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BERICHT/041: Down to Earth - Gesicht des Menschen (SB)


Stela Arar zu unerwarteten gesellschaftlichen Veränderungen in Konfliktgebieten

IGC 2012 - Weltkongreß der Geographie vom 26. bis 30. August 2012 an der Universität Köln


Blick auf Beirut von den Hängen des Libanons. Panaroma aus drei Fotos - Foto: © 2002 by Jo Weber (mit GNU-Lizenz für freie Dokumentation über Wikimedia Commons)

Die Untersuchung des Wiederaufbaus in Beirut nach geographischen Gesichtspunkten brachte unerwartete "Spin-off"-Forschungsaufgaben hervor.
Foto: © 2002 by Jo Weber (mit GNU-Lizenz für freie Dokumentation über Wikimedia Commons)

Bewaffnete Konflikte und Kriege säumen die politische Landschaft der Welt. Derzeit sind es 49 Kriegsherde, die nicht nur Ländergrenzen und Landkarten verändern, sondern auch ökologische Entwicklungen verschlimmern oder teilweise sogar für das Ausmaß von Naturkatastrophen verantwortlich sind. So wurden während des Bürgerkriegs auf Sri Lanka Mangrovenbestände rücksichtslos abgeholzt. Da die Pflanzen keinen natürlichen Schutz mehr boten, konnte der 2004 entfesselte Tsunami hier mit massiver Zerstörungskraft angreifen. In vielen von Naturkatastrophen bedrohten Gebieten führen ethnische Konflikte und das Auseinanderdriften der Gesellschaften zu starken sozialen Unruhen. Die betroffenen Menschen in den Konfliktgebieten stehen all diesen Entwicklungen meist hilflos gegenüber. Doch nicht nur Umwelt und Räume verändern sich, mit ihnen auch die Menschen, die lernen, sich an die neuen Lebensgrundlagen anpassen zu müssen. Ihre Veränderung wirkt sich unmittelbar wieder auf ihren Lebensraum und ihre soziale Umgebung aus.

All das war Grund genug für die Organisatoren des IGC 2012 in Köln auf dem 32. Weltkongreß der Geographie mit der Frage "Was können Geographen dazu beitragen?" auf diese Prozesse zu reagieren und Forschungsprojekten zu dem Themenkreis "Gewaltsame Auseinandersetzungen und Geographie (Geographies of violence)" im Rahmen eines der hier diskutierten vier großen Kernthemen ("Umgang mit Risiken: Konflikten - Katastrophen - Sicherheit. - Herausforderungen für das 21. Jahrhundert") eine Domäne einzurichten. In einer Doppelsession dazu brachte die Geographin und Doktorandin an der Durham Universität in England, Stela Arar, den bereits seit 30 Jahren immer wieder umkämpften Südlibanon in Erinnerung. Am 2. Tag des Kongresses sprach sie zum Thema: "Exploring the labyrinth of battlefields: A gender perspective on wartime narratives and representation" (Erforschung des Schlachtfelder-Labyrinths: Kriegsgeschichten und Darstellungen aus der Genderperspektive). Da Frauen im Libanon auch nach dem neuerlich "nicht" bzw. mit Einschränkungen verabschiedeten Gesetz gegen häusliche Gewalt und nach Aufhebung des Paragraphen 562 [1] des Strafgesetzbuchs immer noch vor dem Gesetz und im täglichen Leben diskriminiert werden, darüber hinaus das Ausmaß des Leids im Libanon durch den Libanonkrieg und der darauffolgenden "Nachkriegsperiode" unter israelischer Besatzung in den meisten westlichen Medien unterbelichtet oder sehr pro-israelisch gefärbt dargestellt wird, hatte sich die Referentin mit Thema und Titel an eine brisante thematische Mischung gewagt.

Denn wie Stela Arar bereits eingangs klarstellte, definiere sie sich keineswegs als Feministin. Ihr ursprüngliches Anliegen habe darin bestanden, von der Architektur und Städteplanung kommend, den Wiederaufbau in Südbeirut nach den kriegerischen Auseinandersetzungen 2006 zu untersuchen bzw. die, wie sie es nannte, Wechselwirkungen zwischen Materialität und Subjektivität, was man vielleicht einfacher in 'wie tote Materie auf das lebende Subjekt einwirkt und umgekehrt' übersetzen könnte. Mit diesem Thema beschäftigt sie sich in ihrer Doktorarbeit.

Am Rednerpult auf dem Weltkongreß der Geographie - Foto: © 2012 by Schattenblick

Miss Stela Arar
Aufgrund ihrer Feldforschung schlägt sie vor, die Rollen der Geschlechter im Zusammenhang mit Gewalt genauer zu erforschen.
Foto: © 2012 by Schattenblick


Beifang mit großem Potential

Im Verlauf ihrer humangeographischen Feldforschungsarbeit habe sich allerdings allerhand Material gewissermaßen als "Beifang" ergeben, das unter anderem auch brisantes geopolitisches Forschungspotential enthält. So würden sich aus der Auswertung ihrer Studien neue Fragen aufwerfen, zum Beispiel zum genauen Beginn des vermeintlich von Bush initiierten "War on Terror" (Kriegszug gegen den Terror), der ihrer Meinung nach möglicherweise auf eine sehr viel frühere Zeit vor dem 11. September 2009 datiert werden müsse. Auch die Frage, wie man solche Kriege benennt oder überhaupt rechtfertigt, was man daraus an Kenntnissen zum Terrorismus gewinnen könne, und Fragen zum Verhältnis von Krieg und Terror zu den beanspruchten Territorien ergäben sich aus ihrer geographischen Forschungsarbeit. Die Beziehung zwischen territorialer Integrität und benachbarter Souveränität stelle sie gleichfalls neu zur Diskussion und schlage darüber hinaus vor, die Rollen der Geschlechter im Zusammenhang mit Gewalt genauer zu erforschen.

