Schattenblick →INFOPOOL →UNTERHALTUNG → REISEN

SOZIALES/021: Südafrika - Wirtschaftsfaktor Ethnotourismus (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 6, Dezember 2013

Wirtschaftsfaktor Ethnotourismus
Kultureller Ausverkauf oder Entwicklungschance?

von Jennifer Scheffler



Der Ethnotourismus boomt. Wirtschaftlich marginalisierte Gruppen wie die San im südlichen Afrika sehen darin ihre Chancen. Hierzulande wird mit "sanftem" oder "fairem" Tourismus geworben. Das Angebot ist breit - von Folkloreveranstaltungen bis hin zu Begegnungsreisen.


Spärlich bekleidete Menschen tanzen um das Lagerfeuer in einer Lodge, während Touristen sich einen Sundowner genehmigen. Reisenden wird in einem nachgebauten Dorf Kunsthandwerk als Souvenir angeboten. Viele, die das südliche Afrika gut kennen und länger dort gelebt haben, bekommen bei solchen Vorstellungen Bauchschmerzen.

Tourismus ist aber ein wichtiger Wirtschaftszweig im südlichen Afrika. Die südafrikanische Regierung hat 2012 eine Tourismusstrategie verabschiedet, die Potenziale des Kulturtourismus gezielt ausbauen will. Bisher sind es vor allem die Tierwelt und die Landschaften, die Reisende aus westlichen Ländern in die Region locken. Doch immer häufiger werden - selbst herkömmliche Safaris mit kulturellen Angeboten garniert.

Dieser Tourismus soll zum Kennenlernen so genannter traditioneller Kulturen beitragen. Beworben wird er mit "sanftem" oder "fairem" Tourismus. Das Angebot ist breit, von Folkloreveranstaltungen in Hotels und Lodges über aus dem Boden sprießenden Cultural Villages bis hin zu Homestays, bei denen Touristen einige Nächte bei Einheimischen zu Hause übernachten.

Ethnotourismus ist sowohl wissenschaftlich als auch gesellschaftlich ein umstrittenes Phänomen. Denn häufig sind es ökonomisch und sozial stark marginalisierte Gruppen - gerne "Naturvölker" bezeichnet -, die touristisches Interesse wecken. Sie gelten als besonders ursprünglich und traditionell lebend. Ein Beispiel für eine solche Gruppe sind die San in Namibia, Botswana und Südafrika. Deren Angehörige zählen zu den ärmsten Teilen der Bevölkerung und werden in vielerlei Hinsicht benachteiligt.

Diese Verfemung reicht zum Teil in die vorkoloniale Zeit zurück. Die Kolonisierung mit ihrem offenen Rassismus hat diese Situation verschärft und wurde nach der politischen Unabhängigkeit nicht überwunden. So profitierten die San in Südafrika bislang nicht vom Black Economic Empowerment. Viele ANC-Politiker haben Vorbehalte gegen die San, die aus ihrer Sicht als Fährtenleser für die Armee mit dem Apartheidregime kollaborierten. Dies ist auch einer der Gründe für die mangelnde staatliche Förderung der San in Namibia. Hinzu kommen Landrechtskonflikte und juristische Auseinandersetzungen über die Jagd- und Siedlungsrechte der San in Naturparks. Vor allem in Botswana wurden San wiederholt zwangsumgesiedelt. Gleichzeitig zieren "typische" San-Gesichter heute viele Werbebroschüren der Tourismusbranche - auch die Prospekte staatlicher Anbieter.


Ethnotourismus im Widerstreit

Die Argumente der Gegner ethnotouristischer Angebote sind vielfältig: Menschen mit einer eher statischen Kulturauffassung beklagen eine Folklorisierung von Kultur. Sie warnen davor, dass der Tourismus die traditionellen Kulturen kommerzialisiere und dadurch zerstöre. Jeder zu enge Kontakt gefährde die ursprüngliche Lebensweise der "Naturvölker". Die Touristen werden als Repräsentanten einer westlichen, kapitalistischen Kultur eingestuft. Kapitalismuskritiker und postkoloniale Denker sehen in den touristischen Aktivitäten eine Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln.

Unbestritten ist, dass zwischen den Touristen, Touranbietern und Reiseunternehmen auf der einen und den lokalen Gruppen vor Ort auf der anderen Seite ein Machtungleichgewicht besteht. Das bezieht sich auf die ökonomischen Mittel, den Marktüberblick und die Marketing-Mechanismen des Tourismus. Diese Ungleichheiten bergen die Gefahr, dass ohnehin schon ihrer Vollwertigkeit beraubte Menschen übervorteilt und ausgebeutet werden. Zudem macht der Tourismus kulturelle Praktiken und Orte - die Werbung spricht von Destinationen - zur Konsumware. Den Objekten des touristischen Interesses werden dabei spezielle Eigenschaften zugeschrieben.

