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DILJA/05: Headhunter ( 3) - Unterwegs in die Todeszone (SB)


HEADHUNTER

Teil 3: Unterwegs in die Todeszone

Science-Fiction-Story


Noch war die Spur heiß, und deshalb wollte Mike sich eigentlich keine Pause gönnen. Mittlerweile war es längst dunkel geworden, abrupt hatte das fahle Dämmerlicht einer bleiernen Schwärze weichen müssen. Auf den Straßen der norditalienischen Stadt herrschte kaum noch Betrieb, nur wenige Fußgänger waren noch unterwegs. Verglichen mit den Verhältnissen vor zehn, fünfzehn Jahren herrschte in Corina eine fast unheimliche Stille. Langsam rollte der Ferrari durch die ruhigen Straßen, bis er einen der zentralen Eurobahn-Zubringer erreicht hatte.

Kurz entschlossen trat der Headhunter auf die Bremse, die Reifen quietschten. In einer der kleinen Seitenstraßen war sein Blick auf ein Eiscafé gefallen, wie es sie früher an jeder Straßenecke gegeben hatte. Da sein Auftrag keine schwerwiegenden Probleme aufwerfen würde, so sagte er sich gedankenversunken, konnte er sich eine kleine Unterbrechung durchaus leisten. Mag sein, daß der Headhunter durch diese Verzögerung die Jagd etwas spannender gestalten wollte, denn insgeheim befürchtete er, schon allzubald auf die Gesuchten zu stoßen und die Jagd zu beenden, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

Im hinteren Bereich des Cafés befand sich sogar eine kleine Bar, an der Mike sich sofort niederließ. Von hier aus konnte er den ganzen Raum überblicken. Er bestellte sich einen Espresso mit einem doppelten Bloody Mary. Als der Schnaps ihm durch die Kehle rann, ließ er seinen Blick, der sich immer weiter in der Ferne zu verlieren schien, ziellos umherschweifen. Diese Neigung zu Tagträumereien hatte er lange Zeit als Schwäche angesehen, als solche bekämpft und schließlich nur halbherzig akzeptiert. Im Laufe der Jahre lernte er nicht nur, sich diese Phasen durchaus zuzugestehen - nein, inzwischen vermochte er sie sogar für seine eigentliche Arbeit zu nutzen.

Noch einen Bloody Mary - und Mike schien seiner Umgebung endgültig entrückt zu sein. Die wenigen Cafébesucher kümmerten sich nicht um ihn. Eine attraktive Brünette zog sich schnell wieder vom Tresen zurück, denn der geheimnisvolle Fremde bemerkte ihre Annäherung nicht einmal.

Der Headhunter erlebte unterdessen - für ihn nicht ungewöhnlich - Visionen, Bilder, die er nicht eindeutig zu interpretieren in der Lage war. Im Kern ging es um die Lampurtinis, soviel war klar. Zudem konnte er vage die Umgebung ausmachen, in der sie sich befanden. Demnach waren sie noch immer mit ihrem Auto unterwegs. Mike meinte mit Sicherheit sagen zu können, daß sie in Richtung Nord oder Nord-Ost fuhren. Allerdings hätte er nicht begründen können, worauf diese Gewißheit eigentlich beruhte. Doch wer würde ihn schon danach fragen? Schließlich arbeitete er grundsätzlich allein und war niemandem Rechenschaft schuldig. Und was ihn selbst betraf - er hatte sich längst abgewöhnt, nach Begründungen und Erklärungen zu suchen, denn er wußte, daß ihn das nur daran hindern konnte, auf das Naheliegendste zu kommen. Die heiße Spur zu den Lampurtinis, die in erster Linie an Sergio, den Techniker, gekoppelt war, bestand nicht in erster Linie in den tatsächlich noch zwischen ihnen liegenden Kilometern oder Fahrstunden, sondern in dem `mentalen Band', das er in dessen Werkkammer zu ihm geknüpft hatte.


*


Obwohl es eine lange Nacht zu werden schien, hatte der Koordinator es sich nicht nehmen lassen, diese Verfolgungsjagd `live' mitzuerleben. So ein Vergnügen bot sich ihm schließlich nicht alle Tage, zumal Mike immer wieder für eine Überraschung gut war. Bislang hatte sich noch nichts Wesentliches ereignet: Die beiden Zielpersonen befanden sich mit ihrem Auto auf der Flucht in Richtung Norden, ihre Route konnte haargenau mitverfolgt werden. Früher oder später mußte ihnen der Sprit ausgehen; Jack Clifton war schon gespannt darauf, was sie dann wohl unternehmen würden.

Auch den Aufenthaltsort seines Jägers konnte der Koordinator ausmachen, und deshalb wußte er, daß Mike seelenruhig in einem Eiscafé in Corina saß, so als gäbe es für ihn nichts Dringenderes zu tun, als hier zu später Stunde einen Schnaps zu trinken. Jack indes würde sich hüten, dem Headhunter Vorhaltungen zu machen oder ihm gar den Befehl zu erteilen, sich doch zu beeilen - denn er kannte diesen Hitzkopf gut genug, um zu wissen, daß er ihm den ganzen Auftrag sofort vor die Füße schmeißen würde, wenn Jack ihm nicht völlig freie Hand ließ.