Damit brachte sie neben den für ein Kurzreferat von 20 Minuten bereits schwer zu stemmenden politischen Themen auch noch einen feministischen Ansatz ins Spiel, der sich, auch wenn ihr persönlicher wissenschaftlicher Hintergrund ein anderer sei, in den Gesprächen und Interviews mit den Frauen, die viele Jahre von ihren Ehemännern und Familienangehörigen getrennt in der sogenannten Sicherheitszone gelebt haben, geradezu aufgedrängt hätte.

Das läßt sich gut nachvollziehen, denn wo man auch hinschaut, im Kongo, im Sudan, im Irak, im Kosovo sind die Zurückgebliebenen und Hinterbliebenen der Konflikte meist Frauen, die zudem von der ihnen zugefügten Gewalt traumatisiert sind. Auch bei der theoretischen oder geschichtlichen Auseinandersetzung mit den Themen Gewalt und Krieg läßt sich nur schwer an der Unterdrückung der Frauen vorbeidenken. Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder gehören darüber hinaus zu den bis heute angewendeten zentralen Kriegsstrategien, um den Gegner zu schwächen. [2]

Auch wenn es hier Schwerpunkt war, ist das Thema ihres Papers, die Kriegs- und Nachkriegszeit von 1982 bis 2000 im Südlibanon als Schauplatz und Austragungsort eines grundsätzlichen Rollenkonflikts zu betrachten, das sie am 28. August 2012 in Köln vorstellte, in ihrer Doktorarbeit (bzw. in ihrem Ph.D.-Projekt) an der Durham Universität in England nur Nebenprodukt oder Randnotiz.

Für ihre Feldforschung und die damit verbundenen Gespräche mit Südbeirutern, die sie 2011 ein halbes Jahr in den Libanon führte, benötigte die Referentin die Erlaubnis des Sicherheitsrates der Hisbollah. Um Zeit zu brücken, ging sie in den Südlibanon, der durch den israelischen Einmarsch 2006 und die darauffolgenden Kriegshandlungen zerstört worden war und während des Wiederaufbaus neuer Siedlungen zahlreiche Umstrukturierungen erfahren hatte. Hier traf die Geographin bei ihren Interviews hauptsächlich auf Frauen, die durch die 18jährige israelische Besatzungszeit in der sogenannten "Sicherheitszone" eine eigene geschichtliche Entwicklung hinter sich gebracht haben. [3]

Karte des Südlibanon - Foto: © 2006 by Thomas Blomberg CC-Attribution-Share Alike 2.5 Generic

Der Strip, wie die Sicherheitszone im Südlibanon umgangssprachlich genannt wird, macht etwa 10 Prozent der gesamten Landfläche des Libanon aus.
Foto: © 2006 by Thomas Blomberg CC-Attribution-Share Alike 2.5 Generic


Neue Perspektiven

Der feministische Standpunkt habe ihr geholfen, die Art der Gewalt, von der in den Gesprächen die Rede war, besser zu verstehen. Schade nur, daß die Referentin wenig auf die persönlichen Erfahrungen einging, die ihr diesen Standpunkt nahe gebracht haben, sondern - vermutlich der Kürze der Zeit geschuldet - gleich in die übergreifende Theorie einstieg.

So bezog sich Stela Arar hier auf einen Satz von V. Spike Peterson [4], in dem man eine weit über das konventionelle Verständnis hinausgehende Bedeutung des Themas Frauen und Krieg (Women and War) erkennen sollte:

Gender is a structural feature of the terrain we call world politics [...] a pervasive ordering principle (V. Spike Peterson, 1998)
[Das Geschlechterverhältnis ist ein Strukturelement des Terrains, das wir Weltpolitik nennen [...] ein alles durchdringendes, übergeordnetes Ordnungsprinzip. Übersetzung der SB-Redaktion]

Frau Arar suchte in dem obigen Zitat offenbar eine wissenschaftliche Referenz für ihre eigenen Schlußfolgerungen. In diesen sieht sie eine Beziehung zwischen dem veränderten Geschlechterverhältnis und dem sich daraus ergebenden Rollenverhalten mit der zu beobachtenden zunehmenden Unabhängigkeit (bzw. spricht sie von persönlicher "Souveränität") der überwiegend aus Frauen bestehenden Bevölkerung. Vermutlich mit Rücksicht auf die politisch komplexe Situation im Libanon beließ sie es bei dieser theoretischen Andeutung. Erst in der anschließenden Diskussion und einem kurzen Interview mit dem Schattenblick erläuterte sie ihren Standpunkt etwas genauer, ohne jedoch auf erklärende Fallbeispiele einzugehen. Offenbar setzte sie bei ihrem durchweg sehr engagierten Publikum die entsprechenden Kenntnisse einfach voraus.

