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BERICHT/002: Changing Oceans Expedition am 6.8.2010 in Bremerhaven (SB)


Von Meeresschutzgebiet zu Meeresschutzgebiet

Das Segelschiff "Fleur de Passion" auf zehnjähriger Forschungsreise


So wie die Erdatmosphäre als Endlager für Treibhausgase und Luftschadstoffe aller Art benutzt wird, dienen auch die Meere als Sammelbecken für die vielfältigen Abfallstoffe einer auf Verbrauch endlicher Sourcen gestützten und wachstumsideologisch unterfütterten Wirtschaftsweise. Während an der Meeresoberfläche Zivilisationsmüll zu riesigen Teppichen zusammentreibt, gerät der Meeresboden nach und nach zu einer flächendeckenden Abfallhalde. Die Welt dazwischen nimmt die Abwässer aus Industrie, Landwirtschaft und Haushalten auf, wird von Trawlern mit feinmaschigem Netzen nach Fischen und anderen Bewohnern des Wasserreichs durchkämmt und verkommt durch die Erdölsuche zu einer lebensfeindlichen Kloake, wie der jüngste Vorfall im Golf von Mexiko drastisch vor Augen führt. In Wechselwirkung mit anthropogenen Kohlendioxidemissionen versauern die Ozeane zusehends, können weniger Treibhausgase aufnehmen und beschleunigen als Rückkopplungseffekt wiederum die Erderwärmung. Zugleich verschwindet das Plankton, Grundlage der marinen Nahrungskette und global wichtigster Faktor zur Freisetzung des existentiell unverzichtbaren Sauerstoffs. Kurzum, die marine Umwelt verändert sich unter dem Einfluß des Menschen in einem so hohen Tempo und in einem derart gravierenden Ausmaß, wie es erdgeschichtlich womöglich kein zweites Mal vorkam.

Zugleich werden die Menschen in den ärmeren Ländern, die häufig klimatisch benachteiligt sind, marginalisiert. Die Wohlstandsregionen errichten schier unüberwindliche Grenzbefestigungsanlagen. Sei es die EU gegenüber Afrika und dem europäischen Osten, sei es das wirtschaftlich aufstrebende Indien gegenüber dem regelmäßig von Überschwemmungen heimgesuchten Bangladesch, oder seien es die USA gegenüber Mexiko. Die Vergesellschaftung des Menschen wird auf die Spitze getrieben und setzt sich in Form von Ausgrenzung bis hinunter zur kommunalen Ebene fort. Die Wohlhabenden verschanzen sich mit ihrem Besitz in "Gated communities" gegenüber den Hungerleidern dieser Welt.

Um die geringe Chance zu wahren, daß dieser Entwicklung ernsthaft Einhalt geboten wird, wären Maßnahmen erforderlich, die an den Grundfesten der menschlichen Produktionsverhältnisse rühren. Solange Wachstumsideologie, Profitstreben und das Abgreifen des Mehrwerts aus fremdbestimmter Arbeit nicht fundamental in Frage gestellt werden, gleicht jedes Engagement "für die Umwelt" einem Arrangement mit den vorherrschenden Verwertungskräften und trägt zu ihrer Aufrechterhaltung bei.

Vor einigen Jahrzehnten mußten die Vorreiter der Umweltbewegung in Deutschland, den USA und anderen Ländern zumindest geahnt haben, daß ihr Anliegen von vornherein zum Scheitern verurteilt sein würde, würden sie die Frage der gesellschaftlichen Organisation aussparen, wenn sie von Schutz der Umwelt und Erhalt der Natur träumten - was auch immer jeder einzelne von ihnen sich darunter vorgestellt hatte. Sie erteilten der utopiefeindlichen Welt eine Absage und forderten beispielsweise nicht nur ein Ende der Atomenergie und die Einführung alternativer Energieformen, sondern auch die Verschrottung aller Atomwaffen und des gesamten Militärs dazu. Und sie suchten in der Bildung von partizipativen, die Geschlechter vermeintlich nicht diskriminierenden Umgangsformen eine Lösung für das fundamentale zwischenmenschliche Gewaltverhältnis.

