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TOURTIP/999: Vogelkundliche Norwegenreise mit dem Self-Guiding-System (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 5/2012

Navigationsgeräte zur Vogelbeobachtung: Mit dem Self-Guiding-System unterwegs in Norwegen

Von Philipp Meister und Hans-Joachim Fünfstück



Vogelbeobachtungsreisen in ferne Länder erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Neu auf dem Markt für Vogelbeobachtung ist das norwegische "Self-Guiding-System", das den Beobachter mit Hilfe eines vorprogrammierten Navigationsgerätes zu besonders geeigneten Beobachtungspunkten leitet. Diese Form der Vogelbeobachtung ist speziell auf Reisende zugeschnitten, die mit relativ geringem Planungsaufwand ihre "Wunscharten" dennoch auf eigene Faust finden möchten.

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Das Angebot an Vogelbeobachtungsreisen inner- und außerhalb Europas hat sich in den letzten Jahren rasant vergrößert. Die Palette reicht von mehrwöchigen pauschalen Gruppenreisen mit vogelkundlichen Programmpunkten bis zum persönlichen Führer, der den Individualkunden innerhalb weniger Stunden selbst zu schwer auffindbaren Arten führen kann. Trotzdem bevorzugen es viele Vogelbeobachter weiterhin, ein fremdes Land auf eigene Faust zu erkunden. Dazu sind in der Regel gründliche Recherchen und Planungen im Vorfeld der Reise notwendig, deren Gelingen jedoch nicht zuletzt von der Qualität der verfügbaren Reiseführer, Straßenkarten und Informationen im Internet abhängt. Unwägbarkeiten wie veraltete Beobachtungsdaten und unpräzise Ortsangaben müssen häufig in Kauf genommen werden, besonders dann, wenn es sich um entlegene Reisegebiete handelt oder die Dichte an Vogelbeobachtern vor Ort sehr gering ist.

In Norwegen, das aufgrund seiner Vielfalt an Wald-, Tundra- und Seevogelarten ein beliebtes Reiseziel für Vogelbeobachter aus Mitteleuropa ist, wird deshalb ein neuartiges System zur Vogelbeobachtung angeboten. Das sogenannte Self-Guiding-System (SGS) umfasst ein vorprogrammiertes Navigationsgerät, das eine Vielzahl an Beobachtungspunkten für bestimmte Vogelarten gespeichert hat sowie eine Begleitmappe, die in ausgedruckter Form eine ausführliche Beschreibung zu jedem Beobachtungspunkt enthält. Derzeit wird das System in acht Regionen Norwegens angeboten. Es handelt sich überwiegend um dünn besiedelte Gegenden wie die Varanger-Halbinsel, Pasvik und das Dovrefjell, die aus vogelkundlicher Sicht besonders reizvolle Ziele sind.

Kurze Vorbereitung, Planung vor Ort

Die Vorbereitung für eine Reise mit dem SGS lässt sich relativ kurz gestalten und dreht sich im Wesentlichen um die Auswahl der gewünschten Reiseregion. Auf der Internetseite des Anbieters lässt sich für jede Region, in der das SGS buchbar ist, eine Liste der interessantesten Vogelarten mit Angabe der Jahreszeit entnehmen, in der die jeweilige Art anzutreffen ist. Zusätzlich wird auf besonders lohnenswerte Zeiträume hingewiesen, beispielsweise für die Balz von Kampfläufern und Raufußhühnern, Seevogelzug, das Auftreten amerikanischer Irrgäste usw.

Vor Ort erhält man dann die notwendige Ausrüstung. In der Praxis blättert man am ersten Reisetag die Begleitmappe in Ruhe durch und verschafft sich einen Überblick über das Angebot an Beobachtungspunkten und die zu erwartenden Arten. Dabei finden sich bereits zahlreiche hilfreiche Informationen, die die Tagesplanung erleichtern. Neben der Angabe zur besten Tageszeit - wie beispielsweise 22 bis 4 Uhr für Beobachtungen am Balzplatz der Doppelschnepfe - wird auf den Zustand der Straßen und eventuelle Mautgebühren hingewiesen, um unliebsame Überraschungen im Gelände zu vermeiden. Für jede Vogelart wird zusätzlich eine Strategie empfohlen, wie sie am besten zu entdecken ist und wie der Beobachter sich dabei zu verhalten hat, um nicht zu stören. Die Nummer des ausgesuchten Beobachtungspunktes lässt sich dann über das Touchscreen-Menü des Navigationsgerätes als Ziel auswählen und sicher ansteuern.

