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DEBATTE/018: Kalk ist DAS Trinkwasserthema, das die Bürger bewegt (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1091, vom 26. Aug. 2016 - 35. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Kalk ist DAS Trinkwasserthema, das die Bürger bewegt


Neben dem Thema »Wasser-Privatisierung« bewegt die BürgerInnen im Wasserbereich nichts mehr als "zu viel Kalk" im Trinkwasser. Pestizide, Spurenstoffe und Nitrat kann man im Trinkwasser nicht schmecken und riechen. Demgegenüber ist ein hoher Härtegrad schmeck- und sichtbar: Eine Haut auf dem Tee, weiße Flecken auf schwarzen Badekacheln, Kalkkrusten im Kochtopf, häufige Entkalkungszyklen für die Kaffeemaschine und eine hohe Waschmitteldosierung legen Zeugnis ab für einen hohen Kalkgehalt im Trinkwasser. Die Komforteinbußen und die hohen Zusatzkosten sind Aufregerthemen in zahlreichen Orten, die mit kalkreichem Wasser versorgt werden. Immer mehr Wasserversorger, Gemeinderäte und Bürgermeister müssen sich mit rebellischen BürgerInnen auseinandersetzen, die ultimativ weicheres Wasser fordern - in Petitionen bis hin zu Bürgerbegehren. Wegen Spurenstoffen im Trinkwasser hat es - außer bei der PFT-Affäre im Jahr 2006 im oberen Einzugsbereich der Ruhr (s. RUNDBR. 921/2, 851/2-4) und bei der PFT-Verseuchung des Grundwassers zwischen Baden-Baden und Rastatt (s. 1047/1-3) noch nie volle Turnoder Gemeindehallen gegeben. Wenn aber darüber diskutiert wird, wie man zu weicherem Wasser kommt, reicht die Bestuhlung in den Mehrzweckhallen und Bürgerhäusern oft nicht aus. Nachfolgend werden zwei aktuelle Beispiele vorgestellt, wie unterschiedlich die Wasserversorger mit dem Bürgerwunsch nach weicherem Wasser umgehen.

Breite Diskussion über hartes Wasser im Wasserverband Bad Langensalza

Im Herbst 2016 müssen die Bürgermeister der 22 Mitgliedsgemeinden im Wasserverband Bad Langensalza (Thüringen) darüber entscheiden, ob der Verband in eine zentrale Enthärtungsanlage investieren soll. Dem Entscheid der Bürgermeister gehen die Abstimmungen in den Gemeinderäten der Verbandskommunen voraus. Das Votum der Gemeinderäte basiert wiederum auf dem Stimmungsbild von Einwohnerversammlungen in den Mitgliedskommunen. Und einige der Gemeinden haben beschlossen, ihre BürgerInnen selbst darüber abstimmen zu lassen, ob eine zentrale Enthärtungsanlage errichtet werden soll - so u.a. in Schönstedt und Bad Tennstedt. Als weitere Varianten auf dem Weg zu weicherem Wasser steht zur Diskussion, weiches Talsperrenwasser der Thüringer Fernwasserversorgung dem lokal geförderten Trinkwasser zuzumischen - oder gleich ganz auf das Talsperrenwasser umzusteigen. Und dann gibt es noch die Variante 1 mit dem Erhalt des Status quo: Alles bleibt so wie bislang. Damit sich die BürgerInnen in den Mitgliedskommunen ein genaueres Bild über die Varianten machen können, will der Wasserverband eine Broschüre für alle Haushalter herausgegeben, in der die Kosten, aber auch die Vor- und Nachteile der verschiedenen Varianten erläutert werden. Die Debatten über das Pro- und Kontra eines Fernwasseranschlusses bzw. der Investition in eine zentrale Enthärtungsanlage bewegt die Verbandskommunen mindestens seit 2009 - kein Wunder, denn in einigen Gemeinden weist das Trinkwasser eine extreme Härte von bis zu 40 Grad dt. Härte auf.

Insofern ist es bemerkenswert, dass sich zur aktuellen Variantendiskussion auf der etwas antiquiert erscheinenden Homepage des Verbandes www.wazv-badlangensalz.de keinerlei Infos finden - ansonsten gibt es weitere Auskunft beim:
Verbandswasserwerk Bad Langensalza Hüngerlsgasse 13 99947 Bad Langensalza Tel.: 03603/84 07 0 E-Mail: info[at]wazv-badlangensalza.de

Trinkwasserautonomie oder weicheres Wasser?

In Wasserverband Bad Langensalza (siehe vorstehende Notiz) und in Eichstetten (s. RUNDBR. 759/4) haben der Zweckverband bzw. die Gemeinde die Diskussion um weicheres Wasser von sich aus aktiv aufgegriffen. Anderenorts laufen die Debatten um weicheres Wasser oft nach dem Schema ab, dass der Wasserversorger zunächst hinhaltenden Widerstand leistet und sich einer unglücklichen Kommunikationsstrategie bedient - und dann aber unter dem politischen Druck schließlich doch kapitulieren muss. So auch in Reutlingen und Pfullingen in Baden-Württemberg. Dort hatte im März 2015 eine Petition für weicheres Wasser und weniger Chlor in der Trinkwasserversorgung große Zustimmung in der Bevölkerung gefunden. Die große Resonanz auf die Petition war in Reutlingen und Pfullingen u.a. darauf zurückzuführen, dass einige Stadtteile mit weichem Bodenseefernwasser (9 Grad deutscher Härte) versorgt werden, andere Stadtteile aber mit hartem Wasser aus Karstquellen der schwäbischen Alb mit 17 Grad deutscher Härte.

