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INTERVIEW/260: Folgen regional - daß nicht der Teufel durch den Beelzebub ...     BUND-Experte Jörg Schmiedel im Gespräch (Teil 2) (SB)


In diesem zweiten und letzten Teil des Interviews mit dem Diplom-Ingenieur Jörg Schmiedel berichtet dieser von den Veränderungen, die die Ostsee im Zuge des Klimawandels zu erwarten hat, und weiteren Umweltproblemen, die sich unter anderem aus der Bergung von Munitionsresten vom Meeresgrund und dem Bau von Großprojekten durch die Ostsee ergeben. Schmiedel, Ostsee-Experte der Naturschutzorganisation BUND, hielt auf der Tagung "Klimawandel konkret: Fakten, Folgen und Perspektiven für Mecklenburg-Vorpommern" am 30. Juni 2017 einen Vortrag zu den Problemen, die sich für die Vogelwelt aus den zu erwartenden klimatischen Veränderungen Mecklenburg-Vorpommerns ergeben. Im Anschluß an das Treffen, das der BUND gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) veranstaltet hat, beantwortete der Referent dem Schattenblick noch einige Fragen.


Jörg Schmiedel beim Vortrag - Foto: © 2017 by Schattenblick

Die Artenvielfalt der Zugvögel wird durch den Klimawandel abnehmen.
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Ist die Ostsee noch immer das am stärksten verschmutzte Meer der Welt, wie vor einigen Jahren berichtet, oder wird ihr inzwischen der Rang streitig gemacht?

Jörg Schmiedel (JS): Das kommt ganz darauf an, welche Schadstoffe man betrachtet. Die Ostsee ist nach wie vor extrem schwierig in punkto Schadstoffe aus der landwirtschaftlichen Düngung, namentlich Stickstoff und Phosphor. Da bereitet uns die EU-Landwirtschaft, die in der Regel eine industrielle Landwirtschaft und Massentierhaltung ist, enorme Probleme. Wir müssen uns vergegenwärtigen, daß alles, was im Einzugsbereich der Ostsee an Gülle auf die Äcker gesprüht wird, zu einem guten Teil später in der Ostsee landet, und zwar auch unabgebaut. Dadurch haben wir nach wie vor Algenblüten, Sauerstoffmangel, Fischsterben und alles, was dazugehört, und es wird auch nicht so schnell aufhören, wenn wir nicht unsere Agrarpolitik ändern.

SB: Wer sind die Haupteinleiter der Gülle?

JS: Das sind aktuell die Staaten mit der am stärksten industriell ausgerichteten Landwirtschaft. Pro Flächeneinheit ist das aktuell an erster Stelle Dänemark, dicht gefolgt von Deutschland und Schweden. Aber Polen holt zur Zeit extrem schnell auf, was auch daran liegt, daß sich dort sehr viele Großlandwirtschaftsbetriebe aus den Niederlanden und in zweiter Linie Deutschland eingekauft haben. Die Woiwodschaft Westpommern zum Beispiel ist inzwischen ähnlich landwirtschaftlich strukturiert wie Mecklenburg-Vorpommern.

SB: Wenn berichtet wird, daß in Polen besonders viel Gülle eingeleitet wird, sind das dann westliche Investoren, die dort landwirtschaftliche Flächen oder Betriebe aufgekauft haben?

JS: Zum guten Teil. Viel läuft inzwischen über Fondsinvestitionen, so daß derjenige, der sich eine private Lebensversicherung kauft oder sein Vermögen anlegen möchte, dann zum Teil wissentlich, zum Teil unwissentlich in solche Projekte investiert.

SB: Die jetzige polnische Regierung erweist sich als sehr national ausgerichtet und konträr zur Europäischen Union. Gibt es da von seiten der EU her Einschränkungen?