Beispielsweise wurde über die alltägliche Gewalt nicht konkret gesprochen, aber indirekt in der theoretischen Umsetzung davon ausgegangen: Wie die Frauen mit dem ihnen entgegengebrachten Anspruch auf territoriale Integrität tagtäglich umgehen, der von den Kräften vor Ort wie Friedenstruppen oder NGOs, also im wesentlichen von Männern, repräsentiert wird und nur als Gewalt verstanden werden kann, zeige sich letztlich auf einem persönlichen, körperlichen bzw. "subjektiven Level", auf dem die gewaltsamen Auseinandersetzungen stattfänden.

Der Humangeographin war es hier offenbar wichtig, die eigene Herangehensweise, die sich mit den Menschen als Individuen, aber auch mit ihren Bedürfnissen beschäftige, zu anderen Forschungsprojekten über internationale Beziehungen, die diese "körperliche Ebene" ausklammern würden, zu kontrastieren.

Much of IR studies remains disembodied-writers and their subjects do not have visible bodies (Pettman, 1997)
[Viele Studien zu Internationalen Beziehungen [IR = International Relation] haben körperlose Autoren und auch ihre Subjekte haben keine sichtbaren Körper - Übersetzung SB-Redaktion]

Die Frage der Gewalt grundsätzlicher zu erörtern, ließ die Kürze des Vortrags nicht zu. Dagegen fragte man sich, ob nicht gerade mit manchen längeren Ausführungen, wie die etwas eigenmächtige und buchstäbliche Ableitung des englischen Wortes "belonging" (= "Dazugehören") von dem Homonym "be longing" (= sehnsüchtig sein), womit sie das Heimweh der Menschen ansprach, die aus dem Südlibanon in die südlichen Vororte von Beirut geflüchtet wären, genau diese brisanteren Fragen vermieden wurden.

Ein Blick auf Beirut, wie es um die Jahrhundertwende aussah - Foto: LC-DIG-ppmsca-02663 from Library of Congress, Prints and Photographs Division, Photochrom Prints Collection (da vor 1923 aufgenommen, gilt dieses Bild als gemeinfrei in dieser Sammlung)

Beirut zwischen 1890 und 1905
Foto: LC-DIG-ppmsca-02663 from Library of Congress, Prints and Photographs Division, Photochrom Prints Collection (da vor 1923 aufgenommen, gilt das Bild als gemeinfrei in dieser Sammlung)

Die Sehnsüchte der Menschen seien ihr deshalb wichtig, so die Geographin weiter, weil sich "die sozialen Ausmaße des an einer Stelle verortet sein", dann sehr viel besser verstehen ließen. Der Wunsch oder das Verlangen habe Einfluß auf die sozialen Beziehungen und Bindungen aus der gesellschaftliche und gemeinschaftliche Ordnungssysteme entstehen. Dahinter steckt eigentlich die sehr simple Frage: Wie müssen sich Menschen und in diesem Falle Frauen verhalten, um einen Ort oder Platz als ihr Eigentum oder ihre Heimat gegen andere Interessen zu beanspruchen, um also ihr Heimatrecht durchzusetzen.

Mit den wenigen, konkreten Einblicken in das alltägliche Leben während der Besatzungszeit, die Stela Arar vermittelte, deutete sie jedoch die gewaltigen Entwicklungsschritte an, die diese Frauen durch den Zugewinn an persönlicher Souveränität hinter sich gebracht haben.

Die Frauen mußten mit der Besatzung klarkommen, mit den fortwährenden Kämpfen. Sie mußten, so Stela Arar, auf einer alltäglichen Ebene in dem umkämpften Gebiet ihr Leben bewältigen lernen und beispielsweise ihre Agrarerzeugnisse an die israelische Besatzungsmacht selbst verkaufen, weil es keine libanesischen Männer gab, die dafür normalerweise traditionell zuständig gewesen wären. Sie mußten lernen, all das selbständig zu tun, was ihrem Rollenverständnis diametral entgegengesetzt war, wie einkaufen, mit Behörden verhandeln oder täglich neue innovative Wege finden, sich mit den politischen Akteuren vor Ort, den, wie Stela Arar es nennt, "benachbarten Souveränitäten", auseinanderzusetzen. Hier sowohl in der Konfliktsituation selbst als auch danach Wege der Auseinandersetzung zu finden, sei überlebenswichtig gewesen. Und das habe rückwirkend auf das soziale Leben vielfältige und sich selbst verstärkende Folgen gehabt. Unnötig zu sagen, daß sich das traditionelle Rollenverständnis der Frauen selbst irreversibel verändert hat.

Die Frauen, mit denen die Forscherin über ihr Leben in der Konfliktzone sprach, konnten das belegen. So gehöre es traditionell zu den Aufgaben der Frau, in ihren Kindern Patriotismus oder, wie Stela Arar es nannte, "Mutterlands"liebe [5] bzw. die "Vorstellung des Mutterlands" zu wecken und aufrecht zu erhalten. Dafür mußten sich die Frauen, die größten Teils weder lesen noch schreiben konnten, einiges einfallen lassen. So kamen sie darauf, statt Briefe zu schreiben, regelmäßig selbstständig angefertigte Tonaufzeichnungen an ihre Kinder und Angehörigen zu senden, die auf der anderen Seite der Grenze evakuiert waren, zur Schule gingen oder studierten. Sie lernten somit, ihre Stimme einzusetzen, um in ihren Angehörigen die Erinnerungen an die Heimat wach zu halten. Frauen werden oft mit Mutterschaft oder Begriffen wie Mutter der Nation und dergleichen assoziiert, sagte Frau Arar. Doch was die Frauen hier geleistet hätten, ginge über das allgemeine Verständnis weit hinaus. So weit, daß selbst der Referentin dafür die Worte fehlten ...

