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RESSOURCEN/233: Erdüberlastungstag - alles zur Eigentumsfrage machen ... (SB)



In diesem Jahr fällt der Erdüberlastungstag auf den 29. Juli, drei Tage früher als 2018. Von nun an bis Ende des Jahres lebt die Menschheit rechnerisch auf Pump, die Ökosysteme werden überstrapaziert und können sich nicht mehr regenerieren.

Der globale Erdüberlastungstag (earth overshoot day) wird jedes Jahr von der Organisation Global Footprint Network in Verbindung mit der York University bekanntgegeben. In die komplexe Berechnung fließen zahlreiche Faktoren ein, die jeweils auf den Nenner der Fläche ("globaler Hektar") gebracht werden. Beispielsweise die Nutzung von Fischgründen, die Bodennutzung und Biodiversitätsverluste oder auch die nicht mehr durch Aufforstung kompensierbare Überbeanspruchung der Atmosphäre mit dem Treibhausgas Kohlenstoffdioxid.

Aus der Berechnung fallen von vornherein beispielsweise mineralische Ressourcen und fossile Energieträger heraus, denn sie können von den Ökosystemen sowieso nicht regeneriert werden. Hätten alle Staaten der Erde einen so großen ökologischen Fußabdruck wie Deutschland, wäre der Erdüberlastungstag bereits am 3. Mai 2019 erreicht worden, und es bedürfte der Ökosysteme von drei Planeten wie die Erde, um die vom Global Footprint Network aufgestellten Kriterien der Nachhaltigkeit zu erfüllen.

Mit dem medienwirksamen Begriff des Erdüberlastungstags wird zwar sehr eindrücklich die Überlastung von Natursystemen durch die Spezies Mensch beschrieben, aber zugleich werden die krassen sozioökonomischen Unterschiede im Ressourcenverbrauch der Menschen auch innerhalb einzelner Länder verschleiert. Indem Kategorien wie "Mensch", "Menschheit", "wir", "uns", etc. verwendet werden, wird eine Gemeinsamkeit vorgetäuscht, die, wollte man sie einfach nur konsequent in Anspruch nehmen, auf keinen Fall eingelöst werden dürfte. Man bekäme es in dem Fall mit der vollen exekutiven Wucht des Staates zu tun. Denn mit der uneingeschränkten Inanspruchnahme der Gemeinsamkeit würde eine wichtige Voraussetzung für den höchst unterschiedlichen Verbrauch von Naturressourcen in Frage gestellt, das Eigentum.

Beispielsweise haben laut dem Paritätischen Wohlfahrtsverband die reichsten Deutschen eine bis zu zehn Jahre längere Lebenserwartung als die ärmsten Deutschen. Demnach hätten also die Reichen sowohl in Folge ihres längeren Lebens als auch ihres gehobenen Lebensstils einen deutlich größeren Verbrauch als die Armen. Da bleibt die Gemeinsamkeit auf der Strecke. Anders gesagt, sie erweist sich als ein Befriedungsbegriff zu dem Zweck, den sozialen Unterschied zu befestigen. Es wäre eine eigene Rechnung wert, um herauszufinden, ob es nicht genügte, wenn nicht "wir" oder "die Menschheit" ihren Lebensstil ändert, sondern nur einige Menschen, nämlich "die da oben" oder, um es mit der im Sand verlaufenen Occupy-Bewegung zu sagen, die "5 Prozent".

Das ist gewiß sehr vereinfacht gesagt, zumal hier nicht der Konsum auf Hartz-IV-Niveau und somit eine Verkürzung der Lebenserwartung propagiert werden soll. Warum sollte nicht Wohlstand für alle auch nach ökologischen Kriterien machbar sein? Wenn aber bei der Berechnung, Analyse und Bewertung des Erdüberlastungstags sozioökonomische Faktoren ausgespart werden, dann verweist das auf den grundsätzlich systemimmanenten Charakter dieses vermeintlich kritischen Ansatzes. Dementsprechend bewegen sich die in der Medienberichterstattung über den Erdüberlastungstag häufig mitgelieferten Lösungsangebote zur Behebung des Mißstands ebenfalls in den Grenzen dieser der Ökonomie und Ökologie entlehnten Haushaltsrechnung.

Mit dem Erdüberlastungstag wird nicht zur Rebellion gegen die Paläste aufgerufen, sondern zur Reform des eigenen Konsumverhaltens. Das macht diesen Tag auch für die Mainstreammedien genauso leicht verdaulich wie viele andere Warnungen vor den desaströsen Folgen des gegenwärtig vorherrschenden Lebensstils.

29. Juli 2019


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