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INTERVIEW/025: Bagger fressen Erde auf - Waldbesetzer "Erde" im Hambacher Forst (SB)


Miteinander leben und Widerstand leisten

Interview im besetzten Wald am 29. Juni 2012

Der Hambacher Forst ist ein nach dem Ort Hambach benannter, ursprünglich 5.500 Hektar großer Wald in den nordrhein-westfälischen Kreisen Düren und Rhein-Erft. Das einst größte Waldgebiet der gesamten Region mußte seit 1978 weitgehend dem Braunkohletagebau Hambach weichen. Der noch verbliebene Rest des Forstes besteht aus mindestens 600.000 Bäumen und ist mit seinen Hainbuchen, Stieleichen und Winterlinden ein ökologisch wertvoller Lebensraum für eine Fülle von bedrohten Pflanzen- und Tierarten wie etwa eine Kolonie der vom Aussterben bedrohten Bechsteinfledermaus.

Hängematten mit Regenschutz im Baum - Foto: © 2012 by Schattenblick

Mit Bäumen leben ...
Foto: © 2012 by Schattenblick

Seit dem 14. April halten Aktivistinnen und Aktivisten einen Teil des Hambacher Forstes besetzt, um ihn vor den Baggerschaufeln des Kohlestromriesen RWE zu schützen. Ihr Engagement zur Rettung des Waldes ist Teil des Kampfes gegen den Abbau und die Verstromung von Braunkohle, weil sie die CO2-intensivste Form der Energiegewinnung ist. Die Besetzer erklären sich solidarisch mit radikalen Anti-Kohle-Kampagnen in anderen Ländern, die einander inspirieren und sich gegenseitig unterstützen. Sie wollen der Fremdbestimmung der gesamten Region durch die "Besatzungsmacht" RWE etwas entgegensetzen und einen Ort schaffen, an dem Menschen herrschaftsfrei zusammenleben und selber planen können, wie eine klimagerechte Zukunft aussehen könnte - eine Keimzelle einer neuen Welt im Herzen des fossil-nuklearen Kapitalismus, wie es in der Erklärung aus dem "Hambacher Urwald" heißt [1]. Am 29. Juni beantwortete der Waldbesetzer "Erde" dem Schattenblick einige Fragen.


Schattenblick: Welche persönlichen Gründe hast du, hier an der Waldbesetzung im Hambacher Forst teilzunehmen?

Erde: Das ist mehrgeteilt. Zum einen geht es um das globale Klimachaos, das angerichtet wird mit Millionen von Toten und Flüchtlingen in der Zukunft, und andererseits um die konkreten Auswirkungen an diesem alten Wald, der sich über 12.000 Jahre ausgebreitet hat und dem man die Schädigungen ansieht, weil das besondere Zusammenspiel zwischen den Organismen gestört wird. Es ist tatsächlich ein Wald und nicht nur ein Stück Fläche, auf dem Bäume stehen. Letztendlich haben mich die Leute, die hier protestieren, dazu bewogen zu bleiben, weil sie meines Erachtens sehr reflektiert und solidarisch sind und respektvoll miteinander umgehen.

SB: Es ist für euch also eine Umwelt-, möglicherweise auch eine politische Frage. Seht ihr darin auch einen Gegenentwurf zur kapitalistischen Gesellschaft bzw. eine alternative Form des Zusammenlebens?

E: Unsere Art des Zusammenlebens ist sicherlich ein Gegenentwurf. Inwieweit das übertragbar ist, läßt sich nicht sagen, aber es kann ja ohnehin nicht den einen Entwurf geben, der für alle paßt, sondern es wird wie bei allen Themen viele Lösungen geben und mehrere richtige Wege. Das hier ist auf jeden Fall einer, der mir und vielen anderen Leuten, die hier sind, sehr gefällt.

SB: Die Solidarität untereinander scheint für dich persönlich das Wichtigste daran zu sein. Wie äußert sich das für dich ganz konkret im Alltag?

E: Zum Beispiel, daß hier auf die Bedürfnisse der anderen Rücksicht genommen wird und es einen freundschaftlichen Umgang miteinander gibt. Das sind Dinge, die viel mit Solidarität zu tun haben. Hier achtet jeder darauf, daß auch die reproduktiven Tätigkeiten, die durch unser Hiersein entstehen, gemeinsam erledigt werden. Ansonsten gibt es hier eine Atmosphäre, in der man sich wohlfühlen kann.

SB: Die Waldbesetzung kann man nicht per se mit dem Widerstand gegen die Braunkohle gleichsetzen, weil es da verschiedene Personen und Interessen gibt. Und doch seid ihr ein Teil des Kampfes gegen die Braunkohle. Wie gestaltet sich eure Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und habt ihr das Gefühl, daß sie euch den Rücken stärken?

