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BERICHT/071: Klimaschutz, Klimarat, Bilanzen - abgrenzen, ausgrenzen, eingrenzen ... (SB)


Science & Policy: Exploring Climate Solutions

Gemeinsame Veranstaltung des IPCC, der Technischen Universität Berlin und der Stiftung Mercator zur ersten öffentlichen Vorstellung der Ergebnisse der AG III zum 5. Sachstandsbericht des Weltklimarats am 14. April 2014

Präsentation unter verschärften Sicherheitsmaßnahmen - Eindrücke von einer wegweisenden wissenschaftlichen Veranstaltung zum Problem der globalen Erwärmung



Wenn nicht unverzüglich entscheidende Maßnahmen zur Verringerung der von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen ergriffen werden, wird sich die globale Durchschnittstemperatur bis Ende des Jahrhunderts um 3,7 bis 4,8 Grad Celsius gegenüber dem Beginn der Industrialisierung vor rund 200 Jahren erhöhen. Davor warnt der Weltklimarat, jener im November 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) ins Leben gerufene zwischenstaatliche Ausschuß für Klimawandel, der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC).

Nebeneinander in der vordersten Sitzreihe des Audimax - Foto: © 2014 by Schattenblick

(Von links nach rechts:) Prof. Dr. Christian Thomson, Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Dr. Rajendra Pachauri, Prof. Dr. Chris Field, Dr. Wolfgang Rohe
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schon fünf Mal innerhalb der letzten 24 Jahre bringt die internationale Gemeinschaft von Klimaforschern einen "Sachstandsbericht" heraus, zuletzt am 13. April den Teilbericht III zum Thema "Klimaschutz". Dem war eine Woche intensive Verhandlungen mit Vertretern der Politik über jede einzelne Formulierung in der Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger, der "Summary for Policymakers", vorausgegangen. Im Oktober dieses Jahres folgt der abschließende "Syntheseband", der die Berichte aller drei Arbeitsgruppen (AGI: Physikalische Grundlagen des Klimawandels, AGII: Folgen des Klimawandels und Anpassungsmaßnahmen, AGIII: Vermeidungsmaßnahmen) zusammenfaßt; erst dann ist das Gesamtpaket, das sich "5. Sachstandsbericht des IPCC" nennt, vollständig abgeschlossen.

Am Montag, den 14. April 2014, wurde an der TU Berlin der Bericht der Arbeitsgruppe III erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Aus nachvollziehbaren Gründen hatten die Organisatoren den Ökonomen und Klimaexperten Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Co-Vorsitzender der AG III, eingeladen, damit er die wichtigsten Ergebnisse vorstellt. Auch daß mit Prof. Dr. Chris Field der Leiter der AG II, deren Ergebnisse im März in Yokohama vorgestellt worden waren, und mit Dr. Rajendra Pachauri der Vorsitzende des IPCC ihre Stellungnahmen abgeben sollten, bot sich an. Nicht fehlen durften selbstverständlich der Gastgeber, Prof. Dr. Christian Thomson, Präsident der TU Berlin, und Dr. Wolfgang Rohe, Exekutivdirektor der Stiftung Mercator, die die öffentliche Präsentation mitgetragen hat. Doch über die Einladung des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, konnte man durchaus geteilter Meinung sein. Und man war es auch. Schon im Vorfeld war Kritik daran geübt worden, am selben Tag brachten diverse Initiativen und Organisationen vor Ort ihre Ablehnung zum Ausdruck.

Der Auftritt Gabriels war in mehrfacher Hinsicht eine klare Botschaft, fast schon eine Kampfansage an seine Kritiker, mindestens aber eine Richtungsentscheidung für die gesamte Veranstaltung. Das läßt sich verdeutlichen, wenn man sich vorstellt, wer statt dessen - oder zumindest zusätzlich - hätte eingeladen werden können. Beispielsweise eine Vertreterin oder ein Vertreter eines flachen Inselstaats wie Tuvalu, damit sie oder er vom Standpunkt der unmittelbar von der Erderwärmung Betroffenen berichtet, daß der Meeresspiegel steigt und die akute Gefahr besteht, daß ihre Heimat vom Meer verschlungen wird. Schon vor vielen Jahren haben die kleinen Inselstaaten von der internationalen Gemeinschaft gefordert, verbindliche und wirksame Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen, ohne daß dies auch nur im entferntesten in Erwägung gezogen wurde.

