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SCHLUCKAUF/0057: Zölibat - klerikales Diebesgut? - Nachtisch & Satire (SB)


Zölibat - klerikales Diebesgut?


Ein SCHLUCKAUF-Interview mit dem Religionswissenschaftler und erklärten Katholizismusgegner Ernst Heidenstein zum derzeit vieldiskutierten Thema "Zölibat".

SCHLUCKAUF: Herr Heidenstein, ist es der katholischen Kirche nicht hoch anzurechnen, daß sie durch ihre besondere Wertschätzung des Zölibats der voranschreitenden Sexualisierung unserer Gesellschaft entgegentritt?

HEIDENSTEIN: Ich sehe in dem 1022 von Papst Benedikt dem VIII. für Priester verbindlich gemachten Zölibat vor allem einen juristischen Winkelzug, der verhindern sollte, daß Kirchenbesitz als Erbe in die Hände der Nachkommenschaft verheirateter Priester gelangte.

SCHLUCKAUF: Und rein inhaltlich - für eine Methode der persönlichen Weiterentwicklung hin zu Gott halten Sie das zölibatäre Leben wohl nicht?

HEIDENSTEIN: Ich glaube, wir müssen erst einmal Begriffe sortieren. "Zölibat" ist ein lateinisches Wort, abgeleitet von "caelibatus", was soviel bedeutet wie "eheloser Stand" oder "Ehelosigkeit". Das ist formal, nicht inhaltlich. Dementsprechend hat Kardinal Meisner in seinem Hirtenbrief vom August 2009 den Zölibat der Ehe als gleichrangig gegenübergestellt. Zölibat und Ehe sind grobe gesellschaftliche Rahmen, die über das Innenleben der Personen, die sich ihrer bedienen, eigentlich nichts aussagen.

SCHLUCKAUF: Ist denn die Gleichsetzung von Zölibat mit sexueller Enthaltsamkeit eher eine Verwechslung von Form und Inhalt?

HEIDENSTEIN: Genauso, wie die Gleichsetzung ehelicher Treue mit der rückhaltlosen, inneren Festlegung auf einen einzigen Menschen eine Verwechslung ist. Aber sicherlich eine beabsichtigte. Die katholische Kirche verbirgt gern, daß sie vor allem Institution ist. Sie agiert als Ordnungsinstanz, erläßt, verwaltet und sanktioniert. Entsprechend ist der Zölibat eine alternativ zur Ehe erlaubte Lebensschablone. Mehr nicht.

SCHLUCKAUF: Stimmt schon. Aber nochmal zurück zum allgemeinen Verständnis vom Zölibat. Es gibt doch auch außerhalb des katholischen Glaubens, in anderen Religionen, die Empfehlung, zumindestens in bestimmten Zusammenhängen Enthaltsamkeit zu üben. Buddhistische Mönche beispielsweise -

HEIDENSTEIN: Das Wort Enthaltsamkeit transportiert gleich wieder so eine christliche Vorstellung. Es bedeutet, sich vorzuenthalten, was man eigentlich braucht, um eines größeren Lohnes, meist wohl um des Gotteslohnes, willen. Aber worauf Sie hinauswollen, ist vermutlich etwas ganz anderes. Ich sage einfach mal "Nichtinanspruchnahme biologischer Verhaltensmuster" dazu. Da gibt es in der Tat zahlreiche Überlieferungen in vielen alten Kulturen. Aber mit dem katholischen Sauberkeitsdenken, der Forderung nach "kultischer Reinheit" der Priester, die die Messe zelebrierenden, hat das nicht das geringste zu tun.

SCHLUCKAUF: Womit dann?

HEIDENSTEIN: Die Nichtinanspruchnahme biologischer Verhaltensmuster als Methode steht nach alten Quellen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem überaus kämpferischen Anliegen, sich über diesen Weg konfrontativ Dingen anzunähern, von denen der Mensch normalerweise nichts wissen will.

SCHLUCKAUF: Das klingt, als ob diese Verhaltensmuster die Schablone für eine Art Rutschbahn wären, auf der man mit Juchhe den finsteren Seiten des Lebens zu entkommen glaubt, um stattdessen mitten im Klärschlamm zu landen.

HEIDENSTEIN: Okay, das ist jetzt wirklich bis an die Schmerzgrenze vereinfacht, aber gut.

SCHLUCKAUF: Wäre es denn denkbar, daß die katholische Kirche Fragmente aus solch einer alten, heidnischen Überlieferung herausgenommen und für ihre Zwecke in den Zölibat umgewandelt hat? So ähnlich, wie aus dem früheren Sonnenwendfest unser Weihnachtsfest wurde?

HEIDENSTEIN: Dessen bin ich mir sicher.

SCHLUCKAUF: Und all die Priester, die sich selbst geißeln wegen irgendwelcher angeblich unreinen Gedanken sind Opfer einer völlig verdrehten Überlieferung?

HEIDENSTEIN: Immerhin versprechen sie sich ja etwas davon. Sie werden nicht gezungen zur Priesterschaft. Aber die Annahme, sich mit Gewalt, entweder gegen sich selbst oder gegen andere, den mühevollen Weg der inneren Auseinandersetzung ersparen zu können, ist weiter verbreitet als das Christentum. Die Praxis der Genitalverstümmelung ist in diesem Zusammenhang wohl eines der schrecklichsten Beispiele.

SCHLUCKAUF: Glauben Sie etwa, daß die Genitalverstümmelung einen fehlgeleiteten Versuch darstellt, an übernatürliche Fähigkeiten zu gelangen?

HEIDENSTEIN: Das wäre zumindestens naheliegender als viele andere Erklärungen dieses doch sehr verbreiteten Phänomens.

SCHLUCKAUF: Da bin ich denn doch froh, unter Christen zu leben.

HEIDENSTEIN: Wirklich? Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Verteufelung bestimmter Körperregionen, besonders bei Mädchen und Frauen, in streng katholischen Familien mitunter körperliche Konsequenzen hat, die durchaus an Verstümmelung heranreichen. Aber das würde jetzt doch -

SCHLUCKAUF: - den Rahmen dieses Interviews sprengen. Herr Heidenstein, ich bedanke mich bei Ihnen für die Darlegung Ihrer überaus interessanten Thesen.

HEIDENSTEIN: Aber bitte, ich freue mich immer, wenn ich zu einem christlichen Thema etwas Verwirrung und Verunsicherung beisteuern kann!

ENDE

10. Juni 2010