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BERICHT/067: Reise durch Ermland und Masuren - Teil 2 (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 143 - April/Mai 08
Die Berliner Umweltzeitung / RABE RALF UNTERWEGS

Durch Ermland und Masuren
Natur und Kultur - Menschen und Mentalitäten

Von Christoph Vinz


Fortsetzung von Teil 1, RABE RALF März/April 2008

Im ersten Teil dieses Beitrages wurde zuletzt nahe einer Wallfahrtsstätte eine leckere Pilzsuppe serviert.

Auch hier, in der Provinz, ist die schmackhafte, regionale Tradition von Fastfood und "internationalen Gerichten" bedroht. Auf seiner Rundreise durch Ermland und Masuren lernte der Autor Höhen und Tiefen einer Gastronomie im Umbruch kennen, ohne sich ein endgültiges Urteil erlauben zu wollen. Dennoch möchte er seine subjektiven Eindrücke nicht für sich behalten.


Speis und Trank im Wandel der Zeiten

In der Gaststätte von Gietrzwald war er zufällig ein zweites Mal; diesmal an einem stark besuchten Wochenende. Der Ort voller Touristen (oder waren es Wallfahrer?), und auf dem Hof der Lokalität spielte eine bunt gekleidete "Original-Folklore-Kapelle". Es gab kaum freie Plätze, und es ging laut und hektisch zu. Weil die Pilzsuppe in so guter Erinnerung, wurde sie ein zweites Mal geordert. Nanu, diesmal schmeckte die Suppe ja ganz anders? Vielleicht war ein Teil der örtlichen Wunderquelle hineingeraten?

Massentourismus ist halt hier wie überall nicht unbedingt qualitätsfördernd.

Beste Erinnerungen hat der Autor dagegen an die romantisch gelegene Gaststätte vor dem Freilandmuseum von Olsztynek (Hohenstein) am Westteil der Allensteiner Seenplatte.

Als "Museum der Volksbauweise" 1938 gegründet, wurde hier in einer parkähnlichen Landschaft bäuerliche Architektur aus der Königsberger Gegend, Preußisch-Litauen, Ermland und Masuren wiedererrichtet: Da finden sich Fachwerkbauernhäuser, Speicher und Windmühlen ebenso wie Wirtschaftsgebäude, die alte Dorfkneipe und -Kirche. Alle Gebäude sind historisch genau ausgestattet; in einigen Gehöften vermitteln typische Haustiere, die hier lebend gehalten werden, einen überaus realistischen Eindruck. Nach dem Besuch kann sich der hungrige oder durstige Besucher in der erwähnten Gastwirtschaft "Karczma w Skansie" stärken.

Eine aufmerksame Bedienung servierte Spezialitäten wie Bauernsuppe, Rindskotelett mit frischen Pfifferlingen oder die beliebten Plinsen, ebenfalls mit Pfifferlingen. Spätestens hier lernte der ausländische Gast die Qualität polnischer Küche und Braukunst zu schätzen!

Auf, einer seiner Fahrten hielt der Autor an der E 77 vor einer unscheinbaren kleinen Kneipe die vor allem von Kraftfahrern aufgesucht wurde, die sich zwischen Warschau und Danzig bewegten.

Sie war im Innern klein und urig, die Zeit schien irgendwann in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts angehalten worden zu sein. Hier wurden noch frisch zubereitete Piroggen mit Pilz/Sauerkrautfüllung serviert, für wenig Geld und mit Liebe von der Oma in ihrer Küche zubereitet. Neben solch immer seltener vorkommenden Relikten stehen unübersehbar die gastronomischen "Leuchttürme" der Zeit: neue Motels und Hotels mit hohem Standard und diversen Sternen. Wirklich international waren hier manchmal nur die Preise, während die Leistungen noch nicht Schritt hielten. In einem solchen Hotel wurde dem Autor in einem Edelrestaurant ungefragt ein halber Liter Bier, hingestellt, kam das Fischgericht nicht mit dem entsprechenden Besteck, war die Wildschweinroulade mit Waldpilzen weder wild, noch hatten die Pilze jemals einen Wald gesehen. Nun, man kennt das aus der Heimat, wo es in den 9Oer Jahren bei einigen Newcomern auf dem gastronomischen Gebiet ähnliche Veralberungen gab.


Seen, bemooste Bunkerreste, Burgen

Viel wichtiger ist, dass dieses Land über eine fast unübersehbare Anzahl an Naturschönheiten und historischen Zeugnissen verfügt. Über riesigen Seen und ausgedehnten Wäldern schweben schon mal Adler oder Habichte; Kormorane und Haubentaucher sind keine Seltenheit. Und die beiden größten Seen der Masurischen Seenplatte, der Sniardwy (Spirdningsee) und der Mamry (Mauersee), erstrecken sich jeweils über eine Fläche von über 100 Quadratkilometern. Das sind Dimensionen, die jeden Betrachter an ein Meer erinnern! Die großen Seen sind durch Kanäle mit einer Gesamtlänge von 200 Kilometern verbunden. Ein Paradies für Wassersportler und Naturfreunde, das von immer mehr Menschen aus vielen europäischen Ländern entdeckt wird.

