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GEFAHR/117: CO2-Speicherung - Gefahr für Trinkwasser im Raum Flensburg? (idw)


IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Barbara Debus, 25.10.2009

CO2-Speicherung: Gefahr für Trinkwasser im Raum Flensburg?


Schleswig-Holstein gilt als besonders geeignet, um das aus Kohlekraftwerken abgeschiedene Klimagas CO2 unterirdisch zu deponieren. Für den Berliner Energieexperten Prof. Dr. Rolf Kreibich vom unabhängigen Berliner IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung steht fest: "Für Deutschland kommt die Technologie der CO2-Verpressung nicht in Betracht". Der Landesgeologe Dr. Broder Nommensen hält eine mehrjährige Risikobewertung für das Grund- und Trinkwasser für erforderlich. Mehrere Schleswig-Holsteiner Wasserverbände informierten am Wochenende die Bevölkerung über mögliche Trinkwasserrisiken.

"Es ist nach heutigem Kenntnisstand nicht auszuschließen, dass unterirdische CO2-Einlagerungen aus Kohlekraftwerken die Wasserversorgung im Flensburger Raum beeinträchtigen könnten." Mit diesen Worten referiert Ernst Kern, der Geschäftsführer des Wasserverbandes Nord, ein für ihn alarmierendes Ergebnis einer Informationstagung, zu der sich 100 Vertreter norddeutscher Wasserwerke am 15. Oktober in der Akademie Sankelmark zusammengefunden hatten. Der Geologe Dr. Broder Nommensen vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) Schleswig-Holsteins hatte auf der Veranstaltung den aktuellen Kenntnisstand seiner Behörde vorgetragen und betont: "Zur Bewertung der Risiken für die regionale Trinkwasserversorgung sind umfangreiche Forschungen sowie ein konsequent auf die Ergebnisse abgestimmtes Speichermanagement erforderlich." Die Wasserverbände informierten gestern und vorgestern mehrere zehntausend Kundinnen und Kunden in der kostenlos verteilten "Wasserzeitung" über mögliche Trinkwasserrisiken.

Zwei Regionen Schleswig-Holsteins erscheinen geeignet

Nach Darstellung von Dr. Nommensen vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume (LLUR) kommen aus der Sicht von Geologen deutschlandweit vorrangig zwei in Schleswig-Holstein gelegene Regionen in Betracht, um große Mengen an CO2 aus Kohlekraftwerken in tiefen salzwasserführenden Erdschichten dauerhaft zu speichern. Der nordwestliche Landesteil von Schafflund bis in das Seegebiet westlich der Inseln Sylt, Amrum und Föhr ist dabei die flächenmäßig

bedeutendere Region. Ebenfalls geeignet erscheint Geologen die Ostküste zwischen der Holsteinischen Schweiz und der Insel Fehmarn. Der Energiekonzern RWE hat für diese beiden Regionen bereits Anträge auf Erkundungen gestellt.

Wasserverband Nord: "Grund- und Trinkwasser schützen"

Der Organisator der Informationstagung, der Geschäftsführer des Wasserverbandes Nord Ernst Kern, sieht hinsichtlich der möglichen Gefahren das Europarecht auf seiner Seite: "Bereits die EU-Wasser-Rahmenrichtlinie verbietet alles, was zu einer Verschlechterung der Qualität des Grundwassers führen könnte. Unser Wasser ist mehrere hundert Jahre alt und frei von Spuren jeder menschlichen Tätigkeit. Wir können es nicht zulassen, dass dieser Schatz in irgendeiner Weise berührt wird."

"'Asse' ist warnendes Beispiel"

Prof. Rolf Kreibich, Physiker und Direktor des unabhängigen und gemeinnützigen IZT - Institut für Zukunftsstudien und

Technologiebewertung in Berlin, der als Referent ebenfalls an dieser Tagung teilnahm: "Ich kann nur davor warnen, große Mengen CO2 für mehrere tausend Jahre unterirdisch einschließen zu wollen. Ich kenne keinen seriösen Wissenschaftler, der sich anmaßt, über solche langen Zeiträume Standortsicherheit zu prognostizieren. Die katastrophale Fehleinschätzungen und das Kontrollversagen beim Atommülllager 'Asse' mit allen unübersehbaren Gefahren und Folgen sollten eine letzte Warnung sein, solche Vorhaben ohne ausgereifte wissenschaftliche Erkenntnisse anzugehen."