Vielleicht wäre es in diesem Fall doch der sicherere Weg gewesen, die Lampurtinis dem normalen Verwaltungsweg zu überlassen - dann wären sie inzwischen längst aus dem Verkehr gezogen worden. Er hatte sich jedoch zu einem Zeitpunkt für einen Headhunter-Auftrag entschlossen, als das nicht unbedingt abzusehen war. Bei den Menschenmassen, die die offizielle Administration zu bewältigen hatte, konnte es immer mal vorkommen, daß ihr jemand durch die Lappen ging; und das durfte bei einem, der wie Sergio Lampurtini der Kategorie A zuzurechnen war, einfach nicht passieren. Solche Erfahrungen mit der Fehleranfälligkeit eines großen - man konnte fast sagen weltweit operierenden - Verwaltungsapparats hatten seinerzeit zur Einführung des Null-Level-Systems geführt, wie diese Kopfgeldjägerei in der behördeninternen Sprache umschrieben wurde.

Den Fall der Lampurtinis sah der Koordinator inzwischen als sehr dringend an, denn vor seinem inneren Auge begannen sich bereits unvorhersehbare Komplikationen und Katastrophen abzuzeichnen, die aus diesem Gefahrenpotential erwachsen konnten. Ein Mensch wie dieser Sergio, der als ehemaliger Hochenergie- Ingenieur über ein beträchtliches technisches Know-how verfügte, durfte nicht länger unkontrolliert herumlaufen. Dazu war das weltweite Sicherheitssystem, das die `freie Welt' vorm Elend des Hungers bewahrte, viel zu sensibel - und es gab nichts, von dem Jack Clifton auch als Mensch tiefer überzeugt war als von der Einsicht in diese Notwendigkeit.

Seufzend wandte sich der Koordinator wieder den Kontrollanzeigen zu. Es war still geworden in seinem Büro, das er fast so gemütlich wie sein eigenes Wohnzimmer eingerichtet hatte. Dem stand auch nichts entgegen, schließlich verbrachte er hier die meiste Zeit des Tages, und außer ihm hatte noch nie und würde auch nie ein anderer Mensch diese Räume betreten.

"Vielleicht beeilt dieser Kerl sich mal", murmelte Jack Clifton verärgert, nachdem er festgestellt hatte, daß sein bester Headhunter noch immer in der Bar herumhockte, während die Zielpersonen Corina längst verlassen hatten. "Was ist bloß in ihn gefahren, er hat es doch sonst immer so eilig mit diesen Jobs?!" Nachdenklich schaltete der Koordinator die Bildschirme aus. Fürs erste hatte er genug davon, dieser Geschichte nachzuhängen.


*


Fernando Cesare lehnte sich im Sitz zurück und war froh, nach einer fünfstündigen Non-stop-Tour endlich eine Pause machen zu können. Zwar gab es an dieser Service Station keine Übernachtungsmöglichkeit, doch es tat ihm gut, sich endlich einmal die Beine zu vertreten. Seine Sekretärin hatte er mit ein paar Eilaufträgen zur zentralen Verwaltungsstelle geschickt. Er hätte die transatlantischen Faxe nach San Francisco auch direkt vom Mobilcom aus abschicken können, doch er wollte gern einmal eine Weile allein sein. Und Nadine hatte keine Fragen gestellt, sie würde mindestens eine Viertelstunde unterwegs sein.

Der 53jährige hagere Geschäftsmann spanischer Abstammung stieg aus dem Wagen und schlenderte im fahlen Mondlicht auf ein kleines Waldstück zu, das direkt an den Parkplatz der Raststätte anschloß. Die Luft hatte einen leicht metallischen Beigeschmack, doch im Vergleich zur Luftaustauschanlage im Auto erschien ihm das wie eine frische Brise. Fernando atmete tief durch und dachte an die lange Nachtfahrt, die noch vor ihm lag. Morgen mittag wollte er Verhandlungen in Oslo führen, die für seine Firma lebenswichtig waren. Gedankenversunken griff er in seine Jackentasche, fischte eine Packung `Nervennahrung' hervor und schluckte gleich drei Kapseln Galuptol auf einmal. Dieses Medikament war in der Fachpresse zwar nicht unumstritten, doch das störte Fernando Cesare wenig. Ihm kam es allein darauf an, diese Nacht und den folgenden Tag durchzustehen, und er wußte, daß er mit Galuptol bis zu 40 Stunden ohne Schlaf auskommen konnte.

Unterdessen hatte er den Parkplatz hinter sich gelassen und das angrenzende kleine Waldstück erreicht. Im silbrigen Mondlicht warfen die wenigen Nadelbäume - wenn man die kargen Gehölzer denn so nennen wollte - dunkle Schatten. Als Fernando sich noch einmal zum Parkplatz umdrehte, sah er, wie Nadine zum Wagen zurückkehrte; ihre helle Bluse leuchtete in der Dunkelheit. Sie stand vor dem Auto und sah sich suchend um. Jetzt mußte sie ihn entdeckt haben, denn nun steuerte sie direkt auf den Wald zu. Er schätzte sie sehr, denn in all den Jahren ihrer Zusammenarbeit - sie war seit zwölf Jahren bei ihm - hatte sie stets die erforderliche Distanz aufrechterhalten und sein Vertrauen nie enttäuscht. In all den Jahren hatten sie kaum ein privates Wort miteinander gewechselt.

Fernando sah kurz zum Mond hinauf. Nur selten gab es noch so klare Nächte. Als er sich nun umwandte, um Nadine entgegenzugehen, glaubte er, dicht hinter ihr zwei dunkle Gestalten erkennen zu können. Mit einem Schlag war er hellwach. "Verdammte Scheiße, ich hab' die Waffe im Wagen liegenlassen", dachte er und stürmte los, um Nadine beizustehen. Ungeachtet seines Alters lief er recht behende, doch seine Mühen waren vergeblich. Er hörte das leise Plopp einer schallisolierten Waffe und sah, wie Nadine aus dem Lauf heraus zu Boden stürzte. Sie mußte kurz zuvor hinter sich jemanden gehört haben, denn sie hatte zu rennen begonnen. Fernando begriff, daß er ihr nicht mehr helfen konnte und hielt inne, um sich seitwärts in die Büsche zu schlagen. Doch es war zu spät, denn wie aus dem Nichts tauchte vor ihm in etwa zwanzig Metern Entfernung eine der dunklen Gestalten auf. Das letzte, was er noch sah, bevor er getroffen zu Boden sank, war das kurze Aufblitzen einer auf ihn gerichteten Schußwaffe.


