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INTERVIEW/005: Klima, Aerosole - Alan Robock, Klimaforscher an der Rutgers University (SB)


Prof. Dr. Alan Robock im Gespräch mit SB-Redakteuren - Foto: © 2011 by Schattenblick

Prof. Dr. Alan Robock im Gespräch mit SB-Redakteuren
Foto: © 2011 by Schattenblick

Interview mit dem Klimaforscher Prof. Dr. Alan Robock am 12. August 2011 in Hamburg

Alan Robock, Professor of Climatology am Department of Environmental Sciences der Universität Rutgers in New Jersey und Stellvertretender Direktor des dortigen Center for Environmental Prediction, gehört zu den führenden Klimawissenschaftlern der Welt. Nicht zufällig hat er als Präsident der Atmospheric Sciences Section der American Geophysical Union die Leitung der Arbeitsgruppe I für den 2013 zur Veröffentlichung vorgesehenen Fünften Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaveränderungen der Vereinten Nationen (IPCC), auch Weltklimarat genannt, inne. Während seiner langen Karriere war Robock Chefredakteur des Journal of Climate and Applied Meteorology sowie des Journal of Geophysical Research-Atmospheres und hat mehr als 300 Artikel zu den eigenen Forschungsergebnissen veröffentlicht.

Ende 2006, Anfang 2007 sorgten Robock und seine Kollegen Owen Brian Toon, Richard P. Turco, Charles Bardeen, Luke Oman und Georgiy L. Stenchikov mit einer Studie weltweit für Schlagzeilen, in der sie zeigten, daß selbst ein begrenzter Atomkrieg wie zum Beispiel zwischen Indien und Pakistan vor allem aufgrund der dabei ausgelösten Brände jahrelange, katastrophale Auswirkungen auf das globale Klima hätte. Die brisante Studie erschien am 2. März 2007 in der Zeitschrift Science unter dem Titel "Consequences of Regional-Scale Nuclear Conflicts" (Auf der Basis von Vorabveröffentlichungen in der Fachpresse hatte der Schattenblick im Dezember 2006 auf die politische Bedeutung der Studie mit Blick auf den schwelenden Atomstreit zwischen den USA und dem Iran aufmerksam gemacht). Auf der Konferenz "Severe Atmospheric Aerosol Events", die am 11. und 12. August in Hamburg stattfand, hat Alan Robock den Vortrag "Climatic Consequences of Nuclear Conflict" gehalten. Anschließend führte der Schattenblick mit ihm ein Interview zu diesem Thema.


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Schattenblick: Professor Robock, Sie waren bei der Entstehung des Modells des "nuklearen Winters" dabei. Könnten Sie uns schildern, wie es dazu gekommen ist?

Alan Robock: Paul Crutzen und John Birks haben 1982 einen Artikel darüber für Ambio, eine Fachzeitschrift der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften, geschrieben. Es handelte sich um eine Sonderausgabe mit doppeltem Umfang zum Thema der potentiellen Folgen eines Atomkriegs. In ihrem Ambio-Artikel befaßten sich Crutzen und Birks mit der Frage der Luftverschmutzung und der chemischen Auswirkungen auf die Atmosphäre. Sie haben gezeigt, daß der durch die schweren Brände im Falle eines Atomkrieges zu erwartende Rauch das Sonnenlicht blockieren würde, wodurch weniger ultraviolettes Licht für die Ozonproduktion zur Verfügung stände. Damit waren sie die ersten, die auf die schwerwiegenden Folgen, die ein Atomkrieg für das Weltklima haben könnte, hinwiesen. Bis dahin hatte praktisch niemand daran gedacht.

SB: Und daraus ist dann die Idee des "nuklearen Winters" entstanden?

AR: Daraufhin hat die TTAPS-Gruppe - R. P. Turko, O. B. Toon, T. P. Ackerman, J. B. Pollock und C. E. Sagan - ein Modell getestet und die Ergebnisse unter dem Begriff des "nuklearen Winters" in einem Artikel für die US-Zeitschrift Science veröffentlicht. Sie haben sich dabei übrigens mit sowjetischen Kollegen ausgetauscht, was zur Plausibilität und Verbreitung des Modells beitrug.

