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MÄRCHENKOCH - SUPPE/006: Brotsuppe nach Müllerart (SB)


DIE GLÜCKLICHE HAND


Es war einmal ein Müller, der hatte nur einen einzigen Sohn, der einmal die Mühle erben sollte. Zum großen Kummer des alten Müllers war dieser Sohn ein Dummling, der zwei linke Hände hatte und nicht klug zu wirtschaften verstand. Er stolperte über die Mehlsäcke und man muße ständig befürchten, daß er mit der Hand einmal zwischen die Mühlsteine geriet. Oft ließ er die Mühle rattern, wie es dem Wind gerade gefiel, und verteilte das wenige Mehl an die Armen, wenn ihre mageren Kinder bei ihm Betteln kamen.

Als der alte Müller schließlich auf dem Sterbebett lag, seufzte er voller Sorge, denn er glaubte, sein tölpelhafter Sohn würde die Mühle in kurzer Zeit zugrunde richten. Doch der alte Müller sollte sich irren. Denn bald nach seinem Tode kam der Schutzpatron der Tölpel und Dummlinge auf seiner Wanderschaft an eben jener Mühle vorbei. Weil der Tag sich neigte, klopfte er an die Tür, um ein Nachtlager zu erbitten. Der Müllerssohn öffnete ihm sogleich und musterte freundlich den alten Mann, der auf seiner Schwelle stand und recht einfältig dreinblickte.

"Tritt ein und leiste mir beim Essen Gesellschaft, ich habe gerade eine gute Brotsuppe gekocht", lud er den Alten herzlich ein. "Brotsuppe ist nämlich das einzige, was mir immer gelingt", bekannte er fröhlich.

Der Alte lächelte erfreut, was sich merkwürdig ausnahm, denn er hatte nur noch einen einzigen Zahn. "Brotsuppe esse ich für mein Leben gern", sagte er und trat ein, wobei er seinen zerschlissenen Mantel so ungeschickt auszog, daß er den irdenen Wasserkrug herunterriß, der auf einem Holzschemel neben der Tür gestanden hatte und nun in tausend Scherben zersprang.

"Der schöne Krug. Wie ungeschickt von mir", rief der Alte bestürzt.

"Ach was", beschwichtigte der Müllerssohn. "Es ist fast ein Wunder, daß mir das nicht schon längst passiert ist."

Da setzte sich der Gast an den Tisch und der Müllerssohn trug die Schüssel mit der Brotsuppe auf. Tatsächlich duftete die Suppe ganz köstlich, so daß beiden das Wasser im Munde zusammenlief. Der Alte, dem wohl vor Hunger die Hände ein wenig zitterten, stieß beim Auffüllen so unglücklich mit dem Teller gegen die Suppenschüssel, daß der Teller zersprang.

"Was bin ich doch für ein Tölpel", murmelte er daraufhin verlegen. "Ich verdiene es nicht, an deinem Tisch zu sitzen."

"Ein zerbrochener Teller soll uns nicht den Abend verderben", begütigte da der Müllerssohn. "Du kannst mir schon glauben, daß ich weiß, wie es ist, wenn man sich für seine Tölpelhaftigkeit in Grund und Boden schämt." Er setzte seinem Gast einen neuen Teller hin und füllte ihm reichlich auf.

Beide ließen es sich gut schmecken, und als sie gesättigt waren, holte der Müllerssohn noch die letzte Flasche guten Weins herbei, den der alte Müller für die Hochzeit seines Sohnes sorgsam im Keller verwahrt hatte.

"Stoßen wir auf unsere Begegnung mit einem guten Tropfen an", sagte der Müllerssohn. "Dies ist zwar mein Hochzeitswein, aber ich finde sowieso keine Frau, die mich heiraten will. Meine Mutter sagte immer, ich wäre für die Ehe zu tölpelhaft und würde meine Frau nur unglücklich machen." Er zuckte mit den Schultern und lachte unbekümmert. "Daher ist es wohl das beste, wenn wir beide uns den edlen Tropfen zu Gemüte führen."

Der Gast stimmte ihm eifrig zu und nahm dann beinah andächtig die dickbauchige Flasche, um sie eingehend zu betrachten. Gerade wollte er die Flasche wieder auf den Tisch zurück stellen, da entglitt sie seiner tollpatschigen Hand und zerschellte klirrend am Boden.

"Kaum zu glauben", rief der Müllerssohn mehr verwundert als erbost, "du bist ja fast noch tollpatschiger als ich! Wohl haben wir nun keinen Wein mehr, aber wenigstens weiß ich, daß ich mit meiner Tölpelhaftigkeit nicht ganz allein auf der Welt bin. Das entschädigt mich für den guten Schluck, der mir nun entgeht."

Gemeinsam lasen sie die Scherben auf und als der Müllerssohn das Geschirr in die Küche trug, fand er in der Speisekammer sogar noch eine Flasche süßen Traubensaft.

"Der ist fast so gut wie Wein", sagte er tröstend zu seinem Gast, der beschämt den Kopf gesenkt hielt. Und so saßen sie noch einträchtig eine gute Weile beisammen, genossen den süßen Traubensaft und lachten sogar über allerlei Mißgeschicke, die ihnen aus Tollpatschigkeit widerfahren waren.


*


Am anderen Morgen wollte der Alte sich wieder auf die Wanderschaft begeben, doch bevor er dem Müllerssohn zum Abschied die Hand reichte, sprach er zu ihm:

"Ich habe deinen irdenen Krug zerschlagen und du hast mich nicht gescholten. Ich habe deinen Teller zerbrochen und du hast mich nicht verflucht. Ich habe deinen Hochzeitswein heruntergeworfen und du hast mich nicht davongejagt, sondern einen lustigen Abend mit mir verbracht. Darum werde ich, der Schutzpatron aller Tölpel, dir ein Geschenk machen, das dir gewiß von Nutzen sein wird."