Beirut 1983 - Zahlreiche Gebäude waren während des Konflikts zwischen den israelischen Streitkräften und der PLO zerstört worden - Foto: Als amtliches Werk der Bundesregierung der Vereinigten Staaten ist dieses Bild gemeinfrei. Image No. DM-SC-87-12298. Transferred from de.wikipedia

Beirut 1983 - Die Kriegs- und Nachkriegszeit von 1982 bis 2000 als Schauplatz und Austragungsort eines grundsätzlichen Rollenkonflikts betrachtet
Foto: Als amtliches Werk der Bundesregierung der Vereinigten Staaten ist dieses Bild gemeinfrei. - Image No. DM-SC-87-12298. Transferred from de.wikipedia


Wehrhafte Nonkonformistinnen bevorzugt

Tatsächlich konnte man den Eindruck gewinnen, daß die Geographin dem Schicksal dieser Frauen, die es über 20 Jahre verstanden haben, an einem lebensfeindlichen Ort inmitten eines Guerillakriegs zu überleben und sich inmitten von Gewalt, von welcher Seite auch immer, wehrhaft zu behaupten, noch etwas Positives abzugewinnen suchte. Sie würde ihre Gastgeberinnen absichtlich nicht als "Opfer" bezeichnen, noch würde sie die traditionelle Ansicht teilen, Frauen seien generell schwach und müßten von männlichen Beschützern "behütet" und umsorgt werden, stellte sie klar. Was denn mit den traumatisierten Frauen gewesen sei, die schwere Verluste erlitten hätten oder denen selbst Gewalt am eigenen Leibe zugefügt worden sei, wurde sie in der anschließenden Diskussion kritisch befragt. Und mußte eingestehen, daß sie in ihrer Feldstudie hier keinen repräsentativen Schnitt durch die Bevölkerung angestrebt habe. Vor allem aus ethischen Gründen, um nicht die Erinnerung an den überstandenen Schmerz wieder aufzuwühlen, habe sie auf Kosten der wissenschaftlichen Gründlichkeit Menschen, die schwere Schicksalsschläge hinter sich hatten, bewußt nicht befragt und dies schon im Vorgespräch abgeklärt. Das Publikum stimmte hier mit der Referentin überein, daß man wissenschaftliche Karrieren nicht auf einer an Voyeurismus grenzenden, menschenverachtenden Analyse gründen dürfe, die nicht weniger gewalttätig ist, als jene Akteure, die man für den erlittenen Schmerz in erster Linie verantwortlich macht.

Vielleicht war die auf diese Weise vorgesiebte Material- und Zeugnissammlung für die mehr oder weniger unfreiwillige Emanzipation, auf die die Referentin schließlich zu sprechen kam, auch der Anlaß, feministische Theorien bei ihrer Auswertung anzuwenden. Was aber "das Begehren" oder vielleicht auch das Interesse, "das Menschen bewegt und antreibt", das schließlich "die gesellschaftliche Wirklichkeit" dieser Individuen erst durch ihre subjektive Wahrnehmung "konstruieren" soll, schließlich mit Feminismus zu tun hat, wurde hier nicht mehr näher erläutert, sondern - was sehr schade war - als vermutlich "humangeographische" Vorkenntnis schlicht vorausgesetzt.

Ein kritischer Hörer mochte sich bei dem engagierten Vortrag möglicherweise die Frage stellen, was wohl das "Interesse" der Referentin hier gerade selbst "konstruieren" mochte, denn das in der Konfliktzone gesammelte "brisante" bzw. "historisch wertvolle" Material ist auf den ersten flüchtigen Blick, wie Stela Arar selbst erklärte, "äußerst banal". Der Inhalt der Briefe und Tonaufzeichnungen, die sie mit zurückbrachte, bietet nur wenig für eine tiefgehendere Analyse und enthält außer Grußformeln oder mütterlichen Ermahnungen, Äußerungen über das Wetter oder guten Wünschen wenig kontextspezifische Anhaltspunkte. "Wie kann man dies überhaupt nutzen?" war somit eine sehr naheliegende Frage, mit der auch Stela Arar an die Auswertung ging. Denn fraglos sind diese Briefe für sie "weit mehr" als nur historische Beweisstücke menschlicher Erfahrungen.

In Anlehnung an die wenig bekannte Soziologin Julia Goosebridge, die sich mit visuellen Methoden beschäftigt und hierfür Photoalben wie auch ihre Herstellung auswertet, stellt auch Stela Arar Fragen an die Objekte, an ihre "Materialität" wie sie es nannte. Nicht der Text, sondern was die Briefe oder Ton-Briefe für Sender und Empfänger bedeutet haben, sowie der persönliche Umgang damit, wie sie aufgenommen, verschickt, versteckt, gehütet, immer wieder angehört oder gelesen, wertgeschätzt, mit anderen geteilt oder gemeinsam gehört und an Freunde, Familienangehörige usw. weitervermittelt worden sind, geben für sie das eigentliche Geheimnis dieser Dinge preis. Nur mit einem geschärften Blick auf diese Kommunikationsmittel könne man mehr als den Inhalt daraus entschlüsseln. Aber allein mit der Symbolik und Bedeutung käme man bei der Analyse auch nicht weiter. Man müsse diese Briefe in ihrer Verbindung zwischen dem wertgeschätzten Objekt und des ganz speziellen Umgangs damit verstehen, sagte sie, und machte neugierig, ohne Genaueres zu verraten.


