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FORSCHUNG/379: Der Fluss der Stoffe (UFZ-Spezial)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Spezial Juni 2011: In Sachen Wasser

Der Fluss der Stoffe

Von Jörg Aberger und Doris Böhme


Bäche und Flüsse werden schon seit Menschengedenken für den Transport von Gütern genutzt. Doch nicht nur auf dem Wasser, auch im Wasser und zwischen Wasser, Boden und Atmosphäre werden Stoffe transportiert: feste und gelöste, anorganische und organische, gewünschte und unerwünschte. Die Palette reicht von Nährstoffen über Schwebstoffe bis hin zu den unterschiedlichsten Schadstoffen aus Industrie und Landwirtschaft oder Haushalten. Beim Transport dieser Stoffe im Wasser finden komplexe biologische, chemische und physikalische Wechselwirkungen statt, die deren Verbleib, Abbau und Wirkung in der Umwelt bestimmen. Und genau damit befasst sich eine Gruppe von Hydrogeologen, Biologen und Chemikern des UFZ. Denn viele dieser Stoffe stellen zum einen ein Problem für die Wasserqualität dar, z. B. bei der Gewinnung von Trinkwasser, die immer aufwändiger und damit teurer wird, je mehr unerwünschte Substanzen entfernt werden müssen. Zum anderen beeinträchtigen sie auch die natürlichen Funktionen aquatischer Ökosysteme wie Nahrungsnetze oder das Filter- und Selbstreinigungsvermögen.

Den Wissenschaftlern geht es aber nicht nur darum, Prozesse wie die Grundwasserdynamik, den Austausch zwischen Grund- und Oberflächenwasser oder die Ausbreitung und den Abbau von Schadstoffen besser zu verstehen. Sie wollen diese Stoffflüsse auch quantifizieren und vorhersagen können. "Derartig komplexe hydrologische und biogeochemische Prozesse durch Messdaten zu beschreiben und schließlich in Computermodellen zu simulieren, ist eine echte Herausforderung, aber auch die einzige Möglichkeit, verlässliche Prognosen machen zu können", sagt Hydrogeologe Dr. Jan Fleckenstein. Solche Prognosen werden benötigt, weil sie die Basis für Managemententscheidungen sind, beispielsweise im Zusammenhang mit der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL, siehe S. 27) oder in Bezug auf Anpassungsstrategien an den Klimawandel auf der Ebene ganzer Flusseinzugsgebiete.

Die für großräumige Stoffflüsse relevanten Schlüsselprozesse spielen sich jedoch oft auf viel kleineren Skalen ab, zum Beispiel in den obersten Zentimetern der Flussbettsedimente, im Porenraum von Böden oder in der Übergangszone zwischen Grund- und Oberflächenwasser. Einzelne chemische Prozesse wie der Abbau von Nitrat durch die sogenannte Denitrifikation sind durchaus bekannt. Aber das komplexe Zusammenspiel mehrerer Prozesse, an denen eine Vielzahl von Stoffen unter sich dynamisch ändernden hydrologischen und biogeochemischen Randbedingungen (z. B. Fließgeschwindigkeit, Sauerstoffgehalte) beteiligt ist, wird bisher nur unzureichend verstanden und ist messtechnisch schwer zu erfassen. Das ist aber eine Voraussetzung, um zuverlässige Entscheidungsgrundlagen für ganze Einzugsgebiete ableiten zu können, z. B. wo und wie Flussrenaturierungen sinnvoll sind, um Pufferzonen für den natürlichen Nitratabbau zu schaffen, oder bei der Ausweisung von Schutzzonen für Trinkwasserbrunnen.


