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MÄRCHENKOCH - EIER/002: Rühreisalat (SB)


DER HANDWERKER UND DER GELEHRTE


Es war einmal ein Gelehrter, der genoß unter den Bürgern seiner Stadt hohes Ansehen. Wenn er zu einer Angelegenheit seine Meinung kundtat, fand sich sogleich jemand, der den Ausspruch zu Papier brachte und wie eine Kostbarkeit in der Westentasche mit sich herumtrug.

Der Gelehrte verbrachte seine Tage damit, die Schriften anderer kluger Köpfe zu studieren. Am Abend saß er dann mit den Professoren der Stadt über einem Glas Wein zusammen, um mit ihnen darüber zu sinnieren, was die Welt im Innersten zusammenhält. Und je später die Stunde, umso mehr meinten sie der Wahrheit auf der Spur zu sein. Jedenfalls kam, wer ihnen zuhörte, aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Nur die Handwerker des Städchens ließen sich von den klugen Worten des Gelehrten nicht beeindrucken, was diesen gewaltig wurmte. "Die Handwerker sind zu einfältig, um meinen Gedanken zu folgen", spöttelte er. Und wenn er mit einem Handwerker zu tun hatte, sprach er absichtlich so, als würde er mit einem kleinen Kind reden, nur um ihm zu zeigen, wie überlegen er sich fühlte.


*


Eines Tages begab es sich, daß dem Gelehrten der Schlüssel für seine Kammer abhanden gekommen war. Nachdem er dreimal das Innere seiner Taschen nach außen gekehrt hatte, grübelte er darüber nach, was nun zu tun wäre. Vielleicht sollte er den Weg, den er gekommen war, noch einmal zurückgehen und nach dem Schlüssel suchen. Oder er suchte sich für die Nacht eine Herberge, um am anderen Morgen die Tür aufbrechen zu lassen. Vielleicht sollte er auch bei der Hauswirtin vorsprechen, die am anderen Ende der Stadt wohnte, und sie nach einem Ersatzschlüssel fragen.

So überlegte der Gelehrte hin und her, da sah er einen Handwerksburschen mit einem Bündel über der Schulter die Straße entlangschlendern.

Eigentlich widerstrebte es ihm, von einem Handwerker Hilfe zu erbitten, weil er dadurch zugeben mußte, daß er gar nicht so überlegen war, wie er sich immer gab. Doch er war hungrig und sehnte sich nach dem köstlichen Mahl, das ihm seine Haushälterin in die Speisekammer gestellt hatte.

"Hallo Handwerksbursche", rief daher der Gelehrte, "wenn du vom Schlosserhandwerk etwas verstehst, dann kannst du dir hier ein Abendessen verdienen!"

"Das käme meinem knurrenden Magen gerade recht", trat der Handwerksbursche näher und musterte den Gelehrten angelegentlich. "Worum geht es denn?"

"Mir ist mein Schlüssel abhanden gekommen und nun kann ich nicht in meine Kammer hinein", erklärte der Gelehrte und machte ein Gesicht, als wäre der Handwerksbursche Schuld an seinem Mißgeschick.

"Wenn es weiter nichts ist", erwiderte der Handwerksbursche und drückte zunächst einmal den Türgriff herunter. Zu beider Erstaunen ließ die Tür sich ohne Mühe öffnen und auf der Innenseite steckte der Schlüssel, der in Wirklichkeit gar nicht verlorengegangen, sondern dort nur vergessen worden war.

"Bitte den Herren einzutreten", verbeugte sich der Handwerksbursche lachend und der beschämte Gelehrte hüstelte vor Verlegenheit und wurde purpurrot.

"Probieren geht eben über studieren", sagte der Handwerksbursche. "Doch aus dem versprochenen Abendessen wird nun wohl nichts?"

Weil der Gelehrte nicht auch noch als Geizhals dastehen wollte, bat er den Handwerksburschen zu sich herein. Der machte es sich sogleich in einem Sessel bequem und dachte gar nicht daran, den Gelehrten wegen seiner Zerstreutheit zu verspotten. Offenbar war es ihm überhaupt nicht wichtig, als der Klügere dazustehen.

Dem Gelehrten gab dies alles sehr zu denken. Und nachdem er eine große Schüssel Rühreisalat und eine Flasche Wein auf den Tisch gestellt hatte, ergriff er umständlich das Wort:

"Da füttern wir Gelehrte nun unseren Geist mit weltbewegenden Fragen, aber wenn es ein handfestes Problem zu lösen gilt, kommen wir auf das Einfachste nicht. Ich muß schon sagen, daß mir das zu schaffen macht."

"Die Gelehrsamkeit hat wohl noch niemandem das Leben einfacher gemacht", pflichtete der Handwerker ihm bei, "und auch nicht schöner oder gesünder." Daraufhin füllte er sich seinen Teller und langte tüchtig zu.

