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SCHADSTOFFE/083: Unser täglicher Arzneien-Cocktail - Was sich im Trinkwasser zusammenbraut (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 170 - Oktober/November 2012
Die Berliner Umweltzeitung

Unser täglicher Arzneien-Cocktail
Was sich im Trinkwasser so zusammenbraut

von Volker Voss



Die Berliner Wasserbetriebe werben mit dem Hinweis auf die ausgezeichnete und streng überwachte Qualität unseres Trinkwassers, die der Bedeutung als Lebensmittel Nummer eins gerecht werde. Somit könne es bedenkenlos getrunken werden. Doch daran sind in den letzten Jahren Zweifel aufgekommen. Unumstritten ist, dass der nicht unerhebliche Arzneimittelkonsum über menschliche Ausscheidungen in den Wasserkreislauf und so auch ins Trinkwasser gelangt. Der Gesundheitsratgeber AGENKI bezeichnet es gar als "große Lüge", dass in Deutschland Leitungswasser bedenkenlos getrunken werden kann. "Es wird nur auf seine bakterielle Unbedenklichkeit und das Vorhandensein weniger Giftstoffe beurteilt."

Das Umweltbundesamt (UBA) rechnet vor, dass heutzutage etwa 2.800 Arzneimittel-Wirkstoffe in knapp 30.000 Präparaten verwendet werden. Das bisher nur ein kleiner Teil davon in der Umwelt gefunden wurde, liegt unter anderem daran, dass bei Analysen normalerweise nur die Substanzen aufgespürt werden, nach denen gesucht wird. Die Entwicklung spezifischer Nachweismechanismen für die oft sehr komplexen Moleküle sei sehr aufwendig.

Einige dieser Rückstände konnten jedoch nachgewiesen werden. Professor Michael Bau (Jacobs University Bremen) veröffentlichte im Herbst 2010 seine Forschungsergebnisse zur Berliner Wasserqualität. Demnach wurde das in der medizinischen Diagnostik verwendete Kontrastmittel Gadolinium im Berliner Wasser festgestellt, das bei der Trinkwasseraufbereitung in den Klärwerken nicht entfernt werden kann und so in den Wasserkreislauf gelangt. Seine Schlussfolgerung: "Weil sich zahlreiche Medikamente und deren Abbauprodukte ähnlich verhalten wie die Gadolinium-haltigen Kontrastmittel, sind hohe Mengen am Kontrastmittel Gadolinium ein deutlicher Hinweis auf erhöhte Gehalte an Arzneimittelrückständen im Trinkwasser". Zwar sei die Konzentration insgesamt niedrig, doch seien die Auswirkungen des Medikamenten-Cocktails kaum erforscht, fügt er warnend hinzu. "Für die Umweltqualitätsnormen, die teilweise weit unterhalb der analytischen Nachweisgrenze liegen, fehlen eine Risiko-Nutzen-Abwägung sowie die Bewertung der Vollzugstauglichkeit", bemängelte kürzlich der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Die Absicht der Europäischen Kommission, die Liste schädlicher Stoffe zu erweitern, wird grundsätzlich begrüßt.

Medikamentenkonsum verringern

Das Umweltbundesamt schlägt vor, bei der Zulassung von Arzneimitteln auch mögliche Umweltrisiken, unter anderem einen eventuellen Eintrag in das Grundwasser zu prüfen. "Um längerfristig den Eintrag von Arzneimitteln in die Umwelt zu verringern, ist eine Reduzierung des Einsatzes durch verbesserte Haltungsbedingungen in der Tierzucht sowie Verhaltensänderungen bei Ärzten, Apothekern sowie Verbrauchern erforderlich", so die Forderungen des UBA. Wie nötig ein Umdenken bei der Medikamentenverabreichung ist, zeigt die Prognose der Berliner Wasserbetriebe, "dass der Konsum von Medikamenten in unserer Gesellschaft ansteigt". So können sich "langfristig die Konzentration von Spurenstoffen wie zum Beispiel Arzneimittelrückständen in unseren Oberflächengewässern erhöhen, welche dann das Grundwasser erreichen können". Angemerkt sei, dass lediglich zehn Prozent des konsumierten chemischen Medikaments vom Körper aufgenommen werden. Der Rest geht in die Kläranlagen.