Als einige von ihnen glaubten, es endlich geschafft zu haben, und die heiligen Hallen des Bundestags betreten durften, war ihr rebellischer Habitus allerdings längst auf das Tragen von Turnschuhen und Jeans zurechtgestutzt. Obgleich aus der bürgerlichen Mitte entstanden und diese zu keinem Zeitpunkt überwindend, brachte es die Umweltbewegung dennoch mit sich, daß von ihr nicht nur individuelle Verhaltensanpassungen zum Zwecke eines nachhaltigen Lebensstils gefordert, sondern auch gesellschaftliche Machtmechanismen thematisiert wurden.

Vor diesem Hintergrund umfangreicher Veränderungen des Erdklimas und der Meere einerseits und der fortschreitenden Vergesellschaftung des Menschen andererseits hat sich die Umweltredaktion des Schattenblicks in der ersten Augustwoche auf den Weg gemacht, um mehr über die Projekte der heutigen Streiter für Umwelt- und Naturschutz zu erfahren. Haben sich diese im Laufe der Jahre und Jahrzehnte gewandelt? Meinen diejenigen, die sich für eine Veränderung des Lebensstils starkmachen - nennen wir sie die "Generation nachhaltig" - das gleiche wie frühere Generationen, wenn sie von Umweltschutz sprechen?

Die erste Recherchereise dieser Art sollte uns nach Bremerhaven bringen, wo die "Changing Oceans Expedition" ihre meeresökologischen Forschungen auf dem Segelschiff "Fleur de Passion" vorstellen wollte. Durch die Anreise, die uns schließlich über eine Straße führte, die sich in keinen geringeren Wellen zu werfen schien als das Wasser, das auf der anderen Seite des zu rechter Hand liegenden Elbdeichs gemutmaßt werden konnte, wurden wir aufs trefflichste auf die bevorstehende maritime Begegnung eingestimmt.

Etwas weiter des Wegs erhob sich ein Kernkraftwerk aus der flachen Landschaft. Ein nüchtern gehaltenes Hinweisschild bestätigte, daß es sich um das Akw Brokdorf handelte, das zu verhindern einst über hunderttausend Menschen in Marsch gesetzt hatte. Was wohl aus diesen vielen Menschen geworden ist? Haben sie ihre Vorstellungen, Ziele und Träume verloren? Oder glauben sie, daß sie ihrer Erfüllung ein gutes Stück nähergekommen sind, ähnlich wie offenbar jener Zeitgenosse, der bei der Brokdorf-Demo Anfang der achtziger Jahre als NGO-Funktionär und BBU-Sprecher keinen Steinwurf weit vor mir marschiert war? Heute stellt er auf einer barrierefreien Website seine Arbeit als EU-Parlamentarier vor und präsentiert sich als jemand, der so viele Mitgliedschaften in vermeintlich bedeutenden Politausschüssen aufgeleint hat wie andere Leute ihre Wäsche.

Auf der Autofähre von Glückstadt nach Wischhafen durften wir schon etwas Seeluft schnuppern. Unter unseren Füßen schwappte zwar Elbwasser, aber der Strom ist hier so breit, daß er auf mich Landratte wie eine Meeresbucht wirkte. Und so weit daneben konnte ich nicht liegen, denn hier ist die Elbe bereits deutlich den Gezeiten ausgesetzt, wie ein bräunlich verschlickter Uferstreifen belegte, dem sich die Möwen mit ausgesuchter Hingabe widmeten.

Die Reise brachte uns schließlich an unser Ziel, wo für 13.00 Uhr im Deutschen Schifffahrtsmuseum eine Pressekonferenz der Changing Oceans Expedition angekündigt war. "Vom Kriegsschiff zum Umweltbotschafter - Zehnjährige Meeresexpedition auf wissenschaftlicher Fahrt durch deutsche Ost- und Nordsee" lautete der Appetitanreger, der Medienvertreter in das Museum locken sollte, damit sie über die Fahrt des Seglers berichteten.

