dann ganz anders aus. Wenn beispielsweise der Amazonas-Regenwald weiter abgeholzt und seine Fläche verkleinert wird oder der stockwerkartig aufgebaute Tropenwald durch monokulturellen Plantagenwald ersetzt wird, kann es geschehen, dass ein Kipppunkt überschritten wird, ab dem der Wald so wenig Wasser verdunstet, dass er nicht mehr wie bisher Wolken und damit seinen eigenen Regen produziert. Daraufhin würde der Regenwald beschleunigt verschwinden und das Amazonasbecken austrocknen, vergleichbar mit der Sahelzone in Afrika.


Zwei Forscher, einer mit einem Ballon, der andere mit einem Schreibblock in der Hand, stehen vor einer Hütte. Darin und im Umfeld Vertreter der einheimischen Bevölkerung - Foto: Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons

Im Schutz der kolonialen Unterwerfung Ostafrikas wies der Forscher und Ballonfahrer Arthur Berson die Existenz der Stratosphäre in den Tropen nach und fand heraus, dass sie dort sehr viel höher liegt als in den gemäßigten Breiten. Auch wies er die später nach ihm benannten Westwinde in über 18.000 Meter Höhe nach. Bis dahin hatte man aufgrund der Rauchwolken aus dem Ausbruch des Vulkans Krakatau 1883 angenommen, dass in der tropischen Stratosphäre Ostwinde herrschen.
1908 führte der Forscher einen Pilotballonaufstieg an der Moribucht des Viktoriasees im Rahmen der Aerologischen Ostafrikaexpedition des Königlichen Aeronautischen Observatoriums bei Lindenberg durch.
Foto: Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons

Ein weiterer Kipppunkt liegt im Eispanzer von Grönland. Je mehr er abschmilzt, desto mehr gerät seine Oberfläche in tiefer gelegene und damit wärmere Luftschichten und schmilzt um so schneller ab. Das trägt zum weltweiten Anstieg des Meeresspiegels bei. Zugleich verliert der Eispanzer so viel Masse, dass das darunterliegende Gestein entlastet wird und sich hebt. Durch diese Druckentlastung treten verstärkt Erdbeben auf, durch die möglicherweise arktische Methanvorkommen freigesetzt werden. Ein Teil des Methans könnte bis in die Stratosphäre aufsteigen, was den Effekt hätte, dass sich diese tendenziell erwärmt.

In der Arktis lagern voraussichtlich Hunderte Millionen Tonnen Methan, teils als freies Gas, teils als gefrorenes Hydrat. Im Dezember 2011 berichtete der russische Wissenschaftler Igor Semiletov über Methanemissionen aus dem flachen Meeresboden nördlich von Sibirien in einer Größenordnung, wie sie noch nie zuvor beschrieben worden seien. Einige der aufsteigenden Methanblasen besäßen einen Durchmesser von über einen Kilometer, und das Gas sei direkt in die Atmosphäre entwichen. Die dort gemessene Methankonzentration läge bis zu hundertmal über dem normalen Wert.

Wieviel Methan davon bis in die Stratosphäre gelangt, ist nicht bekannt, aber dass einiges davon dorthin wandert schon. Methan hat eine Halbwertszeit von 12 Jahren, ist jedoch über diesen Zeitraum ein 87-mal so potentes Treibhausgas wie CO₂. Durch das Methan wird nicht nur die untere, sondern auch die obere Atmosphäre aufgeheizt. Zugleich beschleunigt es dort den Abbau von Ozon.

Das Bild, das sich die Wissenschaft über das Verhältnis von Troposphäre und Stratosphäre macht, hat sich in den letzten zwanzig Jahren deutlich gewandelt. Immer öfter werden Belege für beachtliche Wirkzusammenhänge zwischen diesen Atmosphärenschichten festgestellt. Es gibt keinen triftigen Grund anzunehmen, dass in der oberen Atmosphäre nicht ebenfalls Kipppunkte existieren, von denen man nichts weiß. Allein der Umstand, dass man sie nicht kennt, bedeutet ja nicht, dass sie nicht vorhanden sind. Womöglich würde man ein Überschreiten erst merken, wenn es zu spät ist.