"Sechs Jahre Forschung nötig"

Die Geologen vom Geologischen Landesdienst Schleswig-Holsteins halten die Gesteinsschichten im Nordwesten (inklusive des Seegebietes westlich der Nordfriesischen Inseln) und im Osten (inklusive Fehmarn) ihres Bundeslandes unterhalb 1000 m Tiefe für "tektonisch stabil" genug, um ernsthaft zu prüfen, ob sie abgeschiedenes CO2 aufnehmen können. Broder Nommensen: "Es bedarf Forschungsanstrengungen von rund sechs Jahren bis wir wissen, ob unsere Region für die CO2-Verpressung geeignet ist."

Geologische Besonderheit im Flensburger Raum

Das mögliche Speichergestein, der in etwa 2000 Meter Tiefe anstehende Buntsandstein, zeichnet sich u.a. dadurch aus, das seine Poren mit hochkonzentriertem Salzwasser gefüllt sind ("saliner Aquifer"). Das Salzwasser in diesen tiefen Erdschichten ("salines Formationswasser") hat einen Salzgehalt von ca. 300g pro Liter - im Vergleich dazu hat Nordseewasser einen Salzgehalt von 35g pro Liter. In Trinkwasser darf sich nur 1g Salz pro Liter befinden. Nach Angaben von Dr. Nommensen gibt es südlich von Flensburg eine geologische Besonderheit, die für die Grundwasserqualität dort problematisch sein könnte: "Durch die unterirdische Druckausbreitung der CO2-Blase wird das extrem salzhaltige Formationswasser seitlich verdrängt. Von Flensburg aus nach Süden verläuft aber eine tektonische Bewegungszone, die sogenannte 'Sieverstedter Störung' mit dem westlich angrenzenden 'Tarper Trog'. Vermutlich sind die alten Bewegungsbahnen durch Jahrmillionen andauernde Mineralisationsprozesse verschlossen, es ist nach jetzigem Wissensstand aber nicht sicher auszuschließen, dass verdrängtes salziges Formationswasser dort aufsteigt, mit Grundwasser in Berührung kommt und so die Wasserversorgung der Wasserwerke im Flensburger Raum beeinträchtigen könnte."

"Für Deutschland kommt CCS-Technologie nicht in Betracht"

Das Fazit von Prof. Dr. Rolf Kreibich vom Berliner IZT: "Für Deutschland kommt die CO2-Abscheidung aus Kohlkraftwerken und die unterirdische Verpressung, die sogenannte Carbon-Capture-and-Storage-Technologie wegen ihrer miserablen Energie-, Wirtschafts- und Umweltbilanzen nicht in Betracht. Die Gefahren für die

Trinkwasserversorgung und die Gesundheitsgefährdungen der Menschen im Bundesland Schleswig-Holstein sind unkalkulierbar. Weiter besteht die Gefahr, dass der Klimaschutzeffekt selbst bei nur geringer Diffusion des CO2 an die Oberfläche nur um Jahre verschoben würde."

Kreibich ist überzeugt: "Die alten, zentralistischen und gefährlichen Energietechniken mit ihren fossilen und nuklearen Großkraftwerken würden durch die CCS-Technologie auf Dauer zementiert, obwohl sie nur noch für eine Übergangszeit zur Versorgungssicherheit nötig sind: Die Zukunft gehört der Energieeffizienz und den Erneuerbaren Energien."


PROF. KREIBICH ZUR CCS-TECHNOLOGIE

Prof. Dr. Rolf Kreibich führte auf der Veranstaltung am 15. Oktober in der Akademie Sankelmark zahlreiche weitere grundlegende Einwände gegen die CO2-Abscheidung und unterirdische Verpressung, die sogenannte Carbon-Capture-and-Storage-Technologie (CCS) an, so u. a.:

CCS-Anlagen verbrauchen bis zu 40% mehr Primärenergie (Kohle) als Kondensationskraftwerke ohne CCS
CCS-Technologien scheiden bisher nur 65-80% CO2 dauerhaft ab (Pilotanlagen)
Nur das sichere und dauerhafte Zusammenspiel aller Verfahrensschritte - Abscheidung, Transport und Lagerung - sowie eine lückenlose Kontrolle der eingespeicherten CO2-Mengen würde den Einsatz der Technologie rechtfertigen
Weltweit gibt es bisher kein einziges Beispiel für den großtechnischen Einsatz der CCS-Technologie
Großtechnische Anlagen werfen u. U. ganz andere Herausforderungen auf: Sie emittieren pro Jahr ca. 3-10 Mio. t CO2; die Pilotanlage Schwarze Pumpe in der Lausitz von Vattenfall verbringt gerade einmal 60.000 t CO2. Das ist also ein Verhältnis von 50:1 bis 150:1

