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INTERVIEW/300: Klima und Klassenkampf - derselbe Feind ...    Samuel Decker im Gespräch (SB)


Der Ökonom Samuel Decker arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Netzwerk Plurale Ökonomik und hat zuletzt das Buch "Advancing Pluralism in Economics" mitherausgegeben. In einem Artikel der Zeitschrift analyse & kritik [1] setzt er sich kritisch mit ökologisch begründeten Verzichtsdebatten auseinander. Dies tat er auch in einer Veranstaltung der Rosa Luxemburg Stiftung Hamburg [2], nach der er dem Schattenblick einige ergänzende Fragen beantwortete.



Im Gespräch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Samuel Decker
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Samuel, du bist auch in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv. An welcher Stelle wird in dieser Bewegung versucht, internationalistisch zu denken oder sich mit Bewegungen zusammenzuschließen, die in den Ländern des globalen Südens aktiv sind?

Samuel Decker (SD): Ich bin aktiver Teilnehmer bei Protestereignissen und Kampagnen wie Ende Gelände, seit 2015 nehme ich jedes Jahr und manchmal auch mehrmals im Jahr teil. Ich muß aber sagen, daß ich selber nicht organisiere. Im Klimacamp und der Degrowth Summer School sind immer Gäste aus dem globalen Süden zugegen. So gab es letztes Jahr Proteste von AktivistInnen von Standing Rock, die versuchen, die Dakota Access Pipeline in den USA zu verhindern. Einige, die dort vor Ort waren, haben von ihren Auseinandersetzungen berichtet. Dieser Aktivismus mit seinen ganzen Vernetzungen ist meiner Ansicht nach eine ausgesprochen internationale Bewegung.

SB: Wie würde man in einem Transformationsprojekt mit Menschen umgehen, die vielleicht eine ganz andere Lebensweise haben und sich etwa als indigene Waldbewohner gar nicht in diese industriell und kapitalistisch vergesellschaftete Wirklichkeit einbinden lassen?

SD: Es gibt dieses Konzept des guten Lebens für alle - Buen Vivier - das meines Wissens in Lateinamerika entstanden ist. Darunter lassen sich ja ganz verschiedene Sachen verstehen. Wenn ich sage, gutes Leben bedeutet für mich, in einem urbanen Zentrum mit guter Mobilität und Infrastruktur und einem System der öffentlichen Daseinsvorsorge zu leben, dann ist das mein Modell vom guten Leben. Da muß es nicht nur den einen Ansatz geben, deswegen sehe ich da keinen Widerspruch und habe keine Schwierigkeit damit, komplementär zu denken.

SB: In der Bundesrepublik wird sehr viel über Kohle diskutiert, aber wir haben es auch immer mehr mit der Frage zu tun, wie alle Menschen ernährt werden können. Wie problematisch dies ist, stellt sich bei der Diskussion um Fleischkonsum und Bodenverödung heraus. Welchen Stellenwert hat die Frage der Landwirtschaft und der Ernährungssouveränität für eine Linke, die in einer industriellen Gesellschaft entstanden ist?

SD: Ich würde es in der ökologischen Linken als einen sehr wichtigen Strang einschätzen. Es gibt ja seit Jahren die "Wir haben es satt"-Demos mit einem sehr breiten Publikum. Es gab vor zwei Jahren auch das erste Mal direkt im Anschluß an die Demo eine Aktion zivilen Ungehorsams, eine legale Massenaktion, wie auch immer man das nennen will, bei einer Fleischfabrik in Königswusterhausen. Das finde ich einen sehr interessanten Ansatz, auch auf die industrielle Landwirtschaft in Deutschland hinzuweisen und das zum Politikum zu machen. Es gab auch einmal einen Landwirt, der bei Ende Gelände mit im Polizeikessel war und eine Rede gehalten hat, wo er insbesondere auch die PolizistInnen angesprochen und einfach erzählt hat, warum er vor Ort ist - weil er sieht, was jedes Jahr mit seiner Ernte passiert.

Man arbeitet ja auch häufig mit einem Weltuntergangsszenario oder mit dem Dringlichkeits-Frame "Wir müssen jetzt handeln oder es ist zu spät". Manche Dinge sind vielleicht auch zu strategisch angelegt und gar nicht so hilfreich, wenn man immer den Teufel an die Wand malt. Aber wo man ihn wirklich an die Wand malen kann ist eben die Ernährungsfrage, nicht nur, was den Nitratzyklus und Stickstoffhaushalt usw. anbelangt. Durch den Anstieg der Durchschnittstemperatur wird es viel geringere Ernten geben, was zu den Extremwetterereignissen, die die Ernten vernichten werden, noch hinzukommt. Das heißt, die Ernährung und mit ihr die Menschheit muß in den nächsten 200 Jahren durch einen ganz engen Flaschenhals hindurch. Diese Entwicklung wäre auch nicht gestoppt, wenn wir jetzt aufhörten, CO2 zu emittieren. Ich mache gerade in einem zweiten Job eine kleine Anfrage zu Klima und Gesundheit. Die größten Gesundheitsgefährdungen durch den Klimawandel entstehen global gesehen durch Mangelernährung und die Ausbreitung hier bisher noch nicht vorkommender Krankheitserreger.