Erschreckend ist der hohe Anteil "weiblicher Hormone" im Wasserkreislauf, und zwar Östrogen, ein Hormon, das Frauen über die Pille einnehmen und das über Ausscheidungen ins Wasser gelangt, warnt Toxikologin Dr. Eleonora Blaurock-Busch. Die Wasserwerke seien nicht in der Lage, diese Stoffe herauszufiltern.

Diese unfreiwillige Östrogenzufuhr wirke sich insbesondere auf die männliche Potenz aus. Untersuchungen aus Großbritannien ergaben, dass die durchschnittliche Spermienzahl bei Männern um etwa 50 Prozent zurückgegangen und die Fälle von männlicher Unfruchtbarkeit deutlich gestiegen sei, so Michael Spitzenberger, Geschäftsführer von "UrQuellWasser - Informationen rund ums Wasser", was genau auf diese Östrogeneinnahme zurückzuführen sei. Welche Rückstände sich außerdem im Wasserkreislauf befinden, ergab eine Studie der Hamburger Zeitschrift "Der Feinschmecker" zur Wasserreinhaltung in einigen deutschen Städten. Danach konnten auf Grund von Stichproben in Berlin, Essen und Dortmund hohe Werte an Röntgenkontrastmitteln und Anti-Epilepsie-Medikamenten im Leitungswasser ausgemacht werden.

Zweifelhafte Klärverfahren

Im Forschungsprojekt ASKURIS an der Technischen Universität Berlin werden in Kooperation mit den Berliner Wasserbetrieben, moderne Verfahren zur Analytik und Bewertung entwickelt, um unter anderem Arzneimittelrückstände zu ermitteln. Durch Ozonbehandlung konnte ein wesentlicher Anteil der im Klärlauf Ruhleben nachgewiesenen Medikamentenrückstände oxidativ entfernt beziehungsweise transformiert werden. So seien Spurenstoffe wie das Antiepileptikum Carbamazepin und das Hormon Estron schon bei einer sehr geringen Ozondosierung bis unterhalb ihrer analytischen Nachweisbarkeit entfernt worden. Darüber, welche Wirkungen jedoch dieser chemischen Vorgänge haben, die bei der Behandlung mit Ozon, Chlor oder UV-Strahlung entstehen, liegen bislang wenige Erkenntnisse vor. Röntgenkontrastmittel beispielsweise lassen sich auch bei hohen Ozondosierungen nur teilweise eliminieren.

UrQuellWasser hat zusammengestellt, was wir täglich noch alles trinken und so in die Klärbecken gelangt: Neben Östrogen und Röntgenkontrastmitteln sind das Präparate gegen Wechseljahresbeschwerden, Hormone aus Anti-Aging-Pillen, Chemie aus der Chemotherapie zur Krebsbehandlung, Clofibrinsäure, die sich in Medikamenten zur Cholesterinkontrolle findet, Schmerz- und Rheumamittel wie Diclofenac oder Ibuprofen. Schließlich kritisiert Spitzenberger, "dass sich die Wissenschaft derzeit in Ermangelung belastbarer Studien noch beharrlich ausschweigt."

Erschreckend ist die Feststellung des Fachexperten Dr. Christian Daughton von der Universität in Las Vegas: "Die Menge der Medikamente und Körperpflegeprodukte, die jährlich in die Umwelt gelangen, entspricht in etwa der Menge der jährlich verwendeten Pestizide."

Unsicherheit über die tatsächlichen Auswirkungen der unfreiwilligen Arzneimittelzufuhr zeigt beispielsweise die wenig hilfreiche Aussage des Pharmazieexperten Manfred Hilp in einem Beitrag für die Pharmazeutische Zeitung: "Auch wenn theoretisch ein Gefährdungspotenzial besteht, ist grundsätzlich weder eine Dramatisierung noch eine Verharmlosung des Problems angebracht."

Naturheilmittel zu verwenden, sei allemal vorteilhafter. Zwar dauert ein Heilungsprozess so etwas länger, ist dafür aber ohne Nebenwirkungen für Mensch und Umwelt. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten ohnehin gezeigt, dass Medikamente wie Erkältungsmittel oder auch Antibiotika keine nachweisbaren Vorteile während des Krankheitsverlaufes zeigten.

www.agenki.de
www.umweltbundesamt.de
www.urquellwasser.eu

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Quelle:
DER RABE RALF - 23. Jahrgang, Nr. 170 - Oktober/November 2012, S. 3
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2012