JS: Es gibt natürlich Vorschriften, aber es ist nicht nur Polen, das sich widersetzt. Lange Zeit galt das auch für die Bundesrepublik Deutschland. Beispielsweise hat die Europäische Union eine Nitratrichtlinie verabschiedet, wo wir konstatieren müssen: das Land, das diese Richtlinie am schlechtesten umgesetzt hat, war bis jetzt Deutschland. Hierzulande wird viel Lobbypolitik für die Großlandwirte betrieben, während die kleineren Betriebe häufig unter den Tisch fallen. Das kann man an den Zuschüssen ablesen. Ein erheblicher Teil davon ist von kleineren Betrieben gar nicht effizient nutzbar. Die Flächenprämie ist dafür ein typisches Beispiel. Man merkt es schon an dem Begriff: Wer viel Fläche hat, der bekommt eine besonders hohe Prämie. Solche Dinge müssen sich ändern. Es ist nicht so, daß sich bei der EU gar niemand dieser Problematik bewußt ist, aber es ist schon so, daß wir sagen müssen, außerhalb der gebirgigen Regionen kommt im Moment die kleinbäuerliche Landwirtschaft und damit auch die Umwelt noch immer massiv zu kurz.

SB: In der vergangenen Woche hat der Bundestag sichergestellt, daß Nord- und Ostsee durch das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) geschützt werden. Zuvor hatte das Bundeswirtschaftsministerium versucht, sich und anderen Ministerien ein Vetorecht gegen Meeresschutzmaßnahmen zuzuschreiben. Kam der Vorstoß für Sie überraschend?

JS: Nein, das hatte sich angekündigt. Solche Forderungen werden bei vielerlei Projekten erhoben. Aber das Beispiel zeigt auch, daß solche Vorstöße dann in der Abstimmung meistens aus gutem Grund nicht mehrheitsfähig sind. Es geht ja auch nicht an, daß die Umweltpolitik vom Wirtschaftsressort bestimmt wird. Umgekehrt würde einem auch der Vogel gezeigt werden. Da muß man zueinander finden, und natürlich muß die Wirtschaft auch die Umwelt beachten, wenn sie agiert. Das wird in der Regel von den Unternehmern überhaupt nicht bestritten. Ich bin selber selbständig und führe ein Unternehmen, habe also viel mit Kollegen zu tun. In der Regel sind die nicht das Problem.

SB: Wenn sich Mecklenburg-Vorpommern und die Ostsee im Rahmen des Klimawandels um zwei Grad erwärmen, wie es in Klimamodellen berechnet wird, wird es dann zu einer Verstärkung von schädlichen Effekten wie beispielsweise Eutrophierung kommen?

JS: Das erwartet man in der Tat, weil, je wärmer es ist, um so stärker der Sauerstoffgehalt im Wasser sinkt. Und um so mehr müssen wir die Eutrophierung der Ostsee zurückfahren, damit wir überhaupt den Status quo in punkto Sauerstoffmangelsituation halten können.

SB: Ist so eine sauerstoffarme Fläche von außen zu erkennen oder ist das ein rein meßtechnisches Ergebnis?

JS: Man kann es häufig riechen und sogar vorhersagen, wo solche sauerstoffarmen Zonen entstehen werden, nämlich dort, wo sich ein Massenwachstum von Algen entwickelt. Wo das Wasser grün ist, da ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß sich später, wenn diese Algen absterben und bei der Zersetzung Sauerstoff verbrauchen, dort eine Sauerstoffmangelsituation einstellt. Und die vielen Algen gibt es natürlich deshalb, weil der Dünger aus der Landwirtschaft genau das tut, wofür er auf die landwirtschaftlichen Flächen aufgebracht wurde: er düngt. Nur daß in der Ostsee eben keine Kulturpflanzen wie Getreide oder Mais wachsen, sondern Algen, die diese Nährstoffe aufnehmen.

SB: Geschieht in diesen Zonen mehr, als daß "nur" Sauerstoff verloren geht, oder entstehen dort auch toxische Substanzen, die eventuell Menschen gefährlich werden können?

JS: In der Ostsee bilden sich immer wieder sogenannte Blaualgenblüten. Die Blaualgen können in der Tat toxische Substanzen ausscheiden. In solchen Fällen werden sporadisch Badeverbote erlassen. Die Tourismuswirtschaft sagt das nicht so gerne offen heraus, aber sie hat ein großes Auge darauf, daß sich die Situation der Ostsee verbessert. Im Grunde genommen muß man auch als Land Mecklenburg-Vorpommern, in dem sowohl die Landwirtschaft als auch der Tourismus einen hohen Stellenwert genießt, abwägen, welchem von beiden es eher folgen möchte. Bisher ist die Tendenz leider so, daß die Landwirtschaft weiter verschmutzen darf.

Aber es ist absehbar: Mit dieser Linie wird es früher oder später zu einem Jahr kommen, in dem es im Sommer besonders warm ist und die Strömungen vielleicht besonders gering ausgeprägt sind. Dann werden wir hier großräumige Badeverbote an unserer Küste erleben. Und so ein schlechter Eindruck hält sich über Jahre - ich finde, daß sollte man sich ersparen. Gerade wenn man vergleicht, was der Tourismus für Arbeitsplatzeffekte hat und was die industrialisierte Landwirtschaft für Arbeitsplatzeffekte hat. Da liegt der Tourismus eindeutig vorn.


Satellitenaufnahme der gesamten Ostsee, die in fast allen Gebieten türkisfarbene Schlieren aufweist - Foto: SeaWiFS Project, NASA/Goddard Space Flight Center und ORBIMAGE

Riesige Algenblüte in der Ostsee, 3. Juli 2001
Foto: SeaWiFS Project, NASA/Goddard Space Flight Center und ORBIMAGE

SB: Es ist bekannt, daß ein Teil der menschengemachten CO2-Emissionen von den Ozeanen aufgenommen wird, die deshalb saurer werden. Gilt das gleiche für die Ostsee?

JS: Das gilt hier ganz genauso. Der einzige Unterschied ist, daß wir in der Ostsee einige Artengruppen nicht haben, die auf die Versauerung besonders empfindlich reagieren. Namentlich Korallen gibt es hier nicht. Aber man muß sich nur die Mollusken anschauen. Muscheln und Schnecken bilden Kalkschalen, und in dem Moment, wo das Gewässer saurer wird, haben einige dieser Arten größere Probleme, Schalen zu bilden. Das bedeutet, daß diese Arten dann aus der Ostsee verschwinden werden. In der Regel dürften sie in der Nordsee, die eine bessere Verfügbarkeit schalenbildender Substanzen aufweist, noch vorkommen. Aber für die Ostsee ist das ein relevanter Effekt.

SB: Die Versauerung findet bereits statt. Hat man solche Effekte bereits festgestellt?

JS: Meines Wissens nach wurde das noch nicht festgestellt, schon gar nicht in der Differenzierung, welcher Anteil zum Beispiel auf Abwässer und welcher auf den Klimawandel zurückgeht. Aber man könnte so etwas mit Sicherheit berechnen, weil wir wissen, welche Klimagase emittiert werden. Anhand dessen könnten wir ermitteln, welche Mengen an Säurebildnern darunter sind, und dann daraus ableiten, wieviel die Niederschläge davon in die Ostsee eintragen. Das ergäbe dann den Anteil an der Versauerung aus bestimmten Quellen.

SB: Kein Klima-, aber ein großes Umweltthema zur Ostsee sind bekanntlich die Munitionsreste, die dort versenkt wurden. Ist das immer noch so, daß sie an Land geschwemmt werden?