SB: Jeder sechste Euro des Bundeshaushaltes geht in das Militärbudget. Müßten die Themen Krieg, Rüstung und Militarisierung in der Klimabewegung nicht viel stärker thematisiert werden, nicht nur, weil Kriege mit die schlimmsten Naturzerstörer sind?

SD: Es gab vor kurzem eine lokale Aktion gegen Rheinmetall in Unterlüß bei Celle. Sie ging von einem Camp aus, das sich einfach von der Aufmachung her auch am Klimacamp orientiert. So haben sie wie die DemonstrantInnen bei Ende Gelände weiße Overalls getragen. Das ist natürlich noch kein Schulterschluß, aber die Kampagne Rheinmetall entwaffnen wird auch von der Interventionistischen Linken unterstützt. Auf einer inhaltlichen Ebene ist eine solidarische Bezugnahme auf jeden Fall möglich, das muß sich dann in den konkreten Auseinandersetzungen entwickeln. Es macht ja auch Sinn, daß es eine gewisse Arbeitsteilung gibt und eine Klima-AG in der IL, aber auch eine ökologische Linke, die sich insgesamt auf Ernährung und Landwirtschaft und Fragen wie diese fokussiert. Dann gibt es die alte und neue Friedensbewegung, außerdem viele KurdInnen in Deutschland, die eher auf Fragen der Rüstungspolitik hinweisen. Man braucht ja für ein gesellschaftliches Alternativprojekt auch Assoziationsketten und eine gemeinsame Projektionsfläche, wogegen und wofür man ist. Es ist vielleicht auch eine Frage der Zeit, daß die Friedens- oder die Antikriegsbewegung sich wieder verjüngt und das Thema zu einer zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzung wird. Dann werden automatisch auch mehr Querverweise zum Klima gezogen, ebenso wie versucht wird, feministische Kämpfe und alle möglichen Strömungen in die gesellschaftlich gerade so zentrale Klimabewegung einzubauen.

SB: Du warst 2014 auch auf dem großen Degrowth-Kongreß in Leipzig, an dem 5000 Leute teilgenommen haben. Was ist eigentlich daraus geworden, wo Postwachstum doch gerade jetzt ein so wichtiges Thema ist?

SD: Ich stecke da natürlich auch nicht im Orga-Kreis drin und möchte den Leuten nicht unrecht tun, aber es schien mir eine Zeitlang so zu sein, daß das ähnlich lief wie bei der globalisierungskritischen Bewegung, die im Weltsozialforum ihren Kristallisationspunkt hatte. Auch mit Degrowth schien sich eine neue Bewegung herauszubilden, aber es ging dort auch sehr wissenschaftlich und akademisch zu. Vielleicht haben wir es jetzt mit einer Weiterentwicklung zu tun bei den Protesten letztes Jahr im Hambacher Forst und den jetzigen weltweiten Protesten von Fridays for Future. Das paßt gut zusammen und nimmt aufeinander Bezug. Ich glaube nicht, daß die Degrowth-Bewegung jetzt schwächer ist. Es gibt einfach andere Bewegungen oder Akteure, die noch stärker sind und noch mehr in Erscheinung treten.

SB: Der Begriff des Sozialismus erscheint vielen heutzutage überkommen und verbrannt zu sein. Du vertrittst das Konzept der Transformation, aber spricht nicht einiges für den Ökosozialismus, wenn man die Frage der gesellschaftlichen Organisation wieder an die tatsächliche Bedürfnisbefriedigung koppeln und den Ressourcenverbrauch sozialökologischer koordinieren will?

SD: In meinem Vortrag hatte ich eine demokratische Form der ökonomischen Koordination anklingen lassen, was ja nichts anderes als ursprüngliches sozialistisches Gedankengut ist, aber was dann anders real umgesetzt wurde. Wie man das nennt, ist immer auch eine strategische Frage. Der democratic socialism in den USA scheint ganz gut zu funktionieren, aber auch deshalb, weil darunter etwas ganz anderes als von vielen Leuten in Deutschland verstanden wird. Ich bin so ein junger Westlinker, ich kann mit Sozialismus ganz viel anfangen. Viele Leute halt nicht, deswegen kommt Ökosozialismus dann einfach ein bißchen verstaubt daher. Andererseits finde ich das Problem am Transformationsbegriff, daß der überhaupt keine Ecken und Kanten hat, da können sich alle bis hin zur Weltbank darunter verorten. Da gibt es keinen Antagonismus, den man aufmacht und sagt, das ist unser Projekt, und ihr seid offensichtlich gegen dieses Projekt. Das finde ich wieder gut, wenn man sich auf Sozialismus bezieht. Da habe ich aber auch keine finale Meinung dazu, glaube ich.

SB: Samuel, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] https://www.akweb.de/ak_s/ak634/12.htm

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0157.html

24. September 2019


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