Zielsicher zu Temminck und Co.

Wir testen das SGS im Juni 2011 im Dovrefjell, einem weitläufigen Gebirge im südöstlichen Norwegen, das vom Birkenwald bis zum Gletscher auf knapp 2300 Meter Höhe ein breites Lebensraumspektrum umfasst. Neben der wildlebenden Population von Moschusochsen bietet das Gebiet zur Brutzeit eine Vielzahl an Wasservögeln, Limikolen, Greifvögeln, Eulen, und Singvögeln. In der Begleitmappe des SGS werden für das Dovrefjell 16 Beobachtungsgebiete steckbriefartig vorgestellt, zu denen jeweils ein bis zehn konkrete Beobachtungspunkte benannt und auf dem Navigationsgerät gespeichert sind. Insgesamt lassen sich im Dovrefjell so knapp 50 Beobachtungspunkte gezielt ansteuern.

Mit dem Beobachtungsgebiet "Orkelsjön" entscheiden wir uns zunächst für einen der unzähligen Gebirgsseen, die sich über das Dovrefjell verteilen. Dem Gebietssteckbrief ist zu entnehmen, dass sich dort Anfang Juli eine Reihe interessanter Brutvogelarten der Bergtundra beobachten lässt. Dazu werden zehn Beobachtungspunkte näher beschrieben, die alle im Navigationsgerät aufrufbar sind. Nach etwa einstündiger Fahrt von unserer Unterkunft in Brekkesetter lotst uns das Navigationssystem an einer unscheinbaren Kreuzung von der Hauptstraße auf eine schmale Nebenstraße. Wenige Minuten später lassen wir die letzten Häuser hinter uns und passieren einen Birkenwald, in dem sich die Straße zu einer unbefestigten mautpflichtigen Piste wandelt, die in unserer mitgebrachten Straßenkarte im Maßstab 1:800000 nicht mehr enthalten ist.

Noch vor Erreichen des ersten Beobachtungspunktes zeigt sich oberhalb des Birkenwaldes bereits der gewissermaßen "angekündigte" Steinadler. Wir folgen der Piste weiter Hang aufwärts, bis wir auf dem Plateau angekommen sind. Von der vorgeschlagenen Stelle aus blicken wir auf einen kleinen Tümpel. Ein kurzer Blick durchs Fernglas genügt, um ein warnendes Rotsterniges Blaukehlchen zu entdecken, das Futter im Schnabel trägt. Wir fahren die letzten hundert Meter über eine kleine Anhöhe und blicken auf die Wasserfläche des Orkelsjöns. Das SGS schlägt vor, in der Nähe einer kleinen Ferienhaussiedlung zu parken und ein Stück zu Fuß entlang des kiesigen Ufers zu gehen. Auf knapp einhundert Metern Uferlänge sehen wir mindestens drei Paare Temminckstrandläufer, die in der niedrigen Vegetation brüten oder teilweise noch auf den Dächern der Ferienhäuser balzen. Ein weiteres Paar Blaukehlchen nistet in den Kriechweiden direkt am Weg, ein Odinshühnchen kreiselt zur Nahrungssuche im flachen Wasser und ein Trupp Küstenseeschwalben ruht auf einer sandigen Nehrung, an der auch ein Paar Sandregenpfeifer brütet. Am Ende einer flachen Landzunge lässt sich zugleich ein brütender Prachttaucher ausmachen. Da sich dieser Uferbereich als vielversprechend erweist, entscheiden wir, auch den nächsten Beobachtungspunkt zu Fuß anzusteuern. Dazu lässt sich das Navigationsgerät für begrenzte Zeit außerhalb des Autos einsetzen, bevor die Akkus wieder aufgeladen werden müssen. Wenige Gehminuten weiter ist von einem verbuschten Hang aus bereits der Reviergesang einer Spornammer zu vernehmen, bevor wir dahinter auf einer kleinen Wasserfläche eine Eisentenfamilie mit Jungen sehen. Auch die angekündigten Ohrenlerchen, ein Raufußbussard und zahlreiche Lemminge lassen sich beobachten, bevor das Wetter umschlägt und wir die Tour abbrechen müssen. Wenn sich wetterbedingt auch nicht alle der erhofften Arten zeigen, war diese Halbtagesexkursion doch sehr ergiebig. Auf der Fahrt aus dem Gebiet lassen sich im Nieselregen noch zwei warnende Goldregenpfeifer, die dicht an der Piste brüten, ausmachen.

