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MÄRCHENKOCH - FLEISCH/002: Würstchen im Mangoldkleid (SB)


DAS FLICKENWAMS


Es war einmal ein Prinz, der war ausgezogen, um sich in der Welt ein wenig umzutun. Er durchquerte mit seinem Gefolge ein großes, fremdes Land und sie schlugen ihr Lager auf, wo es ihnen gerade gefiel. Eines Tages geschah es, daß der Prinz auf der Jagd seinen Getreuen davongeritten und in einen tiefen Wald geraten war. Er irrte umher und konnte nicht mehr herausfinden. Schließlich erblickte er zwischen dichtem Haselgesträuch eine Kate, vor der ein runzeliges Weiblein saß und Flachs spann.

"Verzeih, gute Frau, aber wie finde ich aus diesem Wald wieder heraus?" fragte der Prinz höflich.

"Das will ich dir gerne sagen", erwiderte die Alte, "doch sollst du mir vorher meine Spindel wieder herbeischaffen, die mir gestern beim Spinnen in den trüben Weiher gesprungen ist."

Der Prinz ließ sich nicht lange bitten. Er stieg vom Pferd, legte sein kostbares Gewand ab, zog die feinen Stiefel aus und stieg in den morastigen Tümpel hinein. Dort suchte er zwischen Schlingpflanzen und glitschigen Steinen nach der Spindel, die er schließlich auch fand, weil sie ihm in den Finger stach.

Doch ohne sich zu beklagen brachte er der Alten die Spindel, säuberte sich von dem Schlamm, so gut es eben ging, legte Gewand und Stiefel wieder an und fragte sie erneut, wie er aus dem Wald herausfände.

"Ich danke dir, Söhnchen", nickte ihm die Alte freundlich zu. "Reite nur immer an dem Bach entlang, der in den Weiher mündet, dann wirst du bald ins nächste Dorf gelangen. Doch warte noch, denn weil du für mich in den trüben Tümpel gestiegen bist, ohne dich zu beklagen, will ich dir noch etwas mitgeben, das dir eines Tages nützlich sein wird."

Sie ging ins Haus hinein und als sie wieder heraustrat, trug sie ein Wams über dem Arm, das mit allerlei bunten Flicken besetzt und an vielen Stellen mit groben Stichen gestopft war.

"Mit diesem Wams hat es eine besondere Bewandtnis", sagte das runzelige Weiblein. "Wer es trägt und in den Bann eines bösen Zaubers gerät, kann nicht zu Schaden kommen. Nur muß er darauf achten, daß er die geflickte Seite stets nach außen wendet."

Der Prinz nahm das Flickenwams, bedankte sich herzlich bei dem Weiblein und folgte dann dem kleinen Bach, wie sie es ihm geraten hatte. Und siehe da, schon bald war er aus dem dichten Wald heraus und fand sich wieder zurecht.


*


Nun lebte in dem Land eine Prinzessin, deren Eltern waren gestorben, so daß sie mit ihrem Hofstaat ganz allein in einem großen Schloß wohnte. Eines Tages klopfte eine Bettlerin an das Tor und bat den alten Kammerdiener, der ihr geöffnet hatte, um ein Nachtlager.

Der Kammerdiener aber erkannte an dem beinernen Talisman, den sie um den Hals trug, daß die Frau eine Hexe war. Und noch bevor sie über die Schwelle treten konnte, schlug er das Tor wieder zu, denn er war der Prinzessin treu ergeben und wollte alles Unheil von ihr fernhalten.

Die Hexe aber geriet darüber so in Zorn, daß sie das Schloß mit einem Zauber belegte. Von dem Tage an konnte niemand mehr hinein-oder herausgelangen, ohne daß er wie ein Eiszapfen in der Sonne immer kleiner wurde, bis schließlich nichts mehr von ihm übrig war. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, den Zauberbann zu brechen: Wenn es einem Jüngling gelang, in das Schloß vorzudringen und die Prinzessin zu küssen, dann verlor der Spruch der Hexe augenblicklich seine Macht.


*


Die Kunde von dem bösen Fluch verbreitete sich überall im Land. Aber die tapferen Jünglinge, die versuchten, die Prinzessin zu befreien, konnten gegen den Zauber nichts ausrichten und mußten vergehen. Schließlich hörte auch der Prinz von dem Unglück, das über das Schloß gekommen war, und kurzentschlossen machte er sich auf, die Prinzessin zu befreien.