Deutsches Schifffahrtsmuseum - © 2010 by Schattenblick

Deutsches Schifffahrtsmuseum
© 2010 by Schattenblick


Nach Betreten des Museums aus dem grellen Schein eines mittäglich hohen Sonnenstands heraus hatten sich unsere Augen nur allmählich an die abgedunkelten Verhältnisse im Innern des Gebäudes gewöhnt. Das mag der Grund gewesen sein, weswegen wir nicht augenblicklich vor Schreck zurückgezuckt sind ob der unverhohlenen Präsentation ausgefeiltester Tötungsmaschinen: Hier reihte sich Kriegsschiff an Kriegsschiff, mal als drohend schwarzes U-Boot-Original, mal als hingebungsvoll gefertigter Nachbau von Zerstörern, die durch einen blitzsauberen Glaskasten vor allzu frechen oder fritten-fettigen Fingern geschützt wurden.

Schwarzes U-Boot im Museum - © 2010 by Schattenblick

Bedrohlich wirkend selbst noch im Museum
© 2010 by Schattenblick

Da die Tür zum Vortragssaal um wenige Minuten vor dem angekündigten Beginn der Pressekonferenz noch immer verschlossen blieb und abgesehen von der Schattenblick-Redakteurin und dem -Redakteur nur ein einziger weiterer Medienvertreter aufgekreuzt war, legte sich unsere innere Unruhe, nicht nur generell wegen der Verherrlichung von Kriegsgerät am falschen Ort gelandet zu sein, sondern auch konkret vor der falschen Tür zu stehen, erst, als der aufgeräumte Projektleiter Niels Feldmann und der freundliche Kapitän der "Fleur de Passion", Sébastien Schwarz, auftauchten und uns per Handschlag begrüßten.

Wir möchten unsere Skepsis, mit der wir die Reise angetreten waren, gegenüber dem breiten gesellschaftlichen Fahrwasser, in dem sich die Changing Oceans Expedition bewegt, nicht verhehlen und ebenfalls nicht, daß unsere Empfindung - ungeachtet der Freundlichkeit und Menschlichkeit, mit der wir im Anschluß an die Pressekonferenz an Bord der "Fleur de Passion" empfangen und aufgenommen wurden - eher bestätigt, denn aus dem Weg geräumt wurde. Das Projekt erweckt den Eindruck, als sei eine Gruppe segelbegeisterter Personen, die gewiß über keinen knappen finanziellen Rückhalt verfügten, nach der von ihnen organisierten Restauration der "Fleur de Passion" auf Sinnsuche gegangen und beim marinen Umwelt- und Naturschutz fündig geworden.

Projektleiter Niels Feldmann, zwei Pressevertreter, Kapitän Sébastian Schwarz - © 2010 by Schattenblick

Projektleiter Niels Feldmann geht bereitwillig auf Zwischenfragen ein
© 2010 by Schattenblick

Es läßt sich leicht vorstellen, daß die Pressekonferenz bei einem "Andrang" von drei Medienvertretern von Anfang an nicht den üblicherweise bei solchen Veranstaltungen anzutreffenden frontalen Charakter besaß und dadurch genügend Platz blieb, um fragend nachzufassen und so das Gesamtbild von der Changing Oceans Expedition zu vertiefen. Man merkte es dem Unternehmensberater und Unterwasserfotografen Feldmann an, daß er sich ganz in seinem Metier befand und die Informationen zur Geschichte der "Fleur de Passion", der Entstehung der Changing Oceans Expedition und ihren Aufgaben sowie die Beschreibung des aktuellen Törns in Ost- und Nordsee und der Pläne für das nächste Jahr mit Reisen ins nördliche Rote Meer und östliche Mittelmeer nicht zum ersten Mal vortrug.