SB: Inwieweit haben die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den klimatischen Auswirkungen eines Atomkriegs ihren Niederschlag bei den Überlegungen der Politiker und Militärs in Hinsicht des potentiellen Einsatzes von Kernwaffen gefunden?

AR: Kaum bis gar nicht. Ich habe den Eindruck, sie wußten nicht einmal von der Existenz solcher Studien.

SB: Aber Sie haben in Ihrem Vortrag die These vertreten, daß die Debatte um den "nuklearen Winter" bereits vor dem eigentlichen Ende des Kalten Kriegs zu einer nennenswerten Reduzierung der Anzahl der in den amerikanischen und sowjetischen Waffenarsenalen lagernden Nuklearsprengköpfe beigetragen hat.

AR: Das stimmt. Ich denke, daß die Diskussion Mitte der achtziger Jahre um den "nuklearen Winter" wesentlich zur Beilegung des Wettrüstens zwischen den USA und der Sowjetunion beigetragen hat. Die Wissenschaftler in den Atomlaboren und die Rüstungsindustrie, die Interesse am Status quo hatten, taten das ganze Szenario zunächst als Spinnerei seitens irgendwelcher linken Akademiker an der Hochschule ab. In der Öffentlichkeit warfen einige Kommentatoren die Frage auf, warum man sich Gedanken über die indirekten Folgen eines Atomkriegs machen sollte, wo wir alle ohnehin durch die Explosionen vernichtet würden. Immerhin hat unsere Stoßrichtung viele Menschen dazu gebracht, sich erneut mit dem Thema Atomkrieg zu befassen, wodurch in der Öffentlichkeit die Ablehnung von Kernwaffen als militärisches Mittel deutlich wuchs.

Prof. Dr. Alan Robock - Foto: © 2011 by Schattenblick

Vertiefende Fragen am Rande
der SAAE-Konferenz
Foto: © 2011 by Schattenblick
Ihrerseits verbarrikadierten sich die Militärs hinter dem Standpunkt, bei der Atomwaffe handele es sich um eine Bombe wie jede andere auch, sie besitze lediglich mehr Sprengkraft. Doch die Studien um den "nuklearen Winter" zeigten, daß der Atomkrieg Selbstmord wäre. Selbst wenn Land A einen erfolgreichen Erstschlag gegen Land B durchführen könnte, so daß es letzterem nicht gelänge, auch nur eine einzige Atomwaffe als Vergeltung abzufeuern, würden die klimatischen Auswirkungen alle Menschen in Land A umbringen. Je bekannter das Szenario des "nuklearen Winters" wurde, um so mehr breitete sich in der Öffentlichkeit die Erkenntnis aus, daß der Atomkrieg Selbstmord bedeutete und daß das Wettrüsten irrsinnig war. Vor diesem Hintergrund setzte nicht zufällig eine Reduzierung der Anzahl der Atomsprengköpfe in den Waffenarsenalen der USA und Sowjetunion ein.

SB: Sie haben vorhin in ihrem Vortrag berichtet, daß Foreign Affairs, die international angesehene, alle zwei Monate erscheinende Politzeitschrift des New Yorker Council on Foreign Affairs (CFR), Ihre jüngste Studie zu den möglichen klimatischen Auswirkungen eines begrenzten Atomkriegs nicht veröffentlichen wollte. Das Desinteresse der Verantwortlichen beim liberalen CFR scheint im gewissen Widerspruch zu der erklärten Abrüstungspolitik der Regierung des Demokraten Barack Obama zu stehen. Wie sehen Sie das?

AR: Ich betrachte das nicht so kritisch, denn das war vor der Wahl im November 2008 und Obama war noch nicht Präsident. Beim CFR sagten sie mir sogar, sie wären zu dem Zeitpunkt hauptsächlich mit der bevorstehenden Wahl, ihrem Ausgang und der innenpolitischen Nachlese befaßt. Dazu kommt, daß Foreign Affairs kein regierungsamtliches Mitteilungsblatt, sondern die Zeitschrift einer privaten Denkfabrik ist. Gleichwohl schwang meines Erachtens eine gewisse Realitätsvermeidung mit. Der nukleare Winter ist ein schreckliches Thema, mit dem sich die meisten Menschen lieber nicht beschäftigen wollen.