Das reduziert die Betroffenen zwangsläufig auf ihre blanke Natürlichkeit, bar von Kultur und Gesellschaft. So wird die Kultur der San als besonders ursprünglich dargestellt. Allerdings spiegeln die "Buschmänner" der Reisekataloge und Reiseführer das tatsächliche, alltägliche Leben der San im südlichen Afrika genauso wenig wider, wie das Oktoberfest und Schloss Neuschwanstein repräsentativ für Deutschland sind.

Andererseits bietet Tourismus der lokalen Bevölkerung gerade in abgelegenen Regionen häufig eine nicht zu unterschätzende Möglichkeit, Einkommen zu erzielen. Ethnotouristische Angebote sind mit wenig Einsatz von Kapital zu realisieren. Diese Einkommenschancen können auch Menschen nutzen, die über geringe formale Bildung und Qualifikationen verfügen. Zahlreiche Entwicklungsorganisationen und lokale Initiativen sehen im Ausbau von kulturellem Tourismus einen wichtigen Ansatzpunkt für ärmere Bevölkerungsgruppen, vom wachsenden touristischen Interesse am südlichen Afrika zu profitieren.

Der Ethnotourismus könne - so die Befürworter - bei den Betroffenen eine Rückbesinnung und kreative Auseinandersetzung mit ihren Kulturen und Traditionen auslösen. So bewerten San-sprachige Akteure, die in ihren Ländern häufig als Menschen zweiter Klasse behandelt werden, das neue Interesse an ihnen, das Touristen um die halbe Welt reisen lässt, um ihre Kultur kennenzulernen, durchaus positiv. Sie beziehen daraus Selbstbewusstsein und Stolz. Zudem haben viele Reisende ein ernst gemeintes Interesse an Begegnungen mit und dem Kennenlernen von Menschen vor Ort. Sie wollen mehr über deren Leben erfahren.

Auch der Rollenwechsel wird von manchen als Aufwertung gesehen. Ihr Wissen um Land und Umwelt wird geschätzt. So werden etwa in Namibia auf Lodges und auf Gästefarmen häufig Nature- bzw. Bushwalks angeboten. Da wird der lokale San-sprachige Guide, der vielleicht nur die Grundschule beendet hat, zum Lehrer und der europäische Arzt oder Hochschulprofessor wird zum Schüler, wenn es zum Beispiel um die Heilwirkungen bestimmter Pflanzen geht. Etliche lokale San-Akteure schätzen es, dass sie ihr Wissen weitergeben können und hier tatsächlich eine Form von Bildung stattfindet.


Mittel und Zweck

Der Ethnotourismus ist ganz unterschiedlich geprägt. Das zeigen die so genannten "Buschmann-Begegnungen": So mancher weiße Farmer in Namibia wertet seine Gästefarm dadurch auf, dass er seine San-sprachigen Farmarbeiter abends für Touristen tanzen lässt. Auch auf Jagdfarmen sind "Buschmänner" als Fährtenleser im Einsatz. Es gibt aber auch gemeinnützige Einrichtungen, die Ethnotourismus zu den San anbieten. Ein deutsch-namibischer Verein hat mehrere so genannte "Lebende Museen" eingerichtet, die von lokalen Dorfgemeinschaften selbstständig verwaltet werden. Neben kulturellen Angeboten und Buschwanderungen bieten sie auch Campingmöglichkeiten an.

Im Kgalagadi-Transfrontier-Nationalpark in Südafrika liegt die !Xaus Lodge, eine sehr abgelegene Luxusherberge mit angeschlossenem Cultural Village. Sie ist seit dem Landrechtsabkommen mit der Regierung Ende der 1990er Jahre im Besitz zweier örtlicher Gemeinschaften: der #Khomani-San und der Mier, einer Coloured Community. In Botswana ist ein Dorf der Nharo-San Eigentümer einer Gäste-Farm (Dqae Qare). Nicht zuletzt zählen zum Ethnotourismus auch informelle Aktivitäten, etwa kleine Verkaufsstände am Straßenrand für von Hand gefertigte Perlenketten aus Straußeneierschalen und anderes Kunsthandwerk.

Diese vielfältigen Angebote erschweren eine ethische Bewertung des Ethnotourismus. Als zentrale Fragen stellen sich: Wie viel Entscheidungsfreiheit haben die Menschen vor Ort? Inwieweit können sie selbst bestimmen, wie ihre Kultur dargestellt wird, oder inwieweit müssen sie sich Vermarktungsstrategien unterwerfen? Außerdem sollte jeder einzelne entscheiden können; ob und wie er sich an touristischen Aktivitäten beteiligt. Eine weitere Frage ist zudem, wie viel von dem Geld, das die Touristen ausgeben, tatsächlich bei den lokalen Akteuren und Gemeinschaften ankommt.

Wer in welcher Form profitiert, ist von Projekt zu Projekt sehr unterschiedlich und in den meisten Fällen für Außenstehende nur schwer zu durchblicken. Das betrifft auch die Frage, ob Tourismus Ungleichheiten und Konflikte in lokalen Gemeinschaften verstärkt. Grundsätzlich ist die Möglichkeit einer substanziellen und nachhaltigen Einkommensquelle für die Menschen vor Ort das vornehmliche Motiv, im Tourismus aktiv zu werden.