Stärken und Schwächen

In den folgenden zwei Tagen steuern wir im Dovrefjell weitere Beobachtungsgebiete an. Neben den zwar häufigen, aber zu dieser Jahreszeit schwer zu entdeckenden Moor- und Alpenschneehühnern lotst uns das SGS zu einer Vielzahl der gesuchten Vogelarten, darunter Sterntaucher, Samt- und Trauerente, Singschwan, Sumpfohreule, Kornweihe, Falkenraubmöwe, Mornellregenpfeifer, Regenbrachvogel, Alpen- und Meerstrandläufer und die generell schwer zu findenden Arten Doppelschnepfe und Gerfalke.

Dabei sind nicht alle vorgeschlagenen Routen und Beobachtungspunkte so ergiebig wie etwa der Orkelsjön. Eine der empfohlenen Pisten führt uns beispielsweise 15 Kilometer über ein relativ eintöniges Hochplateau, ohne dass wir dort auf die erhofften Greifvögel und Raubmöwen stoßen. Es zeigt sich, dass das SGS sehr zielsicher zu vergleichsweise häufigen Arten wie Spornammer und Goldregenpfeifer sowie sämtlichen Vogelarten führt, die in unmittelbarer Gewässernähe brüten, während man bei den etwas selteneren Arten der offenen Bergtundra wie Mornellregenpfeifer und Falkenraubmöwe mehr Zeit in die Suche investieren muss.

Generell finden sich im SGS keine konkreten Lageinformationen zu Brutplätzen und Niststandorten, was aus Naturschutzsicht sehr zu begrüßen ist. Zum Beobachten von seltenen oder störempfindlichen Arten wie Greifvögel und Eulen werden Vogelbeobachter zu regelmäßig genutzten Jagd- oder Fluggebieten dieser Arten geführt, wodurch es nicht zu Beeinträchtigungen des Brutgeschehens kommt. In der Praxis lässt es sich natürlich nicht vermeiden, beim Beobachten auf bodenbrütende Sing- und Watvögel zu stoßen, doch appelliert die Begleitmappe hier ausdrücklich an die Vernunft und ein rücksichtsvolles Verhalten eines jeden Beobachters.

Fazit: Empfehlenswert

Wer ohne Ortskenntnis und mit relativ geringem Vorbereitungsaufwand in Norwegen Vögel beobachten möchte, ist mit dem SGS in jedem Fall sehr gut beraten. Das System führt zu einem Großteil der Vogelarten, die bei Mitteleuropäern auf der Wunschliste für Norwegen stehen. Aber auch für erfahrene Nordlandfahrer bietet das Informationspaket wertvolle Beobachtungstipps für Vogelarten, die man sonst nur mit großem Zeitaufwand oder einer entsprechenden Portion Glück findet. Die größten Pluspunkte sind sicherlich die Aktualität der Beobachtungsdaten, die fortlaufend auf den neuesten Stand gebracht werden, und die präzisen Beobachtungspunkte, die durch den Einsatz des vorprogrammierten Navigationsgerätes auch ohne teures oder umständlich zu beschaffendes Kartenmaterial zielsicher angesteuert werden können. Auf diese Weise lässt sich letztlich auch ein Familien- oder Wanderurlaub gut mit den vogelkundlichen Höhepunkten einer Norwegenreise verbinden.

Weitere Informationen im Internet unter www.bird.dintur.no

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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 5/2012
59. Jahrgang, Mai 2012, S. 186-189
mit freundlicher Genehmigung der Autoren und des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141, Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de
 
Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2012