Schlußfolgerungen - oder Überleitung zu neuen
Forschungsfeldern

Ebenfalls offen bleibt auch, auf welche Details ihrer Feldforschung sich ihre abschließenden Schlußfolgerungen stützen, die weniger abschließende als sich daraus eröffnende Fragen oder neue potentielle Forschungsaufgaben seien, wie die Geographin sagte. Laut Stela Arar könne das gesamte von ihr gesammelte Material, d.h. die Briefe, Tonaufzeichnungen, sowie die von ihr protokollierten Gespräche in vier weiterführende Aufgabenbereiche einfließen:

- Die Frage, ob der sogenannten "War on Terror" in der Zeit neu plaziert werden müsse und mit welcher Begründung man diese eigentlich uralte Auseinandersetzung einen "neuen" Krieg nennt.

- Die Frage nach der Beziehung zwischen territorialer Integrität und benachbarten Souveränitäten, wobei offen blieb, ob die Referentin dabei an menschliche Individuen oder an Staaten und Herrschaftsstrukturen dachte.

- Die Frage nach einem besseren Verständnis von Gewalt, über das geschlechtsspezifische Rollenverhalten begriffen.

- Und schließlich zurück zu der Frage, warum man sich auf eine Analyse der Kriegsbrief-Kommunikation konzentrieren sollte, und zwar nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf den allgemeinen Umgang damit, da sie als Objekte und "Materialitäten" maßgeblich an der Produktion von Erinnerungen beteiligt seien.

Blick ins Auditorium - Foto: © 2012 by Schattenblick

Kompetente Publikumsfragen
Foto: © 2012 by Schattenblick


Engagierte Publikumsfragen

Angesichts dieses Spektrums an verschiedenen Disziplinen wie Politik, Internationale Beziehungen, Sozialwissenschaften oder auch Kulturwissenschaften, an die sich diese Forschungsvorschläge richten, war die Frage aus dem Publikum, wie denn ihre Analyse noch in den Bereich der Geographie einzuordnen sei, oder was das alles überhaupt noch mit Geographie zu tun hat, nicht so ganz von der Hand zu weisen.

Der schlagfertige Konter der Referentin, ihr Doktorvater sage stets "Geography is about everything" [Anm. d. SB-Red.: Geographie handelt von allem] wurde von dem überwiegend aus Geographen bestehenden Publikum begeistert aufgenommen. Die Erinnerung an die Wurzeln der Geographie, die sich über das ursprüngliche Selbstverständnis als Universalwissenschaft und Naturforschung bereits weit hinaus entwickelt hat, sollte neben anderem auf diesem Kongreß bereits durch das Motto "Down to Earth" wachgerufen werden.

Tatkräftige Rückendeckung bekam sie vom Chair der Session, Prof. Dr. Derek Gregory, dem auf der Abschlußveranstaltung des Kongresses der Internationale Wissenschaftspreis der Deutschen Geographie verliehen wurde, sein Doktorvater habe immer gesagt, die Frage "ob etwas Geographie sei, wäre die wohl ungeographischste Frage überhaupt".

Stela Arar begründete ihre "Verortung" in der Geographie aber auch präziser, indem sie auf ihr Ph.D.-Projekt verwies und die Frage an den Adressaten zurückgab: Wenn die Erforschung der Beziehungen zwischen Raum und Menschen nicht zur Geographie gehören würde, was denn dann? Genau davon handele auch ihr "Paper", das aus dieser Arbeit hervorgeht. Es ginge um Menschen und ihre Beziehung zu Raum, dem Ort an dem sie leben, und wie diese Beziehung den Raum verändere und umgekehrt der Raum die Menschen. Es gehe somit um sozialgeographische Kreisläufe, zirkuläre Beziehungen. Ihre Arbeit könne zwar im Feminismus genauso verortet werden wie in der Kulturforschung oder auch in der Kriegsforschung, aber es wäre eben auch schlicht nichts anderes als Geographie.

Stela Arar im Gespräch mit dem Publikum - Foto: © 2012 by Schattenblick

'Geographie handelt von allem' - auch die zirkulären Beziehungen zwischen Menschen und ihrem Lebensraum gehören dazu.
Foto: © 2012 by Schattenblick


Denkanstöße nicht ausgeschlossen

Die Probleme, die von Stela Arar angesprochen wurden, sind nicht nur für den Libanon typisch. Hier würde einem möglicherweise zunächst eine ganz andere politische Problematik ins Auge springen. Es ging der Referentin offensichtlich auch nicht darum, spezielle Problemlösungen für diese Region aufzuzeigen. Dagegen zählt für die Frauen vor Ort vor allem, wie sie ihre Situation ändern und in die Hand nehmen können, nicht aber ein zumeist sperriger, theoretischer Überbau, um diese besser zu verstehen.