Die Autorin promoviert an der Universität Bayreuth über Ethnotourismus im südlichen Afrika und hat dafür umfangreiche Feldforschungen in Botswana, Namibia und Südafrika vorgenommen.

*

Weitere Artikel in afrika süd Nr. 6, Dezember 2013

HAMBA KHALE, MADIBA
Nelson Mandela ist am 5. Dezember verstorben. Hein Möllers sagt "hamba khale".

AKTUELL


SIMBABWE

BIO-SPRIT STATT MAIS
Die größte Ethanolfabrik Afrikas steht in Simbabwe. Greenfuel will noch mehr Zuckerrohr anbauen. Barbara Müller kritisiert die Vertreibung der Bauern.


DR KONGO

MÉMOIRE - FOTOGRAFIEN AUS LUBUMBASHI
Merin Abbass berichtet über die Fotoausstellung "Mémoire" des kongolesischen Künstlers Sammy Baloji.


MOSAMBIK

ACHTUNGSERFOLG FÜR DIE MDM
Bei den Kommunalwahlen in Mosambiks hat die Frelimo in 50 der 53 Gemeinden gewonnen, doch die oppositionelle MDM schnitt erstaunlich gut ab. Von Lothar Berger.

SÜDLICHES AFRIKA: TOURISMUS

Wirtschaftsfaktor Ethnotourismus
Die Folgen für die San beleuchtet Jennifer Scheffler.

AKTUELLE FORSCHUNGEN ZUM ETHNOTOURISMUS
Jennifer Scheffler interviewt Professor Keyan Tomaselli von der Universität in Durban.


SÜDLICHES AFRIKA: GESUNDHEIT

VOM REDEN ZUM HANDELN
Nationale HIV/Aids-Strategiepläne im südlichen Afrika sollen auf Geschlechtergerechtigkeit abzielen. Von Samantha Willan, E. Tyler Crone und Andrew Gibbs.


SÜDAFRIKA: GESUNDHEIT

GESUNDHEITSPOLITIK AUF DEM PRÜFSTAND
Südafrikas Gesundheitssektor ist im Umbruch. Rita Schäfer nennt Gründe.

POLITIK UND GESUNDHEIT VON FRAUEN
Mehrere Krisen beeinträchtigen die Gesundheit von Frauen in Südafrika. Von Madisa Mbali und Sethembiso Mthembu.


NAMIBIA: GESUNDHEIT

ARMUT, ALKOHOL, AIDS
Namibische Schülerinnen und Schüler beschreiben ihren täglichen Überlebenskampf in einer Welt mit Armut, Alkohol und Aids. Von Michaela Fink und Reimer Gronemeyer.


ANGOLA: GESUNDHEIT

UNGESUNDE GESCHÄFTE
Der Schmuggel mit gefälschten Malaria-Mitteln hat fatale Folgen. Benoît Faucon, Colum Murphy und Jeanne Whalen decken auf, woher die gefälschten Medikamente kamen.


SAMBIA: GESUNDHEIT

WIRKSTOFF, SYMBOL UND RITUAL
Traditionelle Heiler sind der Arbeitsmuskel des sambischen Gesundheitssystems; sie sehen sich als Arzt und Seelsorger. Nikolai Link hat auch Scharlatane entdeckt.


AFRIKA: GESUNDHEIT

TEIL DES KULTURELLEN ERBES
Traditionelle Medizin ist ein bedeutender Faktor für die Gesundheitsversorgung Afrikas. Über das Thema sprach Frank Gries mit Prof. Vincent Titanji aus Kamerun.

TAGE MIT KONSEQUENZEN
Anna Lena Schmidt zeigt, wie Menstruationstabus Mädchenbildung beschränken.


MOSAMBIK

UMERZIEHUNG VON FRAUEN
Ein Interview mit dem Regisseur Licíno Azevedo über den Film "A Virgem Margarida".


SÜDLICHES AFRIKA

NEUES ZUM TOD IN NDOLA
UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld war 1961 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Neue Ergebnisse einer privaten Untersuchungskommission kennt Henning Melber.


SÜDLICHES AFRIKA: LANDFRAGE

LANDFRAGE IN DER FORSCHUNG
Rita Schäfer stellt neue Studien zur Landfrage im südlichen Afrika vor.



SERVICE
Rezensionen

*

Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
42. Jahrgang, Nr. 6, Dezember 2013, S. 14 - 15
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
Königswinterer Straße 116, 53227 Bonn
Tel.: 0228 / 46 43 69, Fax: 0228 / 46 81 77
E-Mail: issa@comlink.org
Internet: www.issa-bonn.org
 
"afrika süd" erscheint mit 6 Heften im Jahr
Jahresabonnement Euro 35,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2014