Dem Gelehrten hingegen schien der Appetit vergangen zu sein. Man sah ihm an, daß er etwas auf dem Herzen hatte, doch es dauerte eine ganze Weile, bis er damit herauskam:

"Kannst du mir nicht erklären, weshalb du so schnell darauf gekommen bist, daß die Tür unverschlossen war?"

"Ich bin ein einfacher Mann und mein ganzes Geheimnis ist, daß ich nicht nach Erklärungen suche", versetzte der Handwerker, der gerade mit sichtlichem Behagen ein großes Stück Rührei in den Mund schob.

"Drängt es dich denn gar nicht danach, die Dinge, die du tust, mit deinem Verstand zu ergründen?" fragte der Gelehrte voller Unglauben.

"Mich freut schon genug, wenn mir eine Sache gelingt, da werd' ich mir doch nicht mit Grübeleien den Spaß verderben", murmelte der Handwerker mit vollem Mund. "Und komme ich mit einem Ding nicht zurecht, hab' ich alle Hände voll zu tun, den Schwierigkeiten auf den Leib zu rücken, und fürs Sinnieren keine Zeit."

"Aber irgend etwas mußt du doch anstellen mit deinem Verstand, auch wenn du ihn nicht für Erklärungen brauchst", wollte der Gelehrte sich immer noch nicht zufrieden geben.

"Ich passe auf, daß er mir bei der Arbeit nicht im Wege steht", lachte der Handwerker. "Und ich würde es ihm auch nicht gestatten, mich daran zu hindern, diesen köstlichen Rühreisalat zu genießen." Er deutete vielsagend mit der Gabel auf den Teller des Gelehrten, der beinahe noch unberührt war. Dann fuhr er fort: "Wenn ich eine Tür öffnen will, fange ich mit dem an, was am naheliegendsten ist. Ich drücke auf die Klinke. Und wenn sich mir dann ein Hindernis in den Weg stellt, schaffe ich es beiseite. Was gäbe es da groß zu erklären?"

"Wenn ich mir vorher über ein Problem Gedanken gemacht habe, fühle ich mich der Sache besser gewachsen", versetzte der Gelehrte beinahe trotzig.

"Aber die Wirklichkeit ist deinen Gedanken immer ein Stück voraus, daher können sie dir gar nicht so viel nützen", zuckte der Handwerker die Achseln. "Sich in Nachdenklichkeit zu ergehen ist wie das Trinken von zuviel Wein. Man fühlt sich stark wie ein Bär, und kann in Wahrheit doch nicht einmal einen Fuß vor den anderen setzen, ohne dabei zu torkeln." Der Handwerker lachte schallend über seine eigene Bemerkung und prostete dem Gelehrten augenzwinkernd zu.

Der saß da und war, wie man so schön sagt, mit seinem Latein am Ende. Noch nie hatte jemand ihn dazu bringen können, an der Vortrefflichkeit seines Verstands zu zweifeln. Und nun kam, mir nichts, dir nichts, ein einfacher Handwerksbursche daher und stellte mit wenigen Bemerkungen seine Welt auf den Kopf. Damit würde er so bald nicht fertig werden.

Nachdem der Handwerker sich verabschiedet hatte und seiner Wege gegangen war, ließ der Gelehrte sich zunächst in seinen Lieblingssessel sinken, um über die Ereignisse nachzugrübeln, wie es so seine Art war. Doch gleich darauf besann er sich eines Besseren. Er zog seinen Teller zu sich heran, der immer noch gefüllt auf dem Tisch stand, und ließ sich in aller Ruhe den vorzüglichen Rühreisalat schmecken. Und weil er achtgab, daß ihm sein Verstand dabei nicht in die Quere kam, mundete er ihm so gut wie schon seit Kindertagen nicht mehr ...


*


RÜHREISALAT
(für 2-3 Personen)

6-8 Eier
1 Bund Schnittlauch
½ Kopfsalat
ca. 200 g frische Champignons
2 Becher Crème fraiche
1 Prise Knoblauchpulver
Pfeffer
Salz
Margarine zum Braten


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Den Salat abspülen, trockenschleudern und die Blätter mundgerecht zurechtzupfen.

Die Champignons ebenfalls abspülen, trockentupfen, mit dem Messer säubern und in Scheiben schneiden.

Den Schnittlauch in Röllchen schneiden.

Die Crème fraiche mit Pfeffer und Salz abschmecken. Wer mag, gibt noch einen Teelöffel Zitronensaft hinzu.

Die Eier in eine Schüssel schlagen und mit einer Prise Salz und Knoblauchpulver sowie den Schnittlauchröllchen verrühren. In einer Pfanne rührbraten, ohne daß das Ei sich braun färbt. Etwas abkühlen lassen.

Den Kopfsalat, die Champignons und das Rührei in eine Schüssel geben und die Crème fraiche unterheben. Fertig.

Dazu schmecken junge Pellkartoffeln oder knackiges Weißbrot!


Erstveröffentlichung am 08.03.1998

12. Juli 2007