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TOURTIP/943: Rhön-Tour - Ins Land der Vulkankuppen, Silberdisteln und Birkhühner (1) (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 152 - Oktober/November 09
Die Berliner Umweltzeitung

Auf Rhön-Tour!
Reise ins Land der Vulkankuppen, Silberdisteln und Birkhühner (1)

Von Christoph Vinz


Viele von uns kennen die deutschen Regionen nur unvollständig. Und häufig bestimmen auch scheinbare Gewißheiten die jährliche Wahl des Urlaubsziels:

In Deutschland sei "Urlaub sehr teuer", die Erholungslandschaften seien "überlaufen", und überhaupt sei "alles viel zu vermarktet". Manche meinen ja schon den Kuckucksruf im Frühling aus gut getarnten Lautsprechern örtlicher Touristenvereine zu hören...

Da ist vieles richtig und gleichzeitig manches grundfalsch. Denn Urlaub zu Haus kann teuer werden; aber er ist auch recht preiswert zu haben. Es gibt viele touristisch gut erschlossene Landschaften, mittelalterliche Städte, Burgen und Schlösser, die in der Saison völlig überlaufen sind. Daneben existieren jedoch noch Oasen der Ruhe und Ursprünglichkeit; Gebiete, die sich eher zögernd und behutsam für den Urlauber öffnen. Niemand vermag vorauszusagen, ob die eher unbekannten Landschaften auch noch in fünfzig Jahren diesen Zustand beibehalten.


Schafe, Moore, Orchideen

Ich möchte von einem Aufenthalt in einer ganz eigenartigen, wunderschönen Landschaft berichten, die im Schnittpunkt von drei Bundesländern liegt. Im Grenzgebiet von Thüringen, Hessen und Bayern erstreckt sich auf einer Fläche von rund 3.300 Quadratkilometern die Rhön, eine sanft gewellte Mittelgebirgsregion, die durch die Kuppen einstiger Vulkane, ausgedehnte Feld- und Wiesenflächen und unterschiedlich große Mischwaldbestände gekennzeichnet ist. Die großen baumlosen Flächen sind das Resultat intensiver Waldrodungen in den vergangenen Jahrhunderten. Diese sanft gewellten Areale, die sich mit bewaldeten Bereichen abwechseln, prägen das unverwechselbare Panorama.

Die Rhön besitzt mit der Wasserkuppe (950 Meter) ihre höchste Erhebung. Sie gilt als Wiege des deutschen Segelflugs. Neben vielen anderen Quellen entspringt hier die Fulda.

Geologisch verfügt die Rhönlandschaft über Basalt, Bundtsandstein und Muschelkalk. Die spezielle, offene Landschaft mit ihrem Mikroklima hat eine eigene Fauna und Flora sich entwickeln lassen. Allein 48 Orchideenarten konnten hier nachgewiesen werden; die Rhön ist Heimat der Silberdistel und des schon von Napoleon geschätzten Rhönschafs, eine der ältesten deutschen Nutztierrassen. Auch die Schmetterlingspopulation hat hier eigene Arten ausgebildet.

Im bayerischen Teil finden wir das Schwarze Moor, das als eins der bedeutendsten Hochmoore Mitteleuropas gilt und unter Naturschutz steht. Auch diese Landschaft hat ihre typische Tier- und Pflanzenwelt, die sogar "moorspezifische" Schmetterlinge, wie den Hochmoorgelbling, hervorgebracht hat. Das Schwarze Moor gilt als letztes Rückzugsgebiet der Birkhühner, und der Auerhahn soll sich hier vereinzelt zeigen. Auch Kreuzotter und Bergeidechse haben hier noch ihren Lebensraum. Seit 1987 führt hier Bayerns erster Moor-Lehrpfad durchs Gelände. 2007 konnte für Naturfreunde am nördlichen Rand noch ein 17 Meter hoher Aussichtsturm errichtet werden.

Im hessischen Teil wird das Rote Moor, viele Jahre durch intensiven Torfabbau verändert, gegenwärtig wieder renaturiert. Hier existieren die deutschlandweit größten Bestände der Karpatenbirke.


Urlaub einmal anders

Doch zurück zum Rhön-Urlaub. Ich verlebte ihn in Sondheim. Zusammen mit Ostheim, Urspringe und Steten gehörte das flache Grabfeld (ein sog. "Rhönausreißer") bis 1918 zum Großherzogtum Sachsen-Weimar, eine protestantische Exklave mitten in katholischer Umgebung, was auch noch heute zu spüren ist. Nach Bildung der Weimarer Republik kam das Gebiet zum Freistaat Thüringen. Erst nach 1945 brachten die Besatzungszonen wieder eine Veränderung: Seitdem gehört das Grabfeld zum Freistaat Bayern.