Schichten der Atmosphäre bis in 500 km Höhe - Grafik: Wissensplattform eskp.de, CC BY 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/]

Temperaturverlauf der Atmosphäre (rote Kurve) und Reichweite verschiedener Forschungsplattformen. Zum Vergleich ausgewählte Wetterphänomene.
(Zur Veranschaulichung wurde hier die Darstellung insbesondere der Troposphäre stark überhöht gezeichnet.)
Grafik: Wissensplattform eskp.de, CC BY 4.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/]

Es gibt drei großräumige Windsysteme in der Stratosphäre, zwei etwa 1000 Kilometer durchmessende Wirbel (Polare Vortices) und eine breite, kräftige Windströmung um den Äquator. Letztere hat einen ziemlich sperrigen Namen und wird quasi-zweijährige Schwingung, auch quasi-biennale Oszillation oder als Akronym QBO (von englisch "quasi-biennial oscillation") genannt. Großräumige atmosphärische Wellen, die vorwiegend horizontal verlaufen, stellen das Bindeglied zwischen der äquatorialen Strömung und den polaren Wirbeln dar. In der Stratosphäre findet keine vergleichbare Konvektion der Luft wie in der Troposphäre statt.

In der oberen Atmosphäre treten Phänomene wie der polare Vortex auf, von denen angenommen werden kann, dass sie vom solaren Geoengineering beeinflusst würden. Zum Beispiel die "plötzliche stratosphärische Erwärmung" (SSW - Sudden Stratospheric Warming). Etwa alle zwei Jahre, wenn auf der Nordhalbkugel Winter herrscht, erwärmt sich die dann rund -70 Grad Celsius kalte Stratosphäre binnen weniger Tage um bis zu 50 Grad (Berliner Phänomen, benannt nach R. Scherhag, der dies erstmals 1952 über Berlin beobachtet hat). Zur gleichen Zeit bricht der Polarwirbel über der Arktis zusammen. Anschließend baut er sich wieder auf, doch nun weht der Wind in die entgegengesetzte Richtung! Kam er zuvor aus dem Westen, kommt er nun aus dem Osten, oder eben umgekehrt.

Dieser Vorgang hoch über unseren Köpfen bleibt nicht ohne Folgen für das Wetter in den hiesigen Breiten. In der Phase des kollabierten polaren Vortex bilden sich vorzugsweise meteorologische Konstellationen heraus, bei denen die Menschen in Westeuropa der arktischen Luft aus dem Norden oder der aus dem kontinentalen Osten ausgesetzt sind. In solchen Fällen ist auf den Wetterkarten zu erkennen, dass zwischen dem Islandtief und dem Azorenhoch - von diesen beiden großräumigen Gebieten wird das Wetter in Mitteleuropa maßgeblich bestimmt - ein vergleichsweise geringer Druckunterschied besteht. Deswegen sind plötzliche Stratosphärenerwärmungen auch fester Bestandteil der meteorologischen Modellbildung und Beispiele dafür, wie intensiv Wechselwirkungen zwischen Stratosphäre und Troposphäre stattfinden.

Solares Geoengineering hätte nicht nur Folgen für die untere, sondern auch die obere Atmosphäre und über diesen Umweg wiederum Auswirkungen auf die untere. Es ist bekannt, dass ein Zusammenhang zwischen einem ausgeprägten, schnellen Polarwirbel und einer Abnahme der Ozonkonzentration besteht. Aber gilt das auch umgekehrt? Würde eine Abnahme des Ozons aufgrund von künstlichen Schwefelinjektionen den Polarwirbel stärken? Dann würde der Winter in Westeuropa relativ milde ausfallen, wenn solares Geoengineering betrieben wird, nicht aber in anderen Weltregionen. Sie würden unter der Kälte leiden.

Abgesehen von der plötzlichen Erwärmung der Stratosphäre und der Abschwächung des Polarwirbels (oder dessen Verlagerung oder Aufspaltung, auf die wir hier nicht eingehen) wird häufig noch ein weiteres Phänomen genannt, welches "von oben herab" das Wetter in der Troposphäre verändert und umgekehrt vom Wetter beeinflusst wird, die bereits erwähnte quasi-zweijährige Schwingung QBO.

Ein ähnliches Windumkehrgeschehen wie an den Polen mit ihren ausgedehnten Wirbeln wird nämlich auch über dem Äquator für die Stratosphäre beobachtet. Die QBO tritt alle 22 bis 34 Monate in 16 bis 40 Kilometer Höhe auf, mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 106 Stundenkilometern, wenn der Wind aus Osten weht, und bis zu 56 Stundenkilometern bei westlichem Wind.

Kommt der Wind aus dem Osten ("Krakatau-Ostwinde"), verstärkt dies den oben erwähnten arktischen Polarwirbel - in Mitteleuropa herrscht dann meist relativ mildes Wetter. Bläst der Wind der quasi-zweijährigen Schwingung von West nach Osten (nach ihrem Entdecker werden sie "Berson-Westwinde" genannt), geht das mit einer Schwächung des Polarwirbels einher. Deutschland beispielsweise würde dann von der sibirischen Kaltfront heimgesucht.