Von der Presse umringt streckt Gabriel im Gespräch mit Pachauri mahnend den Zeigefinger empor - Foto: © 2014 by Schattenblick

Die Politik gibt den Takt vor ... Sigmar Gabriel (links) im Gespräch mit dem IPCC-Vorsitzenden Rajendra Pachauri
Foto: © 2014 by Schattenblick

Statt dessen also der Wirtschaftsminister- und Energieminister, der erst wenige Tage zuvor ein Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vorgestellt und zudem bei der Europäischen Union durchgesetzt hat, daß ein beträchtlicher Teil der deutschen Großindustrie weiterhin von der Ökostromumlage [1] befreit bleibt, wohingegen die Kleinverbraucher zur Kasse gebeten werden sollen. In der Novelle wird zwar von einem Ausstieg aus der emissionsstarken Braunkohleverstromung gesprochen, doch fehlt dazu ein verbindliches Ausstiegsszenario und, was noch schwerer wiegt, es wird, so weit sich das absehen läßt, für keinen angemessenen Ersatz gesorgt, da der Ausbau der erneuerbaren Energien ausgebremst wird.

Wenn aber die Produktivkraft Deutschlands weiterhin wie bisher auf dem hohen Niveau bleiben oder dieses sogar noch angehoben werden soll, ist damit ein Energieverbrauch verbunden, der sehr empfindlich auf Engpässe reagieren würde. Mangels Alternativen in der Novelle könnte die jetzt von Gabriel auf den Weg gebrachte Energiepolitik a) auf eine Verlängerung der umstrittenen Braunkohleverstromung, b) auf die Förderung von unkonventionellem Erdgas mittels der nicht weniger umstrittenen Methode des Frackings und c) auf die Wiedereinführung der sogar höchst umstrittenen Kernenergie hinauslaufen. Zwar sagte Gabriel in seiner Rede, daß er in fast allem mit Prof. Edenhofer übereinstimme, nicht jedoch darin, daß die Kernenergie als emissionsarme Technologie unverzichtbar sei. Aber dabei könnte es sich um eine taktische Erklärung handeln, die genauso schnell hinfällig wird, wie es einem Umweltminister gelingt, auf Wirtschaftsminister umzuschalten und nahezu das Gegenteil von dem zu propagieren, was er zuvor vertreten hat.

Da mutet es ziemlich realitätsfern an, wenn die Arbeitsgruppe III auch ein Szenario dafür durchgerechnet hat, demzufolge nicht nur das sogenannte 2-Grad-Ziel [2], sondern selbst das von den flachen Inselstaaten geforderte 1,5-Grad-Ziel erreichbar wäre. Berechnen läßt sich natürlich vieles, beispielsweise das absurde Szenario, wie man es erreichen könnte, daß auf der Erde Verhältnisse wie auf dem Planeten Venus mit einer Atmosphärentemperatur von durchschnittlich gut 460 Grad herrschten. Aber das wäre natürlich jenseits der Realität, sprich: der gesellschaftlich vorherrschenden Interessen. Selbiges gilt für das 1,5-Grad-Ziel.

Die Wissenschaft erhebt den Anspruch, unpolitisch zu sein, erweist sich aber an solchen Stellen von ihrer Funktion her als sehr politisch: Niemand kann ernsthaft damit rechnen, daß die Industriestaaten und aufstrebenden Schwellenländer auf ihre Vorteile verzichten, damit die ärmeren Staaten mit ihnen gleichziehen. Im Rahmen einer Staatenordnung, in der die wirtschaftlichen Akteure Fortschritt im wesentlichen auf dem Prinzip der Konkurrenz generieren, entspricht logischerweise der Vorteil des einen dem Nachteil aller anderen.

Mitglieder der Kampagne im Mittelgang des Audimax, am Rednerpult der Wirtschafts- und Energieminister - Foto: © 2014 by Schattenblick Im Audimax aufgehängte Fotokopie der Studentenvertretung der TU Berlin mit Kritik an der Energiepolitik Gabriels - Foto: © 2014 by Schattenblick

links: "The Future"-Aktivistinnen und -Aktivisten beobachten Sigmar Gabriel während seiner Erklärung, warum die industriefreundliche Energiepolitik der Bundesregierung angeblich vernünftig ist.
rechts: Klare Ansage
Fotos: © 2014 by Schattenblick

Auf welchen politischen Sinneswandel - und um den geht es in der Frage des Klimaschutzes maßgeblich - die ärmeren Staaten ihre Hoffnung auf Hilfe stützen könnten, blieb auch nach der Veranstaltung mit ihren vielen eindringlich mahnenden Stellungnahmen, die allerdings häufig in zweckoptimistisch klingenden Erklärungen mündeten, offen. Bis jetzt spricht sehr vieles dafür, daß sich die internationale Gemeinschaft zu keinen verbindlichen Klimaschutzzielen durchringen wird, die den Temperaturanstieg auf durchschnittlich zwei Grad Celsius begrenzen würde.