Überall habe ich in den von mir besuchten kleineren und größeren Ortschaften der Rhön romantische Bäche und historische Wassermühlen entdecken können. Die alten Bauerngehöfte mit einzigartigen Fachwerkkonstruktionen zeigen fränkische, thüringer und hessische Stileinflüsse. Und die kleinen Rhönstädtchen sind für manche Überraschung gut. Doch davon später.

Sondheim hat seine kleinen Besonderheiten: Während die hübsche Dorfkirche in ihrem Inneren mit zwei lebensgroßen, trutzigen Reformatoren-Bildnissen fast zu drohen scheint, heißt die Dorfgaststätte bis heute "Weimarischer Hof". Manchmal zuckt der unvorbereitete Urlauber, wenn plötzlich aus Lautsprechern, die sich an Laternenmasten der Straßen befinden, blechern das "Köhlerliesl" tönt. Der hier noch genutzte Ortsfunk vermeldet dann wichtige Durchsagen der Gemeinde: So mögen doch auf dem Friedhof die Gießkannen ordentlich abgestellt werden... Das hat was!


Über Berg und Tal

Wer in dieser Gegend zu Fuß unterwegs ist, kann zum Beispiel eine Tagestour zur Rother Kuppe unternehmen. Die Route führt zunächst vorbei an Feldern, Wiesen und Weiden mit friedlichen Dalmatiner-Pferden; den uralten Feldweg säumen knorrige Obstgehölze. Ich entdecke Apfel, Birne und Pflaume sowie eine Menge Haselnußsträucher. Langsam steigt der Weg zur Rother Kuppe an, Laubwald und Wiesen wechseln sich ab. Ich laufe an Forellenteichen vorbei, an deren Ufern recht zutrauliche Gänse weiden. Fast auf dem Gipfel, etwas unterhalb am Hang, wurde vor Jahrzehnten eine architektonische Scheußlichkeit in die Gegend geklotzt: ein Hotel mit Spaßbad. Der typische 60er-Jahre-Bau verunstaltet die sonst so sanfte Landschaft. Solche Bausünden gibt es bekanntlich in allen Bundesländern. Doch ganz oben, auf der Kuppe, empfängt den Wanderer ein gemütlicher Berggasthof, der eine wohlschmeckende Leberknödelsuppe und frisch gezapftes Pils bereithält. Ein anderer Tag führt mich bei hochsommerlichen Temperaturen ins nahegelegene Urspringe. Auch hier plätschert munter ein Bächlein durch den Ort. Nahe an einem Felsmassiv entdeckt der Ortsfremde eine Unzahl kleinster Brückchen: Dahinter befinden sich im Gestein seit Generationen die gut gesicherten Zugänge zu den Vorratskammern der Einheimischen, die auch im Zeitalter des Kühlschranks weiterhin genutzt werden. Am Ortsrand freut sich der neugierige Wanderer über eine alte Wassermühle, bevor es weiter über Wiesen und Felder zurück nach Sondheim geht.

Natürlich gibt es in der Rhön nicht nur die bereits erwähnte Wasserkuppe. Mit fast 928 Metern ist der Kreuzberg, auch "Heiliger Berg der Franken" genannt, einen längeren Ausflug wert. Südöstlich von Bischofsheim erhebt sich eine von Kreuzen gekrönte Anhöhe, an deren Hang sich seit Jahrhunderten ein Franziskaner-Kloster befindet. Nicht nur in Pilgerkreisen hat es sich herumgesprochen, dass die in der Klosterschänke angebotenen Brotzeiten und selbstgebrauten Biere einen Aufstieg bei jedem Wetter wert sind.

Das scheint manchmal zu leichten Übertreibungen geführt zu haben. Jedenfalls verkündet eine Info der frommen Klosterbrüder, dass aus guten Gründen kein Hochprozentiger mehr ausgeschenkt würde. "Grölende Pilger" seien der Würde des Ortes nicht angemessen. Man möge sich auf Brotzeit und Bier ganz ohne Gesang beschränken. Es fällt allerdings schwer, bei der Süffigkeit und dem Preis nicht in Dankgesänge zu verfallen.

Auf dem Rückweg weist ein Schild auf eine andere, bewaldete Höhe. "Zum Basaltsee" liest der erstaunte Fremde und lenkt seine Schritte bergan. Tatsächlich, oben auf der Höhe erstreckt sich malerisch ein ehemaliger Basaltsteinbruch, der einen romantischen, kalten Bergsee gebildet hat. Manchmal muß man, so zeigt es die Rhön, zum Baden bergan laufen...

Fortsetzung in der nächsten Ausgabe...


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Naturspiegelung im See
- Panorama von der Rother Kuppe


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Quelle:
DER RABE RALF - 20. Jahrgang, Nr. 152, Oktober/November 09, S. 13
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.grueneliga-berlin.de/raberalf

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Oktober 2009