SB: Vor wenigen Jahren hat eine Studie, die sie und Professor Toon über die möglichen Auswirkungen allein eines regional begrenzten Atomkrieges zwischen Indien und Pakistan auf das Weltklima durchgeführt hatten, international für Schlagzeilen gesorgt. Könnten Sie uns etwas mehr über diese Arbeit erzählen?

AR: Owen und ich haben das Szenario eines nuklearen Schlagabtauschs zwischen Indien und Pakistan durchgespielt. Beide Länder verfügen schätzungsweise über jeweils 100 Atomsprengköpfe. Obwohl niemand außer den Verantwortlichen etwas über die Bauweise dieser Waffen weiß, gingen wir davon aus, daß es Atombomben ähnlich derjenigen von Hiroshima mit einer Sprengkraft von 15 Kilotonnen sind, denn diese lassen sich im Vergleich zu der viel stärkeren Wasserstoffbombe einfacher herstellen. Unserem Modell lag die Annahme zugrunde, daß es Indien und Pakistan gelänge, die Hälfte ihrer Arsenale, also jeweils 50 Atomsprengköpfe, über den größten Metropolen des Gegners zur Zündung zu bringen. Auf dieser Basis haben wir berechnet, wie groß die ausgelösten Brände und die Menge des dadurch entstandenen Rauchs sein würden. Weil die eingesetzten Atomsprengköpfe, 100 Stück, lediglich ein Prozent des weltweit vorhandenen Arsenals an solchen Waffen darstellt, hat uns das globale Ausmaß der verursachten Klimaveränderung überrascht und schockiert. Nach unseren Berechnungen würde allein ein begrenzter Atomkrieg zwischen diesen beiden südasiatischen Ländern für mindestens zehn Jahre zu einem deutlichen Temperaturrückgang in den gemäßigten Zonen beiderseits des Äquators führen und dort für schwere Ernteeinbußen sorgen.

SB: Ein Szenario, über das viel in den letzten Jahren spekuliert wurde, ist ein begrenzter Kernwaffenangriff auf die Nuklearanlagen des Irans. Haben Sie das vielleicht nach ihrem Modell getestet?

AR: Ich kenne niemanden, der eine solche Möglichkeit diskutiert. Das ist doch lachhaft. Es gibt niemanden, der den Iran mit Atomwaffen anzugreifen gedenkt.

SB: Die US-Regierung betont im sogenannten "Atomstreit" mit dem Iran immer wieder, daß "alle Optionen auf dem Tisch" seien. Noch während der Präsidentschaft von George W. Bush wurde der Robust Nuclear Earth Penetrator (RNEP) mit dem Ziel erforscht, unterirdische Bunkeranlagen des Irans, in denen "Massenvernichtungswaffen" versteckt sein könnten, eventuell zu "knacken". Gerade am "Bunkerknacker" haben Kritiker bemängelt, erstens daß sich die Rakete niemals tief genug in die Erde würde bohren können, um die anvisierten Bunkeranlagen und die darin angeblich versteckten Waffen zu vernichten, und zweitens daß sie im Vergleich zu herkömmlichen Atomwaffen, die in einer bestimmten Lufthöhe über dem Ziel gezündet werden, durch die Explosion nach dem Eindringen unter die Erdoberfläche größere Mengen Material als Staub in die Atmosphäre hochschleudern würde. Haben Sie Berechnungen bezüglich des Effekts einer solchen klimabedrohenden Atomwaffe durchgeführt?

AR: Für den RNEP nicht, denn schließlich wurde er nicht entwickelt; das Forschungsprogramm wurde noch während der zweiten Amtszeit Bushs eingestellt. Bei den ersten Studien über den "nuklearen Winter" hatten wir es aber mit zwei Sorten von Zielen zu tun. Bei der ersten handelte es sich um gehärtete Bunkeranlagen und Raketensilos, also um die militärischen Kapazitäten des Gegners. Die Kernwaffenangriffe auf solche sogenannten "counterforce targets" würden natürlich sehr viel Erde und Staub aufwirbeln. Beim zweiten Zieltypus handelte es sich um sogenannte "countervalue targets" - der Begriff soll einen vergessen machen, daß man hier über die Ausradierung von Städten und den sicheren Feuertod von Abertausenden von Menschen redet. Da stellten wir fest, daß Rauch viel stärker zur Abkühlung des Klimas beiträgt als Staub, der aus schwereren Partikeln besteht, die deshalb schneller zurück zur Erde fallen. Also lagen den Berechnungen der Studien zum "nuklearen Winter" eine Kombination aus Staub und Rauch zugrunde. Wegen der vergleichsweise stark kühlenden Eigenschaften von Rauch in der Atmosphäre haben wir unser Hauptaugenmerk auf ihn gerichtet.