Für den Prozessschritt CO2-Abscheidung sieht Kreibich folgende Probleme:

Sehr hohe Kosten der Anlageinvestitionen und zusätzlicher Einsatz von großen Mengen an Primärenergie, Verbrauchsmaterial sowie Personal: (für ein 1000 Megawatt-(MW)-Kraftwerk ca. 1,2 Mrd. Euro zusätzlich)
Die erreichbaren Wirkungsgrade, die tatsächlichen Abscheidungsraten, die erforderliche Reinheit des Abgasstroms (wegen Korrosion beim Transport und Einlagerung) sind bisher weitgehend ungeklärt
Die Zuverlässigkeit der Großtechnik und ihre Rückwirkung auf die Sicherheit der Kraftwerke und die Stromproduktion sind ungeklärt
Es bedarf hoher Forschungs-, Entwicklungs- und Erprobungskosten
Der Einsatzzeitpunkt ist völlig unsicher und dürfte großtechnisch frühestens in 15 bis 20 Jahren möglich sein.

Der Transport von CO2 ist ebenfalls mit großen Unsicherheiten behaftet:

Grundsätzlich lässt sich CO2 zwar gut in Pipelines oder Tankschiffen transportieren, aber der Straßenverkehr wirft erhebliche Probleme auf (Tanklastwagen; Schnittstellen)
Hohe Transportkosten und hoher Ressourcenverbrauch; die Verbringung großer Mengeneinheiten im Straßen- und Wasserverkehr ist gefährlich; für den Pipeline-Bau und die Tankschiffe (Kraftwerke liegen nur selten in der Nähe von potentiellen Lagerstätten) sind hohe Kosten aufzuwenden
Hohe Anforderungen sind an die Reinheit des CO2 zu stellen (Korrosionsschäden)
Verbringt man nur das CO2 von einem Drittel aller fossil befeuerten Kraftwerke bedeutet das - auf Speicherdruck verdichtet
einen weltweiten Transport von rund 3 Milliarden m3 CO2. Zum Vergleich beträgt die weltweite jährliche Rohölförderung rund 5 Milliarden m3.

Offene Probleme bei der "Geologischen Speicherung"

Erforderlich ist eine dauerhaft sichere CO2-Speicherung. Großtechnisch ist das mit völlig unbekannten Wirkungen, Dichtigkeiten, Überprüfungen, Überwachungen, möglichen Havarien, Umweltwirkungen und Gesundheitsgefahren verbunden
Weltweit gibt es nur vier (kleine) Referenzprojekte mit maximal 1 Million t CO2 pro Jahr -Norwegen (Sleipner und Snoveit), Algerien (In-Salah); Kanada (Weyburn). Es soll aber eine Einlagerung von mindestens 1,5 Milliarden t pro Jahr erfolgen, was 1.500 mal so viel ist
CO2 ist nicht Erdgas, denn CO2 ist chemisch aktiver und aggressiver.
Die sichere und dauerhafte Dichtigkeit der Erdspeicher ist Voraussetzung für Klimaschutz, Sicherheit und Gesundheitsschutz; außerdem müssen zahlreiche bergbaurechtliche und umweltrechtliche Probleme überwunden werden.

Zum Monitoring und zu notwendigen nachsorgenden Maßnahmen

Bisher gibt es keine geeigneten Methoden für die umfassende Überwachung der CO2-Speicherung: Beobachtungen sind in großer Tiefe bis 3000m und bis zur Oberfläche erforderlich
Es gibt bisher keine genauen Kenntnisse über mögliche Diffusionsprozesse bei weitreichenden Diffusionsbereichen; hierzu gibt es auch keine Langzeit-Erkenntnisse
Notwendig ist eine Überwachung der Verdrängungsgase und des Verdrängungswassers sowie der Druckveränderungen in der Erdkruste über weite Verbreitungsbereiche; die Gefahren für die Trinkwasserversorgung sind eklatant
Erforderlich sind Entwicklungen und Kostenabschätzungen für nachsorgende Maßnahmen und Notfallpläne. Der Energie- und

Materialaufwand ist erheblich, so dass die Gesamtkosten schwer abschätzbar sind.


