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RESSOURCEN/206: Elektromorbidität (SB)


Bergbau in der Tiefsee oder die vergebliche Suche von VW nach großen Kobaltmengen


Eine Meldung am Rande wirft ein Schlaglicht auf den enormen Rohstoffhunger der Elektromobilität und läßt eine dunkle Ahnung ihrer morbiden Folgen aufkommen. Angeblich zum Schutz des Klimas, doch wesentlich vom permanenten Wachstumszwang getrieben, wendet sich die Automobilindustrie vom Verbrennungsmotor ab und dem Elektromotor zu. Ein neuer Zyklus der kapitalistischen Produktionssteigerung wurde eingeläutet. So will der Volkswagenkonzern bis 2025 zum weltweiten Marktführer für Elektroautos aufsteigen und hat angekündigt, in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren 70 Milliarden Euro zur Umrüstung von 300 verschiedenen Modellen auf Elektroantrieb zu investieren.

Vor diesem Hintergrund ist eine Ausschreibung von VW zur Sicherung seines Bedarfs an Kobalt, das zum Bau von Batterien benötigt wird, für mindestens die nächsten fünf Jahre zu einem Fixpreis zu sehen. Wie die "Financial Times" [1] berichtete, enthält der sogenannte Tender keine Angaben zu der gewünschten Menge an Kobalt, doch gingen Marktanalysten davon aus, daß es auf 80.000 bis 130.000 Tonnen hinauslaufen wird. Der gegenwärtige Welthandel umfaßt etwas über 100.000 Tonnen im Jahr.

VW will sich also noch vor seinen Konkurrenten den Zugriff auf Kobalt sichern ... und ist damit gescheitert. Wie die FT schrieb, hat bisher keiner der Kobaltproduzenten Interesse gezeigt, und VW mußte die Ausschreibung verlängern. Der von dem Unternehmen vorgeschlagene Preis lag weit unter dem gegenwärtigen Weltmarktpreis. Die Rohstoffkonzerne wissen, welchen Schatz sie in den Händen halten, und zögern.

Kobalt ist ein Rohstoff, der auch am Meeresboden der Hohen See vorkommt. Die in Kingston, Jamaika, ansässige Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) bereitet zur Zeit Regeln vor, nach denen diese Ressourcen abgebaut werden dürfen. Kobalt kommt sowohl in Manganknollen als auch, wenig verwunderlich, in sogenannten Kobaltkrusten vor. Manganknollen finden sich in Wassertiefen zwischen 4000 und 6000 Metern, Kobaltkrusten in 1000 bis 2500 Meter an den Hängen submariner Höhenzüge. Die Krusten bauen sich wie die Manganknollen über Millionen von Jahren auf und stammen aus dem kalkhaltigen Schutzschild abgestorbener Algen.

Der in diesem Jahr um 80 Prozent gestiegene Weltmarktpreis für Kobalt zeigt, daß die Nachfrage viel größer ist als das Angebot. Schließlich wollen auch andere Autokonzerne, beispielsweise BMW und Tesla, Elektroautos bauen und dabei expandieren. 60 Prozent des am Weltmarkt gehandelten Kobalts stammt aus der Demokratischen Republik Kongo. Dort herrscht seit Jahrzehnten Dauerbürgerkrieg, wobei nicht zuletzt Nachbarländer wie Ruanda und Uganda die Stabilität des Landes untergraben. Sollte sich der Konflikt ausweiten, wie in der Vergangenheit häufiger geschehen, würde das den Nachschub an Kobalt und anderen strategischen Rohstoffen gefährden.

Damit und mit den steigenden Preisen rückt der Meeresbodenbergbau in den Fokus der Rohstoffunternehmen. Abgesehen von technologischen Hürden, die noch bewältigt werden müssen, um in bis zu 6000 Meter Meerestiefe Bergbau zu betreiben, ist es eine Frage des Preises, ab wann Rohstoffe wie Kobalt, Kupfer, Nickel, Zink, Seltene Erden, etc. so attraktiv werden, daß sie nicht mehr nur an Land, sondern auch am Meeresgrund geschürft und anschließend "geschlürft" werden - die meisten Konzepte sehen vor, daß das Material bereits vor Ort so zerkleinert wird, daß es über einen langen Schlauch zu einem Schiff an der Meeresoberfläche befördert werden kann.