*


Im allgemeinen konnte der Headhunter seine Visionen sehr wohl einschätzen, auch wenn er mit Begriffen wie `Unterbewußtsein', `Traumbewußtsein' oder überhaupt `Bewußtsein' noch nie etwas am Hut gehabt hatte. Er wußte, was er wußte, und damit basta. Doch diesmal lag der Fall etwas anders, denn die Bilder, die sich auf die Lampurtinis bezogen, wurden hin und wieder verdrängt von schwer zu deutenden Eindrücken, die ihn selbst unmittelbar betrafen.

Nach wie vor befand Mike sich in dem kleinen, unscheinbaren Eiscafé am Rande Corinas. Er wollte noch in dieser Nacht seine Arbeit zu Ende bringen. Doch während dieser `Séance', wie er mit einem Anflug von schwarzem Humor die Phasen nannte, in denen er der Umgebung völlig entrückt zu sein schien, hatte er eine eindeutige Warnung erhalten. Das Ungewöhnliche und Unerklärliche dabei war, daß dieser Hinweis seine Konzentration auf die Lampurtinis überlagerte, so als habe diese Eingebung mit seinem Auftrag gar nichts oder nur am Rande zu tun.

In diesem Moment wußte Mike, daß vor einiger Zeit etwas passiert sein mußte, was seine `inneren' Alarmglocken zum Schrillen gebracht hatte. Doch worum es dabei ging, blieb ihm ein Rätsel. Nicht, daß er sich in Lebensgefahr befand; in diesem Fall hätte sein untrüglicher Gefahreninstinkt ihn längst gewarnt. Nein, das war es nicht, es bestand nicht einmal ein Zusammenhang zu seiner unmittelbaren Umgebung. Da seine Bemühungen, der Sache hier und jetzt auf den Grund zu gehen, diese geheimnisvolle Eingebung immer weiter verwischten, gab Mike es fürs erste auf.

Der Headhunter hatte sich die kleine Unterbrechung in dieser Bar gegönnt, weil sein Wagen ohnehin wesentlich schneller war als der Fiat Fitore seiner Opfer, die deshalb keinen großen Vorsprung haben konnten. Möglicherweise wähnten sie sich bereits in Sicherheit, sie wußten ja nicht einmal, von welchen Seiten ihnen Gefahr drohte. Aller Voraussicht nach würden sie auf reguläre Polizei- und Fahndungskräfte achten und um jeden Beamten, auch in zivil, einen großen Bogen schlagen. In ihm würden sie den `Vollstrecker ihres Schicksals' - um es einmal fatalistisch auszudrücken - erst erkennen, wenn ihr letztes Minütchen geschlagen hatte. Da Mike weder persönliche Rachegelüste noch sadistische Neigungen verspürte, würde er ihnen ein gnädiges Ende bescheren, schließlich war das Ganze für ihn eine rein geschäftliche Angelegenheit.

Nachdem er aus seiner Versunkenheit wieder aufgetaucht war und der dezenten Geräuschkulisse an der Bar gewahr wurde, stand er kurz entschlossen auf und reichte dem Barmann seine Karte. Nachdem er sie ebenso wortlos wieder in Empfang genommen hatte, verließ er schnurstracks das Café und ging auf seinen Ferrari zu. Der Headhunter zweifelte nicht daran, daß die Lampurtinis nach Norden fahren würden; schließlich lag der Streckenabschnitt, dessen Bau Sergio Lampurtini geleitet hatte, im früheren Polen. Mikes Einschätzung nach würden die beiden an irgendeiner Stelle dieses 50 Kilometer umfassenden Abschnitts versuchen, die Demarkationslinien zu durchbrechen und in die Todeszone zu flüchten. Welche Täuschungsmanöver auch immer die Lampurtinis auf dem recht weiten Weg unternehmen mochten - für ihn spielte das keine Rolle. Er würde ihnen ganz einfach nach Norden folgen und ihnen spätestens im Zielgebiet auflauern.

Die Warnung jedoch, auf die er in dem kleinen Café gestoßen war, gab ihm ernsthaft zu denken. Er hatte den Eindruck gehabt - neben und zwischen den Bildern, die seinen aktuellen Auftrag betrafen -, daß ihm vor nicht allzu langer Zeit irgendetwas begegnet sein mußte, das seine ureigensten Interessen betraf. So schwammig und nebulös, wie sich das anhörte, blieb es leider auch, und gerade diese Unklarheit erfüllte den Headhunter mit großer Sorge. Nach seinen bisherigen Erfahrungen gab es für ihn keinen Grund, solche Warnungen oder Eingebungen zu ignorieren, und seien sie auch noch so undeutlich.

