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RESSOURCEN/117: ActionAid - verhängnisvolle Biospritziele der EU (SB)


Ersatz für fossile Energieträger treibt Hungerentwicklung voran

Jatropha und andere "Energiepflanzen" erweisen sich im Rahmen industrieller Verarbeitung als Verarmungsmittel


Als vor vielen Jahren Entwicklungshelfer "entdeckten", daß Jatrophanüsse ölhaltig sind und daß dieses brennbare Öl relativ einfach mechanisch herausgepreßt werden kann, da hofften sie, durch die Verbreitung der Pflanze Armut und Hunger in der dritten Welt bekämpfen zu können. Zumal Jatropha relativ genügsam ist, auf kargen Böden und bei wenig Wasser gedeiht. Vor allem Frost macht ihr zu schaffen, aber damit ist zumindest in den tropischen Breiten kaum zu rechnen. Die ursprünglich aus Südamerika stammende Pflanze wird in Afrika traditionell als natürliche Feldbegrenzung und Schutz vor Wildfraß eingesetzt, denn auch Tiere fressen das giftige Wolfsmilchgewächs nicht.

Auf lokaler Ebene erweist sich Jatropha für manche Dorfbewohner als echter Glückstreffer. Das kaltgepreßte Öl eignet sich zum Betrieb von Kochöfen, und es kann zu Seife verarbeitet werden. Der Preßkuchen wiederum wird als Dünger verwendet. Auch als Heilmittel wird Jatropha eingesetzt. Über den Eigenbedarf hinaus kann die Pflanze den Familien in ländlichen Regionen Afrikas zu einem bescheidenen Einkommen verhelfen, da in- wie ausländische Unternehmen die ölhaltigen Nüsse aufkaufen.

Hier endet die Geschichte von der "Wunderpflanze" Jatropha curcas, und es beginnt die Geschichte des Plantagenanbaus, der Verdrängung und Vertreibung der angestammten Bevölkerung, der industriellen Verarbeitung des Jatrophaöls zu Treibstoff und der enttäuschten Erwartung von Kleinbauern, die auf ihrer Ware sitzen bleiben. [1] Beide Jatropha-Geschichten werden weitergeschrieben, doch letztere dominiert das Geschehen.

Nachdem vor kurzem die indische Umweltorganisation ATREE (Ashoka Trust for Research in Ecology and Environment) berichtete [2], daß Jatropha auf dem Subkontinent auf bester Ackerfläche angebaut wird, obgleich dort Getreide für Nahrungszwecke hätte gepflanzt werden können, und daß die Erntemenge weit unter den von der Regierung prognostizierten Zahlen bleibt, warnte diese Woche die internationale Nichtregierungsorganisation ActionAid, daß das Biospritziel der Europäischen Union, bis 2020 zehn Prozent des Treibstoffverbrauchs aus "erneuerbaren" Energiequellen - und das sei im wesentlichen Biosprit - zu bestreiten, bereits zu Hunger und Armut in den Entwicklungsländern geführt hat und die Lage verschärfen wird. [3]

Durch die Zielvorgabe werde der Biospritverbrauch in der EU vervierfacht, wobei voraussichtlich zwei Drittel des Treibstoffs importiert werden müßten, das meiste davon aus Entwicklungsländern, schrieb ActionAid. Aber nicht nur das Mengenziel treibe die Entwicklung voran, auch die staatliche Subventionierung fördere die verhängnisvolle Entwicklung. 2006 erhielten industrielle Unternehmen konservativ geschätzt 4,5 Mrd. Euro an Unterstützung. Bis 2020 kämen voraussichtlich jährlich 13,7 Mrd. Euro zustande, damit die Industrie die vorgegebenen Biospritziele erreiche.

ActionAid gibt die landläufige Einschätzung wieder, wonach die globale Preisexplosion für Getreide im Jahr 2007/2008, für die die Biospritproduktion zu ungefähr 30 Prozent verantwortlich war, rund 100 Millionen Menschen zusätzlich dem Hunger ausgesetzt hat. Bis 2020 würden es vermutlich 600 Millionen Hungernde als Folge der industriellen Biospritherstellung sein.

Jatropha ist bei weitem nicht die einzige "Energiepflanze", die im industriellen Maßstab verwertet wird und die unter anderem in Tansania, Mali, Senegal, Mosambik, Kenia und Ghana angebaut wird, damit die Biospritziele der Europäischen Union erfüllt werden. Aber wohl bei keiner der anderen "Energiepflanzen" hat sich der vormals gute Ruf so schnell ins Gegenteil verkehrt. Da der Nutzen von Jatropha an sich für Dorfgemeinschaften unbestritten ist - hier hat anscheinend Mali eine vergleichweise positive Entwicklung gemacht -, sollte folgerichtig nicht die Pflanze, sondern die Art ihrer Verwertung, also die Wirtschaftsweise in den Mittelpunkt der Kritik gestellt werden.

Jatropha und andere "Energiepflanzen" wie Palmen, Zuckerrohr und Hirse sind die "cash crops" von heute. Hatten nach dem formalen Ende der Kolonialzeit um die 1960er Jahre herum viele afrikanische Länder den Export von Kaffee, Tee, Tabak, Cashew- und Erdnüssen, Blumen und Obst auf das Versprechen hin ausgebaut und gehofft, sie könnten auf diese Weise den allgemeinen Wohlstand mehren und eine Entwicklung nachholen, der die westlichen Industriestaaten hundert Jahre und mehr voraus waren, so werden heute exakt die gleichen Versprechungen mit dem Exportschlager "Energiepflanze" abgegeben.

Wieder einmal soll eine kleine Oberschicht einheimischer Sachwalter aus Politik und Wirtschaft an der Plünderung der natürlichen Ressourcen beteiligt werden, während voraussichtlich große Teile der Bevölkerung verarmen. Das hat System und ist deshalb auch von der nächsten Generation der Ausbeutung wie beispielsweise der Inwertsetzung von nicht-gerodeten Wäldern und des Vermeidens grobmechanischer Bodenbearbeitung in der Landwirtschaft - Kernstück der Grünen Gentechnik - im Rahmen des Kohlenstoff-Zertifikathandels des ökokapitalistischen Klimaschutzes zu erwarten. Da drohen dann Einheimische aus Wäldern, die von ihnen traditionell genutzt wurden, vertrieben zu werden, da das Gebiet fortan unter die CDM-Bestimmung (Clean Development Mechanism) fällt, oder sie werden vertrieben, weil die regional eingeschränkte Waldrodung andernorts um so ausgiebiger betrieben wird.

Mit Hilfe solcher sogenannten Klimaschutzmaßnahmen wie auch der Förderung von Biosprit durch die Mitglieder der Europäischen Union und andere relativ wohlhabende Staaten wird ein fundamentaler gesellschaftlicher Umbruch, bei dem nicht einfach nur Ersatz für die Verbrennung fossiler Energieträger herangeschafft wird, was auch immer das an Menschenleben kosten mag, vermieden.


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Anmerkungen:

[1] "Kenya: Jatropha Farmers Walk on Slippery Ground", Business Daily (Nairobi), 3. Februar 2010
http://allafrica.com/stories/201002021126.html

[2] Näheres unter:
RESSOURCEN/114: Indien - Zweifel an "Wunderpflanze" Jatropha (SB)

[3] "Meals per gallon - The impact of industrial biofuels on people and global hunger"
http://www.actionaid.org.uk/doc_lib/meals_per_gallon_final.pdf

15. Februar 2010