Das Wettrennen hat längst eingesetzt. Das kanadische Unternehmen Nautilus Minerals will in der Bismarcksee vor Papua-Neuguinea Massivsulfide kommerziell abbauen. Vor knapp 15 Jahren hat Indien von der ISA im zentralen Becken des Indischen Ozeans ein 75.000 Quadratkilometer großes Erkundungsgebiet zugewiesen bekommen und wird in den nächsten fünf Jahren ein Konzept zum Abbau von Manganknollen erarbeiten. [2]

China hat bereits mit seinem unbemannten Tauchboot Haima bei sechs Tauchgängen zusammen 330 kg Gesteinsproben von Kobaltkrusten aus zwei Kilometer Meerestiefe geborgen. Dabei wurde auch ein Bohrgerät erprobt, das sich 80 cm tief ins Gestein vorzuarbeiten vermag. [3]

Mitte August dieses Jahres haben das japanische Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (METI) und das Unternehmen JOGMEC (Japan Oil, Gas and Metals National Corporation) in japanischen Hoheitsgewässern vor der Küste Okinawas aus 1600 Meter Wassertiefe polymetallische Sulfide abgebaut und zu einem Schiff an der Meeresoberfläche befördert. [4]

Ebenfalls Mitte August hat die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) das Forschungsschiff "Sonne" zu einer 50tägigen Reise zum deutschen Explorationsgebiet im Indischen Ozean geschickt, um dort nach abbauwürdigen Sulfiderzen für die deutsche Industrie zu suchen. [5]

In keinem der hier erwähnten Berichte zum Meeresbodenbergbau wurde versäumt, darauf hinzuweisen, daß man auf die Folgen für die marine Umwelt achtet. Doch was ist davon zu halten? Wie glaubwürdig sind solche Beteuerungen angesichts der Bergbauschäden an Land, die nicht verhindert wurden? Eine einzige Bergbaumaßnahme in der Tiefsee verändert vielleicht die Ökologie des Ozeans "nicht dramatisch", aber was passiert, wenn man zwei oder drei solcher Maßnahmen hat, fragt Kristina Gjerde, Beraterin für Hochseefragen bei der IUCN (International Union for Conservation of Nature). [6]

Und was passiert, wäre weiter zu fragen, wenn mehrere Länder und Unternehmen die Technologie zum Meeresbodenbergbau entwickelt und eine komplette Infrastruktur - Schiffe, Kaianlagen, Verarbeitungsbetriebe, etc. - aufgebaut haben, dann aber festgestellt würde, daß sich die Umweltschäden beispielsweise durch Sedimentfahnen gegenseitig aufschaukeln und die Tiefseeökologie einen viel größeren Schaden nimmt, als man es zuvor bei den Einzelprojekten festgestellt hat? Würde die Weltwirtschaft mangels Rohstoffnachschub ausgebremst und würden die hohen Investitionen in den Meeresbodenbergbau als Sackgasse anerkannt werden, aus der es nur noch rückwärts hinausgeht, und das alles nur, um vielleicht einen bislang unbekannten Schwamm am Meeresgrund zu retten?

Mit Sicherheit nicht. Es geht zur Zeit nur noch darum, den Eindruck zu erzeugen, die Rohstoffe aus der Tiefsee ließen sich "umweltfreundlich" oder gar "nachhaltig" abbauen, und ansonsten volle Kraft in die technologische Entwicklung und Umsetzung zu stecken. Sollten sich in zehn Jahren die Autokonzerne selbst auf die Schulter klopfen und kundtun, daß sie stolz auf ihre Leistung sind, die klimaschädlichen Verbrennungsmotoren weitgehend durch Elektroantriebe ersetzt zu haben, schaffen sie in der Verwertung der bis dahin unangetasteten Naturressourcen am Meeresgrund die nächste Katastrophenzone. Und niemand sieht's, der nicht selber über die aufwendige Technologie verfügt, um die Machenschaften in den finsteren Tiefen ans Licht zu holen.


Fußnoten:

[1] https://www.ft.com/content/297d7d4a-b002-11e7-aab9-abaa44b1e130

[2] http://www.newindianexpress.com/cities/chennai/2017/oct/17/national-institute-of-ocean-technology-in-chennais-deep-sea-mission--moving-in-top-gear-1676054.html

[3] http://www.ecns.cn/2017/10-09/276268.shtml

[4] http://www.meti.go.jp/english/press/2017/0926_004.html

[5] tinyurl.com/yd8dded5

[6] https://www.newsdeeply.com/oceans/articles/2017/10/04/oceans-deeply-talks-mining-the-ocean

17. Oktober 2017


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