Die Sichtweise, die Stela Arar verkörpert und die die Gewaltfrage auf das sogenannte "Genderproblem" reduziert: "...Männer machen Krieg und Frauen müssen die Konsequenzen tragen. Frauen stehen immer hinter ihnen zurück mit ihrer Unwissenheit und ihrem Leid", wie sie auf einer Webseite der Occupybewegung über Frauen in Kriegsgebieten [6] zu finden ist, greift jedoch zu kurz. Denn daß Frauen tatsächlich eine bessere Welt ohne Konflikte und Kriege erschaffen könnten, wie das in diesem Zusammenhang gerne romantisiert wird, ist durchaus zu bezweifeln, wenn das Streben nach Eigentum und andere grundlegende Bedingungen, die Menschen zur Rechtfertigung benutzen, um Männer, Kinder oder Frauen zu unterdrücken, nicht ebenfalls vollständig aus unserem Denken eliminiert werden.

Ganz gleich, mit welchen politischen Realitäten man es dieser Tage im Libanon zu tun hat und wie fragmentarisch auch immer die Forschungsansätze und weiterführenden Fragen der Humangeographin innerhalb der knappen Zeit des Referats auch ausgefallen sein mögen, das sorgfältige Bemühen um Erklärungen und Details, um darin Ansatzpunkte für etwas zu finden, das Frauen selbst in die Hand nehmen können, um Veränderungen einzuleiten, wurde deutlich. Die Briefe und Tonaufzeichnungen, die Randnotizen oder Abfallprodukte ihrer eigentlichen Forschung geben zu denken, daß, um dieses Anliegen durchzusetzen bzw. Taten folgen zu lassen, nichts zu klein oder zu unbedeutend ist und durchaus weitreichende Veränderungen nach sich ziehen könnte.


Kurzinterview mit Stela Arar im Anschluß an ihren Vortrag

Schattenblick (SB): Haben sich die Einflußmöglichkeiten der Frauen, die Sie im Libanon befragt haben, tatsächlich so verändert, daß sich das bereits auf ihren unmittelbaren Lebensraum auswirkt?

Stela Arar (StA): Ja, definitiv. Ich habe 2011 mit den Frauen gesprochen, die über 20 Jahre unter israelischer Besatzung gelebt haben. Die israelischen Streitkräfte, die sogenannte IDF (Israeli Defence Force), hatten sich erst im Mai 2000 hinter die von den Vereinten Nationen festgelegte Linie zurückgezogen. Die Besatzungszeit lag also zum Zeitpunkt der Interviews erst 11 Jahre zurück.

Israelische Truppen im Südlibanon, Juni 1982 - Foto: P. Mielen at nl.wikipedia (unter GNU Free Documentation License zur Veröffentlichung freigegeben)

'Ich habe 2011 mit den Frauen gesprochen, die über 20 Jahre unter israelischer Besatzung gelebt haben.' Stela Arar
Foto: P. Mielen at nl.wikipedia (unter GNU Free Documentation License zur Veröffentlichung freigegeben)

Man kann schon erkennen, daß sich die Frauen, die tatsächlich in dieser Konfliktzone beziehungsweise Konfliktsituation verblieben sind, verändert haben und daß sich auch das Verhältnis zu ihren Kindern geändert hat. Das ist übrigens etwas, das ich sehr gerne noch genauer untersuchen möchte. Denn 20 Jahre sind eine sehr lange Zeit. Wie das die Erinnerungen der Kinder an die eigene Heimat beeinflußt hat oder in welcher Weise sich hier eine Distanz zu den Eltern in dem sogenannten Generationenunterschied abzeichnet, ist sehr aufschlußreich. Die Kinder sehen ihre Mütter als Teil eines großen Ganzen, sie sind sehr stolz auf ihre Mütter, haben aber diese unmittelbare und sehr intime Bindung zu ihnen verloren.

Mütter sind nach wie vor Mütter, nur irgendwie sehr viel größere Mütter und sie haben einen starken Symbolcharakter wie "die Mutter des Nation oder des ganzen Volkes". Aber die starke Nähe der Generationen, die Familienbindungen bestehen nicht mehr. Auch die Beziehung zwischen Ehemännern und -frauen hat sich modifiziert. Im Libanon existiert noch eine sehr konservative Gesellschaftsform. Doch die Frauen vor Ort haben nun seit 20 Jahren bewiesen, daß sie fähig sind, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen. Auch wenn sie Analphabetinnen waren, selbst wenn sie keine reguläre Ausbildung genossen hatten, um Geld zu verdienen, ist es ihnen gelungen, sich eigene Lebensgrundlagen zu schaffen und zu überleben. Und sie werden respektiert.

SB: Werden selbstständige Frauen auch von dem traditionellen, konservativen Umfeld respektiert und wird ihre Wandlung allgemein als etwas Positives wahrgenommen?

StA: Die Wandlung selbst nicht unbedingt. Die Umstände haben sich verändert und den Frauen praktisch die Möglichkeit eröffnet, sich selbst zu beweisen. Ihre Taten sind es, die ihnen Respekt verschaffen. Sehen Sie, man kann sehr stolz sein oder auch sehr klug. Wenn man aber nie um Rat gefragt wird, ergibt sich nie die Gelegenheit zu beweisen, wie klug man ist. Oder jemand ist ausgesprochen schön, geht aber nie aus dem Haus... Wenn sich die Umstände ändern, ergeben sich plötzlich neue Möglichkeiten. Deshalb haben sich die Frauen nicht unbedingt verändert, sie haben immer noch die gleichen Eigenschaften und Qualitäten. Was zählt, sind ihre Taten und Handlungen. Das, was man selbst in die Hand nimmt und macht, verändert das Umfeld. So wie Sie sich im Augenblick verändern, weil wir miteinander sprechen. Das sind alles äußerst komplexe Interaktionen und Wechselwirkungen.