Zwischen Fluss und Grundwasser

An der Selke, einem Nebenfluss der Bode im TERENO-Untersuchungsgebiet (siehe S. 6/7), studieren die UFZ-Forscher, wie morphologische Strukturen im Flussbett, wie etwa Kiesbänke und Meanderschlaufen, den Austausch von Flusswasser mit dem Sediment beeinflussen. Dieser sogenannte hyporheische Austausch bringt Flusswasser in den porösen Untergrund, wo aufgrund langsamerer Fließgeschwindigkeiten und der Mischung mit zuströmendem Grundwasser, das eine andere chemische Zusammensetzung und Temperatur hat, (Schad)stoffe abgebaut oder durch Redoxprozesse um gewandelt werden. Dieses natürliche Selbstreinigungspotenzial von Flüssen kann durch Veränderungen in der Flussbettmorphologie (z. B. Begradigung von Flüssen) oder Eingriffe in die Grundwasserdynamik (z. B. verstärktes Abpumpen von Grundwasser für landwirtschaftliche Bewässerung) gestört werden. Über einen etwa 300 Meter langen Flussabschnitt der Selke zeichnen die Wissenschaftler mit permanent installierten Messgeräten die Druckverhältnisse (hydraulische Potenziale) an der Flusssohle, im Sediment und im angrenzenden Grundwasserleiter sowie relevante physiko-chemische Parameter wie Sauerstoffgehalt, elektrische Leitfähigkeit und Temperatur in hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung auf. Gradienten im hydraulischen Potenzial verraten ihnen, wohin und wie schnell das Wasser im Untergrund fließt. Die chemischen Parameter geben Aufschluss über das chemische Milieu, in dem die Stoffe transportiert werden. Mit den Daten wollen die Wissenschaftler abschätzen, welches Abbau- und Transformationspotenzial die Übergangszone zwischen Fluss und Grundwasser hat. Mit einem Simulationsmodell schließlich quantifizieren sie Auswirkungen klimatisch bedingter Veränderungen wie Temperatur und Abfluss auf den hyporheischen Austausch sowie möglicher Veränderungen der Flussbettmorphologie und der Grundwasserdynamik.


Dem Nitrat auf der Spur

Am Sauerbach, einem kleinen landwirtschaftlich geprägten Bach im Bode- und TERENO-Untersuchungsgebiet, haben die UFZ-Forscher das Nitrat ins Visier genommen. Nitrat aus der Landwirtschaft stellt in vielen Teilen Europas nach wie vor eine Gefährdung für die Trinkwasserqualität dar. Die Nitratkonzentrationen im Quellwasser, das den Sauerbach speist, liegen bereits über den Grenzwerten der Trinkwasserverordnung. "Unsere regelmäßigen Probenahmen und Analysen einer Vielzahl chemischer Inhaltsstoffe und Parameter hat ergeben, dass die Nitratkonzentration entlang der Fließstrecken des Bachs signifikant zurückgeht. Wir wollen wissen, warum. Wird Nitrat in der hyporheischen Zone abgebaut? Oder sinkt die Konzentration durch Verdünnung mit Grundwasser oder Wasser aus landwirtschaftlichen Drainagen?", fragt Jan Fleckenstein. Der Sauerbach ist auch ein schönes Beispiel dafür, wie die hydrologische Dynamik Stoffflüsse beeinflussen kann. Unter sehr feuchten Bedingungen und während starker Niederschläge kann es temporär zum Zutritt von nitratarmem Wasser in den Bach aus nicht permanent am Abflussgeschehen beteiligten Bereichen des Gebiets kommen, was die Nitratkonzentrationen im Bachwasser deutlich verringert. Die Entschlüsselung derartig komplexer Dynamiken ist wichtig, um die Auswirkungen von Klimaveränderungen auf Stoffflüsse adäquat abschätzen zu können.


Wenn Huminstoffe zum Problem werden

In der Rappbodetalsperre im Harz, der größten Trinkwassertalsperre Deutschlands, werden - wie übrigens überall auf der Welt - seit einigen Jahren immer höhere Konzentrationen von gelöstem organischen Kohlenstoff (dissolved organic carbon = DOC) verzeichnet. "DOC entsteht bei der Umwandlung von Huminstoffen, die wiederum Abbauprodukte von Pflanzen sind, und wird durch Flüsse und Bäche und Abfluss an der Landoberfläche in die Talsperre eingetragen", erklärt Gewässerökologe Dr. Karsten Rinke. Sind Huminstoffe in größerer Konzentration im Wasser vorhanden, können sie bei der Filtration von Rohwasser zu einem verfahrenstechnischen Problem werden, denn je mehr Huminstoffe vorhanden sind, desto schwieriger und teurer wird die Fällung, was sich letztlich in einem höheren Wasserpreis bemerkbar macht. Noch problematischer ist es, wenn an sich nicht giftige Huminsäuren bis in das sogenannte Reinwasser gelangen. "Unser Trinkwasser wird mit Chlor desinfiziert und dabei entstehen chlorierte Kohlenwasserstoffe als Desinfektionsnebenprodukte, die giftig und damit ein Gesundheitsproblem sind", sagt Rinke. Nun wollen die Forscher in einer Langzeituntersuchung herausfinden, wo genau die Quellen des DOC sind, warum sie in immer stärkerem Maße ins Wasser gelangen und wie lange der Trend noch anhalten wird. Zurückliegende Forschungen deuten darauf hin, dass der DOC-Eintrag in Fließgewässer durch Prozesse in vermoorten Flussniederungen gesteuert wird. Rund um die Talsperre wurden deshalb neun Messstationen eingerichtet und ab diesem Jahr werden alle Zu- und Abflüsse der Talsperre als Teil des TERENO-Projekts beobachtet.