Ups ...

Seit Beobachtungsbeginn 1953 fand das Phänomen zuverlässig statt. Die etwas schwächeren westlichen Winde, die in der oberen Stratosphäre ihren Anfang nehmen und knapp einen Kilometer pro Monat absteigen, lösen die kräftigeren, östlichen Winde ab, nur um nach rund zwei Jahren ihrerseits abgelöst zu werden. Doch Ende 2015 setzte das System für sechs Monate aus. Eine hinreichend plausible Erklärung hierfür hatte die Wissenschaft nicht. Paul Newman, Chefwissenschaftler für Geowissenschaften am Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, US-Bundesstaat Maryland, und Hauptautor einer Studie in den "Geophysical Research Letters" (8.8.2016) erklärte über dieses außergewöhnliche Phänomen, man müsse nun untersuchen, ob es sich bei dem Ereignis um einen "schwarzen Schwan" handelt, also um ein seltenes Ereignis, oder um einen "Kanarienvogel im Bergwerksstollen", der unvorhergesehene Umstände ankündigt ...

Wenn zwei Wettervorgänge weit voneinander entfernt stattfinden und dennoch augenscheinlich in einem Wirkzusammenhang zu stehen scheinen - beispielsweise das Azorenhoch und das Islandtief, die als "Nordatlantische Oszillation" zusammengefasst werden -, spricht man in der Meteorologie von "Telekonnektion". Bei der Frage, ob ein beobachtetes meteorologisches Phänomen Ursache oder Folge eines anderen Phänomens ist, dreht man sich allerdings im Kreis. Entscheidend ist jedoch, dass die Stratosphäre offenbar ein nicht weniger empfindliches System darstellt als die Troposphäre, und dass innerhalb der beiden Atmosphärenschichten, ebenso wie untereinander ausgeprägte Telekonnektionen existieren. In diese "Abläufe" würde der Mensch mit solarem Geoengineering eingreifen. Wir vermeiden an dieser Stelle den Begriff "Getriebe", denn damit würde nahegelegt, dass die Vorgänge zumindest prinzipiell zu begreifen sind und der Mensch sie schon einigermaßen gut verstanden hat.


Versuch und Irrtum

Von der Entschwefelung der Industrien zur Verschwefelung der Stratosphäre - wenngleich von der Menge her um Größenordnungen geringer -, könnten doch entscheidende Grenzwerte überschritten werden. Schließlich sind es bei jedem Kipppunkt die winzigen Momente, die den eigentlichen Grenzübertritt auslösen, also das Zünglein an der Waage darstellen. Solares Geoengineering betreiben zu wollen erweckt den Eindruck der Fortsetzung der frühkindlichen Herangehensweise von Versuch und Irrtum - mit dem nicht zu vernachlässigenden Unterschied der Dimension der potentiellen Schadensfolgen. Ein Bauklotz, der nicht in die vorgesehene Aussparung passt, würde vom Kleinkind beiseite gelegt, das daraufhin vermutlich einen anderen nimmt. Das Worst-case-scenario in diesem Fall bestünde vermutlich in einem enttäuschten Geplärre des experimentierfreudigen Knirpses. Die potentiellen Schadensfolgen globaler Klimaexperimente dagegen kennt niemand. Aber eines scheint doch hinreichend plausibel zu sein: bei einem Fehlversuch wäre es mit Geplärre nicht getan.

Die Beschreibungen der zahlreichen Lücken im Begreifen der möglichen Folgen von Geoengineering in wissenschaftlichen Publikationen haben nicht automatisch den Zweck und die Funktion, ein für alle Mal die Finger davon zu lassen. Womöglich sollen die Lücken auch gefüllt werden. Dadurch könnte sich mit der Zeit der Eindruck verfestigen, dass die Folgen von Geoengineering akzeptabel und kontrollierbar sind. Viele Forscherinnen und Forscher, die sich mit dem Thema befassen, warnen jedoch vor den absehbaren und unabsehbaren Folgen.

