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RESSOURCEN/180: Tiefseebergbau - nachhaltig destruktiv (SB)


GEOMAR-Innovation zum umstrittenen Meeresbodenbergbau


Die Rohstofflagerstätten an Land sind zwar noch nicht leergeräumt, aber Politik und Wirtschaft bereiten sich bereits darauf vor, Metalle und andere Rohstoffe aus den Tiefen der Meere zu gewinnen. Die Wissenschaft stellt ihnen die erforderlichen Werkzeuge für diese mit Umweltzerstörungen und -verschmutzungen einhergehenden Tätigkeiten zur Verfügung.

Fast die Hälfte der Erdoberfläche ist Bestandteil der Tiefsee und war lange Zeit nahezu unerforscht und unzugänglich. Beispielsweise entdeckte man erst Ende der 1970er Jahre sogenannte Schwarze Raucher am Meeresboden. Das sind hydrothermale Quellen, aus denen ständig heißes Wasser, das gelöste Metalle enthält, strömt. Zink, Kupfer, Gold und andere Metalle lagern sich in relativ hohen Konzentrationen am Meeresboden ab und bauen dabei Schlote auf. Hierauf hat die Industrie ein Auge geworfen.

Das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel zählt zu jenen Forschungseinrichtungen, die im Rahmen der von der Europäischen Union geförderten Initiative "Blue Mining" den Meeresboden erkunden, wissenschaftliche Daten gewinnen und potentielle Lagerstätten lokalisieren. Bisher steckt der Meeresbodenbergbau noch in den Kinderschuhen, zumindest was die Tiefsee betrifft. Im küstennahen Bereich dagegen wird beispielsweise Sand abgebaut, nach Diamanten gesucht und Erdöl gefördert.

Wie zerstörerisch es sein kann, wenn auch in größeren Meerestiefen nach Erdöl gebohrt wird, hat das Feuer auf der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko und ihr Untergang im April 2010 gezeigt. Sowohl das wochenlang ausgetretene Rohöl als auch die gewaltigen Mengen an Dispersionsmitteln, die nicht etwa zur Beseitigung, sondern lediglich zur Zerkleinerung des Erdöls ins Meer gekippt wurden, haben der Tier- und Pflanzenwelt schweren Schaden zugefügt. Selbst Menschen, die an der Reinigung der ölverschmierten Küste beteiligt waren, erlitten teils starke gesundheitliche Beeinträchtigungen.

Seit Jahren warnen Umweltorganisationen wie Fair Oceans, WWF und Greenpeace vor den möglicherweise verheerenden Folgen des Bergbaus am Meeresboden. Das GEOMAR hat sich zwar zur Nachhaltigkeit verpflichtet, wie in der vor kurzem erschienenen, vierten World Ocean Review [1] beschrieben, hat es sich aber auch zur Aufgabe gemacht, Rohstofflagerstätten zu finden und auf ihre Abbaubarkeit hin zu überprüfen. Ob der Spagat gelingt bzw. anders gefragt, was denn eigentlich Nachhaltigkeit leisten kann oder soll, sind Fragen, denen sich das Institut stellen muß.

So hat das GEOMAR mit MARTEMIS (Marine Transient Electromagnetic Induction System) ein Meßgerät entwickelt und erfolgreich am Palinuro-Vulkankomplex im westlichen Mittelmeer getestet, das noch in mehreren tausend Metern Wassertiefe erzhaltige hydrothermale Schlote, die längst erloschen und von dicken Sedimentschichten bedeckt sind, aufspüren kann.

