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RESSOURCEN/138: Biosprit aus Seetang - Nahrungskonkurrenz viel fundamentaler angelegt (SB)


Trügerische Hoffnung auf Biosprit der dritten Generation


Der auf Profitmaximierung und Wachstum getrimmten vorherrschenden Wirtschaftsordnung geht der Treibstoff aus. Erdöl wird knapp. Es muß aus immer tiefer liegenden Meeresböden heraufgepumpt oder zur Vollverwertung freigegebenen Landschaften regelrecht herausgekocht werden. In den Forschungslaboren rund um den Globus wird nach Alternativen zu fossilen Energieträgern gefahndet. Die Geschäftsaussichten sind für jene, die das Rennen machen, glänzend.

So manche ums kommerzielle Überleben kämpfende Einrichtung verkündet großartige Erfolge, die sich bei näherer Betrachtung als wenig belastbar herausstellen. Da ist viel von Erwartungen die Rede, was mitunter an die Aussichten erinnert, wie sie von Enthusiasten der bemannten Raumfahrt in der Besiedlung des Alls als Rettung für den Planeten Erde phantasiert werden. Wer weiß, vielleicht verbreitet sich Menschheit eines Tages im All, aber was bis dahin an Problemen bewältigt werden muß, läßt sich nicht mal erahnen.

Der Beweis, daß das nicht partiell auch für die Forschungen zur Verwendung von Algen als Ersatz für fossile Brennstoffe gilt, muß erst noch erbracht werden. Seit einigen Jahren wird beispielsweise über das Biotech-Unternehmen BAL (Bio Architecture Lab) aus Kalifornien berichtet, das Bioethanol aus Seetang (Macrocystis pyrifera) herstellen will. Ein kürzlich veröffentlichter Artikel im Wissenschaftsmagazin "Science" [1] bot wiederum Anlaß für Spiegel Online [2], seinerseits über die Fortschritte des vorgestellten Verfahrens zu berichten.

Forscher der BAL und der Universität von Washington haben das Bakterium Escherichia coli mittels gentechnischer Verfahren so verändert, daß es bestimmte Kohlenhydrate von Seetang aufbricht und zu Ethanol umwandelt. Bislang war dem sogenannten Alginat, das etwa die Hälfte des 60prozentigen Anteils der Kohlenhydrate an der Trockenmasse von Seetang ausmacht, nur schwer beizukommen. Obgleich die Algen kein Lignin enthalten, was sie eigentlich dafür prädestinieren sollten, zerlegbar zu sein. In den Versuchen vermochten die gentechnisch veränderten Bakterien rund 80 Prozent der maximalen theoretischen Ernte aus den Kohlenhydraten zu zersetzen und in Ethanol umzuwandeln. Das nun in die E. coli-Bakterien eingeschleuste Erbgutfragment aus 36.000 Basenpaaren wurde dem Bakterium Vibrio splendidus entnommen und kodiert spezielle Enzyme, die für den Transport und die Verdauung von Alginat zuständig sind.

Die Forscher haben vier Versuchsgebiete an der Küste Chiles angelegt und erklären nun, sie könnten aus der Fläche von einem Hektar bis zu 19.000 Liter Treibstoff jährlich gewinnen. Das sei doppelt so viel wie bei Zuckerrohr und fünfmal so viel wie bei Mais. Nach Angaben des BAL-Direktors Daniel Trunfio könnten mit der Kultivierung von Seetang an drei Prozent der Küsten weltweit 227 Milliarden Liter Ethanol produziert werden. [3]

Ob es sich hier um ausschließlich theoretische und damit Phantasiewerte handelt oder ob die Treibstoffernte aus dem Seetang in der Praxisanwendung eines industriellen Maßstabs tatsächlich fünfmal so ergiebig sein wird wie Mais, werden erst zukünftige Versuche zeigen. Auch die Ankündigung, daß aus dem Seetang Grundstoffe für die chemische Industrie hergestellt werden können, wird wohl erst der Praxistest unter realen ökonomischen Ansprüchen bestätigen. Im Jahr 2015 will BAL soweit sein.

Die ökologischen Konsequenzen der marinen Biospritproduktion wurden bislang nur unzureichend ausgelotet. Der "Science"-Artikel sage nichts darüber aus, ob der Biosprit aus Seetang ökonomisch und ökologisch attraktiv ist, erklärte der nicht an der Studie beteiligte Forscher Tom Richard, Direktor der Institutes of Energy and the Environment der Pennsylvania State University, laut einem Bericht der Website LiveScience. Die Algen eröffneten aber der Biospritproduktion ein weites Feld, räumt Richard ein. [3]

Bedacht werden muß, daß Seetang reichlich Nahrung braucht, vorzugsweise Stickstoff und Phosphor. Also ausgerechnet zwei "Klassiker", die weltweit an der Entstehung von sogenannten "toten Zonen" im Meer beitragen. In diesen extrem sauerstoffreduzierten Gebieten stirbt alles Leben ab mit Ausnahme von Algen. Ist es also wünschenswert, solche Zonen durch die künstliche Düngung der marinen Erntegebiete zu erweitern? Trunfio hält diesem Einwand entgegen, daß die Algenfarmen in die Nachbarschaft von Lachsfarmen, die ein Nährstoffüberangebot hätten, angelegt werden können. [3] Auch Peter Schiener, der für das britisch-irische Projekt BioMara arbeitet, in dem die Machbarkeit der Herstellung von Biosprit aus dem Meer aufgezeigt werden soll, glaubt, daß in der Nähe von Fischfarmen ausreichend Nährstoffe für die Algenproduktion vorhanden sind. [4]