Als Mike wieder im Auto saß und sich nun endgültig auf den Zubringer zur Euroroute einfädelte, rekapitulierte er noch einmal den Verlauf der letzten Stunden und Tage. Einen Anhaltspunkt, worauf sich diese rätselhafte Warnung beziehen mochte, fand er dabei allerdings nicht. Wenn kein unmittelbarer Zusammenhang zu den Lampurtinis bestand, konnte immer noch ein `mittelbarer' zu diesem Auftrag bestehen ... Was das jedoch konkret heißen mochte, war eine Frage, die vorerst offenbleiben mußte. Mikes Stärke und seine geradezu unheimliche Erfolgsquote lagen unter anderem darin begründet, daß er nicht im mindesten bestrebt war, dieser nagenden Ungewißheit auszuweichen. Die nächsten Schritte zur Erledigung seines Auftrags waren indes reine Routine. Spannend würde es erst wieder werden, wenn er besagtes Teilstück der Demarkationslinie erreichen und dort seinen Opfern eine Falle stellen würde. Sollten die beiden ihm schon unterwegs über den Weg laufen - umso besser.


*


"So, das wird fürs erste reichen." Mit diesen aufmunternden Worten wandte Clarissa sich ihrem Mann zu, dem die Zweifel ins Gesicht geschrieben standen. "Nun mach dir bloß nicht zuviel Sorgen, die beiden liegen hier warm und trocken."

"Warm ist gut", murmelte Sergio stirnrunzelnd. "Nachts wird es hier noch ziemlich kalt, und die Paralyse kann zwei bis drei Tage anhalten."

"Ich weiß wirklich nicht, worauf du jetzt eigentlich hinaus willst, wir haben das doch alles schon besprochen", erwiderte Clarissa nun schon etwas ungeduldiger. "Die Paralyse bewirkt unter anderem eine Herabsenkung der Körpertemperatur auf circa 27 Grad, so daß sie schon deshalb relativ kälteunempfindlich sein werden. Außerdem ist es viel wahrscheinlicher, daß sie hier gefunden werden, lange bevor die Paralysewirkung nachläßt. Schließlich liegt diese Stelle nur fünf Minuten vom Parkplatz der Service Station entfernt. Spätestens morgen früh wird man sie entdeckt haben."

"Und wenn nicht?" fragte Sergio hartnäckig.

"Wieso paßt dir das denn jetzt plötzlich alles nicht mehr?" gab Clarissa gereizt zurück. "Was wäre denn die Alternative? Wir haben das doch alles hin und her überlegt! Und du weißt ganz genau, daß dein technischer Hokuspokus allein nicht ausgereicht hätte!"

"Ja, ja, ich weiß", antwortete Sergio zögernd. "Mir wäre eine technische Lösung einfach lieber gewesen. Was, wenn die beiden nun doch dabei draufgehen?"

"Und was, wenn wir dabei draufgehen?" fragte Clarissa zynisch, wohlwissend, daß sie Sergio mit dieser Bemerkung provozierte. Immer wieder kam es zwischen ihnen zu solchen Diskussionen, was eigentlich auch kein Beinbruch war. Es gab keinen Grund anzunehmen, daß sie sich nicht auch diesmal über kurz oder lang wieder zusammenraufen würden. Allerdings brannte ihnen die Zeit unter den Nägeln; sie konnten schließlich nicht ewig neben dem wie leblos daliegenden Pärchen stehenbleiben, nur um sich zu streiten. Die Paralyse hatte einwandfrei funktioniert, die beiden waren einfach umgefallen, als habe sie der Schlag getroffen. Mit viel Mühe hatten Sergio und Clarissa sie dann in ein recht dichtes Gebüsch geschleppt und mit Decken sorgfältig umhüllt. Nun wurde es höchste Zeit, zum Parkplatz zurückzukehren, um den nächsten Schritt ihres Fluchtplans in die Tat umzusetzen. Dabei kam es auf höchste Konzentration an, denn dort würden sie von Menschen oder Kameras beobachtet werden und mußten sich deshalb so selbstverständlich und umsichtig verhalten, daß niemand Verdacht schöpfen konnte.

Sergio bedachte Clarissa mit einem letzten bitterbösen Blick - doch dann lächelte er und ging einen Schritt auf sie zu. "Du hast ja recht", sagte er einlenkend, "wir verlieren hier wertvolle Zeit. Laß' uns so weitermachen, wie wir's besprochen haben." Die junge Italienerin nickte bloß, sah sich noch einmal kurz zu den bewußtlosen Gestalten um, die in der Dunkelheit kaum auszumachen waren, und ging auf Sergio zu. Sie sahen sich noch einmal kurz in die Augen, bevor sie sich auf den Weg machten. Bald würde sich zeigen, ob sie überhaupt noch den Hauch einer Chance hatten, ihrem Schicksal zu trotzen.


*


Der 28jährige Francesco Borgio biß sich auf die Unterlippe, ohne es zu merken. Mit den Fingern trommelte er auf dem Lenkrad seines Dienstwagens herum, mit dem er an der Piazza del Sole im Nordosten der kleinen Stadt stand. Seit zweieinhalb Stunden leitete der persönliche Adjutant des Polizeichefs von Corina diese großangelegte Straßenkontrolle. Einen konkreten Anlaß für diese recht aufwendige Maßnahme - insgesamt waren fünfzig Polizeifahrzeuge im Einsatz - gab es nach seinen Informationen nicht. Der junge Polizeioffizier wußte, daß diese ihm so verhaßten Aktionen zum Routinerepertoire seines Vorgesetzten gehörten, zu den Maßnahmen also, die jener zum Zwecke der `Polizeipräsenz' und `Verbrechensprophylaxe' - so jedenfalls pflegte sein Chef sich auszudrücken - immer wieder veranstaltete, und zwar in unregelmäßigen und für Francesco undurchschaubaren Abständen.