Projektleiter Niels Feldmann beim Vortrag - © 2010 by Schattenblick

Erläuterung des Projekts
© 2010 by Schattenblick

Der ehemalige deutsche Kriegsfischkutter (KFK), der heute als "Fleur de Passion" über die Meere schippert, war nach dem Zweiten Weltkrieg in den Besitz der Siegermacht Frankreich gelangt, die ihn bis 1976 einsetzte. Ein Privatmann erwarb den Kutter und baute ihn zu einem Zweimaster um, genauer gesagt, in eine Gaffelketsch. Beim Schiffstyp Ketsch ist der vordere Mast größer, lieferte uns Feldmann ein wenig Nachhilfe in der grundlegenden Segelschiffstypologie. Der Umbau sei deshalb technisch überhaupt möglich gewesen, weil die Reichsmarine, die bei einer Bremer Werft 1000 dieser KFKs bestellt hatte - von denen 600 ausgeliefert wurden -, vermeiden wollte, daß die Schiffe ihre Funktion ganz und gar verlören, sollte das Deutsche Reich aus kriegsbedingten Gründen unter Treibstoffmangel leiden.

War das von den Nationalsozialisten besonders schlau eingefädelt, fragte man sich unwillkürlich. Sollte man sie dafür nachträglich beglückwünschen, weil ohne diese Vorsichtsmaßnahme heute keine "Passionsblume" über die Meere fahren würde? Feldmann umschiffte solche politisch prekären Klippen, indem er sich bei der Präsentation der historischen Eckdaten jeder weiteren Bewertung enthob.

Zugewandter Vortrag - © 2010 by Schattenblick

Projektleiter Niels Feldmann spricht zu Pressevertretern
© 2010 by Schattenblick

In den neunziger Jahren verfiel das Schiff und wurde zu Beginn dieses Jahrzehnts von Mitgliedern des schweizerischen Vereins Association Pacifique gekauft und im Rahmen sozialpädagogischer Arbeit mit Jugendlichen restauriert. Die Gruppe von Initiatoren, die sich 2006, 2007 mit der Antinea Foundation zusammenschloß, hatte sich nach der Restauration des Schiffs gefragt, was sie mit einem so großen Schiff überhaupt anfangen soll. Das koste "eine Menge Unterhalt", würde uns Feldmann später an Bord der "Fleur de Passion" berichten. Man müsse "schauen, daß man eigentlich permanent ein Programm hat, um auch kostendeckend zu arbeiten und das Schiff weiterbetreiben zu können".

Dieses also nicht zuletzt aus der ökonomischen Notwendigkeit geborene Programm sieht für die "Fleur de Passion" drei Aufgabenbereiche vor: Erstens sozialpädagogisches Einwirken auf Jugendliche, die befristet auf dem Schiff mitfahren dürfen. Zweitens meeresökologische Forschungen, die entweder von der Crew selbst oder aber von Wissenschaftlern durchgeführt werden, die eine Zeitlang mitsegeln und das Schiff samt seinem Begleitboot für ihre eigenen Erkundungen nutzen dürfen. Drittens Öffentlichkeitsarbeit.

Stahlskelettrumpf der späteren 'Fleur de Passion' © Association Pacifique www.pacifique.ch

Das Stahlskelett der 'Fleur de Passion'
© Association Pacifique, www.pacifique.ch

Beim ursprünglichen sozialpädagogischen Projekt durften Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien mit anpacken und das Schiff, von dem kaum mehr als das Stahlgerippe, das die Rumpfform bildete, übernommen wurde, restaurieren. Keine Frage, das läßt Pädagogenherzen höher schlagen. Heute sollen die Jugendlichen Gemeinschaftssinn entwickeln und lernen, sich für ökologische Fragen zu interessieren. Gegenwärtiger wissenschaftlicher wie pädagogischer Schwerpunkt ist die Suche nach und das Zählen von Plastikmüll im Meer, am Meeresboden und an den Küsten. Hier bedient die "Fleur de Passion" eindeutig ein Mainstream-Interesse. Ähnliches wird beispielsweise auch auf dem Forschungs- und Medienschiff "Aldebaran" betrieben. Im Rahmen des aktuellen 5. Meereswettbewerbs "Forschen auf See" werden Schüler aus Norddeutschland mit meeresökologischen Forschungen vertraut gemacht. Die Aufgabe: Plastikmüll und Plankton zählen.