Die Frage der eingesetzten Energie bei den verschiedenen Umwandlungsstufen des Seetangs, bis daraus ein Zwischenprodukt für chemische Grundstoffe oder Treibstoff entwickelt ist, wurde bislang noch nicht berührt und wird auch von den BAL-Forschern nicht in den Vordergrund gerückt. Das läßt vermuten, daß unter anderem die Energiebilanz bislang noch nicht so günstig ist, daß sofort mit der Verarbeitung von Seetang im industriellen Maßstab begonnen werden könnte. Andererseits scheinen die Aussichten auf gute Geschäfte nicht schlecht zu sein. Immerhin hat es BAL geschafft, daß der norwegische Ölkonzern Statoil und der US-Chemieriesen DuPont eine strategische Partnerschaft mit ihm eingehen. Letzterer wiederum ist mit BP ein Joint-venture (Butamax) eingegangen, um die Technologie auf den Markt zu bringen. Des weiteren sind an dem Projekt die chilenische Universidad de Los Lagos beteiligt, die ihrerseits finanzielle Zuwendungen der chilenischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft InnovaChile CORFO in Höhe von 7,5 Mio. Dollar erhalten hat, sowie die Investoren X/Seed (USA), Capital Austral (Chile), Energy Capital Management (Norwegen) und das US-Energieministerium. [5]

Im Vergleich zur landgestützten Produktion von Biosprit hat Seetang den Vorteil, daß für ihn kein Süßwasser verbraucht wird und keine Flächenkonkurrenz zum Anbau von Futter- und Nahrungspflanzen besteht. Anders sieht es womöglich bei der Nährstoffmenge aus. Bei der industriellen Herstellung von Biosprit aus Seetang müßte unter Umständen gedüngt werden, und Dünger wird bereits seit einigen Jahren teurer, weil der Bedarf steigt und eine wichtige Produktionsvoraussetzung - Erdgas - abnimmt. Darüber hinaus gestaltet sich sowohl die Aufzucht und Ernte von Seetang, das nicht wie andere Algen an der Oberfläche schwimmt, sondern im Meeresboden verwurzelt ist, als auch die Entwässerung des Pflanzenrohstoffs als aufwendig.

Die Lancierung eines Artikels im Wissenschaftsmagazin "Science" dürfte weniger die Funktion haben, den Forschungsstand zur Algenumwandlung einer breiteren Öffentlichkeit bekanntzugeben, als die Investoren bei der Stange zu halten. Der Biosprit der dritten Generation wird wohl darauf hinauslaufen, daß er aus vielen verschiedene Quellen gespeist wird, wobei die Umweltschäden einer einzelnen Quelle verschleiert werden. Damit läge die Bioethanolproduktion ganz auf der Linie der gewöhnlichen Industrialisierung. Vergleichbar damit, daß die CO2-Emissionen einzelner Brennquellen wenig Beachtung fanden, aber in der Summe verheerende Konsequenzen hatten (Smog durch Kohleverbrennung in London, Verbreitung ozonschichtzerstörender Chemikalien und Veränderung der Zusammensetzung der Erdatmosphäre durch Treibhausgasemissionen).

Selbst wenn Biosprit aus Seetang eines Tages eine günstigere Ökobilanz aufweisen sollte als fossile Energieträger, stünde der Treibstoff nur vordergründig nicht in unmittelbarer Konkurrenz zu Nahrungsmitteln, aber er würde zur Aufrechterhaltung einer extrem hierarchisch organisierten Weltgesellschaft beitragen, in der bestenfalls der Mangel an Treibstoff, aber nach wie vor nicht der an Nahrung gelöst wurde. Technologischer Fortschritt findet nur partiell statt. In diesem Sinne ist die Hoffnung auf Biosprit der dritten Generation trügerisch.



Anmerkungen:

[1] "An Engineered Microbial Platform for Direct Biofuel Production from Brown Macroalgae", "Science", Vol. 335, no. 6066, pp. 308-313, 20. Januar 2012
DOI: 10.1126/science.1214547
http://www.sciencemag.org/content/335/6066/308

[2] "Gentechnik - Bakterien verwandeln Seetang in Biosprit", Spiegel Online, 20. Januar 2012
http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/0,1518,810155,00.html

[3] "Mutant microbes unlock seaweed's stash of energy",
LiveScience.com, 20. Januar 2012

http://www.msnbc.msn.com/id/46062030/#.TyWQlhLj7Lk

[4] "Seaweed study boosts prospects for marine biofuels", evironmental expert, übernommen von: SciDev.Net, 4. Februar 2011
http://www.environmental-expert.com/news/seaweed-study-boosts-prospects-for-marine-biofuels-223185

[5] "BAL Chile opens macroalgae biofuels farm off Chilean coast", Biofuel Digest, 29. September 2011
http://www.biofuelsdigest.com/bdigest/2011/09/29/bal-chile-opens-macroalgae-biofuels-farm-off-chilean-coast/

30. Januar 2012