Die als "Ungleichbehandlung" empfundene Versorgung mit unterschiedlich hartem Wasser hatte der Petition besonderen Auftrieb verliehen. In der Bevölkerung artikulierte sich zunehmend die Forderung: Steigt doch gleich ganz auf Bodenseewasser um! Auf die Nachfrage der Lokalzeitung, warum man am harten Quellwasser festhalten wolle und nicht gleich ganz am Bodensee einkauft, nannten die Stadtwerke die geringere Abhängigkeit von Fremdlieferanten und vor allem die Versorgungssicherheit. Das Unternehmen stehe gegenüber rund 120 000 Trinkwasserkunden in der Verantwortung.

"Käme es aus irgendeinem Grund zu einer Unterbrechung der Versorgung mit Bodenseewasser, könnte für ganz Reutlingen zumindest eine Notwasserversorgung über zentrale Entnahmestellen gewährleistet werden, was einen unschätzbaren Vorteil gegenüber anderen Kommunen bedeutet, die über keine eigenen Quellen verfügen",
zitierte der REUTLINGER GENERALANZEIGER die Stadtwerke. Es sei "strategisches Ziel, den Anteil der Eigenwasserversorgung zu halten und zu sichern".

Stadtwerke unterschätzen den Wunsch nach weicherem Wasser

Das Begehren der Weichwasser-Initiative wurde von den Stadtwerken ("Fair-Energie" cool abgebügelt: "Die Fair-Energie plant keine zentrale Enthärtung oder Mischung der Eigenwässer, da für die Kunden kein nennenswerter Komfortgewinn im Verhältnis zum Aufwand zu erzielen ist. Auch müssten zwei Drittel der Kunden einen höheren Wasserpreis für das gleiche Wasser oder Mischwasser bezahlen."
Und weiter: Unter gesundheitlichen Aspekten bestehe keine Notwendigkeit, das Trinkwasser zu enthärten, "da es sich bei Kalzium und Magnesium um lebenswichtige Mineralstoffe handelt". Im Hinblick auf das zur Desinfektion eingesetzte Chlor sei man bestrebt, die Dosierung auf ein Minimum zu reduzieren.

Der Blockadekurs der Stadtwerke war allerdings in der Bevölkerung nicht sonderlich gut angekommen. Nachdem der Reutlinger Generalanzeiger die Petition vorgestellt hatte, hätte es in der Leserschaft eine "große Resonanz" gegeben, berichtete damals die Zeitung - und zitierte aus Zuschriften:
"»Niemals haben wir in den verschiedenen Regionen, wo wir bisher gelebt haben, eine derart schlechte Brühe als Trinkwasser erhalten!« - »Fair-Energie beweg Dich oder bist Du auch schon verkalkt?« - »Warum kriegen wir nicht alle das gleiche Wasser, wenn wir doch das Gleiche bezahlen?« - »Sind wir Kunden zweiter Klasse?« - »Wir wollen gleichen Preis für gleiche Leistung«. Jede Menge Leserbriefe, Anrufe, Mails."

Zurückhaltende Kommunikation der Stadtwerke erhöht den Druck

Im weiteren Verlauf der Debatte wunderte man sich nicht nur bei der Lokalzeitung über das mangelnde Kommunikationsgeschick von Fair-Energie: Journalisten-Anfragen, würden vom "städtischen Versorger stets schriftlich eingefordert und auch schriftlich beantwortet, was einen differenzierten Dialog gerade bei komplexeren Themen nicht aufkommen lässt", kommentierte der REUTLINGER GENERALANZEIGER das behäbige Kommunikationsverhalten von Fair-Energie. Mit seinem als bürokratisch empfundenen Kommunikationsverhalten konnte der Wasserversorger aber keinen Druck aus dem Kessel nehmen. Die Manager von Fair-Energie wurden noch weiter in die Enge getrieben, als sich ein Stadtrat ("studierter Chemiker und Ingenieur") der Sache annahm und eine zentrale Enthärtung für das mineralstoffreiche Karstwasser forderte. Die Stadtwerke seien "zu wenig innovationsfreudig". Für die Trägheit der Stadtwerke müssten "gut 45.000 Wasserkunden in 18.000 Reutlinger Haushalten die Zeche" zahlen: "Mehr Wasch- und Reinigungsmittel, Wasserfilter, höheren Geräteverschleiß, jede Menge Sprudelkisten und teils private Enthärtungsanlagen."

Auf der Facebookseite der Petition artikulierte sich zunehmender Unmut über die Stadtwerke - Tenor: Mein Hund trinkt eher aus einer Pfütze als das Wasser von Fair-Energie!

