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RESSOURCEN/170: Teile und herrsche - Kanada will Ureinwohner für den Rohstoffabbau gewinnen (SB)


Kanadas First Nations sollen Landrechte aufgeben

Regierung verspricht größere Beteiligung an Einnahmen aus Rohstoffabbau


Die kanadische Regierung kommt nicht daran vorbei, die Ureinwohner (First Nations) an der Ausbeutung der reichhaltigen Ressourcen des Landes zu beteiligen. Nur dadurch kann sie vermeiden, daß auf der einen Seite eine Klagewelle seitens der gemäßigten Kräfte unter den Ureinwohnern gegen sie anrollt und zweitens radikalere Kräfte mit Aktionen des zivilen Ungehorsams den reibungslosen Ablauf des ungebremsten Extraktivismus stören. Oder gar, daß wegen der fortgesetzten Mißachtung der Interessen von Teilen der kanadischen Gesellschaft gewaltfreie Proteste in gewaltbereiten Widerstand und Sabotage umschlagen.

Aus diesem Grund hat sich der konservative Premierminister Stephen Harper auf eine Politik des Teilens und Herrschens verlegt. Die "Funktionäre" der Ureinwohner werden auf die eigene Seite gezogen und gegen den indigenen Widerstand wird das äußerst umstrittene neue Antiterrorgesetz C-51 in Stellung gebracht. [1]

Die Ureinwohner sollen dafür gewonnen werden, daß sie ihre Landrechte zugunsten einer Beteiligung an der Erdöl- und Erdgaswirtschaft aufgeben, berichtete die britische Zeitung "The Guardian". [2] Nach einem Gutachten vom März 2013 befinden sich 94 von 105 Projekten unter bundesstaatlicher Prüfung zum Bergbau, der Forstwirtschaft oder der Erdöl- und Erdgasindustrie "in Reservaten, historischen Vertragsgebieten oder Gebieten mit erhobenen oder beigelegten Ansprüchen".

Um nun die Indigenen in den umfangreichen Rohstoffabbau einzubinden, hat die Harper-Regierung Ende 2013 mit dem Anwalt Douglas Eyford einen Sondergesandten für die Energie-Infrastruktur Westkanadas ernannt. Er soll die Stimme der Ureinwohner sein und direkt dem Premierminister Bericht erstatten. Außerdem arbeitet das Ministerium für Ureinwohner-Angelegenheiten (Ministry of Aboriginal Affairs, MAA) mit der Versammlung der Ureinwohner (Assembly of First Nations, AFN) zusammen. Im November vergangenen Jahres hat deren gemeinsame Arbeitsgruppe zur Entwicklung natürlicher Ressourcen (Working Group on Natural Resource Development) zwei private Treffen in Toronto und Edmonton organisiert, zu denen sowohl indigene Häuptlinge als auch Vertreter von Erdölgesellschaften wie Enbridge und Syncrude sowie diverser Bergbauunternehmen und Lobbygruppen der Wirtschaft zu Gesprächen zusammenkamen.

Der "Guardian" berichtete unter Berufung auf eine Email eines Regierungsvertreters, daß es auf beiden Treffen "breite Zustimmung" gefunden habe, daß die "Freisetzung von Ressourcen-Entwicklungsprojekten in direktem nationalen Interesse" stehe. Es sei mehrfach betont worden, daß "wir uns die Investitionsunsicherheit aufgrund von Fragen rundum die Beteiligung der Ureinwohner nicht länger leisten können".

Ins gleiche Horn stößt auch die im Dezember 2013 einberufene und von der kanadischen Regierung finanzierte Working Group in ihrem Report vom Februar 2015 mit dem Titel "First Nations and Natural Resource Development" (First Nations und die Entwicklung Natürlicher Ressourcen): "Wir müssen uns jetzt vorbereiten, um sicherzustellen, daß alle Chancen und Wohltaten der Entwicklung natürlicher Ressourcen vollständig von den First Nations und allen Kanadiern geteilt werden." [3]

In dem Bericht wird zwar hin und wieder auch von "umweltschonend" und "sozialverträglich" gesprochen, aber nennenswerte Bedenken wegen der Umweltschäden durch den Bergbau und die Forstwirtschaft oder die Folgen des Verbrennens kanadischen Erdöls, das unter schwerwiegenden Umweltzerstörungen aus Teersand gewonnen wird, auf das Erdklima wird man in dem Bericht vergebens suchen. Statt dessen zeigt der von den Ureinwohnern mitverfaßte Report durch und durch eine große Industrienähe.