Aber wenn es den Robust Nuclear Earth Penetrator gäbe und er tatsächlich funktionierte, wie er sollte, würde er nicht allzuviel Staub aufwirbeln, denn die Explosion des Atomsprengkopfs ereignete sich unter der Erde. Über die Auswirkungen von unterirdischen Atomexplosionen wissen wir einiges. Schließlich haben die offiziellen Atomstaaten jahrzehntelang auf diese Weise Tests durchgeführt. Unterirdische Atomtests werfen sehr wenig Staub auf.

Prof. Dr. Alan Robock im Gespräch mit SB-Redakteuren - Foto: © 2011 by Schattenblick

Prof. Dr. Robock - Klimaforscher und Atomwaffengegner
Foto: © 2011 by Schattenblick

SB: Einige Wochen nach Beginn des Irakkriegs im Frühjahr 2003 wurde in der Presse über den Nachweis von abgereicherten Uranpartikeln berichtet, die vom Persischen Golf bis nach Großbritannien verfrachtet worden waren. Können Sie das bestätigen? Haben Sie schon einmal davon gehört?

AR: Nein.

SB: Es war der Wissenschaftler Dr. Chris Busby, wenn ich mich richtig erinnere, der damals mit der Meldung an die Presse ging, die Meßgeräte auf dem Gelände britischer Atomkraftwerke hätten infolge von DU-Staub aus dem Irak leicht erhöhte Radioaktivität in ihrer Umgebung registriert.

AR: Abgereichertes Uran, das nach wie vor radioaktiv ist, wird wegen seiner Schwere und Dichte bei der Herstellung von Munition verwendet. Wenn solche Geschosse ihr Ziel treffen, dringen sie nicht nur ein, sondern das Uran entzündet sich, entfaltet eine enorme Hitze und setzt feinste Partikel frei, die in den Boden, ins Wasser und in die Lebensmittel gelangen und auch über Luftströmungen weit transportiert werden können. Ich hatte von der Geschichte in England nicht gehört, wenngleich ich nicht ausschließen würde, daß Partikel aus im Irak verschossener Uranmunition dorthin gelangen könnten. Sie hätten aber keine Auswirkungen auf das Klima.

SB: In den letzten Wochen tauchten unbestätigte Meldungen auf, die NATO-Streitkräfte würden bei ihren Luftangriffen auf die Regierungstruppen in Libyen DU-Munition einsetzen. In Ihrem Vortrag haben Sie die Verfrachtung von Staub aus der Sahara nach Europa erwähnt. Halten Sie es für möglich, daß der Staub von DU-Munition der NATO mittels eines Winds wie dem Scirocco von Libyen nach Europa transportiert werden könnte?

AR: Möglich wäre es. Staub wird über die Troposphäre befördert. In einem der Vorträge vorhin wurden Satellitenbilder von Staubstürmen über Riad gezeigt und vor wenigen Wochen wurden im Fernsehen dramatische Aufnahmen von einer gigantischen Staubwolke gezeigt, die im Begriff war, die Stadt Phoenix in Arizona einzuhüllen. Zu solchen Phänomenen kommt es, wenn viel Staub durch die Fallböen eines Gewitters hochgeschleudert und mit dem Wind oder der Wetterfront weiterbefördert wird. In solchen Fällen trägt die Wolke den ganzen Staub mit sich. Ich könnte mir schon vorstellen, daß bei entsprechenden Wetterbedingungen Partikel aus DU-Munition von Libyen nach Europa gelangen könnten.

SB: Professor Robock, vielen Dank für das Gespräch.


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Hinweis:
Neben den Interviews mit Referentinnen und Referenten der Aerosolkonferenz in Hamburg finden Sie unsere fortgesetzte Berichterstattung über diese Veranstaltung unter UMWELT -> REPORT -> BERICHT.

26. August 2011