Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → REPORT

INTERVIEW/037: Klimawandel in Regionen - Permafrost und Datenmangel (SB)


3. REKLIM-Konferenz "Klimawandel in Regionen" am 3. September 2012 im Wissenschaftspark "Albert Einstein" auf dem Telegrafenberg in Potsdam

Dr. Torsten Sachs im Gespräch über das Schwinden des Permafrosts und über Methanemissionen



Dr. Torsten Sachs ist Gruppenleiter der Helmholtz Nachwuchsgruppe "TEAM" (Trace Gas Exchange in the Earth - Atmosphere System on Multiple Scales) des Deutschen GeoForschungsZentrums in Potsdam, die sich mit der genauen Erfassung des Austausches an Spurengasen zwischen Boden und Atmosphäre befaßt, hier vor allem mit den Veränderungen im Gasaustausch, der über den Permafrostgebieten stattfindet. In seinem Vortrag [1] machte Dr. Sachs deutlich, daß gerade bei der Frage nach den klimarelevanten Methanemissionen bereits die wichtige Basislinie oder Ausgangslinie fehlt, an der man die Stärke der Veränderungen überhaupt bemessen kann. Im Anschluß an sein Referat hatte der Schattenblick die Gelegenheit zu einigen erläuternden Fragen an den Wissenschaftler zu diesem Problemkreis.

Foto: © 2012 by Schattenblick

Dr. Torsten Sachs
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Herr Dr. Sachs, Sie hatten in Ihrem Referat über die Auswirkungen regionaler Klimaänderungen in der Arktis neben den Rückkopplungsmechanismen, die durch das Tauen des Permafrosts und das Freisetzen von Methan die globale Erwärmung fördern können, auch über das mögliche Auftauen von bereits vorhandenem Methanhydrat gesprochen. Würden Sie das Schmelzen von Methanhydrat, das unmittelbar als Methan aus dem Erdreich entlassen wird, als anthropogenen Einfluß klassifizieren?

Dr. Torsten Sachs (TS): Das kann man nicht so einfach sagen. Man muß erstmal unterscheiden, um welche Hydrate es sich handelt. Es gibt Methanhydrate an den Kontinentalhängen, die auf natürliche Weise im Meer vorkommen, und je nach Tiefe, Druck und wahrscheinlich auch Wassertemperatur immer etwas an Methan freisetzen. Das ist eigentlich ein ganz normaler Vorgang. Wenn sich nun aufgrund menschlicher Aktivitäten der Ozean so erwärmt, daß sich diese normalen Hydrate aufzulösen beginnen, dann würde man es als anthropogenen Effekt bezeichnen.

Es gibt in den Permafrostgebieten allerdings weitere Gashydrate, die sich nur halten, weil die Permafrostschicht darüber sie stabilisiert. Wird das durchbrochen, entweicht Methan. In diesem Fall stellt sich die Frage: Wenn also der Permafrost gewissermaßen "Löcher" bekommt oder an den Randbereichen auftaut und Hydrate freigesetzt werden - taut der nur unseretwegen, ist dieser Auftauprozeß einer Kombination aus natürlichen und anthropogenen Effekten zuzuschreiben oder ist es sogar ein ausschließlich natürlicher Vorgang? Wir wissen das nicht. Ich würde vermuten, daß es sich um eine Kombination von beidem handelt. Das heißt, es gibt die natürliche Erwärmung und der Mensch verstärkt diese noch weiter. Doch genau abzuklären, welcher Anteil davon die Auflösungserscheinungen verursacht, gehört in einen anderen Forschungsbereich.

SB: Sie hatten vorhin auf die Frage Ihres Fachkollegen gesagt, daß es sich bei dem im Permafrost gelagerten organischen Material im wesentlichen um Kohlenstoff handelt. Wäre es denkbar, daß dieser Kohlenstoff beim Abtauen des Permafrosts auch in anderer Form aus dem Boden kommt, als die bekannten Abbauprodukte CO2 und Methan, die immer genannt werden?

TS: Zunächst müssen Sie sich den Permafrost so vorstellen, als würden Sie zuhause Ihren Komposthaufen einfrieren, vielleicht mit ein wenig mehr Erdreich dazwischen. Im Prinzip ist das wirklich einfach nur tote organische Materie, abgestorbene Pflanzen, Tiere, Insekten und so weiter, die alle darin eingefroren sind. Wenn das auftaut, kommen verschiedenste Mikroorganismen und fangen an, das zu zersetzen. Dabei scheiden diese Mikroorganismen je nach Stoffwechsellage CO2, Methan und möglicherweise auch noch andere gasförmige Stoffe, zum Beispiel N2O, Lachgas, das wäre ebenfalls ein klimaschädliches Gas, natürlich auch alle möglichen anderen volatilen (flüchtigen) organischen Komponenten, mit denen ich mich jedoch nicht genügend auskenne. Das Ausgasen des Methans ist schon kompliziert genug.

SB: Sie erwähnten bereits Methanhydrat an den Kontinentalhängen. Könnte es Ihrer Meinung nach theoretisch möglich sein, daß das Auftauen dieser Gashydrate zu submarinen Abrutschungen führt und größere Katastrophen wie Tsunamis und dergleichen nach sich zieht? Und wäre das dann ebenfalls auf anthropogene, also menschliche Aktivitäten, zurückzuführen?

TS: Ob das Abrutschen von Kontinentalschelfen ausreicht, um Tsunamis zu verursachen, kann ich nicht sagen. Die Entstehung einer Flutwelle hängt vermutlich von sehr vielem ab, auch von menschlichem Dazutun. Ich kann solche Bergrutsche bereits verursachen, indem ich einfach meine Plattform an der falschen Stelle durchbohre, aber ob ein Bergrutsch überhaupt ausreicht, um einen Tsunami zu verursachen, ist noch eine andere Frage.

SB: Noch im letzten Jahr wurde in einigen Medien ganz aufgeregt von blubbernden Methanblasen in ostsibirischen Seen berichtet, die man als Alarmsignal für die zunehmende Erwärmung betrachtete und als Anlaß nahm, vor dem möglichen Rückkopplungseffekt des Methans zu warnen. Ihr Vortrag war dagegen sehr nüchtern. Sie wenden sich eigentlich gegen diese Form von Sensationsheischerei. Haben Sie ein besonderes Anliegen dafür, hier Aufklärung zu leisten?

TS: Ich meine, man sollte den Blick nicht davor verschließen, daß wir noch recht große Lücken in den Daten und auch im Verständnis dieser komplexen Zusammenhänge haben. Ich habe in meinem Vortrag ja auch ein Bild über die aufsteigenden Methanblasen gezeigt. Das ist ein gutes Beispiel für das, was ich meine. Diese Studie wurde an wenig untersuchten Seen gemacht. Dort blubbert es eindrucksvoll vor sich hin und im Winter bekommt man eine Menge Blasen im Eis, die sich auch noch sehr spektakulär entzünden lassen. Aber ob diese Gasquellen immer schon dort gewesen sind oder ob das eine Erscheinung der letzten Jahre ist, können wir gar nicht sagen, denn wir haben sie überhaupt erst in den letzten Jahren untersucht. Kurz gesagt: Wir wissen es einfach nicht.

SB: Gibt es dazu auch keine Aufzeichnungen aus den früheren Jahren in russischen Archiven? Wurde von dieser Seite dazu auch keine Forschung betrieben?