In seinen Augen stellten diese Kontrollen eine ineffektive Vergeudung von Mensch und Material dar - und nicht zuletzt von seiner Geduld. Denn ihm oblag es, `vor Ort' ebenfalls präsent zu sein, um die Meldungen der mit den Fahrzeugkontrollen befaßten Beamten entgegenzunehmen und gegebenenfalls weitere Maßnahmen anzuordnen. In der Praxis sah das aber so aus, daß Francesco stundenlang in seinem Wagen saß und vor sich hin brütete. Es gab buchstäblich nichts zu tun, denn ihm wurden keine `besonderen Vorkommnisse' gemeldet - von ein paar Festnahmen verdächtiger Personen einmal abgesehen, die allerdings ebenfalls zur Routine gehörten.

Obwohl Francesco längst die Fensterscheiben heruntergelassen hatte, stand die Luft im Innern des großen Volvos CX 2000, kein Lüftchen regte sich auf der Piazza. Es war schon recht spät am Abend, denn sein Chef liebte es, solche Aktionen zu jeder denkbaren Tages- und Nachtzeit anzuordnen. Seufzend ließ der Polizeibeamte seinen Blick über den Platz schweifen, doch nirgends konnte er etwas Verdächtiges entdecken. In gewisser Weise empfand er es an diesem Abend sogar als Vorteil, so lange allein zu sein, denn hier mußte Francesco nicht so tun, als wäre alles in Ordnung. In der Zentrale, insbesondere im direkten Kontakt mit seinem Chef, fiel es ihm zur Zeit schwer, sich nichts anmerken zu lassen. Allzu sehr lasteten die insgeheim gehegten Zweifel auf seiner Seele.

Sollte sich wirklich herausstellen, daß sein Vorgesetzter, der Commissioner Adriano Capertino, mit kriminellen Elementen kooperierte, wäre das für ihn ein herber Schlag. Zwar spielte Francesco nicht selten die Rolle des widerspenstigen Untergebenen, der seinem Chef in passenden und unpassenden Momenten viel zu oft widersprach, doch das änderte nichts an der Tatsache, daß der Commissioner ihm längst ans Herz gewachsen war. Wenn auch für private Gespräche kein Raum blieb, wußte Francesco doch, daß sein Chef ihm mit einem gewissen Wohlwollen gegenüberstand. Bislang hatte er sich allerdings gehütet, diesen Bonus überzustrapazieren, und so vermochte er nicht zu sagen, wo die Grenzen lagen.

Ein Piepton schreckte ihn aus seinen Gedankengängen auf. Sein Chef meldete sich über Funk. "Na, gibt's bei dir was Neues?" erklang die joviale Stimme des Commissioners. "Nein, nein", beeilte Francesco sich zu antworten, "hier ist absolut nichts los. Bislang haben wir ein paar Festnahmen, die müßten schon in der Zentrale sein. Ist aber das übliche - Leute ohne Arbeitspapiere, hier und da geschmuggelte Lebensmittel."

"Ich stell' mir vor, daß ihr noch zwei Stunden weitermacht", fuhr Adriano Capertino fort, und seine Stimme klang freundlich. "In einer Stunde meldest du dich noch mal bei mir, dann sehen wir weiter."

"Ja, ist gut", antwortete sein Adjutant und gab sich alle Mühe, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen.

"Also dann, halt die Ohren steif", sagte der Commissioner noch, bevor er die Verbindung unterbrach. Was ist bloß los mit dem, sinnierte der Polizeichef von Corina, der es nicht gewohnt war, daß sein Adjutant sich ohne zu murren mitten in der Nacht noch weitere Überstunden aufbrummen ließ.


*


Als sie den Parkplatz erreicht hatten, war Sergio wieder voll in seinem Element, denn jetzt kam es darauf an, den Impulsgeber ihres Wagens lahmzulegen. Dazu mußte er erst einmal lokalisiert werden, und das könnte das größere Problem darstellen, schließlich galten diese Geräte als fälschungssicher und unzerstörbar. Hätte der ehemalige Hochenergie-Ingenieur sich in den vergangenen Jahren nicht mit solch kniffligen Fragen befaßt - er hätte wohl kaum einen Einfall zur Sache gehabt, erst recht nicht in der wenigen Zeit, die ihm dafür zur Verfügung stand. Mit den erforderlichen Meßinstrumenten und Werkzeugen ausgerüstet, sah das Ganze schon anders aus, und Sergio traute sich zu, diese Idee in die Tat umzusetzen.

Daß dieses Unterfangen nicht ganz ungefährlich war, bedurfte keiner weiteren Erwähnung. Solche Impulsgeber beruhten auf einer digital gesteuerten Anwendung hochenergetischer Prozesse. Ein unscheinbarer Mikrochip, der irgendwo im Auto versteckt sein konnte, sendete ununterbrochen Impulse aus, die mit herkömmlichen Instrumenten nicht angemessen werden konnten. Ohne hochenergetische Sensoren war da nichts zu machen, und einen solchen Sensor hatte Sergio in monatelanger Kleinarbeit hergestellt. Die vielen, vielen Mißerfolge hatten ihn nicht davon abbringen können, seine Idee am Ende doch noch umzusetzen, denn er war von Anfang an davon überzeugt gewesen, auch mit den wenigen ihm in seiner kleinen Werkstatt zur Verfügung stehenden Materialien ein solches Gerät herstellen zu können. Der Erfolg hatte ihm recht gegeben. Ob sein Hochenergiemeter sich auch im Ernstfall bewähren würde, war natürlich eine andere Frage.