"Laß nur", murmelte der Müllerssohn verlegen, "es geht mir bestimmt bald kaputt."

"Keine Sorge", lachte daraufhin der Alte, "schließlich ist dieses Geschenk für jemanden wie dich geschaffen." Er ergriff die Hand des Müllerssohns und sagte dabei: "Was auch immer du anfaßt, es wird gut werden, denn fortan hast du bei allem, was du beginnst, eine glückliche Hand. Und wenn dir ein Mißgeschick widerfährt, so wird im nächsten Augenblick schon ein Segen daraus."

Mit diesen Worten wandte der Alte sich ab und ging seiner Wege. Der Müllerssohn aber sah ihm nach, bis er hinter der Wegbiegung verschwunden war.


*


Es kam so, wie der Alte vorausgesagt hatte. Was der Müllerssohn auch anfaßte, es wurde etwas Gutes daraus. Mochte er sich noch so tölpelhaft anstellen, hernach stellte sich immer heraus, daß er genau das Richtige getan hatte. Selbst wenn ihm ein Sack Mehl in den Mühlteich fiel, schwammen bald darauf die schönsten und fettesten Fische darin, die man sich nur denken kann. Und wenn er das Brot versehentlich zu lange im Backofen ließ, wurde es so knusprig, daß alle Leute sich die Finger danach leckten. Und so wurde der tölpelhafte Müllerssohn ein reicher und angesehener Mann.

Und weil ihm immer alles zum Guten geriet, hatte er bald selbst ganz und gar vergessen, daß er eigentlich ein Tölpel war. Denn jeder, der ihn kannte, bezweifelte keinen Augenblick, daß er alles mit Bedacht tat, selbst wenn es manchmal noch so tollpatschig anmutete.


*


Nachdem ein Jahr ins Land gegangen war, bekam der Müllerssohn einen Gesellen, der ein rechter Dummling war und zwei linke Hände hatte. Er war wohl ein herzensguter Mensch, aber nichts wollte ihm glücken.

"So einer wie du", schalt ihn der Müllerssohn mit der glücklichen Hand oftmals aufgebracht, "ist doch zu gar nichts zu gebrauchen." Und einmal, als der Geselle versehentlich das Brot zu lange im Ofen gelassen hatte und es nicht schön knusprig, sondern schwarz wie Kohle geworden war, trat der Müllerssohn den Ärmsten gar mit dem Stiefel ins Hinterteil.

Dies sah nun der alte Schutzpatron, den sein Weg zufällig wieder zu der Mühle geführt hatte. Als er gewahr wurde, wie der Müllerssohn mit dem armen Tölpel umsprang, wurde er sehr zornig.

"Ich sehe, du hast vergessen, was du früher einmal gewesen bist", fuhr der Alte ihn an. "Daher werde ich mein Geschenk zurücknehmen und es jemandem geben, der es mehr verdient als du."


*


Von da an war es mit der glücklichen Hand des Müllerssohns vorbei. Jedes Mißgeschick blieb ein Mißgeschick und es gab daran nichts zu deuteln. Bald hatte sich herumgesprochen, daß er wieder ein Tölpel geworden war, und als in der Mühle das Glück fern blieb, zogen die Leute sich von ihm zurück. Schließlich war nur noch der gutmütige, tollpatschige Geselle übriggeblieben, den er so schlecht behandelt hatte.

"Ich bin froh, daß wenigstens du noch bei mir bist", sagte da der Müllerssohn zu ihm. "Jetzt erst weiß ich wieder, wie es ist, ein Tölpel zu sein. Vergib mir, wie ich mit dir umgesprungen bin und laß uns Gefährten sein, die alles miteinander teilen. Wenn einer auf den anderen achtgibt, werden wir uns schon durchschlagen.

Der Geselle willigte ein und so bewirtschafteten sie gemeinsam mehr schlecht als recht die Mühle. Aber weil einer auf den anderen Acht gab, hatten sie ihr Auskommen. Nur den Schutzpatron der Tölpel sahen sie nicht mehr wieder.


*


BROTSUPPE NACH MÜLLERART
(für 2-3 Personen)

500 g Weißbrot oder Brötchen (auch altbacken)
0,5 l Milch
0,5 l Gemüsebrühe (instant)
1 Zwiebel, fein gehackt
50 g Salami, fein gewürfelt
Pfeffer
Salz
1 Bund Schnittlauch, in Röllchen geschnitten
200 g frische Champignons, in Scheiben
2 große Möhren, in Scheiben
50 g Butter
75 g grob geraspelter Gouda


*


Die Butter in einem Topf zerlassen und die Zwiebel- sowie die Salamiwürfel mit den Champignonscheiben leicht gepfeffert und gesalzen etwa 5 Minuten schmoren.

Nun die Brühe und die Milch angießen und mit den Möhrenscheiben darin 8 Minuten köcheln lassen.

Das Brot in grobe Würfel schneiden und in die Suppe geben. Auf kleiner Flamme kochen, bis die Brotstücke völlig durchgeweicht sind. Dann den Topf vom Herd nehmen und die Schnittlauchröllchen in die Suppe rühren.

Die Suppe in Suppentassen füllen und noch heiß mit dem geraspelten Käse bestreuen.


Erstveröffentlichung am 25. April 1998

25. August 2007