Wollte man es in ein Bild fassen, so befinden sich die sozialpädagogisch betreuten Jugendlichen in der unteren Hälfte der hierarchischen Gesellschaft, wohingegen die Organisatoren des Projekts eher in der oberen anzusiedeln wären. Die "Fleur de Passion" dient somit als Begegnungsfläche bzw. Brücke, die zu beschreiten diejenigen, die von unten kommen, keineswegs in die Lage versetzt, ein für alle Mal die Position zu wechseln oder gar die Trennung von oben und unten aufzuheben.

Als zweite Aufgabe der auf zehn Jahre angelegten Changing Oceans Expedition, so erklärte uns Niels Feldmann in seiner Power-point-Präsentation, gehöre die Öffentlichkeitsarbeit. Quod erat demonstrandum - die Schattenblick-Redaktion wäre nicht nach Bremerhaven gefahren, wenn sie nicht von der Pressekonferenz erfahren hätte. Das dritte Standbein des Projekts betrifft die Ausführung und Begleitung wissenschaftlicher Projekte, die rund um die Meeresökologie kreisen. So hat die Crew im Rahmen eines Forschungsprogramms Makromüll, der auf der Meeresoberfläche treibt, gezählt. Auch durften schon mal Forscher der Universitäten Stanford und Kalifornien auf dem Schiff mitreisen und ihre Arbeit zum menschlichen Einfluß auf die Meere vervollständigen. Das Forschungsergebnis bestand in einer Weltkarte, die das Ausmaß von 17 anthropogenen Faktoren auf die marine Umwelt zeigte und im Wissenschaftsmagazin "Science" veröffentlicht wurde.

2009 in Marsaille gestartet, soll die "Fleur de Passion" zunächst europäische und nordafrikanische Gewässer befahren und danach die Segel zu einer Weltumrundung setzen. Als verbindendes Moment der meeresökologischen Studien gilt der Einsatz für die Dokumentation des Zustands der weltweiten Meeresschutzgebiete, deren Ausweitung und dem Wissenstransfer zwischen den Managern der verschiedenen Schutzgebiete. Fast alles auf dem Schiff sei ehrenamtlich organisiert, betonte Feldmann, der erklärte, daß der Name des Schiffs - Fleur de Passion - "Passionsblume" oder auch "Blume der Leidenschaft" sehr zu ihrer Arbeit passe, da dazu viel Leidenschaft gehöre. Finanziert wird das Projekt durch Sponsoren. Auf der Website der Antinea Foundation wird der transnationale Saatgutkonzern Cargill als Hauptsponsor genannt, auch auf dem Segelschiff selbst wird ihm eine prominente Werbefläche eingeräumt. Umgekehrt darf Cargill auf seiner Website mit dem Sponsoring der Antinea Foundation werben. Man muß sich die Partnerschaft wohl so vorstellen, als hätte einst ein Brokdorf-Demonstrant zur gleichen Zeit in Aktien des Betreibers gemacht.