Ganzheitliches Verständnis notwendig

Eingriffe des Menschen in natürliche Stoffkreisläufe, Klima- und Landnutzungsänderungen sowie das Auftreten neuer Schadstoffe in der Umwelt verändern die Randbedingungen der Prozesse, die die Stoffflüsse steuern. "Die Quantifizierung und Prognose von Stoffflüssen in Einzugsgebieten ist eine komplexe, interdisziplinäre Herausforderung, für die wir jedoch mit den zahlreichen in der Wasserforschung tätigen Departments am UFZ gut aufgestellt sind", meint Fleckenstein. Neben der Entwicklung von Werkzeugen und Methoden zur Abschätzung und Prognose von Stoffflüssen befassen sich die Wissenschaftler auch mit Methoden zur Bewertung der Schadwirkung von Stoffen auf aquatische Ökosysteme als Indikator für die Wasserqualität (siehe Infobox). "Zu einem ganzheitlichen Verständnis von Wasser- und Stoffflüssen und deren Wirkungen in der Umwelt können wir nur gemeinsam gelangen", sagt Fleckenstein. "In diese Richtung sind wir unterwegs."


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SPEAR - SPECIES AT RISK

Wenn sich Pestizide oder andere Stoffe im Wasser ausbreiten, hat das unmittelbare Auswirkungen auf die dort siedelnden Lebewesen. Mikroben und andere Kleinstlebewesen wie Insekten halfen dem Biologen Dr. Matthias Liess und seinen Kollegen, ein Instrument - SPEAR - zu entwickeln, mit dem der Einfluss von Pestiziden auf die Lebewesen und die Qualität des Wassers gemessen werden kann.

Zunächst ermitteln die Forscher, welche Arten in welcher Anzahl zum Beispiel an Flüssen vorkommen. Da bekannt ist, wie die Spezies auf Schadstoffe reagieren - ob sie abwandern, ob sich ihr Vermehrungsverhalten ändert und wie empfindlich sie auf verschiedene Schadstoffe reagieren, müssen diese regelmäßig beobachtet werden. Diese Aufgabe übernehmen die Wasserwirtschaftsämter für die in ihren Zuständigkeitsbereichen liegenden Gewässer und die darin vorkommenden Arten. Die gewonnen Daten tragen sie in den SPEAR-Rechner ein, der die Wasserqualität überwacht. Gibt es signifikante Veränderungen, können von den zuständigen Behörden sofort Maßnahmen ergriffen werden. Derzeit sind die Wissenschaftler dabei, das Instrumentarium weiterzuentwickeln, um sogar einzelne Stoffgruppen, die in Pestiziden verwendet werden, identifizieren zu können. Und damit ist die Entwicklung noch keineswegs abgeschlossen: SPEAR kann so angepasst werden, dass Industrieschadstoffe, Versalzungen oder auch Schwermetalle ausgemacht werden können.

www.systemecology.eu/SPEAR/contact.php


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Um Stoffflüsse zu ermitteln, müssen über einen langen Zeitraum kontinuierlich viele Daten zur Konzentration einzelner Stoffe ermittelt werden. Zum Teil geschieht das über stationäre Messstationen. Oft müssen die Wissenschaftler aber auch zur Probenahme selbst "in den Fluss".

UFZ-Ansprechpartner:
Dr. Jan Fleckenstein
Leiter Dept. Hydrogeologie

e-mail: jan.fleckenstein[at]ufz.de
Dr. Karsten Rinke
Leiter Dept. Seenforschung

e-mail: karsten.rinke[at]ufz.de
PD Dr. Matthias Liess Leiter
Dept. System-Ökotoxikologie

e-mail: matthias.liess[at]ufz.de


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Quelle:
UFZ-Spezial Juni 2011: In Sachen Wasser, S. 10-11
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2011