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BERICHT/086: Natur plus Geschichte plus Luxus - Unterwegs im Grunewald (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 157 - August/September 2010
Die Berliner Umweltzeitung

Natur plus Geschichte plus Luxus
Unterwegs im Grunewald

Christoph Vinz


Noch vor einhundertfünfzig Jahren war dies ein Gebiet, das von Kiefern, märkischem Sand und Sümpfen geprägt war. Und gerade hier sollte nach 1889 eine der bis heute teuersten Wohngegenden der Stadt entstehen.

Es war einer der genialen Schachzüge Otto von Bismarcks, dessen Wunsch nach Ausbau des staubigen Reit- und Spazierweges nach Halensee zu einem Champs-Elysee-ähnlichen Boulevard keinen einzigen Investor zu begeistern vermochte: er setzte durch, dass fast 250 Hektar Grunewald nahe Halensee an ein Bankenkonsortium verkauft werden konnte, das im Gegenzug den Ausbau des späteren Kurfürstendamms finanzierte.

Spektakulär gestaltete sich dann die Eröffnung der neuen Prachtmeile im Jahre 1886, als eine dampfbetriebene Straßenbahn erstmals vom Bahnhof Zoo bis Halensee schnaufte.

Ähnlich aufsehenerregend müssen die überaus zügigen Rodungsmaßnahmen im Grunewald gewesen sein, denn "tout Berlin" sang damals: "Im Grunewald, im Grunewald ist Holzauktion..." Gleichzeitig erfolgte die Trockenlegung sumpfigen Geländes, in der Folge entstanden künstliche Seen neben dem Halensee, der als einziges natürliches Gewässer bereits existierte. Heute scheint diese Wasser-Wald-Landschaft natürlichen Ursprungs zu sein. An Diana-, Königs-, Hertha- und Hundekehlesee entstanden so überaus wertvolle Ufergrundstücke.


Luxus mit Wald- und Wasseranschluss

Bereits 1889 konnte die Villenkolonie Grunewald gegründet werden. Über die sogenannte "Kurfürstendamm-Gesellschaft" wurden die ersten Bauparzellen angeboten, kaum unter 1.200 Quadratmetern, die jedoch nur zu 30 Prozent bebaut werden durften.

So entstanden um die Jahrhundertwende zahlreiche schlossartige Villen der "Schönen und Reichen", manchmal auch der Neureichen, was eine überladene Architektur bis heute verrät. Die außerordentliche Größe der einzelnen Grundstücke brachte ebenso bemerkenswerte Gartenanlagen hervor, von denen heute nur noch wenig erhalten ist. Wer allerdings von der Douglas- oder Fontanestraße kommt, kann den parkähnlichen Garten der neoklassizistischen Villa Harteneck betreten, der öffentlich zugänglich ist. Vom Berliner Gartenbauamt sorgsam restauriert, ist die Anlage einer der wenigen in ursprünglicher Größe erhaltenen Gartenkunstwerke der Villenkolonie aus der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg.

Bald hatte sich diese elitäre Wohngegend zum Treff des gebildeten Großbürgertums entwickelt. Assimilierte jüdische Familien wie die Mendelssohns, Ullsteins, Fischers oder die des Kaufhausbesitzers Wertheim führten hier gastfreundliche Häuser, in denen häufig in Berlin gastierende Künstler von Weltruf noch ein Privatkonzert gaben. Selbst der Kaiser gab sich in und wieder hier die Ehre.

In der Weimarer Zeit ermordeten Rechte den damaligen Außenminister Walther Rathenau 1922 in der Nähe seiner Villa an der Koenigsallee.

Die Spenden wohlhabender jüdischer Eltern finanzierten eine für die damalige Zeit höchst moderne Ausstattung des Grunewald-Gymnasiums (heute Walther-Rathenau-Schule).

Nach 1933 und besonders ab 1941 endete diese Epoche. Raub, Plünderung und Beschlagnahme jüdischen Eigentums waren an der Tagesordnung und zerstörten eine kulturell reiche Berliner Schicht. Die Deportationen erfolgten auch vom nahen Bahnhof Grunewald; hier befindet sich heute das Mahnmal "Gleis 17".


Niedergang und Wiederaufstieg

Die Zeit nach 1945 führte im Viertel zu vielen, nicht immer glücklichen Veränderungen, die den Berlin-spezifischen politischen Verhältnissen geschuldet waren. Manche Prachtvillen verfielen, Grundstücke wurden kleinteilig parzelliert, Reihenhäuser errichtet, so dass insgesamt eine ahistorische Bauverdichtung entstand. Mancher, der in den 50er oder 60er Jahren hier architektonische Spuren hinterließ, huldigte dem damals modernen "Bungalow-Stil", der heute oft nur noch ärmlich wirkt.

Inzwischen hat hier ein Umdenken eingesetzt, auch dank der Bemühungen von Bezirksamt und Denkmalschutz. Nun findet der Besucher schon vereinzelt anspruchvollere Architektur; Villen und Gärten werden oft aufwendig restauriert.

Im Ortsteil Grunewald residieren heute neben Privatpersonen wie erfolgreichen Unternehmern, Sportlern und Politikern vor allem Botschaften, Akademien und Kliniken.

Eigentlich ist es noch immer wie zu Bismarcks Zeiten: es sind die sogenannten "oberen Zehntausend", diese Mischung aus Erfolgreichen oder einfach nur Begüterten, die das Privileg genießen, mitten im Grünen zu leben und in wenigen Minuten in der City sein zu können.

Wer sich einen Eindruck von der "guten alten Zeit" verschaffen möchte, sollte sich einmal einen Spaziergang durch dieses noble Viertel zwischen Koenigsallee und Bahnhof Grunewald gönnen.

Verkehrsanbindung: S-Bhf. Grunewald, S7 Rathenauplatz, Bus M19 und M29


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Wald und Wasseridylle
- Neuzeit im alten Viertel
- Transportgleis in den Tod



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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 157, August/September 2010
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2010