Er ritt bis vor das Tor, an dem auch die alte Hexe gestanden hatte, und zu seiner Verwunderung sah er, daß es offen stand. Gerade wollte er über die Schwelle treten, da kam ihm die Gefahr wieder in den Sinn, in die er sich begab. Schnell warf er das Flickenwams über, das die Alte im Wald ihm gegeben hatte. Dabei vergaß er aber in seinem Eifer, die geflickte Seite nach außen zu wenden, wie es ihm das Weiblein aufgetragen hatte. So kam es, daß der böse Zauber, der über dem Schlosse lag, doch noch zur Hälfte seine Wirkung tat und er wohl nicht gänzlich verging, aber in einen Winzling verwandelt wurde, der gerade noch zwei Handspannen hoch war.


*


Doch der Prinz ließ sich dadurch nicht entmutigen. Winzig wie er war rannte er in die Schloßküche, wo die Köchin gerade die Lieblingsspeise der Prinzessin zubereitet hatte. Auf einem silbernen Teller lag eine köstlich duftende Bockwurst, die mit zartem Mangold umwickelt auf einer Scheibe knusprig geröstetem Weißbrot angerichtet war. Dem flinken Prinzen gelang es, die dicke Bockwurst vom Teller hinabzustoßen und an ihrer Stelle zwischen die Mangoldblätter zu kriechen.

Die Köchin, die sehr in Eile war, bemerkte es nicht, trug den Teller hinauf in das Gemach der Prinzessin und stellte ihn auf den Tisch. Obwohl die Prinzessin Würstchen im Mangoldkleid für ihr Leben gern aß, hatte sie vor Kummer über ihr trauriges Schicksal den Appetit verloren. Ohne hinzusehen nahm sie die Mangoldrolle mit dem Prinzen darin in die Hand und wollte gerade abbeißen, als der Prinz, der sich vorher ganz reglos verhalten hatte, ihr einen Kuß auf die Wange drückte.

Die Prinzessin erschrak und ließ den Prinzen fallen. Doch da war der böse Zauber schon verflogen und der Prinz hatte seine ursprüngliche Gestalt zurück. In voller Größe stand er vor der verblüfften Prinzessin und sprach: "Es wäre mir eine besondere Ehre, von einer so schönen Prinzessin verspeist zu werden. Aber lieber noch als in ihrem Magen wäre ich an ihrer Seite als ihr Gemahl."

Da konnte die Prinzessin nicht anders und lachte hell auf. Und weil ihr der Prinz so gut gefiel, wurde sie seine Braut und sie lebten glücklich in dem Schloß bis ans Ende ihrer Tage.


*


WÜRSTCHEN IM MANGOLDKLEID
(Zutaten für 3 Stück)

1 Mangoldstaude
3 dicke, ca. 15 cm lange Bockwürste
150 g Frischkäse
1 Bund Schnittlauch
½ TL Salz
Pfeffer
2-3 TL milden Senf
6 Scheiben Toastbrot
6 Gouda-Scheibletten


*


Die Mangoldblätter einzeln vom Strunk lösen, waschen und 1½ Minuten in kochendem Salzwasser blanchieren, danach kalt abschrecken.

Die Würstchen in heißem Wasser 10 Minuten ziehen (nicht kochen) lassen.

Den Frischkäse mit dem gehackten Schnittlauch sowie mit einer Prise Pfeffer und dem Salz verrühren.

Je 3 größere Mangoldblätter überlappend nebeneinander legen, die Innenseiten mit der Frischkäse-Mischung bestreichen, ein Würstchen hineinlegen und aufrollen.

Das Toastbrot im Toaster goldgelb rösten, dann dünn mit Senf bestreichen. Je 2 Toastscheiben nebeneinander auf ein Blech legen, das Würstchen im Mangoldkleid darauflegen und mit je 2 Gouda- Scheibletten zudecken. Auf der oberen Schiebeleiste im vorgeheizten Backofen bei 200 °C einige Minuten überbacken.


Erstveröffentlichung am 2.10.1997

23. März 2007