Die Weichwasser-Petition als Beitrag gegen Politikverdrossenheit?

Während sich in Leserbriefen und auf Facebook der Wunsch nach weicherem Wasser Bahn brach, zeigte nicht nur das Management von Fair-Energie, sondern auch die Rathausspitze in Reutlingen wenig Kommunikationsgeschick. So sei die Übergabe der Unterschriften zur Petition im Reutlinger Rathaus in unterkühlter Stimmung erfolgt. Pressenachfragen seien "nicht erwünscht" gewesen, berichtete die Lokalzeitung. "Ganz locker" sei demgegenüber die Übergabe der Unterschriften im benachbarten Pfullingen verlaufen. Dort wären die Initiatoren der Petition vom Bürgermeister "höchstpersönlich empfangen" worden. Der Bürgermeister habe der Initiative gedankt,
"die auch dazu beigetragen habe, der Politikverdrossenheit der Bürger in der Region entgegenzuwirken. Die Tatsache, dass so viele Menschen mitgemacht haben, zeige, dass eine Online-Petition ein wirksames Instrument der Bürgerbeteiligung sein könne."

Gehört weiches Wasser zur kommunalen Daseinsvorsorge?

Die Freunde des weichen Wassers in Reutlingen hatten ihre Petition für weniger hartes Wasser auch damit begründet, dass im benachbarten Hohenstein bereits eine zentrale Enthärtunganlage betrieben würde: "Statt mit 19,5 Grad deutscher Härte plätschert es nun mit 8 Grad aus den Leitungen." Über die dortige Situation hatte der REUTLINGER GENERALANZEIGER Folgendes berichtet:
"Die Gemeinde hat mit hohem finanziellen Aufwand (rund 300 000 Euro) eine Enthärtungsanlage eingebaut, die Bürgermeister Jochen Zeller und die Bevölkerung nicht mehr missen wollen. »Man bekommt ja selten Lob«, berichtet der Hohensteiner Rathauschef, aber für das weiche Wasser gab's und gibt es reichlich davon."

Der Bürgermeister gestand allerdings auch ein, dass man sich mit der Debatte um weiches Wasser "natürlich in der Komfortzone" bewege: Weicheres Wasser sei "keine Aufgabe der Daseinsvorsorge". Deshalb habe man für die zentrale Enthärtungsanlage auch keine Zuschüsse des Landes erhalten.

Schließlich doch: Zentrale Enthärtung für Reutlingen und Pfullingen

Inzwischen haben die sich die Politik und die Stadtwerke in Reutlingen der Einsicht gebeugt, dass man am Bürgerwillen nach weicherem Wasser nicht mehr vorbeikommt. Derzeit werden vier Optionen geprüft:

1. Eine Optimierung der Wasseraufbereitung an den Karstquellen, um mikrobiologische Durchbrüche zu vermeiden - allerdings ohne zentrale Enthärtung; voraussichtliche Mehrkosten für einen Haushalt mit einem Wasserbedarf von 150 m3/Jahr und derzeitigen Wasserbezugskosten von 315 Euro: 20 Euro

2. Eine zentrale Mischung des harten Karstwassers mit dem weicheren Bodenseewasser

3. Die komplette Umstellung auf Bodenseewasser; Mehrkosten: 102 Euro

4. Eine zentrale Enthärtung des Karstwassers mit Umkehrosmose und mit einer Einleitung des dabei anfallenden Spülwassers in die Kanalisation; Mehrkosten: 84 Euro. Oder eine Einleitung in die Echaz; Mehrkosten: 51 Euro.

Zurzeit wird ein ökologisches Gutachten erstellt, ob man der Echaz die Einleitung von jährlich 500 Mio. Liter Spülwasser aus der Umkehrosmose zumuten kann. Zwar läuft derzeit alles auf eine zentrale Enthärtungsvariante hinaus. Die Entscheidung steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass der "Albaufstieg B312" im Mai 2016 in den "vordringlichen Bedarf" des Bundesverkehrswegeplans aufgenommen worden ist: Und die Neutrassierung der vom Schwerlastverkehr stark frequentierten Bundesstraße würde die weitere Nutzung der Karstquellen prinzipiell in Frage stellen.

Eine gut aufbereitete Übersicht über die zur Diskussion stehenden Varianten bietet eine Trinkwasser-Kundeninformation der Gemeinde Lichtenstein, die ebenfalls von dem "Hartwasserproblem" in Reutlingen und Pfullingen betroffen ist:
http://www.gemeinde-lichtenstein.de/,Lde/12213714.htm

Mehr zu den Trinkwasserversorgung in Reutlingen findet sich auf der Homepage der Stadtwerke in Reutlingen unter
www.fairenergie.de

Pressemeldungen über die Petition für weicheres Trinkwasser können die LeserInnen des RUNDBR. auf der Homepage des REUTLINGER GENERALANZEIGERS nachlesen.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1091
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
Rennerstr. 10, 79106 Freiburg i. Br.
Tel.: 0761 / 27 56 93, 456 871 53
E-Mail: nik[at]akwasser.de
Internet: www.akwasser.de, www.regioWASSER.de
 
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2016

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