Mit dem etwa handygroßen Gerät ging Sergio langsam um den Fiat Fitore herum. Auf einer Distanz von 80 bis 100 cm müßte das Meßgerät die verräterischen Impulse anzeigen und vor allem deren Quelle lokalisieren können. Der ehemalige Ingenieur hatte den Wagen einmal umrundet, doch das Gerät zeigte keinerlei Reaktion. Sergio blieb sinnierend stehen, und da drang allmählich ein ganz leises Piepsen an sein Ohr. Sofort ging er dieser Spur nach - und tatsächlich: In der Nähe des Kofferraums wurde dieses akustische Signal eindeutig lauter.

"Ich hab' ihn!" rief Sergio seiner Frau zu, "er steckt hier unter der Radkappenabdeckung und sieht ganz unscheinbar aus. Ich klemm' ihn gleich ab. Bist du soweit, daß wir gleich losfahren können? Länger als fünf Minuten brauch' ich nicht mehr."

"Ja, bei mir ist alles klar, ich geh' schon mal los", antwortete Clarissa frohen Mutes und machte sich auf den Weg. Jetzt kam es auf jede Sekunde an. Nach ungefähr hundert Metern erreichte sie den dunkelroten Alfa Romeo des fremden Paares, das sie paralysiert im Wald liegen gelassen hatten. Der weiträumige Parkplatz war, von wenigen späten Besuchern der Service Station abgesehen, menschenleer. Niemand schien auf die Aktionen der beiden Flüchtlinge aufmerksam geworden zu sein. Dieser Eindruck konnte natürlich vollkommen täuschen, wußten sich die beiden doch von unsichtbaren Kameras umgeben.


*


"Verdammte Scheiße, das ist doch die reinste Schikane", fluchte Francesco, nachdem das Freizeichen erklang und anzeigte, daß sein Chef die Funkverbindung zu ihm unterbrochen hatte. Noch zwei Stunden sollte er hier herumsitzen! Und gerade dieser ungewohnt freundlich vorgetragene Befehl Capertinos gab dem Mißtrauen seines persönlichen Adjutanten neue Nahrung. Will der mich aus'm Weg haben, damit er unbemerkt seinen Plänen nachgehen kann? Was aber, in drei Teufels Namen, waren das überhaupt für Machenschaften, in die sein Vorgesetzter - wie es den Anschein hatte - verwickelt war? Und womöglich war sein Chef ihm seinerseits schon auf die Spur gekommen? Welche Möglichkeiten gab es für ihn, Francesco, überhaupt, um dieser Sache auf den Grund zu gehen?

Auf jeden Fall mußte er diese Angelegenheit ganz allein in die Hand nehmen. Der Commissioner fiel als Ansprechpartner natürlich weg, und die ihm unterstellten Beamten wollte Francesco ebensowenig ins Vertrauen ziehen, denn damit hätte er sich unweigerlich eine Blöße gegeben. Andererseits bestand auch ein nicht unerhebliches Risiko darin, auf eigene Faust etwas zu unternehmen. Wenn sein Chef sich von ihm durchschaut fühlte, mochte es für ihn sehr schnell sehr gefährlich werden ...

Francesco verschränkte die Arme im Nacken und holte tief Luft. Jetzt galt es, die Nerven zu behalten und noch einmal in aller Kürze zu durchdenken, was ihm schon seit Stunden durch den Kopf ging. Um herauszufinden, ob und inwiefern eine Verbindung zwischen den mittlerweile flüchtigen Kriminellen und seinem Vorgesetzten bestand, gab es im Grunde nur einen Weg: Er mußte auf eigene Faust diese beiden Verdächtigen verfolgen, festnehmen und verhören. Und dann würde er schon herausfinden, und sei es mit Hilfe des berüchtigten `Wahrheitsserums', welches Geheimnis die beiden umgab und warum sein Chef ihre Flucht so offenkundig begünstigte.

Mit diesem Gedanken zu spielen oder ihn in die Tat umzusetzen - das waren allerdings zwei Paar Schuhe. Francesco wußte, daß er ein sehr hohes Risiko einging, wenn er sich aus dem Überwachungsbezirk entfernte. Eine Zeitlang würde er noch verbergen können, daß er sich auf Abwege begeben hatte. Die per Funk übermittelten Meldungen seiner Leute könnte er auch noch entgegennehmen, wenn er die Piazza del Sole längst verlassen hatte.

Mit einem Ruck setzte Francesco den Wagen zurück und fuhr mit quietschenden Reifen aus der Parklücke. Er hatte es satt, zu zögern, Vermutungen anzustellen und doch nie zu wissen, woran er eigentlich war. Eigentlich hätte ihm egal sein können, ob er einen korrupten Vorgesetzten hatte oder nicht - doch für den jungen Polizeioffizier stand mehr auf dem Spiel. Für ihn war seine Arbeit eine Sache der Ehre, und das allein war Grund genug, bei dieser Geschichte alles auf eine Karte zu setzen.

Mit weit überhöhter Geschwindigkeit bretterte Francesco über die großen Straßen in Richtung Norden, denn die Fahrzeugüberwachung zeigte eindeutig an, daß die Gesuchten sich bereits auf der Euro-Route in Richtung Nordeuropa befanden. Das Glück schien ihm beizustehen, denn die Impulse des Fluchtfahrzeuges kamen seit etwa fünf Minuten von ein und derselben Stelle: der Service Station "Euro-Service", die ungefähr 50 Kilometer nördlich von Corina lag. Das konnte nur bedeuten, daß die beiden - zu welchem Zweck auch immer - dort ihre Fahrt unterbrochen hatten. Der Adjutant berechnete die Entfernung, die noch zwischen ihm und dem momentanen Aufenthaltsort der Lampurtinis lag. Wenn er die Geschwindigkeitsbegrenzungen weiterhin ignorierte - und er wußte schließlich am besten, wo zur Zeit Straßenkontrollen durchgeführt wurden und wo nicht -, könnte er in einer knappen halben Stunde den Rastplatz erreicht haben.