Nach Auskunft des Geologen Dr. Sven Petersen vom GEOMAR waren die Forscher bei der Suche nach Hydrothermalsystemen bislang auf die Temperaturanomalien und die chemischen Signaturen des austretenden Wassers noch aktiver Schlote angewiesen. Von MARTEMIS erhofft man sich jedoch Erkenntnisse über alte Schlote und die Frage, "ob erloschene Schwarze Raucher überhaupt ein lohnendes Ziel für den Rohstoffabbau sein können". [2]

Der Nachhaltigkeitsansatz, wie er in der World Ocean Review formuliert wird, paßt durchaus zu den 17 Nachhaltigkeitszielen, die am 1. September dieses Jahres von der UN-Generalversammlung verabschiedet wurden. Darin verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten unter anderem zu einem nachhaltigen Umgang mit den Meeren. So heißt es in dem Dokument:

"Wir sehen eine Welt vor uns, in der jedes Land ein dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum genießt und es menschenwürdige Arbeit für alle gibt. Eine Welt, in der die Konsum- und Produktionsmuster und die Nutzung aller natürlichen Ressourcen - von der Luft bis zum Boden, von Flüssen, Seen und Grundwasserleitern bis zu Ozeanen und Meeren - nachhaltig sind." [3]

Anhand dieses Zitats wird allerdings auch die Funktion des Begriffs "Nachhaltigkeit" erkennbar: Es geht dabei um die Nutzung "aller" natürlichen Ressourcen - also auch die der Meere -, die Aufrechterhaltung von "Konsum- und Produktionsmustern" sowie um ein "dauerhaftes ... Wirtschaftswachstum". Dabei waren es eben jene Konsummuster und die auf Verbrauch endlicher Ressourcen gestützte Produktionsweise sowie das für das vorherrschende Wirtschaftsmodell unverzichtbare Wachstum, wodurch die Erdatmosphäre zum ungeregelten Endlager für anthropogene Treibhausgasemissionen gemacht wurde.

Eine verheerende Entwicklung sowohl für die Weltmeere, die mit einer Geschwindigkeit versauern, wie vermutlich in den letzten 300 Millionen Jahren nicht [4], als auch für die Erdatmosphäre. Denn die erwärmt sich, was die Überlebensvoraussetzungen von vielen Millionen Menschen zunichte macht; die Klimaforschung rechnet mit dem vermehrten Auftreten von Naturkatastrophen wie zum Beispiel Dürren. Auch Syrien leidet seit Jahren unter Trockenheit, was den Boden bereitet haben könnte, weswegen sich Teile der Bevölkerung gegen die Regierung gestellt haben. Man machte es sich sicherlich zu einfach, die Gemengelage an Interessen, die beim Zustandekommen des syrischen Bürgerkrieg eine Rolle gespielt haben und weiterhin spielen, allein auf den Faktor Klima zu reduzieren. Doch diesen in diesem Kontext außer Acht zu lassen, liefe aufs gleiche hinaus. Klimawandel ist ein Konfliktverstärker.

Selbst die Weltbank, die nicht im Verdacht steht, wirtschaftsfeindliche Positionen zu vertreten, kommt in ihrem jüngsten Report zu dem Schluß, daß der Klimawandel bis zum Jahr 2030 rund 100 Millionen Menschen "zusätzlich" in "extreme Armut" werfen könnte. (Es handelte sich jedoch nicht um die Weltbank, wenn sie nicht ergänzt, daß diese Entwicklung unter bestimmten Umständen vermieden werden könnte.) [5]

MARTEMIS und andere Forschungen des GEOMAR stehen relativ am Beginn einer Verwertungskette, die auf jeder Stufe, ob Ressourcenabbau, Produktion von Waren oder deren Gebrauch durch die Konsumentinnen und Konsumenten, mit der Emission von Treibhausgasemissionen und anderen Formen von Umweltzerstörungen einhergeht. Der Nachhaltigkeitsansatz stellt hierzu nicht das Gegenmodell dar, sondern er soll den Rahmen legitimieren, in dem in Zukunft der Meeresboden im industriellen Maßstab nach den begehrten Rohstoffen durchwühlt wird, um Wachstum und Konsummuster aufrechtzuerhalten.


Fußnoten:

[1] http://worldoceanreview.com/wp-content/downloads/wor4/WOR4_de.pdf

[2] http://www.geomar.de/news/article/mit-martemis-auf-der-spur-der-erze/

[3] http://www.un.org/depts/german/gv-69/band3/ar69315.pdf

[4] http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0012.html

[5] https://openknowledge.worldbank.org/bitstream/handle/10986/22787/9781464806735.pdf

16. November 2015


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