Cargill-Werbung auf der 'Fleur de Passion' - © 2010 by Schattenblick

Werbefläche an prominenter Stelle
© 2010 by Schattenblick

Abenteuerlust, der Umweltgedanke und die Aussicht, Jugendlichen in einem sozialpädagogischen Projekt weiterzuhelfen, treiben der eigenen Darstellung zufolge die Antinea-Aktiven an, sich neben der beruflichen Tätigkeit den Stiftungsprojekten zu widmen. Aber wie verbinden sich diese Motive in der Changing Oceans Expedition? Was heißt eigentlich Meeresschutz und wie vereint man in dieser Unternehmung den Wunsch, das Meer zu befahren und es als Source weiterhin nutzen zu können mit der Erkenntnis, daß möglicherweise jede Form von Schiffahrt, insbesondere die wirtschaftlichen Aktivitäten eines Sponsors wie Cargill, zu beträchtlichen marinen Umweltschäden führt? Wie äußert sich die Leidenschaft für das Meer und seine Bewohner? Wie wirken sich eventuell über den Meeresschutzgedanken gewonnene Einsichten auf das eigene Handeln aus? Was verändert sich darüber hinaus vielleicht auch persönlich für den einzelnen und wie meint man, im Sinne des Meeresschutzes auf die Gesellschaft einwirken zu können?

In der Absicht, uns nach der kurzen Präsentation des Antinea-Vorhabens im Deutschen Schifffahrtsmuseum einen etwas genaueren Ein- und Überblick zu verschaffen und zumindest einen Teil der vielen Fragen in diesem Zusammenhang zu stellen, begaben wir uns zu Fuß zu Schiffsbesichtigung und Gespräch im nahegelegenen Neuen Hafen von Bremerhaven. Beim Besuch auf dem Segelschiff der Expedition sollte der Schattenblick dann tatsächlich die Gelegenheit erhalten, einige Fragen an die Mitglieder der Schiffsbesatzung und den Projektleiter zu richten.

Zunächst führte uns allerdings unser Weg zum Ankerplatz der "Fleur de Passion" vorbei an Hafentürmen, ausgemusterten Booten, vor Anker liegenden Seglern und Motorschiffen und durch eine abenteuerliche Ansammlung architektonischer Kunst, in der funktionale Gebäude und Anlagen mit ambitioniertester Bauweise auffällig disharmonierten. Das einzige Segelschiff im Hafen sei es, war uns zur Orientierung mitgegeben worden. Es erwies sich dann als das mit Abstand schmuckeste Schiff im Hafen. Wie frisch gestrichen und auf Hochglanz gebracht, strahlte es dem Besucher entgegen. Von der Crew freundlich empfangen, stiegen wir an Deck, und zwei Gedanken stellten sich bei uns fast gleichzeitig ein: 'Oh, es ist viel kleiner, als ich dachte' und 'Meine Güte, wie aufgeräumt'. Daß sich dieses Schiff in den Händen von passionierten Seglern befand, war ihm sofort anzumerken.

Auf Deck der 'Fleur de Passion' - © 2010 by Schattenblick

Sonnig und sauber - die 'Fleur de Passion' lädt zum Mitreisen ein
© 2010 by Schattenblick

Augenscheinlich mit Liebe und Sorgfalt gepflegt, war es, gemessen an dem vernachlässigten Zweimaster, den es den Bildern nach bei Erwerb des Bootes dargestellt hatte, kaum wiederzuerkennen. Da zur Zeit unseres Besuchs keine Forschungsaktivitäten stattfanden und sich außer einer Kernbesatzung niemand an Bord befand, war von den vielfältigen Aufgaben, die die "Fleur de Passion" erfüllen sollte, nicht viel zu sehen. Und auch die Abenteuer warteten derzeit darauf, erlebt zu werden. So erweckte es den Eindruck eines gepflegten Urlaubsschiffs, auf dem es sich zwar beengt, aber doch eine Weile gut leben läßt. Vom Aufenthaltsraum mit Kombüse bewegten wir uns über eine schmale Treppe nach unten in die Quartiere. Die platzsparende Bauweise, die höhere Anforderungen an die Beweglichkeit stellte, hatte ganz nebenbei zur Folge, daß man sich unwillkürlich wesentlich umsichtiger als gewohnt bewegte. Daß schon allein das Bordleben für Menschen, die ansonsten an Land ihrem Beruf nachgehen oder die Schulbank drücken, ein ungewohntes Abenteuer darstellt, wurde hier schnell deutlich.