So heißt es in einer Studie, die der Atmosphärenwissenschaftler und Hauptautor Thomas Reichel von der Universität Utah in der Fachzeitschrift "Nature Geoscience" (2012) veröffentlicht hat, dass ein Zusammenbruch des Polaren Vortex nicht nur das Wetter der Troposphäre im Bereich des Nordatlantiks beeinflusst, sondern dass sich das wiederum auf die Meeresströmung südlich von Grönland bis in ein, zwei Kilometer Tiefe auswirkt. Dieser direkte Zusammenhang von oberer und unterer Atmosphäre und Ozean sei von globaler Bedeutung für das weltweite ozeanische Strömungssystem. Sollten die Menschen die Stratosphäre modifizieren, wie sie es bereits hinsichtlich des Ozonabbaus und der CO₂-Emissionen getan haben, könnte das den Ozean verändern und damit das globale Klima.

Vor einer Nebenwirkung des solaren Geoengineerings wird schon seit längerem gewarnt. Wie oben erwähnt würden künstlich eingebrachte Schwefelpartikel nachhaltig das Ozon in der Stratosphäre zersetzen. Ohne eine Ozonschicht werden die Menschen nach kurzer Zeit Sonnenbrand bekommen, Augenschäden erleiden und sie wären hochgradig hautkrebsgefährdet. Auch Pflanzen und Tiere litten massiv unter der nahezu ungehindert eintreffenden, aggressiven UV-Strahlung.

Abgesehen von den Risiken für die Natursysteme durch solares Geoengineering besteht eine weitere Gefahr darin, dass dadurch ein Krieg oder gar Atomkrieg ausgelöst wird. Denn Staaten, deren landwirtschaftlicher Anbau durch Geoengineering geschädigt würde, werden sich dagegen zur Wehr setzen. So gilt es als sicher, dass die Monsunregenfälle in Asien geringer ausfallen würden. Deswegen dürften sich Indien, China und andere betroffene Länder aus nachvollziehbaren Gründen gegen solares Geoengineering aussprechen. Ein Alleingang beispielsweise der USA birgt in dieser Hinsicht extreme Gefahren. Selbst wenn beispielsweise eine Dürre in Asien nicht durch die extreme Klimaschutzmaßnahme ausgelöst worden wäre, würden diese Länder den Verdacht hegen, dass sie Opfer von Kollateralschäden und damit eines absichtlichen Klimakriegs geworden sind.

Als Mitte der achtziger Jahre entdeckt worden war, dass die Ozonschicht über der Antarktis bereits zu 40 Prozent ausgedünnt ist und dass dafür die in Kühlschränken und Spraydosen enthaltenen sowie bei der Herstellung von Schaumstoffen verwendeten, erstmals 1929 synthetisierten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKWs) hauptverantwortlich sind, haben 25 Staaten am 16. September 1987 das internationale Montrealer Abkommen zum Schutz der Ozonschicht vereinbart.

An dieser Stelle soll nicht die Frage erörtert werden, ob die rasche internationale Einigung weniger mit einem plötzlich erwachten Umweltbewusstsein zu tun hatte als vielmehr damit, dass mit den Ersatzstoffen der FCKWs reichlich Geld zu verdienen war und sowieso der Schutz einer Reihe von Patenten des weltweit führenden US-amerikanischen FCKW-Herstellers DuPont in Bälde ausgelaufen wäre, so dass er drohte, seine hervorgehobene Marktstellung zu verlieren. Vielmehr geht es hier um die Aussage, dass auf die Ozonschicht nicht verzichtet werden kann. Sie ist systemrelevant für das Leben. Sie aufs Spiel zu setzen wäre ... Selbstverbrennung.

Lässt sich über solares Geoengineering, bei dem allein die Regulierung der Temperatur in Angriff genommen wird, wieder ein Zustand des globalen Klimas wie vor Beginn des industriellen Zeitalters herstellen? Oder würden sich in der Stratosphäre, die sich bei der absichtlichen Klimabeeinflussung umgekehrt zur Abkühlung der unteren Atmosphäre erwärmen würde, noch nie dagewesene Verhältnisse einstellen, von denen wiederum Rückwirkungen auf die Troposphäre stattfinden?

Indizien hierfür wurden bereits entdeckt. So berichteten Antara Banerjee und ihre Kollegen in der wissenschaftlichen Zeitschrift "Atmospheric Chemistry and Physics" (Mai 2021) über die Ergebnisse ihrer Computerberechnungen, denen zufolge die durch künstlich eingebrachte Schwefelpartikel ausgelöste Erwärmung der Stratosphäre den Polarwirbel verstärken wird und dass ein wesentlicher Unterschied in der Klimareaktion unter Geoengineering im Vergleich zu einem Klima ohne Geoengineering besteht.