Zu den unbedingt sehenswerten Zeugnissen der Vergangenheit gehören die bedeutenden Wehranlagen der Deutschordensritter, unter denen die Marienburg aus dem 13./14. Jahrhundert eine unangefochtene Spitzenstellung einnimmt.

Malbork (Marienburg) im Regierungsbezirk Danzig am Nogat und am Mündungsarm der Weichsel verfügt mit der gleichnamigen Burg über Europas größten Backsteinbau und die ehemals wichtigste Burganlage des Deutschen Ordens.

Auch hier hinterließ der letzte Krieg riesige Zerstörungen. Noch Anfang 1945 wurden Burg und Altstadt bis zu 60 Prozent zerstört. Trotz wirtschaftlicher Probleme begann Polen nach wenigen Jahren mit dem Wiederaufbau der einmaligen Burganlage, die heute im Wesentlichen abgeschlossen ist. Seit 1998 gehört die Marienburg zum Welterbe der UNESCO.

Von der einstigen Altstadt sind hingegen nur einige sehenswerte Zeugnisse erhalten. Es gibt Reste der mittelalterlichen Stadtmauer, zwei Tore aus dem 13 Jahrhundert, das Rathaus von 1360 und die gotische Stadtkirche St. Johann. Die einstigen Bürgerhäuser scheinen unwiederbringlich verloren. An ihrer Stelle wurde vor Jahrzehnten eine recht unattraktive zwei- und dreigeschossige Wohnbebauung errichtet, die sich 2005 in einem schlechten Zustand befand.

Ein weiterer Ausflug brachte den Autor nach Ketrzyn (Rastenburg), das auch eine frühere Ordensburg (1329) und weitere historische Bauten wie die gotische St.Georg-Kirche aufweist.

Die meisten Besucher kamen jedoch wegen einer monströsen, moosüberwachsenen Hinterlassenschaft des deutschen Besatzungsregimes. Ab 1940 wurde im nahen Stadtwald von Rastenburg, der Görlitz, mit dem Bau der "Anlage Nord", der späteren "Wolfsschanze", begonnen. Diese etwas zweifelhafte Touristenattraktion erstreckt sich Über 250 Hektar in einem 800 Hektar großen Waldgebiet. Auf den Fundamentresten der Baracke, in der am 20. Juli 1944 Hitlers Lagebesprechung stattfand, erinnert seit einigen Jahren eine Gedenktafel an das Attentat des Grafen von Stauffenberg.


Polnische Gastfreundschaft

Natürlich unternahm der Autor auch Wanderungen durch die ausgedehnten Wälder und um romantisch gelegene Seen. Bei Taborz entdeckte er eine scheinbar fast unberührte Landschaft mit einem von Fröschen bevölkerten Waldsee, Sumpf- und Moorgebieten, einsamen Waldgehöften und einen alten Kanal, auf dem Seerosen in voller Blüte waren. Eine Pilzsuche wurde ergebnislos abgebrochen, auch wegen der enorm großen und lästigen Mücken, die der Autor sch(m)erzhaft als "Masurische Monstermücken" beschimpfte. Vielleicht war 2005 hier kein Pilzjahr, wahrscheinlicher ist die Unkenntnis der nur Einheimischen vertrauten Fundorte.

Zum Ausgleich luden die sympatischen Wirtsleute zum leckeren Fischessen, dessen gewichtige Basis in der Nacht zuvor im nächstgelegenen See geangelt werden konnte. Eine Woche später wurde der Gast aus Deutschland von der einheimischen Bevölkerung mit großer Herzlichkeit zum Putengrillen ans Seeufer gebeten. Das reizende Tierchen, das seit den Morgenstunden von kräftigen Männern über glühenden Buchenscheiten bewegt wurde, soll ein Lebendgewicht von 14 Kilogramm besessen haben... Gut, dass später selbst gebrannter Zubrowka (eine Wodka-Spezialität) in ordentlichen Portionen den Verdauungsprozess regeln half!


Danzig und der Dominik

Zum Schluss soll die Rückfahrt über Gdansk (Danzig) noch kurz gewürdigt werden.

Die ehemalige Hansestadt ist heute die bedeutendste Hafenstadt an der Weichselmündung, Hauptstadt der Woiwodschaft Pommern mit etwa 450.000 Einwohnern. Als "Dreistadt" zusammen mit Gdynia und Sopot umfasst das Gebiet sogar 1.150.000 Bewohner.