Der zur Gaffelketsch umgebaute Kriegsfischkutter hat eine Rumpflänge von 24 Metern und ist 6,50 Meter breit. Neben der Betakelung (als klimafreundliche Antriebsart) verfügt die "Fleur de Passion" über einen 280 PS Baudoin-Motor, der sich, als solches für das Laienauge schwer zu erkennen, als stählerner, blau gestrichener Block präsentiert. Wie uns der französische Maschinist Olivier Aulnette bei unserem kurzen Ausflug in den niedrigen und engen Maschinenraum geduldig und routiniert erklärte, dient der Motorantrieb nicht allein der Fortbewegung bei Flaute oder der Beschleunigung bei zu knappem Zeitplan, sondern sorgt - in doppelter Nutzung - bei Inbetriebnahme für warmes Wasser. Im Maschinenraum sind darüber hinaus Tanks für Trinkwasser sowie für Schwarz- und Grauwasser untergebracht; ebenso der Wechselstromgenerator für die Energieversorgung.

Vierzehn Schlafplätze gibt es auf dem Schiff, dazu gesellen sich kleine Arbeitsräume, eine Bibliothek, das Ruderhaus und im Zentrum des Schiffs und vermutlich aller Aufmerksamkeit, Kombüse und Aufenthaltsraum. Auf Fahrt können sich auf dem Schiff, weniger durch mangelnden Platz an Bord bedingt als durch die vorhandenen Rettungsmittel, etwa 20 Personen zur gleichen Zeit aufhalten, inklusive Crew. Eine Stammbesatzung von drei Personen ist zuständig für den Betrieb des Schiffes, weitere kommen für die Logistik und die Koordination der unterschiedlichen Aktivitäten und Projekte dazu. Die Arbeit an Bord ist großenteils ehrenamtlich, lediglich Maschinist und Kapitän sind aufgrund ihrer starken Spezialisierung und der mit ihren Aufgaben verbundenen hohen Verantwortung fest angestellt.

Zudem unterliegt die Besatzung einem Rotationsverfahren. Auf diese Weise geht man möglicherweise Konflikten aus dem Wege, die bei aller kollegialen Atmosphäre, aufgrund des engen Bordlebens mit geringen Ausweichmöglichkeiten, aus einem kleinen Problem ein riesengroßes machen können, wie uns der Kapitän bestätigte. Es versteht sich von selbst, daß alle an Bord in einem Sinne aufeinander und auf das Schiff angewiesen sind, der einen umsichtigen Umgang mit allen Beteiligten und eine klare Aufgabenteilung erfordert.

Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt nach Angaben des Projektleiters momentan im französischen Bereich, es gibt sogar eine französischsprachige, wöchentliche Radioausstrahlung von Bord. Neben der erweiterten Crew befinden sich, wie schon erwähnt, ständig wechselnde Passagiere in Form von Forschungsteams, Jugendgruppen und im weiteren Sinne Meeresschutzinteressierten auf dem Schiff. Was die Kommunikation an Bord betrifft, überwiegen Französisch und Englisch. Dabei komme man schon mal ganz schön durcheinander, und spreche dann als Franzose mit einem Franzosen auf einmal Englisch, ohne sich dessen wirklich bewußt zu sein, erklärte uns der zweisprachige Maschinist.

Die Frage, wie man als Mitreisende an Bord gelangt, beantwortete uns Caroline Sidler, eine junge Juristin aus der Schweiz, die schon immer gern einmal das Meer befahren wollte. Im Internet sei sie auf die Seite der Antinea Foundation gestoßen, habe sich per E-Mail gemeldet und sei schon wenige Monate später auf dem Schiff gewesen, erzählte sie.

