Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → REPORT


INTERVIEW/272: Das Ende der Natur - aufgewacht ...     Dr. Susanne Dohrn im Gespräch (SB)



Porträt Dohrns - Foto: © 2018 by Schattenblick

"Das kenne ich doch von früher! Das ist ja toll, so zauberhaft schön! Warum ist das bei uns alles weg?"
(Dr. Susanne Dohrn schildert bei ihrer Lesung, wie sie auf dem Baltikum blütenreiche Äcker und Wiesen entdeckt hat, wie es sie bei uns heute nicht mehr gibt.)
Foto: © 2018 by Schattenblick

Die Landwirtschaft von heute ist so sehr auf Effizienz getrimmt, daß alles, was nicht der unmittelbaren Ertrags- und Profitsteigerung dient, vernachlässigt, verdrängt oder vernichtet wird. Der ursprüngliche Lebensraum von Acker- und Wiesenwildkräutern, Insekten und Vögeln wird der ausschließlichen Nutzung durch den Menschen zugeführt. Niemand braucht sie, der Mais, Weizen oder Kartoffeln anbaut. Im Gegenteil, der Wildwuchs wird sogar als Licht- und Nahrungskonkurrenz für die eigenen Kulturpflanzen angesehen, Insekten gelten meist als bloße Schädlinge und Vögel gar als Saaträuber.

So wurde in den letzten Jahrzehnten die Vielfalt der Arten und auch die Abundanz (Anzahl an Organismen) einer Art sprichwörtlich herabgewirtschaftet. Zu dieser Problematik hat die promovierte Historikerin, Journalistin und Autorin Dr. Susanne Dohrn das Buch "Das Ende der Natur. Die Landwirtschaft und das stille Sterben vor unserer Haustür" [1] geschrieben. Daraus las sie am 14. März 2018 bei der Naturschutzorganisation NABU in Hamburg vor und hielt einen Vortrag zur Entstehung des Buchs. Anschließend stellte sie sich gemeinsam mit Oliver Schumacher vom NABU-Landesverband Hamburg und Sebastian Strumann vom NABU-Bundesverband in Berlin unter der Moderation von Alexander Porschke, Vorsitzender des NABU Hamburg, Fragen aus dem Publikum. Im Anschluß an die Veranstaltung war die Autorin bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.

Schattenblick (SB): Vor vier Jahren haben Sie Estland besucht und dort jene blütenreichen Kornfelder und Wiesen entdeckt, die wir in Ihrem Vortrag sehen konnten. Wissen Sie, wie es dort heute aussieht? Hat sich Estlands Landwirtschaft der in der übrigen Europäischen Union angenähert?

Dr. Susanne Dohrn (SD): Ich weiß nicht, wie es heute dort aussieht. Estland ist 2004 Mitglied der Europäischen Union geworden. Dort kennt man also die gemeinsame EU-Agrarpolitik, wie wir sie seit den fünfziger Jahren mit all ihren Auswüchsen erleben, noch nicht so lange. Man sah den Unterschied jedenfalls deutlich. Die EU-Agrarpolitik hat dazu geführt, daß hier bei uns die Vielfalt verlorengegangen ist.

SB: Als Journalistin haben Sie schon zu vielen Themen gearbeitet. Umweltfragen haben Sie dabei zwar nicht ausgespart, wie Ihrer Website [2] zu entnehmen ist, aber bislang scheinen sie auch nicht Ihr Schwerpunkt gewesen zu sein. War es für Sie Neuland, ein ganzes Buch zum Ende der Natur zu schreiben?

SD: Vieles davon war Neuland. Andererseits bin ich in einem Dorf aufgewachsen. Tornesch war früher ein Dorf, in dem es keine befestigten Bürgersteige gab, als wir da hinzogen. An jeder Straße, die aus dem Ort herausführte, lagen ein oder mehrere Bauernhöfe. Das waren für uns Kinder die liebsten Spielplätze. Eigentlich haben wir uns fast immer draußen aufgehalten. Hinzu kommt, daß ich aus einer Imkerfamilie stamme. Mein Großvater war Imker, mein Vater ist Imker, mein Neffe wird Imker. Dadurch geht man in der Familie auch anders mit der Natur um. Weil man ja weiß, daß man die Pflanzen braucht, damit die Bienen Honig produzieren. Und immer wenn mein Vater mit den Bienen im Raps war oder in der Heide, sind dort mein Bruder und ich mit meiner Mutter spazierengegangen. Da war man in der freien Natur und hat dann auch botanisiert. Wir haben geschaut, was dort wächst und wie es heißt. Zur Bestimmung der Pflanzen hatten wir den Kosmos Naturführer "Was blüht denn da?" mitgenommen. Durch mein Studium und meinen Beruf war ich ein bißchen davon abgekommen. Jetzt bin ich im Grunde genommen wieder dahin zurückgekehrt.