TS: Die Russen haben praktisch schon zu allem, was den Permafrost angeht, Forschungsprojekte durchgeführt und Studien angefertigt. Das Problem ist hier nur, daß diese Studien meistens nicht zugänglich sind, für mich, der kein russisch spricht, ohnehin nicht. Doch allein die Publikations- und Vermarktungskultur war in der ehemaligen Sowjetunion eine völlig andere als hierzulande, wo wir alles publizieren müssen und angehalten sind, unsere Forschungsergebnisse möglichst bis an die Schulen weiter zu verbreiten. In Rußland ist es vielmehr so, daß die Veröffentlichungen, Studien und Ergebnisse in irgendwelchen Institutskellern oder Akademiekellern verstauben und selbst russischkundige Experten nichts wiederfinden, weil sich niemand mit der Archivierung auskennt. Vermutlich ahnen wir nicht einmal, über welche Menge an Themengebieten dort Material lagert. Aber es gibt ein Gerücht unter Wissenschaftlern, das ich während meiner Doktorarbeit kennengelernt habe: "Die Daumenregel ist, zu allem, was wir in der Permafrostforschung machen, hat irgend ein Russe irgendwann schon mal was erforscht." Und es ist sehr wahrscheinlich, daß über diese Seen auch schon Untersuchungen existieren. Auch hierzulande sind blubbernde Seen kein besonderes Phänomen. Wenn Sie an irgendeinen brandenburger Tümpel gehen und dort mal im Matsch rumstochern, dann blubbert es. Das ist völlig normal.

Beeindruckend an den ostsibirischen Seen ist, daß es hier stellenweise so stark blubbert, daß auch im Winter bei minus 40 Grad das Wasser offen bleibt. Hier könnte es also beispielsweise eine Verbindung zu einer Lagerstätte mit sich auflösenden Hydraten geben. Diese großen Seen frieren bekanntlich im Winter nie vollständig durch. Darunter gibt es immer einen sogenannten Auftaukessel. Wenn dieser auf irgendeine Weise Zugang zu einer größeren Methanquelle hat, oder vielleicht auch im Kessel selbst hundert verwesende Mammuts liegen und sich die dabei erzeugten Blasen nicht über den ganzen See verteilen, sondern durch bestimmte größere Poren im Boden kanalisiert werden, dann kann das schon ein sehr eindrucksvolles Blubbern ergeben.

SB: Noch einmal zurück zum Austreten von Methan und Methanhydraten aus dem Permafrost. Wenn ich Ihren Vortrag richtig verstanden habe, läßt sich bisher nicht vorhersagen, wieviel Methanhydrat austreten wird oder wieviel Löcher es schon in der Permafrostdecke gibt. Doch theoretisch können sich genau 1,6 Gigatonnen Kohlenstoff in der Erde in beispielsweise Methanhydrat umwandeln. Könnte man das so zusammenfassen?

TS: Also das sind zwei verschiedene Dinge. Es gibt die 1,6 Gigatonnen an organischem Kohlenstoff, der im Permafrost verschlossen ist. Das sind keine Hydrate. Ein Hydrat ist bereits Methan, das im Eiskäfig steckt. Es gibt mit Sicherheit Abschätzungen darüber, wieviel Methanhydrat unter der Erdoberfläche lagert, aber die kenne ich nicht aus dem Kopf.

Rein theoretisch könnte natürlich der ganze organische Kohlenstoff umgesetzt und emittiert werden, aber praktisch wird das nicht passieren, weil der gesamte Permafrost in den oberen drei oder auch zehn Metern auf absehbare Zeit nicht auf seiner ganzen Fläche von 80 Millionen Quadratkilometern plötzlich auftauen wird. Wenn das passiert, wird es ein sehr langsamer Prozeß sein, der regional sehr unterschiedlich abläuft.

SB: Ja, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

Wissenschaftler im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Bei fachlicher Diskussion unter Klimaexperten tauen auch Wissenschaftler auf.
Foto: © 2012 by Schattenblick


Anmerkung:

[1] siehe auch den Bericht hierzu:
BERICHT/029: Klimawandel in Regionen - Weiter forschen angesagt (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0029.html

26. September 2012