Doch was ich eigentlich sagen wollte und was ich in meinen Gesprächen erkennen konnte, ist, die Umstände haben sich geändert und das gibt den Frauen die Möglichkeit, sich zu beweisen, danach zu handeln und auf diese Weise ihre Subjektivität, ihr Selbstwertempfinden, aufzubauen.

SB: Gilt das für alle Frauen oder wirkt sich die Veränderung der Frauen im Südlibanon auch auf die restliche Gesellschaft aus?

StA: Ob das für alle Frauen gleichermaßen zutrifft, kann ich nicht sagen. Meine Forschung basiert auf einer sogenannten qualitativen Analyse. Ich kann keine quantitativen Aussagen treffen, da ich nicht mit jeder Frau gesprochen habe, beziehungsweise nicht mit so vielen, daß ich daraus eine Statistik ableiten könnte. Mein ganz persönlicher Eindruck ist aber: Ja, die meisten Frauen haben sich verändert und zwar in unterschiedlichster Weise. Wie sie sich, wie ich geschildert habe, bei Kindern und Familienangehörigen Respekt verschaffen konnten, ist nur ein Beispiel von vielen, die ich nennen könnte.

Die Frauen sind zu einer sehr viel stärkeren Gemeinschaft zusammengewachsen. Jede von ihnen ist dadurch gewachsen. Sie vertrauen einander. All das gab es vorher nicht. Und so haben sie sich auf sehr vielen Ebenen in ihrer Gesellschaft verändert.

SB: Das sind doch Errungenschaften, die sie hoffentlich nicht wieder unter anderen Umständen aufgeben werden, oder denken Sie, dieser Prozeß könnte sich noch einmal umkehren?

StA: Nein, nein, nein (lacht), da gibt es kein Zurück mehr! Warum auch. Natürlich werden sich diese Frauen weiter verändern, so wie wir alle. Nicht alle werden auf die gleiche Weise geradlinig voranschreiten. Manchmal geht es ein paar Schritte zurück, wenn man sich an etwas erinnert und manchmal versuchen wir auch die Vergangenheit zu ändern, wenn sie uns nicht gefällt. Aber es geht darum, was wir aus der Zukunft machen, nicht um das, was wir sind oder waren. So sehe ich das.

Stela Arar mit SB-Redakteurin - Foto: © 2012 by Schattenblick

Stela Arar im Gespräch
'Die Frauen sind zu einer sehr viel stärkeren Gemeinschaft zusammengewachsen. Sie haben sich auf sehr vielen Ebenen in ihrer Gesellschaft verändert.'
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB.: Und wie schätzen Sie die Situation im Libanon augenblicklich ein?

StA: Dort ist es im Moment sehr hektisch. Die Beziehungen zu Syrien sind äußerst angespannt. Ich kann nicht sagen, wie sich das entwickeln wird. Möglicherweise wird es einen neuen Bürgerkrieg geben, allerdings aus anderen Gründen als zuvor. Der erste libanesische Bürgerkrieg fand zwischen Christen und Moslems statt. Dieses Mal wird er zwischen politischen Koalitionen stattfinden. Es geht also nicht um Religion, sondern tatsächlich um Politik, d.h. wer für und wer gegen Assad ist. Also ist zu befürchten, daß es wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt und das ist überhaupt nicht gut. Ich schätze, daß uns ein Jahr voller Chaos bevorsteht, aber das ist meine ganz persönliche Sicht der Dinge.

SB: Müßte man nicht das, was augenblicklich zwischen Syrien und dem Libanon stattfindet, schon Bürgerkrieg nennen?

StA: Ja, mit Einschränkungen. Ich mag dieses Szenario nicht in aller Konsequenz zuende denken. Ein Bürgerkrieg würde noch weitere Konflikte zwischen politischen Parteien und anderen Akteuren entfachen. Angenommen, es kommt zu einem Bürgerkrieg im Libanon, der von Syrien ausgehen würde, dann wird sich die Hisbollah einmischen, der Iran wird in den Konflikt einsteigen, ebenso Saudi Arabien, ebenso das United Kingdom und schließlich auch Israel... Unabsehbar, wohin das führen wird...

SB: Das heißt, sie glauben nicht, daß der Konflikt allein in Syrien stattfindet und dort auch beigelegt werden kann?

StA: Nein, sicher nicht. Die Konflikte im mittleren Osten sind für ihre Weitläufigkeit bekannt. Das ist ein sehr sensibles Thema.

SB: Frau Arar, vielen Dank für das Gespräch.

Anmerkungen:

[1] Laut des jüngsten Jahresbericht von Amnesty International, wurden Frauen noch immer vor dem Gesetz und im täglichen Leben diskriminiert. Sie wurden Opfer von sexueller Gewalt, auch durch männliche Verwandte. Im August 2011 hob die Regierung allerdings Paragraph 562 des Strafgesetzbuchs auf, wonach Personen, die für schuldig befunden worden waren, Verwandte getötet oder verletzt zu haben, auf milde Strafen hoffen durften, wenn sie nachweisen konnten, daß die Tat zur Aufrechterhaltung der "Familienehre" begangen worden war. Ebenfalls im August wurde das Strafgesetzbuch dahingehend geändert, daß Menschenhandel unter Strafe gestellt und Strafen gegen Menschenhändler festgesetzt wurden.

