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RESSOURCEN/104: US-Karte zur Arktis - Erdöl und Erdgas im Visier (SB)


Rußland bleibt längere Zeit Führungsmacht bei strategischen Erdgasreserven

Geologische Erforschung und Aufbau militärischer Infrastrukturen reichen sich in der Arktis die Hand


In der Arktis liegen rund 30 Prozent der weltweit unentdeckten Erdgas- und vier Prozent der Erdölreserven, lautet das Ergebnis einer in der vergangenen Woche veröffentlichten Studie internationaler Wissenschaftler unter Leitung des Geologischen Dienstes der USA. [1] Damit werden frühere Abschätzungen bestätigt. Man kann mit einiger Berechtigung davon ausgehen, daß diese Ressourcen nicht unangetastet bleiben sollen. Wobei die naheliegende Befürchtung, daß es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten aufgrund der wirtschaftlichen Nutzung der Arktis zu massiven Umweltzerstörungen kommt, angesichts der wachsenden Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung und damit einhergehender Zerstörungen der Ökosysteme sogar noch zu vernachlässigen sein dürfte. Für eine dritte Option, die auf eine weitreichende Schonung der Ressourcen, Vermeidung industriellen Ressourcenabbaus und Bewahrung der empfindlichen polaren Ökosysteme hinausliefe, spricht nach heutigen Erkenntnissen wenig.

Die Erwärmung der Arktis wird die Exploration und den Abbau von arktischen Lagerstätten wesentlich erleichtern. Zudem werden die technologischen Möglichkeiten, im Offshore-Bereich Rohstoffe wie Erdgas, Erdöl, Diamanten, Gold und andere Mineralien abzubauen, laufend weiterentwickelt. Somit stehen dem Abbau prinzipiell keine technologischen Grenzen im Weg. Zumal der neuen Science-Studie zufolge das meiste Erdöl, dessen Menge unter der Arktis auf 83 Milliarden Barrel geschätzt wird, in flacheren Gewässern liegen soll.

Forschungsleiter Donald Gautier vom US Geological Survey im kalifornischen Menlo Park glaubt nicht, daß die Arktis den Golfstaaten hinsichtlich der Erdölförderung den Rang abläuft. 90 Milliarden Barrel entspricht dem, was global innerhalb von drei Jahren verbraucht wird. Die weltweiten Erdölreserven werden auf 1.238 Milliarden Barrel geschätzt. [2]

Anders sieht es hingegen beim Erdgas aus. Die Erdgasvorkommen konzentrierten sich vor allem auf russischem Gebiet, was nahelege, daß die russische Vorherrschaft über die strategischen Gasreserven künftig noch ausgedehnt wird, so Gautier. Zwei Drittel der unentdeckten Gasreserven liegen in den Gebieten Nördliches Barentsbecken, Südliches Barentsbecken, Alaska-Plattform und Südliche Karasee - letztgenanntes Gebiet, das zu Rußland gehört, birgt allein 39 Prozent der unentdeckten Gasreserven.

Die US-Forscher haben geologische Untersuchungen unter anderem von Wissenschaftlern aus Deutschland, Kanada, Dänemark und Norwegen ausgewertet, um daraus eine Karte über die arktischen Lagerstätten anzufertigen. Dabei haben sie Vergleiche zwischen den arktischen Sedimentgesteinen und denen aus anderen Weltregionen gezogen und so auf die Wahrscheinlichkeit zurückgeschlossen, daß auch in der Arktis Erdgas- und -ölvorkommen in den entsprechenden Schichten lagern.