SB: Sie haben geschildert, daß Sie bei sich zu Hause eine Wildkräuterwiese angelegt haben. Ist das Thema nun für Sie zu einer Art journalistischer Heimat geworden?

SD: Ja, das kann man so sagen. Zur Zeit bin ich mit diesem Thema fast "full time" beschäftigt. Ich gehe viel auf Lesereise, trage aus dem Buch vor, halte den Vortrag und versuche, das Thema in Zeitungen, Zeitschriften, etc. unterzubringen, wo ich meine, daß es paßt. Inzwischen verstehe ich auch viel davon und weiß darüber eine Menge zu berichten.

SB: Naturschutzfragen würde man üblicherweise eher mit den Grünen verbinden. Wollen Sie etwas von der Komplementärfarbe ins sozialdemokratische Rot bringen, für das Sie in der Ratsversammlung von Tornesch sitzen?

SD (lacht): Im Moment haben wir Sozialdemokraten dort noch die absolute Mehrheit. Die Grünen sind letztes Mal nicht angetreten. Aber sie werden wieder antreten und sicherlich auch ihre Mandate erhalten. Ich glaube, daß das gar nicht mal schlecht ist, denn ich sehe da eigentlich auch Koalitionspartner für jene Themen, die mich bewegen und die auch meine Fraktion - natürlich nicht alle gleichermaßen, das ist ja in der Politik immer so -, aber die viele Leute aus meiner Fraktion ebenfalls bewegen. So daß wir hoffentlich dann auch noch mehr in Gang bringen können, als wir jetzt schon erreicht haben. Wir haben ja schon damit angefangen.

SB: Heute abend wurde auch die Große Koalition angesprochen. Kennen Sie den Koalitionsvertrag?

SD: Ja, ich habe ihn vorhin nochmals gelesen. Es steht viel drin, auch viel Gutes, aber messen muß man immer, was hinten rauskommt. Wir werden sehen, was davon umgesetzt wird. Deswegen würde ich immer dazu auffordern: Macht Druck auf die Politik!

SB: In der zweiten Säule der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) werden seit 1999 eine schonendere Bewirtschaftung, Extensivierung landwirtschaftlicher Flächen und weitere Entwicklungsmaßnahmen des ländlichen Raums gefördert. Hat das nichts in Sachen Naturschutz gebracht?

SD: Nein, das reicht definitiv nicht. Zum Beispiel werden Greening-Maßnahmen gefördert, bei denen die Landwirte im Herbst eine Zwischenfrucht aussäen müssen. Die soll den Stickstoff im Boden binden, was dazu führt, daß dieser nicht so leicht wegweht oder wegschwimmt. Die Landwirte könnten aber im Frühjahr mit Glyphosat darüber gehen und das wieder zunichte machen. Da kann mir keiner sagen, daß das die Biodiversität fördert.

SB: Ungefähr zwei Monate nach Erscheinen Ihres Buchs wurde im Wissenschaftsjournal PLOS One [3] ein Bericht publiziert, an dem unter anderem der Entomologische Verein Krefeld beteiligt war, von dem Sie berichteten. Die Experten haben einen mehr als 75prozentigen Insektenrückgang in Schutzgebieten von NRW, Brandenburg und Rheinland-Pfalz beobachtet. Was besagen Ihre eigenen Recherchen - wie groß muß da erst der Insektenschwund außerhalb der geschützten Flächen sein?

SD: Es ist ein Problem, daß die Krefelder im Grunde genommen die einzigen waren, die über diesen langen Zeitraum überhaupt Untersuchungen über die Biomasse durchgeführt haben. Insofern existieren meines Erachtens kaum vergleichbare Zahlen. Aus anderen Ländern liegen natürlich schon einzelne Daten vor. Der Rückgang wird überall beobachtet, den kann man sogar selber feststellen. Sie müssen ja nur mal mit dem Auto über die Autobahn fahren. Es gibt kaum Insekten auf der Windschutzscheibe. Anfangs hatte ich gedacht, ach, das liegt daran, daß die Autos heute anders gebaut sind. Aber das stimmt einfach nicht, es sind keine Insekten mehr da. Auch an den Lampen und Laternen findet man sie nicht mehr. Wenn man einmal selber bei sich nachschaut, was man früher gesehen hat - welcher Nachtfalter hat sich bei Ihnen das letzte Mal im Haus verirrt, wenn Sie das Fenster abends offen hatten? Das ist sicherlich lange, lange her.

SB: Das stimmt. Einer der Autoren jener Studie, Dr. Martin Sorg, den Sie persönlich gesprochen haben, sagte kürzlich auf einer Tagung in Münster, egal, welche Untersuchungen zum Insektenschwund jetzt noch durchgeführt werden, man werde nie mehr den Stand von vor 20, 30 oder 40 Jahren als Vergleichsgrundlage haben. [4] Haben Sie selbst, ganz subjektiv, weitere Beobachtungen zur Verbreitung von Insekten gemacht?