JS: Das ist nach wie vor so. Auf der Insel Usedom zum Beispiel tritt das relativ regelmäßig auf. Es gab ja in den vergangenen Jahren auch Fälle, wo durch Strandaufspülungen Munitionsreste an Land befördert wurden. Genauso in Schleswig-Holstein im Bereich der Insel Fehmarn, wo es in den vergangenen Jahren zu Funden und sogar Unfällen kam. Das ist nach wie vor ein Problem, und wir wissen auch nicht, wie sich diese Munitionsreste, die noch auf dem Meeresboden liegen und vielleicht gar nicht an die Küste geschwemmt werden, weiterentwickeln. Das heißt, was davon noch immer schädliche Substanzen in welchem Umfang emittieren kann und ob damit Explosionsgefahren verbunden sind. Chemische Kampfstoffe wurden zwar an definierten Orten in der Ostsee semi-kontrolliert abgelagert, aber wir wissen auch, daß auf dem Weg dahin völlig ungeordnet verklappt wurde. All das sind nach wie vor ungelöste Probleme.

SB: Wenn man in den letzten ein, zwei Jahren die Medien verfolgt hat, konnte man den Eindruck gewinnen, daß die militärische Präsenz im Ostseeraum sowohl seitens der Bundesrepublik und anderer NATO-Staaten als auch Rußlands enorm zugenommen hat. Hat das Auswirkungen auf den Naturschutz?

JS: Das ist selbstverständlich mit Störungen für die Lebewelt verbunden, wenn auf der Ostsee Manöver veranstaltet werden und beispielsweise laute Flugzeuge darüberfliegen. In bezug auf die Munition ist es so, daß die von militärischer Seite her aktuell nur noch begrenzt hinzukommt. Lärm ist jedoch ein wichtiges Thema sowohl hinsichtlich der Räumung der bestehenden Munition als auch hinsichtlich der Detonation von Übungsmunition im Wasser. Das ist sehr laut, und im Wasser pflanzt sich Schall deutlich besser fort als in der Luft. Das heißt, bei Manövern und Übungen entstehen im weiten Umkreis laute Geräusche. Das kann zu Schädigungen des Gehörs zum Beispiel von Schweinswalen und Robben führen.

Genau das gleiche passiert, wenn Munition beräumt wird, denn diese kann nicht in allen Fällen gehoben werden. Dann muß man eine kontrollierte Sprengung vornehmen. In solchen Fällen können Meeressäuger und auch Fische geschädigt werden. Es ist inzwischen erwiesen, daß von den Explosionslauten auch Kleintiere einen Schaden erleiden. Solche Untersuchungsergebnisse sind nicht zuletzt vor dem Hintergrund bemerkenswert, als daß hier in der Ostsee großräumige Baumaßnahmen stattfinden. Stichwort: Zwei neue Ostseepipelines und eine Fehmarnbeltquerung. Da besteht überall die Gefahr, daß man während der Baumaßnahmen auf Munitionsreste stößt. Zum Teil waren die Voruntersuchungen in keiner Weise umfassend, so daß während der Bauphase ständig das Problem besteht, daß man, um Bauverzögerungen zu vermeiden, diese Munition ganz schnell irgendwie in den Griff bekommen muß. Das kann bedeuten, daß man aus wirtschaftlichen Interessen heraus nicht die größtmögliche Sorgfalt bei der Beräumung walten läßt.

SB: Ist das Explodierenlassen ein kostengünstigerer Weg als die Bergung?

JS: Es ist zumindest häufig der schnellere Weg. Ich brauche für die Beräumung Spezialgeräte, die es auch nicht wie Sand am Meer gibt und die nicht immer verfügbar sind. Ich muß zum Beispiel Blasenvorhänge legen, um die Schallausbreitung zu vermindern. Und wenn ich beide Möglichkeiten habe - ich lasse es detonieren oder ich warte ab und teste einmal den Weg aus, ob ich es vielleicht auch anders beräumen kann -, da kann schon die eine oder andere Entscheidung naheliegen, daß man doch etwas mehr für die schnelle Variante lobbyiert, um Bauverzögerungen zu vermeiden.

SB: Herr Schmiedel, vielen Dank für das Gespräch.


Flacher Strand, an den auf mehreren Quadratmetern grünlich gelbe Algen herangespült werden - Foto: © 2014 by Schattenblick

Ostseestrand von Wustrow, 24.05.2014. Algenblüte verdirbt Badefreuden ...
Foto: © 2014 by Schattenblick


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12. Juli 2017


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