Alle entsprechenden Versuche in der Vergangenheit sind grandios gescheitert, nicht erst seit dem Klimagipfel 2009 in Kopenhagen, sondern schon 1997 mit dem Klimaschutzprotokoll von Kyoto, das den Unternehmen der Industriestaaten die Möglichkeit einräumt, sich mittels der sogenannten Clean Development Mechanisms (CDM) von empfindlichen Energieeinsparungen freizukaufen, in die Länder des Süden zu expandieren und sich das auch noch als Klimaschutzmaßnahme anrechnen zu lassen. Das europäische Emissionshandelssystem ist ein Ergebnis dieser Entwicklung. Ob es reformierbar ist, wie von Prof. Edenhofer und anderen Wissenschaftlern vorgeschlagen, wird in der Fachwelt durchaus kontrovers diskutiert. [3]

Selbst das Szenario einer globalen Temperaturerhöhung von bis zu 4,8 Grad Celsius bis zum Jahr 2100 könnte noch zu positiv ausfallen, wenn die Treibhausgasemissionen in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen, wonach es laut den jüngsten Daten des Bundesumweltamts in Deutschland [4], deutlicher noch laut den Angaben der Internationalen Energieagentur weltweit [5] aussieht.

Wo, bitte schön, findet der erforderliche Sinneswandel statt, um den Energiesektor zu dekarbonisieren, wie es die AGIII als notwendig bezeichnet hat, damit das 2-Grad-Ziel bis Ende des Jahrhunderts noch eingehalten wird?

Am Zustandekommen des Berichts war die geballte wissenschaftliche Expertise von Hunderten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beteiligt. Sie haben zwei hauptsächlich treibende Faktoren des anthropogenen Klimawandels identifiziert, das Bevölkerungs- und das Wirtschaftswachstum. Spielt es nicht vorherrschenden Interessen in die Hände, wenn "Wirtschaftswachstum" weiterhin als das zentrale Referenzkriterium genommen und erklärt wird, daß wirksame Klimaschutzmaßnahmen nur 0,06 Prozent jährlich eines angenommenen Wirtschaftswachstums von 1,3 bis 3 Prozent verringern würden? Ist das die Vorstellung der Wissenschaft von "wir sind nicht politisch"?

So wäre zu fragen: Ist eine Welt, die nicht nach der Doktrin des permanenten Wirtschaftswachstum organisiert ist, ausgeschlossen? Anders gefragt: Wer hat ein Interesse daran, daß das ausgeschlossen ist? Ist somit eine Welt ohne die hier propagierte dekarbonisierte, "grüne" Wirtschaft nicht vorstellbar oder ist sie einfach nur unerwünscht? Das ist zweifellos kein zu vernachlässigender Unterschied.

Daß zu der IPCC-Veranstaltung kein Einwohner einer Weltregion, in der sich das Klima bereits stärker verändert hat als in den hiesigen Breiten, sondern der Wirtschafts- und Energieminister eines führenden Industriestaats eingeladen wurde und dieser erwartungsgemäß die von ihm mitzuverantwortende Politik der Großen Koalition lobt, ist eine Ohrfeige für alle Marginalisierten auf dem übrigen Globus, deren Dauernot und Mangelsituation Voraussetzung des Wohlstands auch hierzulande ist.

Die 'Honorationen' im Blitzlichtgewitter - Foto: © 2014 by Schattenblick Sicherheitsmann beobachtet von der Balustrade herab den Saal - Foto: © 2014 by Schattenblick

... und man siehet die im Lichte ...
... die im Dunkeln sieht man nicht.
Fotos: © 2014 by Schattenblick

Da ist es von großem symbolischen Gehalt, daß für Sigmar Gabriel ein für eine Wissenschaftsveranstaltung enormer Sicherheitsaufwand betrieben werden mußte. Die Security war überall zugegen, teils offen, teils dezent im Hintergrund. Taschen und Rucksäcke mußten abgegeben werden, für Kameras benötigte man eine Freigabe, und im Vortragsraum selber befand man sich von allen Seiten unter Beobachtung. Da kam der Eindruck auf, daß dieser Sicherheitsaufwand ein Symbol dafür ist, wie die Wohlstands- und klimatisch bevorteilten Regionen der Erde sich gegenüber den Armuts- und Klimaflüchtlingen, die sich teilweise heute schon um die letzten Überlebenspfründe bis aufs Messer bekriegen, abgrenzen.