SD: Damit kann er recht haben, er ist ja der Experte. Ich war 15 Jahre in Berlin und habe dort hart gearbeitet. Ich war Chefredakteurin der Zeitung "Vorwärts" und hatte nicht viel Zeit für solche Dinge. Übrigens war einer der Gründe, der mich mitmotiviert hat, dieses Buch zu schreiben, das Erschrecken über die eigene - wie kann ich das am besten sagen - Unachtsamkeit dieser Veränderung gegenüber. Aber es ist natürlich auch so, daß, wenn sich etwas langsam verändert, man das nicht immer schnell genug merkt. Das ist ein bißchen so wie der Frosch im heißen Wasser auf der Herdplatte. Er bemerkt das Aufheizen erst, wenn es zu spät ist.

SB: Die Umweltbewegung ist in der Frage gespalten, ob man die Natur monetarisieren sollte. Einige befürworten das, weil dann die Natur oder die sogenannten Ökosystemdienstleistungen einen ökonomischen Wert erhalten und darüber geschützt werden könnten. Andere kritisieren, daß Natur zu einer Ware verkommt und die Monetarisierung dazu führen wird, daß sich einige wenige Menschen am Allgemeingut bereichern. Wo würden Sie innerhalb dieser Spanne Ihren Standpunkt einordnen?

SD: Ich glaube, es ist durchaus sinnvoll, wenn die Landwirte mit Naturschutz Geld verdienen können. Ich finde das einen sinnvollen Ansatz, den Herr Strumann vorhin beim Podiumsgespräch genannt hat. Die Landwirte sollen ja auch leben.

SB: Sie hatten vorhin Rachel Carsons Klassiker, das 1962 erschienene Buch "Der stumme Frühling" [5], erwähnt. Welche Bedeutung hat das Buch für Sie?

SD: Ich habe es damals gelesen und habe es mir jetzt nochmals vorgenommen. Es ist richtig erschütternd, was Carson darin beschreibt, richtig erschütternd.

SB: Spielt der Untertitel Ihres Buches, "Die Landwirtschaft und das stille Sterben vor unserer Haustür", ein bißchen auf Carsons Buch an?

SD (lacht): Das hat sich der Verlag ausgedacht! Natürlich erinnert es schon ein bißchen daran. Nur den roten Falter auf dem Einband, den wollten sie nicht. Aber ich habe das Rot durchgesetzt.

SB: Kam der Titel "Das Ende der Natur" ebenfalls vom Verlag?

SD: Wissen Sie, das ist immer so: Man denkt sich Titel aus und verwirft sie wieder, überlegt weitere Titel und verwirft sie ebenfalls. Irgendwann weiß man nicht mehr, was eigentlich von wem kam. Daher kann man das heute nicht mehr sagen.

SB: Würden Sie sagen, daß nur die Natur, wie wir sie kennen, zu Ende ist?

SD: Sicherlich ist die Natur nicht zu Ende. Sie ist noch da, wenn wir weg sind. Aber es stellt sich doch die Frage: Wollen wir in einer Landschaft leben, die so aussieht, wie sie jetzt aussieht? Sie macht ja keine Freude mehr! Darin spazierenzugehen, Fahrrad zu fahren, an einem Maisfeld vorbei oder einem Feld, das nach Gülle stinkt - das ist doch kein Genuß mehr! Außerdem bin ich der Ansicht, daß Landschaft auch etwas ist, was allen gehört.

SB: Das ist ein schönes, nachdenkliches Schlußwort. Herzlichen Dank, Frau Dohrn.


Fußnoten:

[1]
Susanne Dohrn
Das Ende der Natur. Die Landwirtschaft und das stille Sterben vor unserer Haustür
Ch. Links Verlag
2. Auflage, Dezember 2017
272 Seiten
18,- Euro
ISBN: 978-3-86153-960-5

[2] http://www.susanne-dohrn.de/was-ich-schreibe

[3] Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, Siepel H, Hofland N, Schwan H, et al. (2017) More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLoS ONE 12(10): e0185809.
https://doi.org/10.1371/journal.pone.0185809

[4] Die Berichterstattung des Schattenblick zu der Tagung finden Sie unter UMWELT → REPORT → BERICHT und UMWELT → REPORT → INTERVIEW, jeweils mit dem kategorischen Titel "Insektenschwund" versehen.

[5]
Rachel Carson
Der stumme Frühling
Mit einem Vorwort von Theo Löbsack, übersetzt von Margaret Auer
C.H. Beck
2. Auflage, April 1987
348 Seiten
ISBN: 978-3-40604-944-6


Bisher im Schattenblick zu der Veranstaltung erschienen:

BERICHT/136: Das Ende der Natur - Korrekturnot der Agrarkultur ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0136.html

21. März 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang