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SCHADSTOFFE/119: PFT-Papierschlamm-Kompost verseucht Trinkwasser bei Rastatt (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1047, vom 19. Okt. 2014 - 34. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

PFT-Papierschlamm-Kompost verseucht Trinkwasser bei Rastatt



Es ist ein Déjà-Vu: 2006 war bekannt geworden, dass ein dubioser Umweltdienstleister den Bauern im Einzugsgebiet der Möhnetalsperre in NRW "Bodenverbesserungsmittel" aufgedrängt hatte. Die "Bodenverbesserungsmittel" waren hochgradig mit polyfluorierten Tensiden (PFT) belastet. Die Folge: Das aus der Möhnetalsperre gewonnene Trinkwasser war derart mit PFT belastet, dass nur noch der Einbau von Aktivkohlefiltern Abhilfe schaffen konnte (s. RUNDBR. 882/1-2, 873/2-3, 854/2-4, 851/2-3). Der "PFT-Skandal" war einer der größten Fälle einer chemischen Trinkwasserkontamination in der Geschichte der BRD. Jetzt wiederholt sich der Skandal bei Rastatt: Dort hatte eine Kompostfirma PFT-belastete Papierschlämme zu "Kompost" verarbeitet und in den Jahren 2006 bis 2008 an die Landwirtschaft im Umkreis von Rastatt und Baden-Baden geliefert. Jetzt ist auch in Mittelbaden guter Rat teuer, denn eine PFT-belastete Grundwasserfront wird voraussichtlich in zwei Jahren den Hauptentnahmebrunnen von Rastatt erreichen. Einige kleinere Brunnen mussten schon 2013 außer Betrieb genommen oder mit Aktivkohlefiltern ausgestattet werden. Für Schwangere, Säuglinge und Stillende in Kuppenheim - einem der betroffenen Dörfer - hatte das Gesundheitsamt 2013 bis zur Umstellung der Trinkwasserversorgung zeitweise empfohlen, auf den Genuss des PFT-belasteten Trinkwassers zu verzichten. Aus den PFT-belasteten Ackerflächen wird ständig und großräumig weiteres PFT an das Grundwasser abgegeben. Ein Austausch und eine Entsorgung der PFT-belasteten Bodenschichten würde exorbitante Kosten nach sich ziehen. Schon allein die Bodenuntersuchungen und die Einrichtung von zusätzlichen Grundwasserbeprobungsmessstellen schlägt derzeit mit mehreren Hundertausend Euro zu Buche. Zur Verwirrung hatte beigetragen, dass in der bislang hauptbetroffenen Region zwischen Baden-Baden und Rastatt vor Jahren ein Großbrand mit PFT-Löschschäumen bekämpft worden war. Der Löschschaum hatte ebenfalls lokal zu einer Belastung des Grundwassers mit den langlebigen und schwer abbaubaren polyfluorierten Tensiden geführt. Zeitweise war unklar, ob das im Grundwasser nachweisbare PFT aus dem Löschschaum oder aus dem kontaminierten Kompost stammte. Der Leitwert für polyfluorierte Tenside liegt in Deutschland bei 0,3 Mikrogramm pro Liter Trinkwasser. PFT finden sich in Papierschlämmen u.a. deshalb, weil PFT als "Nassfestmittel" beispielsweise Kartonverpackungen für Fast Food wasserfest und fettabweisend machen.

PFT-Belastung führt zu kommunalpolitischem Zwist

Nicht nur wegen der Besorgnisse in der Bevölkerung, sondern auch weil Millionenkosten drohen, hat die drohende PFT-Belastung des Trinkwassers zu einem Zwist zwischen Rastatt und Baden-Baden geführt. Die GRÜNEN im Kreisrat sprachen von "Auseinandersetzung zwischen den Behörden in Rastatt und Baden-Baden um die Zuständigkeiten und die richtige Vorgehensweise im PFT/PFC-Skandal".

PFT-Panikmache?

Am 14. Juni 2014 hatten die BADISCHEN NEUSTEN NACHRICHTEN berichtet, dass es zwischen den Städten Baden-Baden und Rastatt "zu heftigem Streit" über die angemessene Reaktion auf die PFT-Belastungen gekommen sei: "Rastatt verlangte sofortiges Einschreiten. Baden sprach von Panikmache." Im Hinblick auf die kritischen Stimmen aus Rastatt hatte die Oberbürgermeisterin von Baden-Baden, MARGRET MERGEN, gemahnt: "Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir uns gegenseitig Vorwürfe machen" (BNN, 18. Juli 2014).