Die Stammcrew auf Deck: Kapitän, Maschinist und Öko-Volontärin - © 2010 by Schattenblick

Die Stammcrew auf Deck: Kapitän, Maschinist und Öko-Volontärin
© 2010 by Schattenblick

Wie macht sich nun der Klimawandel, abgesehen von einer Erwärmung des Meeres, damit veränderter Lebensbedingungen für seine Bewohner und der zunehmenden Invasion ortsfremder Arten, an Bord bemerkbar, wollten wir wissen. Die Sonneneinstrahlung hätte sich in der Tat verändert, sie sei viel stärker geworden, das merke man unterwegs auf dem Schiff, erklärte der Kapitän auf unser Nachfragen. Früher, als Kind, habe man einmal einen Sonnenbrand bekommen und damit sei's dann gut gewesen. Heute habe man hingegen einen Sonnenbrand und nichts werde mehr gut.

Abgesehen davon, daß das Schiff im wesentlichen als Plattform für Forschungs- und andere Unternehmungen auf dem Meer zur Verfügung gestellt wird, finden auch kleinere eigene Projekte an Bord statt. Für die Forschung mit oder ohne Tauchgang, audiovisuelle Dokumentation und Präsentation befindet sich eine Grundausstattung an Bord, ergänzt durch einen Kran und ein kleines Beiboot, von dem aus die meisten Aktionen stattfinden. Zur wissenschaftlichen Ausrüstung gehören zudem ein Greifarm und ein Ausleger, mit dessen Hilfe man Treibgutmengen, eben jenen Plastikmüll, über den derzeit viel in den Medien berichtet wird, zu dokumentieren sucht. Ein Ergebnis, das die "Fleur des Passion" aus der Ostsee mitgebracht hat, dreht sich um das Aufkommen gerade dieses Plastikmülls, der weniger auf dem Meer, als auf dem Meeresgrund anzutreffen ist. Vor Darß im Nationalpark habe man entsprechende Ablagerungen in den Kolken an den Schiffswracks gefunden, Sandproben hätten auf zersetzten Plastikmüll schließen lassen.

Auch das "Dredgen" gehört zu den Forschungsaktivitäten, wobei eine Art kleiner Reuse über den Meeresboden gezogen und geprüft wird, welche Lebewesen sich dort aufhalten. Auch wenn, wie der Projektleiter kommentierte, nichts gefangen wird, kann man sich die Frage stellen, ob diese rüde Methode nicht einen Eingriff in das Studienobjekt Meer und Meeresboden darstellt, vergleichbar dem des Kindes, das, vom Forscherdrang überwältigt, dem Schuster die Beine ausreißt, um sie genau zu zählen. Sollte so - um dieses Beispiel einmal willkürlich herauszugreifen, denn das gilt für jede eingreifende Forschung - das gern zur Begründung schützerischer Ambitionen herangezogene Wort von Humboldts, der einmal gesagt haben soll: "Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben", auf diese Weise eine grausame Umkehrung erfahren? Und könnte gerade angesichts des menschlichen Aneignungshungers nicht die Liebe, die beim genaueren Kennenlernen entsteht, genau dieselbe sein, die durch den Magen geht? Und schütze ich nicht besonders das Feld, dessen Früchte ich zu nutzen hoffe? Fragen, die ihre Gültigkeit nicht verlieren, solange die eingangs geschilderten Probleme nicht gelöst sind.

Zusammenfassend haben sich unsere Erwartungen bestätigt. Das Interesse für die Umwelt im allgemeinen sowie für die Meeresumwelt im besonderen, könnte man sagen, hat in einer Entwicklung von der ursprünglichen Umweltbewegung fort in die breitere Gesellschaft Eingang gefunden und eine Verankerung im Rahmen bürgerlichen Engagements im Hobby- und Freizeitraum erfahren.

Zu drei Spiralen aufgeschossenes Seil - © 2010 by Schattenblick

Ordnung ist das A und O an Bord
© 2010 by Schattenblick


13. August 2010