*


Längst hatte sich ein dunkel schimmerndes, fahles Zwielicht über die vor ihm liegenden Ebenen des norditalienischen Tieflandes gesenkt. Diese frühen Nachtstunden waren Mikes liebste Zeit, er verspürte nicht den Hauch einer Müdigkeit. Mit dem Ferrari würde er den Vorsprung der Lampurtinis, deren Route er auf dem Borddisplay seines Wagens direkt mitverfolgen konnte, bald eingeholt haben. In Mikes Augen stellte diese technische Errungenschaft eine zwiespältige Sache dar. Sie vereinfachte zwar die Spurensuche um einiges, dem Genuß der Jagd war sie indes abträglich. Auf diese Weise die Gesuchten zu verfolgen, stellte für ihn keine Herausforderung dar. Er brauchte bloß den Impulsen ihres Fiats nachzufahren und die beiden bei einer passenden oder auch unpassenden Gelegenheit zu stellen. `Ach, was soll's', sinnierte der Headhunter und ließ seinen Blick über das nächtliche Panorama schweifen, `umso schneller bin ich mit ihnen fertig'.

Doch plötzlich stutzte er. `Was war das? Was soll das denn werden?' Eher erstaunt als beunruhigt stellte Mike fest, daß die Lampurtinis einen Rastplatz angefahren hatten, der etwa 30 Kilometer nördlich von seiner Position lag. `Sie werden doch wohl nicht so dumm sein, mit ihren Kennkarten zu tanken?' Etwas besorgt starrte der Hunter auf den Display; in seine Überlegungen hatte er die Möglichkeit, die Lampurtinis könnten ihre Situation derartig falsch einschätzen, nicht miteinbezogen. "Nicht, daß sie mir jetzt noch durch die Lappen gehen", murmelte er und knirschte mit den Zähnen. Unwillkürlich erhöhte er die Geschwindigkeit, um nun seinerseits so schnell wie möglich den Ort des Geschehens zu erreichen.

Eine kodierte Mitteilung des zentralen Informationssystems flimmerte über die Anzeigentafel. Nachdem noch einmal in Sekundenbruchteilen sein Individualgehirnwellenmuster überprüft worden war, erschien die Meldung im Klartext. Darin hieß es lapidar, daß ein weiteres Fahrzeug die Verfolgung der Zielpersonen aufgenommen hatte und sich auf derselben Autobahn ebenfalls in Richtung Norden bewegte. Dieser Wagen, ein Volvo CX 2000, befand sich im Moment zwischen ihm und der Service Station, an der die Lampurtinis Halt gemacht hatten.

Der Fahrer, so wurde ihm weiter mitgeteilt, war ein gewisser Francesco Borgio, seines Zeichens Offizier der Guardia Civile, der persönliche Adjutant des Polizeichefs von Corina. Dieser Schnüffler hatte im Verkehrs-Überwachungssystem den momentanen Aufenthaltsort der Lampurtinis ebenfalls abgefragt und befand sich nun allem Anschein nach auf dem Weg zu eben jener Raststätte. Was das zu bedeuten hatte, lag auf der Hand, zumal er sich unautorisiert und ohne Wissen seines Vorgesetzten von seinem eigentlichen Einsatzort entfernt hatte.

Der Headhunter ließ sich die Impulse des Volvos, die dem Rastplatz ständig näherkamen, auf dem Bildschirm mitanzeigen. Dieser unliebsame Polizeibeamte würde, das sah Mike auf Anhieb, die Service Station noch vor ihm erreichen, selbst wenn er die Geschwindigkeit auf über 200 km/h erhöhte! Mike biß sich auf die Lippen und trat das Gaspedal voll durch. Die Sinne geschärft, der Jagdinstinkt erwacht - so raste er durch die düster schimmernde Nacht.

Sollte dieser Kerl ihm die Beute vor der Nase wegschnappen, würde ihm sein fürstliches Honorar entgehen. Befänden sich die Lampurtinis erst einmal in den Fängen des Verwaltungsapparats, wäre es sogar für einen Headhunter nicht einfach, ihrer habhaft zu werden. Solange sie sich allerdings noch auf freier Strecke befanden, sah das ganz anders aus. Ein neugieriger oder übereifriger junger Polizeioffizier würde für ihn dabei weder ein ernstzunehmendes Hindernis darstellen noch den Lampurtinis wirksamen Schutz bieten können.


*


Als Sergio zwei Drahtenden seines Hyperenergie-Destruktors an den winzigen Chip angesetzt und die Energiezufuhr aktiviert hatte, gab es wie erwartet ein kurzes leises Zischen, ein paar Funken stoben davon - mehr nicht. Von dem Impulsgeber blieb nicht mehr als eine zähflüssige, scharf riechende schwarze Masse übrig. Sergio nickte seiner Frau, die den Alfa Romeo bereits gestartet hatte, noch einmal kurz zu und lief los. Mit laufendem Motor wartete Clarissa, bis ihr Mann auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, dann startete sie durch und war froh, einen Wagen erwischt zu haben, der ihnen eine wesentlich schnellere Flucht ermöglichen würde als der kleine Fiat Fitore.


*


Francesco wischte sich den Schweiß von der Stirn, dabei war es in seinem Volvo angenehm kühl. Nervös sah er immer wieder in den Rückspiegel, so als rechnete er damit, daß sein Chef seine Eskapaden längst durchschaut und ihm eine halbe Hundertschaft hinterher schicken würde. `Ich muß von allen guten Geistern verlassen sein', murmelte er vor sich hin. `Warum nur, warum nur muß ich mich in Dinge einmischen, die mich nichts angehen?'