Ballonkorb mit Berson, der durchs Fernglas blickt, und Groß, der einen Beutel Sand über die Korbwand schüttet - Zeichnung: Hans Groß (1860-1924), Public domain, via Wikimedia Commons

Die Stratosphäre im Blick, aber noch nicht erreicht: Hans Groß und Arthur Berson an Bord während einer wissenschaftlichen Luftfahrt 1894.
Zeichnung: Hans Groß (1860-1924), Public domain, via Wikimedia Commons


... in den Startlöchern

Angeblich betragen die Kosten für solares Geoengineering mit Schwefelinjektionen der Stratosphäre nur ein Prozent der Kosten für die Klimaforschung - eine Rechnung, bei der die Schadensbehebung unbekannter, vermeintlicher "Neben"-Effekte nicht berücksichtigt worden ist. Voraussichtlich wird der Weltklimarat (IPCC - Intergovernmental Panel on Climate Change) in seinem für April dieses Jahres angekündigten Report auch auf den aktuellen wissenschaftlichen Stand von Geoengineering eingehen.

Laut Janos Pasztor, Direktor der Carnegie Climate Governance Initiative und ehemaliger stellvertretender UN-Generalsekretär, wird das Thema Geoengineering im September nächsten Jahres erstmals auf der UN-Generalversammlung besprochen werden (Foreign Policy, 17. Januar 2022). Und die einflussreiche Nichtregierungsorganisation Paris Peace Forum hat eine Kommission (Global Commission on Governing Risks from Climate Overshoot) eingerichtet, die für den Fall, dass die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens nicht eingehalten werden (und das werden sie bislang nicht), unter anderem die Chancen und Risiken von solarem Geoengineering untersuchen soll. Den Vorsitz der Kommission wurde Pascal Lamy, dem ehemaligen Chef der World Trade Organisation (WTO), übertragen.

Die inzwischen vielfachen politischen Initiativen, die solares Geoengineering als potentielle Lösung der globalen Klimakrise ansehen und das Tempo forcieren, könnten einer der Gründe sein, weswegen von Seiten der Wissenschaft auch andere Stimmen zu vernehmen sind. So wird in dem oben erwähnten offenen Brief, für den Frank Biermann hauptverantwortlich zeichnet, vorgeschlagen, dass das zu vereinbarende Abkommen zur Nichtnutzung von solarem Geoengineering die Unterzeichnerstaaten dazu verpflichten sollte,

1. ihren nationalen Finanzierungsstellen zu verbieten, die Entwicklung von Technologien für solares Geoengineering zu unterstützen, sowohl im Inland als auch durch internationale Institutionen,

2. Experimente mit solaren Geoengineering-Technologien im Freien in Gebieten unter ihrer Gerichtsbarkeit zu verbieten,

3. keine Patentrechte für Technologien zum solaren Geoengineering zu erteilen, einschließlich der Unterstützung von Technologien wie die Nachrüstung von Flugzeugen für Aerosol-Injektionen,

4. keine Technologien für solares Geoengineering einzusetzen, wenn diese von Dritten entwickelt wurden,

5. sich gegen eine zukünftige Institutionalisierung des planetaren solaren Geoengineerings als politische Option in relevanten internationalen Institutionen, einschließlich der Bewertungen durch den IPCC auszusprechen.

Die Autorinnen und Autoren möchten explizit nicht dahingehend verstanden werden, dass sie die Forschungsfreiheit einschränken wollen. Jedoch sei aus ihrer Sicht sowieso damit zu rechnen, dass die Forschungen an solarem Geoengineering eingestellt werden, sobald die Staaten sich zu dem Abkommen bekennen.


Aus dem Westen nichts Neues ...

So gut begründet dieser Appell auch formuliert ist und so zahlreich die Medien auf ihn eingegangen sind, ist doch fraglich, ob man sich daran erinnern wird, wenn der Klimawandel weiter voranschreitet und die Not wächst.

Bei der Verengung des Blicks durch solares Geoengineering allein auf den globalen Temperaturverlauf wird vernachlässigt, dass die Weltmeere weiter versauern und das heutige Artensterben zehn- bis hundertmal schneller abläuft als im Durchschnitt der letzten zehn Millionen Jahre. Und unter den gegenwärtigen Produktionsverhältnissen und bei der vorherrschenden Eigentumsordnung blieben mehrere Milliarden Menschen mangelernährt und verarmt. Deren Not würde solares Geoengineering nicht beheben. Das bedeutet umgekehrt, dass es sich dabei von vornherein um ein Elitenprojekt handelt, mit dem wieder einmal die Lebensverhältnisse der privilegierten Klientel gesichert werden sollen.


7. Februar 2022

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 171 vom 12. Februar 2022


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