Harpers Einbettungsstrategie scheint aufzugehen. Die vermeintlichen Wohltaten des Ressourcenabbaus werden in bunten Farben geschildert und mit verheißungsvollen "Fakten" unterfüttert: Die Rohstoffindustrie Kanadas bietet 1,8 Millionen direkte und indirekte Arbeitsplätze; zwischen 2008 und 2012 betrugen die jährlichen Einnahmen Kanadas aus dem Rohstoffabbau 30 Mrd. kan. Dollar; nach den Plänen der Regierung werden sich die Investitionen in diesem Sektor innerhalb der nächsten zehn Jahre auf 675 Mrd. kan. Dollar belaufen; 8,3 Prozent der kanadischen Indigenen besaßen im Jahr 2012 einen Arbeitsplatz in der Rohstoffwirtschaft, die damit der größte private Arbeitgeber für die Indigenen ist. Und so weiter und so fort.

Wer will sich angesichts solch beeindruckender Zahlen der ökonomischen Ratio in den Weg stellen?! Nun, es gibt Menschen, die den exzessiven Rohstoffabbau nicht als beeindruckend, sondern als bedrückend empfinden. Aus gutem Grund wurde die Harper-Regierung von verschiedenen Seiten davor gewarnt, die Interessen der Ureinwohner zu ignorieren. Es sind nicht wenige, die aus guten Gründen den gegenwärtigen und angekündigten Raubbau an Mensch und Natur als weitere Runde des immer gleichen Kolonialismus ansehen. Der Unterschied zwischen ihnen und ihren Vertretern auf der "Funktionärsebene" liegt auf der Hand: Erstere fordern, daß die sogenannten Ressourcen unangetastet bleiben, letztere wollen an ihrem Abbau beteiligt werden.

Dieser unauflösbare Widerspruch wird von der Working Group mit kreideweichen Worten verschleiert. So wurde dem aktuellen Report ein Motto vorangestellt, in dem es unter anderem heißt:

"... jeder einzelne von uns hat eine Rolle zu spielen, angefangen damit, in einen gemeinsamen Dialog zu treten."

Der von seiten der herrschenden Interessen angestrebte Dialog bleibt jedoch eine Farce angesichts der vielen vergeblichen Bemühungen Indigener, die gegen den Ressourcenraub in ihren Stammesgebieten protestieren, bei den Behörden Gehör zu finden. Nicht sie haben das Gespräch verweigert, sondern die Seite der Regierung, die Anspruch erhebt, alle Mitglieder der Gesellschaft zu repräsentieren, dabei aber Unterschiede macht.

Weil der Widerspruch als solches gar nicht aufzulösen ist, besteht die Möglichkeit, daß in Kanada ein Konfliktpotential entsteht, das sich in Zukunft auf noch schärfere Weise Bahn bricht als bisher. Rechtlich abgesichert durch das geplante Antiterrorgesetz 2015, das von über 100 Rechtsexperten des Landes als zutiefst undemokratisch bezeichnet wird, erhalten die Exekutivorgane wie der Geheimdienst CSIS (Canadian Security Intelligence Service) bisher unerreichte Befugnisse, um die Bevölkerung in den Würgegriff zu nehmen. Die Zeiten, als westliche Länder um den Eindruck bemüht waren, sie könnten sich gegenüber sogenannten Polizeistaaten abgrenzen, sind offensichtlich vorbei.


Fußnoten:

[1] Näheres zum geplanten Antiterrorgesetz im Schattenblick unter:
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RESSOURCEN/168: Kanadas Anti-Terror-Gesetz gegen Ureinwohner und Umweltschützer (SB)

[2] http://www.theguardian.com/environment/true-north/2015/mar/03/documents-harper-pushing-first-nations-to-shelve-rights-buy-into-resource-rush

[3] http://www.afn.ca/uploads/files/Working-Group-on-Natural-Resource-Development-Report.pdf

8. März 2015


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