Dem begegnete die CDU im Kreisrat gleich mit dem Vorschlag nach Einrichtung eines "Runden Tisches", "an dem sich Vertreter aller beteiligten Behörden mit ihrem Sachverstand zusammensetzen und gemeinsame Lösungen erarbeiten" sollten. Das nicht gerade innigliche Verhältnis zwischen Baden-Baden und Rastatt wurde weiter getrübt, nachdem das Landratsamt in Zusammenarbeit mit Baden-Baden für den 15. Juli 2014 zu einer Bürgerinformationsveranstaltung zum PFT-Fall in Baden-Baden eingeladen hatte. Dort sollten Fachleute von Umwelt-, Gesundheits-, Landwirtschafts- und Veterinärbehörden sowie des Regierungspräsidiums Karlsruhe über die aktuelle Situation berichten und für Fragen zur Verfügung stehen. In Rastatt reagierte man befremdet, weil die Grundwasserfließrichtung von den kontaminierten Flächen auf der Gemarkung von Baden-Baden auf Rastatt zuführt - und man deshalb in Rastatt der potenziell Hauptbetroffene sei. Der OB von Rastatt hatte deshalb für den 14. Juli, einen Tag vor der Veranstaltung in Baden-Baden, zu einer eigenen Bürgerinformationsveranstaltung eingeladen. Bemerkenswerterweise fand diese Veranstaltung nicht nur in Zusammenarbeit mit dem Rastatter Wasserversorger, den star.energiewerken, sondern auch mit dem NABU statt. Der NABU im Landkreis Rastatt hatte sich zuvor der dortigen PFT-Affäre eingehend angenommen. Die sehr kritischen und in ihren Forderungen weitreichenden NABU-Stellungnahmen können unter www.nabu-rastatt.de heruntergeladen werden.

PFT-Affäre Rastatt/Baden-Baden: Die Behörden haben alles in Griff

Im Gegensatz zum NABU beurteilte das Landratsamt Rastatt und das dortige Gesundheitsamt die Lage deutlich weniger dramatisch. Dr. HANS-JÜRGEN BORTEL, Leiter des Gesundheitsamts, stellte fest, "dass das zur Verfügung stehende Trinkwasser der öffentlichen Versorger im Landkreis Rastatt und Stadtkreis Baden-Baden die gesundheitlichen Leitwerte durchweg unterschreitet und nach aktuellem Kenntnisstand problemlos verwendet werden kann, dass aber weitere Anstrengungen unternommen werden müssen, um dem Minimierungsgebot der Trinkwasserverordnung Genüge zu tun. Eine akute Gefährdung bestehe nicht."

Auch von einem Disput zwischen Baden-Baden und Rastatt wollte man im Landratsamt nichts wissen: "Die Behörde hat Ämter übergreifend alle Kräfte gebündelt, das Ausmaß der Verunreinigung und deren Folgen zu eruieren, um geeignete und sinnvolle Gegenmaßnahmen zu finden. Eine enge und konstruktive Zusammenarbeit auf der Fachebene mit den Landkreiskommunen und der Stadt Baden-Baden und die Unterstützung des Regierungspräsidiums und der Landesanstalt für Umwelt, Natur und Messungen Baden-Württemberg bilden die Grundlage der Umweltschadensbearbeitung im Landratsamt, die vom Umweltministerium und vom Regierungspräsidium positiv bewertet wird."

Auch von möglicherweise PFT-belasteten Beregnungswasser gehe keine Gefahr für das Grundwasser aus: Umfangreiche Messungen mit sogenannten Tensiometern hätten gezeigt, dass das Wasser aus den Beregnungsmaschinen maximal bis zu einer Bodentiefe von 30 cm vordringe. Und PFT-belastete Ackerfrüchte und Tiere seien auch keine Gefahr: Beim Wurzelgemüse und den Hausschweinenieren wären die PFT-Konzentrationen beispielsweise so gering, dass eine 70 Kilogramm schwere Person täglich und lebenslang über 25 Kilogramm der jeweiligen Produkte essen müsste, um die täglich tolerierbare Aufnahmemenge an PFC zu überschreiten.

Weitet sich die PFT-Belastung auf weitere Land- und Stadtkreise aus?

Inzwischen wurde bekannt, dass man im Stuttgarter Umweltministerium nicht ausschließen will, dass sich die PFT-Belastung vom mittelbadischen Raum bei Rastatt und Baden-Baden auch auf den nordbadischen Raum zwischen Karlsruhe und Mannheim und darüber hinaus ausdehnen könnte. In einer Medienmitteilung des Ministeriums von Ende Juli 2014 hieß es, dass Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) "besorgt auf neue Erkenntnisse reagiert" habe. Die kontaminierten Ackerflächen bei Rastatt und Baden-Baden könnten "kein Einzelfall" sein: "Es gibt klare Hinweise, dass zwischen 2006 und 2008 in größeren Mengen und auf weiteren Flächen als bislang bekannt Papierschlämme Kompost beigemischt und ausgebracht wurden", wurde Untersteller in der Medienmitteilung zitiert. Man habe die PFT-Untersuchungen von Ackerprodukten, Boden und Grundwasser auf Nordbaden ausgeweitet. So habe man "vorsorglich" den Rhein-Neckar-Kreis sowie die Stadtkreise Mannheim und Heidelberg und darüber hinaus auch den Ortenaukreis "gebeten, Recherchen anzustellen". Gegen zwei Geschäftsführer des Entsorgungsbetriebes, der in Verdacht steht, die Papierschlammkomposte hergestellt zu haben, ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft Baden-Baden wegen des Anfangsverdachts auf Gewässerverunreinigung. Ein Staatsanwalt sprach lt. BADISCHEM TAGBLATT von umfangreichen Ermittlungen, die voraussichtlich mehrere Monate in Anspruch nehmen werden. Inzwischen hat sich gezeigt, dass tatsächlich weitere Felder und Äcker zwischen Baden-Baden und Rastatt mit dem PFT-Kompost beaufschlagt worden sind.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1047
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2014