Diese Frage war inzwischen rein rhetorisch, denn der 28jährige Polizeioffizier hatte längst Fakten geschaffen, die nicht mehr rückgängig zu machen waren. Wie hätte er jemals rechtfertigen können, warum er sich auf der Euroroute weit nördlich von Corina befand, obwohl er in der Stadt Straßenkontrollen zu beaufsichtigen hatte? Francesco schüttelte solche Überlegungen ab und konzentrierte sich auf die Straße, denn in wenigen Minuten würde er den Rastplatz erreicht haben. Wie wollte er die Festnahme der Gesuchten überhaupt bewerkstelligen? Mußte er nicht damit rechnen, daß die beiden bewaffnet waren?

Als die ersten Hinweisschilder zur Service Station auftauchten, trat Francesco sachte auf die Bremsen. Ohne zu zögern, fädelte er sich in die Zubringerspur ein. Noch einmal wollte er sich die genaue Position des Wagens der Lampurtinis anzeigen lassen. Doch was war das?! Der gebürtige Italiener traute seinen Augen nicht, denn auf der Anzeigentafel stand: `Keine Daten verfügbar. Impulsgeber des Fahrzeugs sendet seit sieben Minuten keine Signale mehr.' Francesco Borgio hieb mit den Fäusten aufs Lenkrad und fluchte. "Verdammte Scheiße!"

Für das Ausbleiben der Impulse gab es nur zwei Erklärungen: Entweder war der Chip durch einen Autounfall oder etwas ähnliches zufällig zerstört worden, oder jemand hatte ihn mit Absicht unbrauchbar gemacht. Technische Versager kamen so selten vor, daß diese Möglichkeit getrost vernachlässigt werden konnte. Francesco raste auf die Rastplatz zu, so schnell die kurvenreiche Zufahrtstraße es zuließ.

Schon von weitem sah er, daß an der Service Station kaum Betrieb war, auch auf dem Parkplatz standen nur wenige Fahrzeuge. Noch bevor er das Gelände einmal umrundet hatte, entdeckte er den lindgrünen Fiat Fitore der Lampurtinis, der etwas abseits parkte, nicht weit von einem angrenzenden kleinen Waldstück entfernt. Francesco fuhr noch ein kleines Stück weiter. Es schien alles ruhig zu sein, weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Der Wagen stand verlassen und allem Anschein nach unbeschädigt im fahlen Mondlicht.

Etwa fünfzig Meter weiter hielt der junge Beamte an. Seine Gedanken überschlugen sich. Sollte das etwa heißen, daß die Kriminellen den Impulsgeber gezielt zerstört hatten? Wo aber mochten sie sein, sollten sie zu Fuß ihre Flucht fortgesetzt haben? Oder versteckten sie sich ganz in der Nähe und hatten ihn womöglich schon längst entdeckt? Der junge Polizeioffizier zog seine Waffe, entsicherte sie und stieg aus, um sich hier vorsichtig umzusehen. Langsam näherte er sich dem Fiat. Weit und breit war niemand zu sehen. Francesco entspannte sich etwas, doch sein unsteter Blick wanderte aufmerksam umher.

Wo könnten die Lampurtinis sein? Bei der Service Station? Plausibel war das zwar nicht, doch Francesco steckte die Waffe ein und ging los, um sich dessen zu vergewissern. Er eilte auf das kleine Häuschen neben der Tankstelle zu und betrat den Verkaufsraum. Nur ein paar übernächtigt aussehende Kunden standen an der Kasse und sahen sich zu ihm um. Von den Gesuchten auch hier keine Spur. Francesco machte auf dem Absatz kehrt, ohne ein Wort zu verlieren. Draußen blieb er in der kühlen Nachtluft stehen und sah kurz zum Mond hinauf. Was jetzt?

Da fiel sein Blick auf den im dunklen Schatten liegenden Wald. Natürlich, da mußten sie sein! Mit der Dienstwaffe im Anschlag lief er auf das schlecht einsehbare Unterholz zu und nutzte dabei geschickt die Deckung aus, die ihm die wenigen parkenden Autos gegen einen möglicherweise bewaffneten Gegner boten. Der Adjutant des Polizeichefs von Corina bewies einiges an Mut, sich in dieser Situation den Kriminellen zu stellen, die aus dem dunklen Wald heraus die eindeutig bessere Sicht haben mußten, während er auf dem schwach beleuchten Parkplatz wie eine Zielscheibe umherlief.

Francesco zweifelte keinen Augenblick mehr daran, daß die Lampurtinis sich in den Wald zurückgezogen hatten. Wo sonst hätten sie sein können, schließlich stand ihr Wagen noch auf dem Parkplatz! Und er war sich dessen so sicher, daß er den schwarzen Ferrari, der sich von der Autobahn kommend näherte, nicht einmal bemerkte.

(Ende des 3. Teils)


*


Wird Francesco Borgio seine Neugier mit dem Leben bezahlen müssen? Und wie steht es mit dem Fluchtplan der Lampurtinis, die noch immer keine Ahnung haben, daß ihnen von zwei Seiten Gefahr droht? Doch selbst wenn ihnen gelänge, was sie sich vorgenommen haben - was wäre schon gewonnen, sollten sie tatsächlich die Todeszone erreichen?

Lesen Sie weiter in der nächsten Headhunter-Folge: Teil 4: Einer bleibt zurück


Erstveröffentlichung am 17. Juni 1995

15. Dezember 2006