E: Darüber habe ich keinen Überblick. Es kann sein, daß es von verschiedener Seite Unterstützung gibt, aber das ist nicht unbedingt vordergründig oder sichtbar. AusgeCO2hlt ist ein Zusammenschluß oder Bündnis, an dem viele beteiligt sind. Daraus ergibt sich natürlich eine Zusammenarbeit, aber ansonsten sind hier Leute, die teilweise Baumpatenschaften besonderer Art übernommen haben oder hier einfach hängengeblieben sind, weil ihnen die Leute und die Atmosphäre gefallen und man das Gefühl hat, hier auch wirklich etwas tun zu können. Man merkt einfach, hier bin ich nicht machtlos, kann anpacken und am Widerstand mitarbeiten.

SB: Wie ist euer Verhältnis zu den Einheimischen? Unterstützen sie eure Aktion oder gibt es auch Leute, die sagen, was soll das mit dem Wald?

E: Es gibt alle möglichen Leute. Einige unterstützen uns und tauchen dann am Wochenende und manchmal auch unter der Woche auf, aber vorwiegend sonntags beim Waldspaziergang, und bringen Material mit, das wir benötigen. Hin und wieder organisieren sie auch Veranstaltungen. So liefen in Buir zwei Veranstaltungen, unter anderem auch vom Beehive Collective dort im Kulturhaus. Es gibt sicherlich auch Leute, die der weit verbreiteten Ansicht sind, daß man ohnehin nichts machen kann. Meine Meinung dazu ist, entweder macht man etwas oder man macht nichts, aber wenn man nichts macht, macht man sich eigentlich schuldig, weil man dann an der Zerstörung mitwirkt. Nur wenn man etwas dagegen macht, man kann auch etwas verändern.

SB: Habt ihr auch die Erfahrung gemacht, daß Leute aus der Umgebung einfach vorbeischauen und wissen wollen, was ihr macht, und daß dann bei ihnen etwas in Gang kommt, weil sie auch verstehen, warum ihr das macht? Daß Leute etwas mitbringen, ist für sich genommen ja bereits ein konkreter Denkprozeß.

E: Ja, das geschieht oft ganz spontan. Gestern war einer hier, und nachdem er sich ein bißchen umgesehen hat, habe ich ihn gefragt, ob bei ihm vielleicht noch Bauholz herumliegt. Er hat dann erst einmal etwas in die Spendendose getan und gesagt, wenn er etwas hat, dann kommt er nochmal vorbei. Einen anderen haben wir auf der Straße getroffen, der auf den ersten Artikel über uns reagiert hat. Er sagte, ihr seid doch die aus der Zeitung. Ich finde es echt klasse, was ihr da macht, und wünsche euch viel Erfolg. Dann hat er nochmal nachgefragt, was wir noch alles brauchen, und noch am selben Nachmittag kam er mit einem vollgeladenen Wagen hier an.

SB: Und welche Erfahrungen habt ihr mit den RWE-Leuten gemacht? Beobachten oder behindern sie euch?

E: Wenn RWE-Leute uns beobachten, achte ich nicht darauf. Ich habe kein Interesse an ihnen. Ansonsten werden wir offiziell geduldet, zumindest solange, bis wir weg sollen, wobei das bisher noch offen gelassen wurde. Die Staatsmacht in Form der Polizei war gestern erst wieder hier, aber meiner Aufforderung, die Verbrechen von RWE zu stoppen, kam der Polizist nicht nach, sondern hat sich mit dem Wohlstand der Region herausgeredet, und dann wollte ich mit ihm nichts mehr zu tun haben.

SB: Begründet die Polizei ihr Erscheinen?

E: Der Polizist kam wegen irgendwelcher Diebstähle und Sachbeschädigungen, aber das ist alles dummes Zeug und war nur vorgeschoben. Er mußte ja irgendeinen Grund haben, um sich blicken zu lassen, war aber auch wieder froh, wegzukommen, weil er in einer Erklärungszwickmühle war.

SB: Heute beginnt euer mehrtägiges Skillsharing-Camp. Könntest du dazu einiges sagen?

E: Nein, ich habe mich nicht um das Programm gekümmert. Ich hoffe nur, daß viele Leute kommen und ihr Wissen mit anderen Leuten teilen. Anders als in normalen Seminaren und Schulungen geht es darum, auf emanzipierte und gleichberechtigte Weise Wissen auszutauschen.

SB: Vielen Dank für dieses Gespräch.



Fußnoten:
[1] http://hambacherforst.blogsport.de/infos-zum-wald/

Kleines Areal für Anbau - Foto: © 2012 by Schattenblick

Garten im Wald ... im Kleinen wirksam werden
Foto: © 2012 by Schattenblick

24. Juli 2012