Es handelt sich um eine Voruntersuchung, wie sie in der Regel Explorationen, bei denen schließlich Bohrungen durchgeführt werden, vorausgeht. Mit einer wirtschaftlichen Nutzung der Arktis ist fest zu rechnen. Die in dieser Studie anerkannte Dominanz Rußlands auf dem Gebiet des Energieträgers Erdgas auch in arktischen Gewässern dürfte ein Problem für die NATO-Staaten darstellen, die seit dem Auseinanderfallen der Sowjetunion vor zwanzig Jahren eine Politik der Einkreisung und Entwaffnung Rußlands als Rechts- und militärischer Nachfolger der Sowjetunion betreiben. Abgesehen von wachsenden imperialistischen Vorfeldkämpfen und Positionsringen zwischen USA und EU steht für beide gemeinsam der größte Feind im Osten. Das riesige Arsenal an Kernwaffen und die Fähigkeit, sie an jedem Punkt der Erde zum Einsatz bringen zu können, ist ein Pfand in der Hand Rußlands, das vermutlich ein noch viel aggressiveres Vorgehen der NATO bei der Einkreisungsstrategie verhindert hat.

Der von den USA rüstungstechnisch, planerisch und ideologisch befeuerte Georgienkrieg, der zum vorübergehenden Einmarsch russischer Truppen und Anerkennung der Souveränität der Republiken Abchasien und Südossetien durch Rußland führte, die Aufnahme der baltischen Republiken in die NATO, der geplante Aufbau eines auf die Ausschaltung der Zweitschlagskapazität Rußlands zielenden Raketenabwehrschirms in Polen und Tschechien, die Versuche der EU, Belarus von Rußland abzuspalten, die permanenten, von partiellen Erfolgen gekrönten Versuche, militärische Stützpunkte in den zentralasiatischen Republiken aufzubauen, die Kriege in Afghanistan und Irak und die erneute Aufnahme von Verhandlungen über die Begrenzung von Atomwaffen und Trägersystemen durch das START-Abkommen haben allesamt die Funktion, Rußland weiter einzukreisen und zu schwächen.

Der Kampf um die Ressourcen der Arktis dürfte nach dieser Studie weiter zunehmen, prophezeite der "Guardian". Worüber die Zeitung nicht schreibt und was bisher kaum thematisiert wird: Nicht nur die wirtschaftliche Nutzung gefährdet die arktischen Ökosysteme, sondern auch dieumfangreichen militärischen Aktivitäten. Der Ausbau und vermehrte Betrieb der kanadischen Militärstützpunkte auf Ellesmere Island und der Baffin-Insel, die Manöver Kanadas, Rußlands und der USA in den nordpolaren Regionen, die mittlerweile wieder täglichen Patrouillenflüge Rußlands über der Arktis, das Sondieren durch U-Boote unter dem Eis des Nordpols gehen mit Umweltverschmutzungen einher, von denen angenommen werden kann, daß sie nicht nur die submarine und an Land lebende Flora und Fauna betreffen, sondern auch den Rückgang der Eisfläche fördern (beispielsweise durch Rußablagerungen auf der Eis- und Schneefläche).

Das alles wäre jedoch vernachlässigbar gegenüber den Auswirkungen eines militärischen Konflikts in dieser Region. Rußland hat in Georgien deutlich gemacht, daß es die Einhegungsstrategie des Westens nicht weiter hinnehmen wird. Das gilt für die Arktis mindestens genauso. Sollten sich die Unterzeichner des Arktisvertrags nicht über die Aufteilung der Arktis in Wirtschaftsnutzungszonen einigen, läge sofort die militärische Option auf dem Tisch. Alle Bemühungen, diese besondere Region vor Umweltzerstörungen zu bewahren, wären dann hinfällig; sie würden zunichte gemacht von imperialistisch agierenden Gesellschaften, deren Gegenstück zur territorialen Expansion in der Qualifizierung von auf Ausbeutung beruhenden Produktionsverhältnissen zu verorten ist. Nur durch eine vollständige Entmilitarisierung der Arktis wären die oben angedeuteten destruktiven Folgen zu verhindern.


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Anmerkungen:

[1] "Assessment of Undiscovered Oil and Gas in the Arctic", Donald L. Gautier, u.a., 29. Mai 2009. Science 324 (5931), 1175. [DOI: 10.1126/science.1169467]
http://sciencenow.sciencemag.org/cgi/content/full/sciencenow;2009/528/2

[2]"New survey of Arctic's mineral riches could stoke international strife", The Guardian, 29. Mai 2009
http://www.guardian.co.uk/environment/2009/may/29/survey-arctic-gas-oil-reserves

31. Mai 2009