Das Fazit von Professor Kreibich lautet:

1. Für Deutschland kommt die CCS-Technologie wegen der schlechten Energie-, Wirtschafts- und Umweltbilanzen nicht in Betracht; außerdem dürfte der Zeitraum bis zur großtechnischen Einsatzreife viel zu groß sein.

2. Es handelt sich um eine äußerst riskante Technologie mit der Aussicht, dass der Klimaschutzeffekt, selbst bei nur geringer Diffusion des CO2 an die Oberfläche, nur um Jahre verschoben würde. Die Gefahren für die Trinkwasserversorgung und die Gesundheitsgefährdungen der Menschen in der Region sind aus heutiger Sicht unkalkulierbar.

3. Die problematischen Sicherheits- bzw. Gefährdungsbilanzen und die enormen Entwicklungs-, Investitions- und Betriebskosten sprechen eine eindeutige Sprache: Die Technologieförderung von CCS ist gegenüber einem konsequenten Ausbau neuer Energiesysteme mit Energieeffizienztechnologien, Erneuerbaren Energien, Energiespeichertechnologien sowie neuen Energie-Systemlösungen (z. B. durch "virtuelle Kraftwerke", Nahversorgungssysteme für Strom und Wärme, Niedrig- und Plus-Energiehäuser etc.) nicht verantwortbar. Auch würden die Mittel für eine regenerative Energiewende in eine unkalkulierbare Risikotechnologie abgezogen sowie die alten fossilen und nuklearen gefährlichen zentralistischen Energietechniken (fossile und nukleare Großkraftwerke) zementiert, die ohnehin nicht mehr lange gebraucht werden.

4. Der Mehrverbrauch an fossilen Energieträgern (Kohle) von bis zu 40% ist unverantwortlich, weil diese Ressourcen als Feststoffe für Chemie, Pharmazie etc. langfristig gebraucht werden und dieser Mehrverbrauch im Widerspruch zu einer nachhaltigen und generationengerechten Entwicklung steht.

5. Es ist damit zu rechnen, dass die Bürger in Deutschland nur eine äußerst geringe Akzeptanz für die CCS-Technologie aufbringen werden. Schon jetzt formieren sich zu Recht massive Bürgerproteste und Ablehnungskampagnen aller wichtigen Umwelt-, Erneuerbarer-Energien- und Verbraucherverbände.

Aus alle diesen Gründen bleibt nur noch die weitere Entwicklung der CCS-Technologie für Einssatzgebiete in Asien, Afrika und evtl. in Südamerika. Aber auch hierfür und für die weiteren Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sollten die großen Energieversorger RWE, Vattenfall, E.on und EnBW keine öffentlichen Mittel erhalten. Wenn sie die CCS-Technik für so aussichtsreich erachten, dann sollten sie ihre überreichlich vorhandenen Eigenmittel dafür einsetzen.


Materialien / Downloads

- Grafik 1: Zwei tektonisch relativ stabile Regionen in Schleswig-Holstein (Quelle: Geologischer Landesdienst im Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, LLUR, Schleswig-Holstein)

- Grafik 2: Geologische Besonderheit Tarper Trog / Sieverstedter Störung südlich von Flensburg (Quelle: Geologischer Landesdienst im Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume, LLUR, Schleswig-Holstein)

- "Wasserzeitung" des Wasserverbandes Nord vom 23. Oktober 2009 (enthält Berichte zur Veranstaltung am 15.10.) / Ein kostenloser Download ist möglich


Kontakte / Materialversand:

Pressestelle des IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Berlin
Barbara Debus
Tel.: 030-803088-45, Fax: 030-803088-88, E-Mail: b.debus@izt.de

Prof. Dr. Rolf Kreibich
IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, Berlin
Tel.: 030-803088-0, Fax: 030-803088-88, E-Mail: r.kreibich@izt.de

Ernst Kern
Wasserverband Nord, Oeversee
Tel. 04638-8955-11, Fax: 04638-8955-56, E-Mail: info@wv-nord.de

Günter Gertz
Wasserverband Norderdithmarschen; Heide
Tel.: 0481-901-0, E-Mail: info@wv-norderdithmarschen.de

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.izt.de, unabhängiges Berliner Forschungsinstitut
http://www.wv-nord.de, Wasserverband Nord, Oeversee
http://www.wv-norderdithmarschen.de, Wasserverband Norderdithmarschen, Heide

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Quelle:
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IZT - Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung,
Barbara Debus, 25.10.2009
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2009