Das Grenzregime der Europäischen Union in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Marokko, die Hightech-Grenzanlage der USA gegenüber Mexiko, der Grenzzaun des Diamantenprofiteurs Botswana gegenüber dem mit Sanktionen bedachten Simbabwe, all diese und viele Grenzbefestigungsanlagen auf der ganzen Welt wurden zwar nicht explizit gegenüber Klimaflüchtlingen errichtet, aber immer gegenüber ärmeren Regionen, die häufig auch klimatisch benachteiligt sind.

Wenn nun eben diese Staatenordnung mit Gesellschaften, in der sich eine nahezu einheitlich auf Wachstum getrimmte Produktionsweise durchgesetzt hat, nicht in Frage gestellt wird, dann gibt es keinen Grund anzunehmen, daß sich daran etwas ändern wird, sollten sich die Überlebensbedingungen der Menschheit in einer düsteren Zukunft im Zeichen des Klimawandels weiter verengen. "Es kostet nicht die Welt, den Planeten zu retten", lautet ein viel zitierter Slogan Prof. Ottmar Edenhofers. Dem wäre zu erwidern: Wenn es nur die halbe Welt kostet, welche Hälfte wird es sein?

Die Veranstaltung an der TU Berlin hinterließ den Eindruck, daß jenseits der professionellen Organisation und mitunter menschlichen Begegnungen nicht die Rettung des Planeten, sondern die der Ökonomie und ihrer Profiteure ausgehandelt wurde.

Aus Zweigen und Stoff- bzw. Plastikplanefetzen zusammengesetzte Notbehausung auf sandigem Wüstenboden - Foto: Cate Turton/Department for International Development, freigegeben als CC BY 2.0 Generisch via Flickr Gäste an Stehtischen, luxuriös wirkendes Ambiente - Foto: © 2014 by Schattenblick

links: Flüchtlingslager Dolo Ado, Äthiopien, 26. Juli 2011. So behelfsmäßig die Behausung - da, wo die Flüchtlinge herkommen, sind die Lebensverhältnisse noch unwirtlicher.
Foto: Cate Turton/Department for International Development, freigegeben als CC BY 2.0 Generisch via Flickr.
rechts: Nach der IPCC-Präsentation bat die TU Berlin im Lichthof zum Empfang
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Mit der Ökostromumlage bzw. EEG-Umlage werden die Subventionierungskosten für die erneuerbaren Energien auf die Stromendverbraucher verteilt. Davon ausgenommen sind laut dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in diesem Jahr bereits mehr als 2000 Unternehmen.
http://www.bafa.de/bafa/de/energie/besondere_ausgleichsregelung_eeg/publikationen/statistische_auswertungen/

[2] Das 2-Grad-Ziel besagt, daß die globale Durchschnittstemperatur bis Ende des Jahrhunderts nicht um mehr als zwei Grad Celsius gegenüber dem Beginn der Industrialisierung steigen soll. Ein zentrales Mittel, mit dem dieses Ziel angestrebt wird, ist die Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Würde das Ziel erreicht, wäre das noch immer mit schwerwiegenden klimatischen Folgen verbunden - nicht zuletzt deshalb, weil es sich um einen Mittelwert handelt, in den extrem heiße und extrem kalte Temperaturwerte einfließen und sich ausgleichen können.

[3] http://scrap-the-euets.makenoise.org

[4] http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/384/bilder/dateien/2_abb_thg-emissionen_2014-03-07_0.pdf

[5] http://www.iea.org/media/translations/weo/Redrawing_Energy_Climate_Map_German_WEB.pdf


Hinweis:
SB-Interviews zur IPCC-Veranstaltung am 14. April 2014 an der TU Berlin:

INTERVIEW/096: Klimaschutz, Klimarat, Bilanzen - Der Beitrag Politik ... Prof. Ottmar Edenhofer im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0096.html

INTERVIEW/097: Klimaschutz, Klimarat, Bilanzen - Emissionen an die Kette, Dr. Felix Creutzig im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0097.html

INTERVIEW/098: Klimaschutz, Klimarat, Bilanzen ... und endlich doch Kernenergie? Julian Genten im Gespräch (SB)
http://schattenblick.com/infopool/umwelt/report/umri0098.html

22. April 2014