Libanesische Frauen konnten nach wie vor ihre Staatsbürgerschaft nicht auf ihre Ehemänner und Kinder übertragen. Im September kam es allerdings zu einer Reform des Arbeitsrechts. Mit der Novelle wurden Beschäftigungsbeschränkungen für nicht-libanesische Ehepartner und Kinder von libanesischen Frauen aufgehoben. Die Auswirkungen der neuen Gesetze waren zum Ende des Berichtsjahres noch nicht abzusehen. Das Parlament diskutierte weiterhin einen Gesetzentwurf, der häusliche Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe strafbar machen soll. Das Gesetz wurde jedoch noch nicht verabschiedet.

Siehe dazu auch:

http://www.amnesty.de/jahresbericht/2012/libanon

und:

http://www.schattenblick.de/infopool/politik/soziales/psfra375.html

[2] "Im Sudan verüben Regierungssoldaten und Milizen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist eine zentrale Strategie ihrer Kriegsführung.", ai-Journal August 2004, Sexuelle Gewalt gegen Frauen als Kriegsstrategie, siehe auch:

http://www.amnesty.de/umleitung/2004/deu05/100?lang=de%26mimetype%3dtext%2fhtml

[3] In den Abstracts zu ihrem Paper schreibt Stela Arar, daß sich ihre Arbeit auf den sogenannten "Strip", eine zehn bis fünfzehn Kilometer breite sogenannte Sicherheitszone im Südlibanon bezieht. Isrealische Truppen (auch genannt: IDF - Israeli Defence Force) marschierten hier am 6. Juni 1982 auf Befehl des Regierungschefs Menachem Begin zum zweiten Mal nach 1978 ein und besetzten unter der Bezeichnung "Frieden für Galiläa"-Feldzug den gesamten Südlibanon bis Beirut, um die Führer der palästinensischen PLO (Palestinian Liberation Organisation) zu vertreiben und ihre Guerillatruppen zu zerschlagen. Israel besetzte den südlichen Libanon mit seiner Armee zunächst bis 1985, richtete aber laut Stela Arar bereits 1983 ein Gebiet bzw. eine Pufferzone ein, das fortan als "Sicherheitszone" bezeichnet wurde, und das etwa 18 Jahre unter israelischer Besatzung bleiben sollte, auch als sich die IDF längst aus der Hauptstadt zurückgezogen hatte. Der überwiegend agrarwirtschaftlich genutzte ländliche Raum war nach kurzer Zeit entvölkert und für die verbliebene Bevölkerung vollständig vom Umland abgeschnitten.

Israel rechtfertigte sein Vorgehen damit, auf diese Weise sein nördliches Territorium vor vermeintlich terroristischen Übergriffen zu schützen.

Warum die Bevölkerung in dem fraglichen Gebiet nach wie vor hauptsächlich aus Frauen besteht, wurde weder im Vortrag noch in der anschließenden Diskussion erörtert. So blieb die Frage von welchen "Ehemännern" und welcher von ihnen vertretenen politischen Gesinnung sich die Frauen möglicherweise ebenfalls noch emanzipieren mußten, ungeklärt. Laut Stela Arar wurde die "Sicherheitszone" erst am 24. Mai 2000 von Israel geräumt. Man kann vermuten, daß einige der dortigen Libanesen, insbesondere Milizionäre der mit Israel kooperierenden SLA und deren Familien, nach Israel übersiedelten, da sie einerseits mit Strafverfolgung durch den libanesischen Staat rechnen mußten und andererseits als "Verräter" mit Ächtung durch die libanesischen Bevölkerung zu rechnen hatten. Daß bereits in der Zeit der israelischen Besatzung die Frauen hier größtenteils auf sich gestellt waren und womit sie sich in dieser Zeit auseinanderzusetzen hatten, wurde nicht thematisiert.

[4] V. Spike Peterson ist Professorin für Internationale Beziehungen an der Universität von Arizona (School of Government and Public Policy) und vertritt die Auffassung, daß "Gender" (was ihrer Auslegung nach im Deutschen als Geschlechterverhältnis übersetzt werden müßte) als "konstitutiv" für die Organisation sozialer und damit auch politischer Aktivitäten betrachtet werden sollte.

[5] Das Wort Mutterlandsliebe gibt es eigentlich nicht, obwohl es sich plausibel anhört. Stela Arar spricht von dem Gedenken und der Erinnerung an das "Motherland" (Mutterland), von dem man abstammt. Mutterland bedeutet eigentlich Kernland und ist kein Synonym von Vaterland (Fatherland). Im englischen Sprachgebrauch werden die Begriffe immer häufiger synonym verwendet, haben aber eine etwas unterschiedliche Bedeutung, die aber zunehmend verwischt. Motherland wird mehr mit Geburtsort, Heimat und dem Großziehen der Nachkommen in Verbindung gesetzt, während "Fatherland" mehr an Gesetz und Ordnung erinnert.

[6] Mehr darüber auf der Webseite der Occupybewegung:
http://occupydenkfabrikwannfrieden.wordpress.com/2012/08/17/hort-bitte-diesen-witwen-und-vergewaltigten-frauen-aus-kriegs-gebieten-zu-aus-dem-irak-und-dem-kongo-und-dann-denken-ob-wir-nicht-aktiv-sein-sollten-um-kriege-endlich-weltweit-zu-verbieten-und-ke/

Weitere Berichte und Interviews zum Weltkongreß der Geographie 2012 in Köln finden Sie, jeweils versehen mit dem kategorischen Titel "Down to Earth", unter
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26. November 2012