1945 wurde auch Danzig durch die Rote Armee erobert, wobei große Teile der Innenstadt bei den Kampfhandlungen verloren gingen. Nach Plünderungen wurden wertvolle Reste noch durch Brandstiftung vernichtet. In den 50er Jahren begann Polen trotz Not und Elend der Nachkriegszeit mit Rekonstruktion und Wiederaufbau der weltbekannten historischen Stadt. Bis zur Jahrtausendwende entstanden Recht- und Altstadt in ihrer ursprünglichen Schönheit, und wer heute durch ihre Straßen und Gassen flaniert, spürt nichts mehr von den Verwüstungen des vorigen Jahrhunderts. Lediglich an der Peripherie des alten Danzig existierten im Jahre 2005 noch vereinzelte Ruinen und Brachflächen.

1980 wurde die Stadt zur "Wiege der Solidarnosc" und ein wesentlicher Motor in der Geschichte, die 1989 zum Zerfall des kommunistischen Systems führte.

Heute lebt Danzigs Wirtschaft noch immer vom Hafen und dem traditionellen Schiffsbau, und es gibt eine pharmazeutische und Lebensmittelindustrie. Mehr und mehr siedelten sich in den letzten Jahren auch die Hochtechnologien in der Dreistadt an. Denn über Eisenbahn, Flughafen, Fähren aus Dänemark und Schweden und natürlich über die Europastraßen ist Danzig verkehrstechnisch gut eingebunden.

Jedes Jahr kommen mehr Touristen aus aller Welt hierher, um Krantor, Artushof und Neptunbrunnen, Marienkirche oder den Langen Markt und die Frauengasse zu besichtigen.

Als der Autor auf seiner Heimfahrt nach Danzig kam, wurde gerade "Dominik", Danzigs größtes Fest des Jahres, gefeiert.

Seit 1260 findet in der gesamten Rechtstadt der Dominikaner-Markt statt, und heute finden sich auf dieser größten europäischen Veranstaltung über 1.000 Händler, die fast alles anbieten, was sich der Besucher wünscht. Es gab wunderschöne Produkte aus allen Regionen des Landes, wie selten gewordene Handwerkserzeugnisse, Schmuckkreationen aus Bernstein oder auch leckere Backspezialitäten. Vor allem zog die Besucher ein gigantischer Flohmarkt magisch an. Alte und neue Bücher in allen Sprachen, echte und falsche Antiquitäten, Trödel in einer Sortierung und Ausmaßen, wie es in Berlin nicht vorstellbar ist, historische Waffen, Omas Klamotten und vieles mehr. Die Händler reisten sogar aus dem benachbarten Russland und Litauen an...

Im Jahr 2007 hielt der 747. Dominik ganze drei Wochen Danzig in Atem, wobei 8,5 Millionen Besucher gezählt werden konnten.

Am nächsten Tag ging es über Slupsk (Stolp) und Koszalin (Köslin) bis zur Autobahnabfahrt bei Szcecin (Stettin) in Richtung Berlin. Im Fonds standen zwei Körbe mit frisch geernteten Pfifferlingen und Steinpilzen dank einheimischer Sammler, die ihre Ware am Straßenrand zu günstigen Preisen anboten.

Und so konnte am Abend desselben Tages eine an Eindrücken reiche Fahrt mit einem opulenten Pilzessen würdig abgeschlossen werden.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Rastenburg, Wehrkirche St. Georg (1357)
Wallfahrtskirche Heilige Linde (1687)
Danziger Turmvielfalt
Danzig mit historischem Krantor (1440) und Dominik (Fotos: Christoph Vinz)


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Anmerkung zu einem Anruf einer Leserin zum ersten Teil der RABEN-Reise

Liebe Frau Klose,
hoffentlich habe ich Ihren Namen korrekt wiedergegeben. Herzlichen Dank für Ihren Anruf vom 18. Februar mit Hinweis auf den Beitrag "Durch Ermland..." im RABE RALF. Jawohl, Sie haben völlig recht. Natürlich war der Gatte der Königin Luise Friedrich Wilhelm III. Da ist mir beim Recherchieren ein grober Fehler unterlaufen, für den ich um Entschuldigung bitte. Andererseits freut es mich, wie gründlich offenbar viele Leser den RABEN studieren.

Seien Sie weiterhin so aufmerksam und haben Sie viel Freude an unserem krächzenden Vogel!

Ihr Christoph Vinz


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Quelle:
DER RABE RALF - 19. Jahrgang, Nr. 143, April/Mai 08, S. 20-21
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Tel.: 030/44 33 91-47/-0, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.grueneliga-berlin.de/raberalf

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2008